Entscheidungsstichwort (Thema)
Notwendige Beiladung des Versicherten bei Erstattungsstreit
Orientierungssatz
Zu dem Erstattungsstreit zwischen Sozialhilfeträger und Rentenversicherungsträger ist der Versicherte gemäß § 75 Abs 2 SGG notwendig beizuladen.
Normenkette
SGG § 75 Abs 2 Alt 1; SGB 10 §§ 102, § 102ff, §§ 104, 107 Abs 1
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 25.10.1988; Aktenzeichen L 11 Ar 119/86) |
SG Nürnberg (Entscheidung vom 07.11.1985; Aktenzeichen S 2 Ar 408/85) |
Tatbestand
Der klagende Sozialhilfeträger begehrt von der beklagten Landesversicherungsanstalt die Erstattung der Kosten des Aufenthaltes der Versicherten C. N. im H. R. in E. -B. vom 7. Mai 1984 bis 11. Februar 1985.
Die Versicherte ist 1961 geboren. Wegen einer seelischen Erkrankung wurde sie bis 6. Mai 1984 im Bezirkskrankenhaus E. stationär behandelt. Am 7. Mai 1984 wurde sie in die Übergangseinrichtung für psychisch Kranke "H. R. " in E. -B. verlegt. Für die ersten 10 Wochen übernahm die beigeladene Krankenversicherung (Beigeladene zu 2), bei der die Versicherte krankenversichert ist, die Kosten. Diese Übernahme der Kosten erfolgte aufgrund der "Vereinbarung über die Kostentragung bei der Rehabilitation von psychisch Kranken und Behinderten in der Übergangseinrichtung H. R. in E. -B. " vom 10. Mai 1983, die zwischen dem klagenden Sozialhilfeträger und der beigeladenen Krankenversicherung abgeschlossen ist. Der Kläger trug als vorläufig verpflichteter Sozialhilfeträger die übrigen Kosten der Unterbringung der Versicherten.
Den Antrag der Versicherten, die weiteren Kosten des Aufenthaltes im H. R. zu tragen, lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 4. Oktober 1984; Widerspruchsbescheid vom 14. Februar 1985). Auch dem Kläger gegenüber lehnte die Beklagte eine weitere Kostenübernahme ab.
Der Kläger hat Klage erhoben. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 7. November 1985). Ein Leistungsanspruch sei schon deshalb nicht gegeben, weil die Versicherte den Antrag auf Rehabilitationsmaßnahmen erst nach Beginn der Maßnahme gestellt habe. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Beklagte verurteilt, an den Kläger 20.285,80 DM zu zahlen (Urteil vom 25. Oktober 1988). Es hat im wesentlichen ausgeführt: Die Beklagte sei erstattungspflichtig aufgrund § 104 des Sozialgesetzbuches - Zehntes Buch - (SGB 10). Bei der durchgeführten Maßnahme handele es sich um eine medizinische Maßnahme iS des § 1237 Reichsversicherungsordnung (RVO).
Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt.
Sie beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 7. November 1985 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beigeladenen stellen keine Anträge.
Der Kläger hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die kraft Zulassung durch das LSG statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und damit zulässige Revision ist iS der Zurückverweisung an das LSG begründet. Das Verfahren des Berufungsgerichts ist insofern fehlerhaft gewesen, als das Gericht nicht die Versicherte C. N. beigeladen hat, obwohl ein Fall des § 75 Abs 2 1. Alternative des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) vorliegt.
Nach § 75 Abs 2 1. Alternative SGG sind Dritte zum Verfahren notwendig beizuladen, wenn sie an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, daß die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist dies zu bejahen, wenn die im Rechtsstreit zu erwartende Entscheidung über das streitige Rechtsverhältnis zugleich in die Rechtssphäre eines Dritten unmittelbar eingreift (s BSG SozR 1500 § 75 Nrn 49, 60 mwN).
Bei dem Erstattungsstreit zwischen einem Sozialhilfeträger und einem Sozialversicherungsträger aufgrund der §§ 102 ff SGB 10 ist ein derartiger enger rechtlicher Zusammenhang zwischen Zahlungsanspruch des ersten gegen den zweiten Sozialleistungsträger und ursprünglichem Naturalleistungsanspruch des Versicherten gegen den beklagten Sozialversicherungsträger gegeben. Dies hat bereits der 8. Senat des BSG in seinem Urteil vom 12. Juni 1986 (SozR 1500 § 75 Nr 60) für den Fall des Erstattungsstreits zwischen Sozialhilfeträger und Krankenkasse entschieden. Dabei ist zum einen deutlich gemacht worden, daß es nicht darauf ankommt, ob der Erstattungsanspruch auf § 102 SGB 10 oder § 104 SGB 10 gestützt wird, und daß die rechtliche Eigenständigkeit der Ansprüche aus §§ 102 - 105 SGB 10 der Anwendung des § 75 Abs 2 SGG nicht entgegensteht. Zum anderen ist herausgestellt worden, daß es insbesondere die Fiktionsregelung des § 107 Abs 1 SGB 10 ist, aus der der enge rechtliche Zusammenhang zwischen Erstattungs- und ursprünglichem Sozialleistungsanspruch abzuleiten ist. Der erkennende Senat schließt sich diesen Überlegungen des 8. Senats an und sieht keine Gründe, den vorliegenden Erstattungsstreit zwischen Sozialhilfeträger und Rentenversicherungsträger nicht auch nach diesen Gesichtspunkten zu beurteilen. Die Entscheidung über den Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Erstattung der Kosten, die der Kläger aufgrund seiner Kostenzusage für die Behandlung der Versicherten C. N. , in H. R. in E. -B. aufgebracht hat, greift wegen der Erfüllungsfiktion in § 107 Abs 1 SGB 10 rechtlich unmittelbar in die Rechtssphäre der Versicherten ein.
Das Unterlassen einer notwendigen Beiladung nach § 75 Abs 2 SGG ist bei einer zulässigen Revision von Amts wegen als Verfahrensmangel zu beachten (s BSG SozR 1500 § 75 Nrn 1, 20, 60 sowie Urteil des erkennenden Senats vom 22. Februar 1989 - 5/5b RJ 56/87 -). Da die Beiladung gemäß § 168 SGG in der Revisionsinstanz nicht nachgeholt werden kann, ist eine Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG geboten (§ 170 Abs 2 SGG).
Die Kostenentscheidung bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen