Entscheidungsstichwort (Thema)
unwirksame Beitragsentrichtung. freiwillige Beiträge. unwirksame Beiträge
Leitsatz (amtlich)
Die am 1.1.1992 in Kraft getretene Regelung, nach der freiwillige Beiträge für ein Jahr wirksam auch noch im ersten Quartal des Folgejahres entrichtet werden können (§ 197 Abs 2 SGB VI), ist auf Beitragszahlungen in der Zeit vor dem 1.1.1992 nicht anzuwenden.
Normenkette
SGB VI §§ 197, 300; RVO § 1418
Verfahrensgang
Hessisches LSG (Urteil vom 10.11.1992; Aktenzeichen L 12 An 332/92) |
SG Gießen (Urteil vom 26.02.1992; Aktenzeichen S 4 An 1038/90) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 10. November 1992 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist, ob der Kläger für die Zeit von Januar bis Dezember 1989 freiwillige Beiträge wirksam entrichtet hat.
Der Kläger entrichtete seit Januar 1988 im Wege der Beitragsabbuchung freiwillige Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung. Mit Schreiben vom 27. Dezember 1988 bat er die Beklagte, Beiträge für das Jahr 1989 nicht abzubuchen, da er noch bis Ende 1989 warten wolle und die Beiträge eventuell Ende des Jahres zusammen zahlen werde. Im Februar 1990 überwies er einen Betrag von 1.176,- DM als freiwillige Mindestbeiträge für das Jahr 1989. Gleichzeitig bat er um Entschuldigung für die verspätete Überweisung von Beiträgen und führte zur Begründung aus, daß er Buchführung und Schriftverkehr seiner Frau habe überlassen müssen und mit Erstaunen festgestellt habe, daß entgegen seinem Schreiben vom 27. Dezember 1988 freiwillige Beiträge für das Jahr 1989 nicht entrichtet worden seien.
Die Beklagte lehnte die Wertstellung der Beiträge für 1989 ab (Bescheid vom 13. März 1990). Die Frist nach § 140 Abs 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) sei im Zeitpunkt der Beitragsentrichtung abgelaufen gewesen. Eine Bereiterklärung nach § 142 AVG liege nicht vor. Den Widerspruch wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 6. Juni 1990).
Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben und die Beklagte verurteilt, den mit Wertstellung vom 27. Februar 1990 gezahlten Betrag in Höhe von 1.176,- DM für die Monate Januar bis Dezember 1989 zu verbuchen (Urteil vom 26. Februar 1992). Zur Begründung hat es ausgeführt, daß die Beiträge nach § 197 Abs 2 des Sozialgesetzbuches – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) rechtzeitig entrichtet worden seien. Diese Vorschrift sei im vorliegenden Fall nach § 300 SGB VI anzuwenden.
Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 10. November 1992). Es hat die Anwendung des § 197 Abs 2 SGB VI abgelehnt. Diese Vorschrift gelte nicht rückwirkend für die Zeit vor dem 1. Januar 1992. Aus der Begründung zum Rentenreformgesetz 1992 (RRG 1992) sei zu entnehmen, daß der Gesetzgeber die bisherige Rechtslage des § 140 Abs 1 AVG (= § 1418 Abs 1 der Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫) für die Zukunft habe ändern wollen. Auch könne § 197 SGB VI nicht wegen § 300 Abs 1 SGB VI angewandt werden. § 300 Abs 1 SGB VI betreffe nur Leistungsansprüche und -sachverhalte an sich, nicht aber versicherungs- und beitragsrechtliche Sachverhalte. Sowohl die historische als auch die systematische Auslegung führten zu diesem Ergebnis. Nach den bis zum 31. Dezember 1991 geltenden gesetzlichen Regelungen sei die Beklagte nicht verpflichtet, die im Februar 1990 überwiesenen freiwilligen Beiträge entgegenzunehmen und für das Jahr 1989 dem Kläger gutzuschreiben. Der Kläger habe die Beiträge verspätet entrichtet. Eine Bereiterklärung im Sinne des § 142 Abs 1 Nr 2 AVG liege nicht vor. Der Kläger habe mit seinem Schreiben vom 27. Dezember 1988 eindeutig zum Ausdruck gebracht, daß eine Beitragsentrichtung für das Jahr 1989 ungewiß sei. Er habe erklärt, daß er die Beiträge eventuell Ende des Jahres zusammen zahlen werde. Auch sei nicht der Wille erkennbar, konkret bestimmbare Beiträge entrichten zu wollen. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei nicht möglich, denn der Kläger sei nicht ohne sein Verschulden gehindert gewesen, die Beiträge rechtzeitig zu entrichten. Ein Verschulden seines Vertreters müsse der Kläger sich entgegenhalten lassen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers. Er rügt die Verletzung des § 197 Abs 2 und des § 300 Abs 1 SGB VI durch das LSG. Er ist der Ansicht, daß über § 300 Abs 1 SGB VI hier § 197 SGB VI anzuwenden ist.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG vom 10. November 1992 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG vom 26. Februar 1992 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Zu Recht hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Der Kläger hat für das Jahr 1989 freiwillige Beiträge nicht wirksam entrichtet.
Für die Entrichtung von freiwilligen Beiträgen an die Beklagte galten in den Jahren 1989 und 1990 noch die Vorschriften des AVG, die erst mit dem Inkrafttreten des SGB VI am 1. Januar 1992 aufgehoben worden sind (Art 83, 85 RRG 1992 vom 18. Dezember 1989 – BGBl I S 2261). Nach § 140 Abs 1 AVG (= § 1418 Abs 1 RVO) waren freiwillige Beiträge unwirksam, wenn sie nach Ende des Kalenderjahres entrichtet wurden, für das sie gelten sollten. Mit der Zahlung von Februar 1990 konnte der Kläger deshalb für das Jahr 1989 keine freiwilligen Beiträge mehr entrichten. Die Zahlung war auch nicht nach § 142 Abs 1 Nr 2 AVG (= § 1420 Abs 1 Nr 2 RVO) einer rechtzeitigen Beitragszahlung gleichgestellt. Der Kläger hatte sich vorher nicht im Sinne dieser Vorschrift zur Zahlung der Beiträge bereit erklärt. Zu Recht hat das LSG das Schreiben vom 27. Dezember 1988 nicht als Bereiterklärung gewertet. Die Erklärung entsprach nicht den Mindestanforderungen an eine Bereiterklärung iS von § 142 Abs 1 Nr 2 AVG, wie sie vom Bundessozialgericht (BSG) aufgestellt worden sind (vgl BSGE 66, 129 = SozR 2200 § 1418 Nr 11 und – für die Beitragsnachentrichtung – BSGE 70, 275 = SozR 3-2200 § 1419 Nr 1; BSG SozR 3 aaO Nr 2). Danach muß jedenfalls unbedingt erklärt werden, Beiträge entrichten zu wollen. Die Mitteilung des Klägers ließ aber nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG überhaupt offen, ob der Kläger Beiträge für das Jahr 1989 entrichten wollte.
Im vorliegenden Verfahren war nicht zu entscheiden, ob hinsichtlich der Versäumung der Zahlungsfrist von freiwilligen Beiträgen unter der Geltung des AVG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 27 des Sozialgesetzbuches – Verwaltungsverfahren – (SGB X) zulässig war (ablehnend BSG SozR 3-1200 § 14 Nr 9). Denn eine etwa statthafte Wiedereinsetzung ist schon deshalb nicht zulässig, weil nicht erkennbar ist, daß der Kläger ohne sein bzw das ihm zuzurechnende Verschulden seines Vertreters gehindert war, die Beiträge rechtzeitig zu entrichten.
Die Zahlung von Februar 1990 ist auch nicht deshalb eine wirksame Beitragsentrichtung, weil nach dem seit dem 1. Januar 1992 in Kraft getretenen § 197 Abs 2 SGB VI freiwillige Beiträge wirksam sind, wenn sie bis zum 31. März des Jahres gezahlt werden, das dem Jahr folgt, für das sie gelten sollen. Ob eine bis zum 31. Dezember 1991 erfolgte Zahlung eine wirksame Beitragsentrichtung gewesen ist, ist nicht nach dieser Vorschrift, sondern allein nach dem bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Recht zu beurteilen. Weder aus den §§ 301 ff SGB VI, die die spezifischen Regeln über die Ausnahmen von der Anwendung des neuen Rechts enthalten und nur leistungsrechtliche Sachverhalte regeln, noch aus § 300 SGB VI ergibt sich etwas anderes. Dabei kann offenbleiben, ob die Anwendung der zuletzt genannten Vorschrift insgesamt schon deshalb ausscheidet, weil auch sie nur das Leistungsrecht und nicht das Beitragsrecht betrifft, wie das LSG meint.
Der Senat ist in mehreren Entscheidungen zur Beitragsentrichtung davon ausgegangen, daß nach § 300 Abs 2 SGB VI ein vor dem 1. Januar 1992 geltend gemachtes Recht auf Nachentrichtung von Beiträgen noch nach dem bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Recht zu beurteilen ist (vgl SozR 3-1200 § 14 Nr 6, BSGE 70, 275 = SozR 3-2200 § 1419 Nr 1 und SozR 3-5750 Art 2 § 52b Nr 2). Auch wenn man auf der Grundlage dieser Entscheidungen § 300 Abs 1 und Abs 2 SGB VI im Beitragsrecht anwendet, ist das Begehren des Klägers nicht begründet. Mit den oa Entscheidungen hat der Senat das Beitragsnachentrichtungsrecht als Anspruch iS des § 300 Abs 2 SGB VI verstanden, der nach dem bisher geltenden Recht zu beurteilen ist, wenn er rechtzeitig geltend gemacht worden ist. Anspruch in diesem Sinne ist auch die Geltendmachung eines Beitragsentrichtungsrechts, wie sie durch den Kläger mit seiner Überweisung im Februar 1990 geschehen ist. Die vom Senat in den oa Urteilen jeweils als Begünstigung verstandene Anwendung des bisher geltenden Rechts über § 300 Abs 2 SGB VI gereicht dem Kläger des vorliegenden Verfahrens nicht zum Vorteil, weil die Beitragsentrichtung nach dem bisher geltenden Recht unwirksam war.
Wenn § 300 SGB VI im Beitragsrecht überhaupt anwendbar ist, ist es nicht ausgeschlossen, neben § 300 Abs 2 SGB VI auch § 300 Abs 1 SGB VI anzuwenden, soweit die beitragsrechtlichen Vorschriften des SGB VI günstiger sind. Auch dies führt jedoch nicht dazu, daß der Kläger Beiträge für das Jahr 1989 wirksam entrichtet hat oder wirksam entrichten kann. Der Kläger will so gestellt werden, wie wenn das Recht, das 1992 in Kraft getreten ist, für ihn schon 1990 Geltung gehabt hätte. Folge dieser Auffassung ist, daß spätestens ab 1990 jedermann die erst ab 1992 geltende Beitragsentrichtungsfrist des § 197 Abs 2 SGB VI hätte ausnutzen können. Diese Vorwegnahme einer zukünftigen Regelung ist auch über § 300 Abs 1 SGB VI nicht zulässig, soweit danach die Vorschriften des SGB VI auch auf Sachverhalte anzuwenden sind, die vor dessen Inkrafttreten bestanden haben. Über § 300 Abs 1 SGB VI kann ein in der Vergangenheit liegender beitragsrechtlicher Sachverhalt einen Anspruch nach den Vorschriften des SGB VI nur begründen, wenn bei Inkrafttreten des neuen Rechts eine wirksame Beitragsentrichtung für die Vergangenheit noch zulässig ist oder erstmals zulässig wird. Nach § 197 Abs 2 SGB VI konnten deshalb bis zum 31. März 1992 für 1991 Beiträge entrichtet werden, wenn für 1991 noch keine freiwilligen Beiträge entrichtet worden waren. Der maßgebende Sachverhalt ist in diesem Fall nur die Nichtentrichtung von Beiträgen im Jahr 1991 gewesen. Die Beklagte, die entsprechende Beitragszahlungen zugelassen hat, könnte diese Praxis auch auf § 300 Abs 1 SGB VI stützen. Für die Zeit vor 1991 wird aber auch über § 300 Abs 1 SGB VI durch § 197 Abs 2 SGB VI kein Recht eröffnet, bisher nicht entrichtete Beiträge nachträglich zu entrichten. Eine nachträgliche Beitragszahlung im Jahr 1992 wäre es aber, wenn man den vom Kläger im Jahr 1990 eingezahlten Betrag als wirksame Beitragsentrichtung aufgrund von § 197 Abs 2 SGB VI anerkennen würde. Hinsichtlich dieses Betrages hatte der Kläger von dem Zeitpunkt an, zu dem der Betrag bei der Beklagten gutgeschrieben war, einen Rückzahlungsanspruch, da die mit der Einzahlung verfolgte und der Beklagten gegenüber erklärte Zweckbestimmung – Beitragszahlung für das Jahr 1989 – fehlgeschlagen war. Der Kläger hätte zwar über diesen Betrag auch anderweitig verfügen können, indem er zB durch Erklärung gegenüber der Beklagten die Verwendung dieses Guthabens als Beitragszahlung für 1990 bestimmt hätte. Wirksam wäre eine solche Erklärung aber nur gewesen, wenn sie der Beklagten rechtzeitig, dh bis zum Ablauf der für das Jahr 1990 geltenden Beitragsentrichtungsfrist, zugegangen wäre, denn erst mit dem fristgerechten Eingang des Zahlbetrages und dem fristgerechten Zugang der entsprechenden Willenserklärung ist eine Beitragszahlung wirksam. Eine rückwirkende “verspätete” Beitragsbestimmung eines vorhandenen Guthabens ist ebenso unwirksam, wie die verspätete tatsächliche Beitragszahlung. Nichts anderes als die unzulässige rückwirkende Bestimmung eines bei der Beklagten bestehenden Guthabens zur Beitragsentrichtung ist aber die Anwendung der Fristbestimmung des § 197 Abs 2 SGB VI auf eine in der Vergangenheit liegende unwirksame Beitragsentrichtung.
Auch aus einer weiteren Überlegung ergibt sich, daß jedenfalls für Beitragszahlungen vor dem 1. Januar 1992 die beitragsrechtlichen Vorschriften des SGB VI nicht gelten. Mit dem SGB VI sind nicht nur in § 197 die Fristen für die Beitragszahlung, sondern zB auch die Berechnungsgrundlagen für nachträglich entrichtete Beiträge in § 200 SGB VI geändert worden. Im Fall des Klägers bedeutet dies, daß er mit seinem Anspruch, mit dem Betrag von 1.176,- DM zwölf Mindestbeiträge für 1989 zu entrichten, besser gestellt werden will, als dies bei Geltung der beitragsrechtlichen Vorschriften des SGB VI der Fall wäre. § 200 SGB VI sieht im Gegensatz zu dem bisher geltenden Recht vor, daß auch Beiträge für zurückliegende Jahre nach den im Zeitpunkt der Entrichtung geltenden Berechnungsgrundlagen zu entrichten sind. Die erst 1990 gezahlten Beiträge sind seinerzeit vom Kläger jedoch als Mindestbeiträge nicht nach der für 1990 geltenden Bezugsgröße (§ 18 Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – ≪SGB IV≫) von 3.290,- DM (§ 2 Sozialversicherungs-BezugsgrößenVO 1990 vom 7. Dezember 1989 – BGBl I S 2168), sondern – entsprechend dem 1990 geltenden Recht – nach der Bezugsgröße des Jahres 1989 in Höhe von 3.150,- DM berechnet und gezahlt worden. Eine erschwerende Vorschrift über die Berechnungsgrundlagen der Beiträge auf Beitragszahlungen anzuwenden, die vor Erlaß der Vorschrift zu leisten sind, würde vom Bürger allerdings Unmögliches verlangen und wäre deshalb unzulässig. Dies zeigt aber nur, daß die Vorwegnahme der Geltung des neuen Rechts generell nicht zulässig ist, soweit Beitragszahlungen zu beurteilen sind, die vor Inkrafttreten des neuen Rechts erfolgt sind.
Ob und inwieweit über § 300 Abs 1 SGB VI die nach § 197 Abs 3 SGB VI erweiterte Möglichkeit zur Nachentrichtung von Beiträgen durch Beitragszahlung nach dem 1. Januar 1992 auch für vor dem 1. Januar 1992 liegende Zeiträume eingeräumt worden ist, braucht der Senat im vorliegenden Fall nicht zu entscheiden. Beim Kläger liegen die Voraussetzungen des § 197 Abs 3 SGB VI jedenfalls schon deshalb nicht vor, weil er an der Zahlung der Beiträge nicht ohne sein bzw das ihm zuzurechnende Verschulden seines Vertreters gehindert war, wie oben schon ausgeführt wurde.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen