Entscheidungsstichwort (Thema)
Neue Klage nach Prozeßvergleich
Orientierungssatz
Haben die Beteiligten im Zusammenwirken mit dem Prozeßgericht eine verbindliche Regelung des streitigen Anspruchs getroffen, fehlt ihnen hinsichtlich dieses Anspruchs für eine neue Klage das Rechtsschutzbedürfnis jedenfalls, solange der Prozeßvergleich für die daran Beteiligten und das Gericht verbindlich ist. Eine neue Klage wegen desselben Anspruchs ist unzulässig (vgl BSG 1958-06-27 4 RJ 7/57 = BSGE 7, 279). Der erhobene Anspruch als Grundlage einer Entscheidung (§ 123 SGG) ist entfallen.
Normenkette
SGG § 101 Abs 1 Fassung: 1953-09-03, § 123 Fassung: 1953-09-03
Verfahrensgang
SG Köln (Entscheidung vom 21.04.1980; Aktenzeichen S 4 (19) Kr 344/78) |
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten zu 1) oder der Beklagten zu 2) Ersatz der Kosten, die sie anläßlich der Tbc-Erkrankung der Ehefrau eines ihrer Beamten gemäß § 127 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) für die Zeit vom 8. Januar bis zum 12. Juni 1974 ihrem Beamten in Höhe der Kosten der dritten Pflegeklasse mit 19.063,20 DM erstattet hat, nachdem die Beklagte zu 1) die Übernahme der Kosten unter Hinweis auf die Zuständigkeit des Dienstherrn abgelehnt hatte.
Zur Beilegung des unter dem Aktenzeichen S 19 (6) Kr 35/75 beim Sozialgericht (SG) Köln anhängigen Rechtsstreits wegen der auf § 90 BSHG gestützten Ersatzforderung verglichen sich Klägerin und Beklagte zu 1) am 28. Juni 1976 vor dem SG ua wie folgt: "Die Beteiligten verpflichten sich, den Klageanspruch entsprechend den Grundsätzen zu behandeln, die der Entscheidung des BSG im Verfahren 3 RK 75/75 zugrunde liegen werden". Das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) erging am 5. Oktober 1977 (SozR 2200 § 1244a Nr 11). Da sich die Beklagte zu 1) aufgrund dieses Urteils nicht für erstattungspflichtig hielt, setzte die Klägerin den Rechtsstreit gegen die Beklagte zu 1) mit der Erklärung fort, es solle erforderlichenfalls von einer neuen Klage ausgegangen werden. Zugleich erhob sie in einem besonderen Verfahren Klage gegen die Klägerin zu 2), die ihre Erstattungspflicht mit der Begründung verneinte, die Vorschriften des § 1244a Abs 1 bis 6 der Reichsversicherungsordnung (RVO) fänden gemäß Abs 7 dieser Bestimmung keine Anwendung auf Ehegatten von Beamten, während das Urteil des BSG vom 5. Oktober 1977 einen Beamten selbst betroffen habe.
Das SG Köln verband beide Klagen zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung und verurteilte die Beklagte zu 1) am 21. April 1980, an die Klägerin 19.063,20 DM nebst Zinsen gemäß § 44 des Allgemeinen Teils des Sozialgesetzbuches (SGB 1) zu zahlen. Es erachtete eine Erstattungspflicht der Beklagten zu 2) als durch § 1244a Abs 7 Satz 2 RVO ausgeschlossen, den Ersatzanspruch gegen die Beklagte zu 1) aber gemäß § 127 Abs 4 und § 90 BSHG als begründet.
Mit der zugelassenen Sprungrevision beanstandet die Beklagte zu 1), das SG habe das sich aus den §§ 205 und 1244a RVO sowie aus § 127 BSHG ergebende Verhältnis der Leistungsverpflichtungen im Falle einer Erkrankung an Tbc abweichend von den Urteilen des BSG vom 29. September 1976 - 3 RK 12/76 - (SozR 2200 § 1244a Nr 9) und vom 5. Oktober 1977 - 3 RK 75/75 - (aaO) und deshalb rechtsfehlerhaft beurteilt. Im Verhältnis zwischen gesetzlicher Krankenversicherung und Rentenversicherung sei bei stationären Tbc-Maßnahmen nach der genannten Rechtsprechung der Träger der Rentenversicherung leistungspflichtig. Eine Verzinsung von Erstattungsansprüchen sehe § 44 SGB 1 nicht vor.
Die Beklagte zu 1) beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 21. April 1980 dahin
zu ändern, daß an ihrer Stelle die Beklagte zu 2) verurteilt wird.
Die Beklagte zu 2) beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Klägerin hat keinen Antrag gestellt.
Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten zu 1) ist zulässig, soweit sie die Aufhebung ihrer Verurteilung durch das SG zum Ziel hat. Soweit darüber hinaus die Beklagte zu 1) aber die Verurteilung der Beklagten zu 2) zur Kostenerstattung an die Klägerin begehrt, ist die Revision mangels Beschwer unzulässig. Als Ausprägung des Rechtsschutzbedürfnisses in den Rechtsmittelinstanzen (BSGE 1, 246, 252) ist die Beschwer durch das angefochtene Urteil notwendige Voraussetzung jeden Rechtsmittels. Sie ist deshalb als Grundlage des Verfahrens in jeder Lage des Rechtsstreits von Amts wegen zu beachten (vgl BSGE 2, 245, 253). Beschwert hat das Urteil des SG die Beklagte zu 1) allein durch ihre Verurteilung zur Kostenerstattung. Eine Entscheidung über die Klage gegen die Beklagte zu 2) hat das SG nicht getroffen; sie war von der Klägerin auch nur für den Fall der Abweisung ihrer gegen die Beklagte zu 1) gerichteten Klage beantragt worden. Die Revision der Beklagten zu 1) muß deshalb als unzulässig verworfen werden, soweit sie auf Verurteilung der Beklagten zu 2) gerichtet ist.
Sachlich muß die Revision zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur teilweisen Zurückverweisung des Rechtsstreits an das bislang nicht damit befaßte Landessozialgericht (LSG) führen.
Über den Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte zu 1) auf Kostenersatz haben sich die Beteiligten am 28. Juni 1976 verglichen. Dadurch ist gemäß § 101 SGG der von der Klägerin erhobene Anspruch als Grundlage einer Entscheidung des SG (§ 123 SGG) entfallen. Für die Klägerin, die Beklagte zu 1) und auch für das SG war vom Abschluß des Prozeßvergleichs an seine Regelung verbindlich, den Kostenersatz nach den Grundsätzen zu behandeln, die der Entscheidung des BSG in dem Verfahren 3 RK 75/75 zu entnehmen sein würden und ihr, nachdem das Urteil am 5. Oktober 1977 ergangen war, auch entnommen werden konnten. Eine Fortsetzung des durch den Vergleich erledigten Verfahrens hätte nur in Betracht kommen können, wenn sich der Vergleich als rechtsunwirksam erwiesen hätte, insbesondere also, wenn er wirksam angefochten worden wäre. Die von der Klägerin abgegebene Erklärung, den Rechtsstreit S 19 (6) Kr 35/75 fortsetzen zu wollen, weil die Beklagte zu 1) aufgrund der Entscheidung des BSG ihre Erstattungspflicht verneine, enthält keine Anfechtung des Vergleichs. Die Klägerin hat nicht einmal dargetan, daß sie sich nicht an den Vergleich vom 28. Juni 1976 gebunden halte, geschweige denn Gründe hierfür vorgebracht. Mangels wirksamer Anfechtung des Vergleichs konnte das SG nur die Erledigung des Rechtsstreits zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 1) feststellen (BSGE 7, 279, 280; SozR Nr 4 zu § 101 SGG).
Die Erledigung des Rechtsstreits zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 1) wegen des Anspruchs auf Kostenersatz durch den Prozeßvergleich vom 28. Juni 1976 hatte zur Folge, daß eine neue Klage mit dem gleichen Streitgegenstand nicht zulässig war. Haben nämlich die Beteiligten im Zusammenwirken mit dem Prozeßgericht eine verbindliche Regelung des streitigen Anspruchs getroffen, fehlt ihnen hinsichtlich dieses Anspruchs für eine neue Klage das Rechtsschutzbedürfnis jedenfalls, solange der Prozeßvergleich für die daran Beteiligten und das Gericht verbindlich ist. Eine neue Klage wegen desselben Anspruchs ist unzulässig (BSGE 7, 279; Peters-Sautter-Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, Stand: August 1981, § 101 Anm 1c S II/61-51-; Meyer-Ladewig, SGG 2. Aufl 1981, § 101 Rdnr 10). Aus diesem Grunde unterliegt das Urteil des SG, welches die "neue" Klage gegen die Beklagte zu 1) für unzulässig erachtet hat, der Aufhebung; diese Klage ist als unzulässig abzuweisen.
Für den Fall der Abweisung des gegen die Beklagte zu 1) gerichteten Klagebegehrens hat die Klägerin beim SG hilfsweise die Verurteilung der Beklagten zu 2) zum Kostenersatz beantragt. Dieser Hilfsantrag, über den das SG von seinem prozessual unzutreffenden Ausgangspunkt aus nicht entscheiden durfte und auch nicht entschieden hat, steht nunmehr - nach Aufhebung der Entscheidung des SG und Abweisung des Hauptantrages - noch zur Entscheidung an. Da die hierzu erforderlichen Tatsachenfeststellungen fehlen, muß der Rechtsstreit zu diesem Zweck an die Tatsacheninstanz zurückverwiesen werden. Der Senat hat insoweit von der ihm in Fällen der Sprungrevision durch § 170 abs 4 Satz 1 SGG eingeräumten Befugnis Gebrauch gemacht, statt an das SG an das LSG zurückzuverweisen.
Die Kostenentscheidung beruht, soweit sie nicht wegen der Zurückverweisung des Rechtsstreits zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 2) dem LSG vorbehalten bleibt, auf § 193 Abs 4 SGG.
Fundstellen