Leitsatz (amtlich)
Eine fiktive Nachversicherung gemäß § 72 G131 ist solange nicht iS des § 1260c Abs 2 RVO "möglich", wie eine Entscheidung der zuständigen Versorgungsdienststelle über die Erfüllung der dienstrechtlichen Voraussetzungen der Nachversicherung nicht ergangen ist.
Normenkette
RVO § 1251 Abs 1 Nr 1 Fassung: 1957-02-23, § 1260c Abs 2 Fassung: 1982-12-20; G131 § 72
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 19.01.1983; Aktenzeichen L 8 J 43/82) |
SG Detmold (Entscheidung vom 21.01.1982; Aktenzeichen S 16 J 239/80) |
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Feststellung bzw Berücksichtigung einer Ersatzzeit.
Der im Jahre 1919 geborene Kläger trat am 18. April 1939 als Berufssoldat in die Deutsche Wehrmacht ein und leistete bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges Wehrdienst. Ein Anspruch auf Versorgung nach dem Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen (G 131) steht ihm nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht zu.
Im Rahmen eines Kontenklärungsverfahrens erteilte die Beklagte dem Kläger am 4. Juli 1980 eine Rentenauskunft mit Versicherungsverlauf. Hierin wurde die Zeit der Dienstleistung des Klägers vom 18. April 1939 bis 8. Mai 1945 als "versicherungsfreie Zeit, Nachversicherung nicht durchgeführt" ausgewiesen. Die Zeit ab 1. Januar 1945 wurde allerdings als sogen. "Pauschalersatzzeit" im Sinne des § 1251 Abs 1 Nr 6 der Reichsversicherungsordnung (RVO) anerkannt, soweit sie nicht mit Beitragszeiten oder anderweitigen Ersatzzeiten belegt war. Der wegen der Nichtberücksichtigung der Zeit vom 18. April 1939 bis 8. Mai 1945 erhobene Widerspruch des Klägers wurde dem Sozialgericht (SG) Detmold als Klage zugeleitet.
Mit Bescheid vom 30. Juli 1980 bewilligte die Beklagte dem Kläger für die Zeit ab 1. April 1980 flexibles Altersruhegeld. Bei der Berechnung der Leistung wurde der Zeitraum vom 18. April 1939 bis 8. Mai 1945 in gleicher Weise wie in der Rentenauskunft vom 4. Juli 1980 bewertet und wiederum mit den vorerwähnten Einschränkungen die Zeit ab 1. Januar 1945 als Ersatzzeit berücksichtigt. Den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 30. Juli 1980 gab die Beklagte ebenfalls als Klage an das SG ab. Im Verlaufe des nachfolgenden Rechtsstreits erkannte sie mit Bescheid vom 2. September 1981 unter Abänderung ihres Bescheides vom 4. Juli 1980 die Zeit des militärischen Dienstes vom 18. April 1939 bis 17. April 1941 als Ersatzzeit an.
Das SG hat die Beklagte unter Abänderung ihrer Bescheide vom 4. und 30. Juli 1980 sowie vom 2. September 1981 verurteilt, die Zeit vom 18. April 1941 bis 8. Mai 1945 als Ersatzzeit anzuerkennen und einen entsprechenden Bescheid zu erteilen (Urteil vom 21. Januar 1982). Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen nach Beiladung des durch das Landesamt für Besoldung und Versorgung vertretenen Landes Nordrhein-Westfalen das Urteil des SG abgeändert und die Klage abgewiesen (Urteil vom 19. Januar 1983). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt:
Bei sinnvoller Auslegung des Klagebegehrens sei Gegenstand des Rechtsstreits allein noch eine Neufeststellung des dem Kläger bewilligten Altersruhegeldes unter Anrechnung der Zeit vom 18. April 1941 bis zum 8. Mai 1945 als Ersatzzeit. Hierzu sei die Beklagte nicht verpflichtet. Dem stehe § 1260 c Abs 2 RVO in der Fassung des Art 19 Nr 33 des Gesetzes zur Wiederbelebung der Wirtschaft und Beschäftigung und zur Entlastung des Bundeshaushalts (Haushaltsbegleitgesetz 1983) vom 20. Dezember 1982 (BGBl I S 1857) entgegen. Die Vorschrift sei gemäß Art 2 § 14 b des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) in der Fassung des Art 22 Nr 4 des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 auch im Falle des Klägers anzuwenden, weil über die Anerkennung des streitigen Zeitraums als Ersatzzeit noch nicht bindend entschieden worden sei. Dem Kläger sei im Sinne des § 1260 c Abs 2 RVO eine Nachversicherung der Zeit vom 18. April 1941 bis 8. Mai 1945 möglich. Er gehöre zum Personenkreis des § 72 G 131 bzw des § 99 des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes (AKG), für den auf Antrag die zuständige Versorgungsdienststelle die dienstrechtlichen Voraussetzungen für eine Nachversicherung durch Verwaltungsakt festzustellen habe. Die Neuregelung des § 1260 c Abs 2 RVO sei mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar. Insbesondere stehe ihrer Rückwirkung auf noch nicht rechtsverbindlich festgestellte Ersatzzeiten der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes nicht entgegen.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine fehlerhafte Auslegung und Anwendung des § 1260 c Abs 2 RVO in Verbindung mit § 72 G 131 und § 99 AKG sowie eine Verletzung der §§ 103 und 128 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Die Feststellung des LSG, daß eine Nachversicherung der streitigen Zeit möglich sei, verstoße gegen § 128 Abs 1 SGG. Sie könne nur von der für die Nachversicherung zuständigen Behörde durch Verwaltungsakt getroffen werden. Das sei mangels eines entsprechenden Antrages bisher nicht geschehen. Damit habe das LSG unzulässigerweise eine mögliche Entscheidung der zuständigen Behörde vorweggenommen und sein Urteil allein auf die Vermutung gegründet, die zuständige Behörde werde so entscheiden. Es sei auch nicht schlüssig, daß "Berufssoldaten" in der Regel nachzuversichern seien. Durch eine Verordnung des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW) vom 21. Mai 1941 sei die zunächst zweijährige Dienstpflichtzeit in allen drei Wehrmachtsbereichen bis zum Ende des Krieges ausgedehnt worden. Damit hätten die bei Kriegsbeginn in aktivem Wehrdienst stehenden Soldaten als bis zur Beendigung des Krieges zum aktiven Wehrdienst einberufen gegolten. Während der Zeit seines (des Klägers) aktiven Wehrdienstes habe daher ein berufsmäßiges Wehrdienstverhältnis gar nicht entstehen können; damit sei eine Nachversicherung der Zeit vom 19. April 1941 bis zum 8. Mai 1945 nicht möglich. Die gegenteilige Entscheidung des LSG stelle lediglich eine Vermutung anstelle der konkret festzustellenden Möglichkeit einer Nachversicherung dar. Eine derartige Vermutung, daß § 1260 c Abs 2 RVO die Berücksichtigung von Zeiten des Kriegsdienstes als Ersatzzeit ausschließe, führe jedoch zu einer dem Sozialrecht unbekannten "Umkehr der Beweislast" und zwinge den Versicherten, neben dem anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmal des "Kriegsdienstes" auch noch das Nichtvorliegen des anspruchsausschließenden Tatbestandsmerkmals aus § 1260 c Abs 2 RVO zu beweisen. Das sei nicht zu billigen. Bei Anwendung des § 1260 c Abs 2 RVO seien weder die Grundsätze über die Verschiebung der Beweislast bei Anscheinsbeweis noch die im Falle der absichtlichen Vereitelung der Beweisführung anzuwendenden Regeln heranzuziehen. Angesichts dessen, daß sich die Beklagte oder das Gericht durch eine einfache Anfrage bei der zuständigen Behörde Gewißheit über die Möglichkeit einer Nachversicherung schaffen könnten, dürfe die abschließende Entscheidung nicht auf eine Vermutung gestützt werden. Den Nachteil des Fehlens einer zu jedem der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale subsumierbaren konkreten Tatsache habe derjenige Beteiligte zu tragen, der die Anwendung der Norm fordere. Im Rahmen des § 1260 c Abs 2 RVO trage der Rentenversicherungsträger die objektive Beweislast für die Tatsache, die den Anspruch des Versicherten auf Berücksichtigung der nachgewiesenen Kriegsdienstzeiten als Ersatzzeit ausschließe. Er habe den konkreten Nachweis zu erbringen, daß die vom Versicherten begehrte Rechtsfolge nicht eintreten könne. Die Beklagte habe diesen Nachweis nicht erbracht.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 19. Januar 1983 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 21. Januar 1982 mit der Maßgabe zurückzuweisen, daß die Beklagte unter Abänderung ihrer Bescheide vom 30. Juli 1980 und 2. September 1981 verurteilt wird, an den Kläger Altersruhegeld unter Berücksichtigung einer weiteren Ersatzzeit vom 18. April 1941 bis 31. Dezember 1944 zu zahlen; hilfsweise: das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Im Rahmen des § 1260 c Abs 2 RVO müsse als Voraussetzung für die Nichtberücksichtigung von Ersatzzeiten die gute Möglichkeit ausreichen, daß eine Nachversicherung in Betracht komme. Zwar trage für eine solche Möglichkeit der Rentenversicherungsträger die Darlegungs- und Beweislast. Hierfür genüge jedoch die Darlegung des Grundtatbestandes für die Nachversicherung nach § 72 Abs 1 G 131. Insoweit sei der Kläger unstreitig Berufssoldat gewesen. Zu Unrecht bestreite er nunmehr die Wirksamkeit seiner Berufssoldateneigenschaft. Trotz des Erlasses des OKW vom 21. Mai 1941 sei vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges die rechtswirksame Begründung eines Berufssoldatenverhältnisses möglich gewesen. Der Erlaß habe Bestimmungen nur für reguläre Wehrdienstpflichtige, nicht aber für Berufssoldaten nach Begründung des Berufssoldatenverhältnisses enthalten. Im übrigen dürfe die Frage, ob und wann im konkreten einzelnen Fall eine Nachversicherung gemäß § 72 G 131 durchzuführen sei, nicht durch die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit geprüft werden. Vielmehr handele es sich um eine ausschließliche Verwaltungsentscheidung der zuständigen Versorgungsdienststelle, welche nur im Verwaltungsrechtsweg nachprüfbar sei.
Der Beigeladene hat mitgeteilt, der Kläger habe bisher einen Antrag auf Nachversicherung nicht gestellt.
Entscheidungsgründe
Die durch Zulassung statthafte Revision des Klägers ist zulässig und mit dem in der Revisionsinstanz allein nach verfolgten Begehren auf Berücksichtigung des Zeitraums vom 18. April 1941 bis 31. Dezember 1944 als Ersatzzeit begründet.
Die Beklagte hat diesen Zeitraum bei der Berechnung des dem Kläger zuerkannten Altersruhegeldes als Ersatzzeit des militärischen Dienstes im Sinne des § 1251 Abs 1 Nr 1 RVO zu berücksichtigen.
Nach dieser Vorschrift werden für die Erfüllung der Wartezeit - und damit zugleich bei der Anzahl der für die Höhe einer Rente maßgebenden anrechnungsfähigen Versicherungsjahre (§ 1258 Abs 1 RVO) - als Ersatzzeiten ua Zeiten des militärischen oder militärähnlichen Dienstes im Sinne der §§ 2 und 3 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) angerechnet, der aufgrund gesetzlicher Dienst- oder Wehrpflicht oder während eines Krieges geleistet worden ist. Der Kläger hat in der Zeit vom 18. April 1941 bis 31. Dezember 1944 militärischen Dienst während des Zweiten Weltkrieges geleistet. Das ist unter den Beteiligten nicht streitig. Streitig ist allein, ob die Berücksichtigung der Ersatzzeit nach § 1260 c Abs 2 RVO ausgeschlossen ist. Das ist nicht der Fall.
Allerdings ist diese durch das Haushaltsbegleitgesetz 1983 eingefügte Vorschrift generell auf den vorliegenden Fall anwendbar. Zwar ist sie erst am 1. Januar 1983 und damit nach Eintritt des zur Gewährung von flexiblem Altersruhegeld an den Kläger führenden Versicherungsfalles in Kraft getreten (Art 38 Abs 1 Haushaltsbegleitgesetz 1983). Sie gilt jedoch nach Art 2 § 14 b ArVNG in der Fassung des Art 22 Nr 4 Haushaltsbegleitgesetz 1983 auch für Versicherungsfälle vor dem 1. Januar 1983, es sei denn, über einen Anspruch ist eine nicht mehr anfechtbare Entscheidung getroffen worden. Letztere Ausnahmevoraussetzung ist nicht erfüllt. Die Bescheide der Beklagten vom 30. Juli 1980 und 2. September 1981 sind Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits und damit noch nicht in Bindungswirkung (§ 77 SGG) erwachsen.
Auf die vom LSG erörterte, von der Revision allerdings nicht mehr aufgegriffene Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 1260 c Abs 2 RVO im Hinblick auf die ihm durch Art 2 § 14 b ArVNG beigelegte Rückwirkung braucht der Senat nicht einzugehen. Die Voraussetzungen des § 1260 c Abs 2 RVO sind schon aus Gründen des sogen. "einfachen Rechts" nicht erfüllt.
Nach dieser Bestimmung werden Ersatzzeiten, Ausfallzeiten und die Zurechnungszeit nicht berücksichtigt, soweit für dieselbe Zeit eine Nachversicherung möglich ist. Eine Nachversicherung für die Ersatzzeit vom 18. April 1941 bis 31. Dezember 1944 ist nicht "möglich". Das beruht auf den Besonderheiten der fiktiven Nachversicherung nach § 72 G 131.
Unter Art 131 GG fallende Personen, die nach der im G 131 getroffenen Regelung keinen Anspruch oder keine Anwartschaft auf Alters- und Hinterbliebenenversorgung haben, gelten für sämtliche Zeiten als nachversichert, in denen sie vor Ablauf des 8. Mai 1945 wegen ihrer Beschäftigung im öffentlichen Dienst nach den Vorschriften der Reichsversicherungsgesetze in den gesetzlichen Rentenversicherungen versicherungsfrei waren oder der Versicherungspflicht nicht unterlagen (§ 72 Abs 1 Satz 1 G 131). Das gleiche gilt ua für ehemalige Berufssoldaten der früheren Wehrmacht (§ 72 Abs 1 Satz 2 G 131).
Mit dem sachlichen Gehalt und dem Verfahren der Nachversicherung nach § 72 G 131 haben sich das BSG und insbesondere der erkennende Senat in der Vergangenheit wiederholt befaßt. Nach ständiger Rechtsprechung erfolgt diese Nachversicherung - anders als etwa diejenige nach § 1232 RVO - nicht durch eine tatsächliche Beitragsnachentrichtung seitens des Arbeitgebers (Dienstherrn). Vielmehr wird bezüglich des infrage kommenden Zeitraums ein Versicherungsverhältnis in Auswirkung eines dienstrechtlichen Tatbestandes im Wege einer doppelten Fiktion des Gesetzes hergestellt. Einmal wird eine Nachversicherung unterstellt und diese fiktive Nachversicherung einer faktischen Nachversicherung gleichgestellt. Zum anderen gelten die fingierten Beiträge als rechtzeitig entrichtete Pflichtbeiträge und werden damit die Nachversicherungszeiten eigentlichen Beitragszeiten gleichgestellt (vgl insbesondere BSGE 11, 63, 64; BSG SozR Nr 3 zu § 72 G 131; BSGE 18, 225, 228 = SozR Nr 4 zu § 1311 RVO). Dementsprechend unterscheidet sich auch das Verfahren zur Durchführung der Nachversicherung nach § 72 G 131 von dem Verfahren bei anderen Nachversicherungen. Maßgebend hierfür sind die Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur Durchführung der sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften (§§ 72 bis 74) des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen vom 20. Februar 1968 (Beilage zum BAnz Nr 42; im folgenden zitiert als: VV). Danach sind mit der Durchführung der Nachversicherung sowohl die Versorgungsdienststellen (Pensionsfestsetzungsbehörden) als auch die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung befaßt (vgl Nr 2 der VV zu §§ 72, 72 b G 131). Die Versorgungsdienststellen haben das Vorliegen der dienstrechtlichen Voraussetzungen des § 72 G 131 zu prüfen und je nach dem Ergebnis ihrer Prüfung dem Antragsteller entweder eine Bescheinigung über das Vorliegen der dienstrechtlichen Voraussetzungen oder einen Ablehnungsbescheid zu erteilen (vgl im einzelnen § 11 Abs 1 der VV zu §§ 72, 72 b G 131). Sodann haben die Rentenversicherungsträger die Erfüllung der sozialversicherungsrechtlichen Voraussetzungen (vgl Nr 12 der VV zu § 72, 72 b G 131) zu prüfen und das weitere Verfahren durchzuführen (Nr 2 der VV zu §§ 72, 72 b G 131). Dazu sind sie jedoch lediglich nach einer vorhergehenden positiven Entscheidung der Versorgungsdienststellen berechtigt und verpflichtet. Über die dienstrechtlichen Voraussetzungen der Nachversicherung haben ausschließlich die Versorgungsdienststellen zu befinden. Es handelt sich dabei nicht um Vorfragen, welche von den Rentenversicherungsträgern und im Streitfalle von den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit mitentschieden werden könnten. Vielmehr sind hierfür allein die Versorgungsdienststellen zuständig. Ihre Entscheidungen sind keine Akte der Amtshilfe oder unverbindliche Stellungnahmen, sondern nach außen wirkende Feststellungen und damit Verwaltungsakte, deren Erlaß der Rentenversicherungsträger nicht bewirken und die er nicht nachprüfen darf. Sie haben konstitutive Wirkung mit der Folge, daß bis zum Erlaß einer positiven Entscheidung der Versorgungsdienststelle eine vor dem 8. Mai 1945 zurückgelegte Dienstzeit nicht als fiktive Nachversicherungszeit gelten kann (vgl zu alledem BSGE 11, 63, 65 ff; 41, 198, 200 = SozR 2600 § 45 Nr 11 S 31 f; BSGE 48, 211, 213 = SozR 2600 § 50 Nr 2 S 3 f; BSGE 54, 193, 197 = SozR 7290 § 72 Nr 7 S 29; Urteil vom 13. April 1983 - 4 RJ 24/82 -, insoweit in BSG SozR 5280 § 17 Nr 4 nicht vollständig abgedruckt).
An diesem durch die ständige und dem Gesetzgeber bekannte Rechtsprechung des BSG konkretisierten Rechtszustand hat das Haushaltsbegleitgesetz 1983 nichts geändert. § 72 G 131 und die dazu erlassenen Verwaltungsvorschriften gelten unverändert fort. Damit sind nach wie vor ausschließlich die Versorgungsdienststellen zur Entscheidung über das Vorliegen der dienstrechtlichen Voraussetzungen einer Nachversicherung nach § 72 G 131 befugt und die insoweit nicht prüfungs- und entscheidungsbefugten Träger der Rentenversicherung und Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit an die konstitutiv wirkenden Entscheidungen der Versorgungsdienststellen gebunden. Solange eine solche Entscheidung nicht ergangen ist, kann allein deswegen und sogar in dem Fall, daß der Rentenversicherungsträger oder das Gericht der Sozialgerichtsbarkeit positive Kenntnis von der Erfüllung der dienstrechtlichen Voraussetzungen der Nachversicherung hat (vgl BSGE 54, 193, 197 = SozR 7290 § 72 Nr 7 S 30), eine vor dem 8. Mai 1945 zurückgelegte Dienstzeit nicht als fiktive Nachversicherungszeit gelten.
Dies kann auch im Rahmen des § 1260 c Abs 2 RVO für die Frage, ob für den Zeitraum einer Ersatzzeit eine Nachversicherung nach § 72 G 131 "möglich" ist, nicht außer Betracht bleiben. Auch bei der Entscheidung dieser Frage ist es den Trägern der Rentenversicherung und im Streitfalle den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit verwehrt zu prüfen und darüber zu entscheiden, ob die dienstrechtlichen Voraussetzungen der Nachversicherung erfüllt sind, und insofern für sie allein die Entscheidung - oder das Fehlen einer Entscheidung - der zuständigen Versorgungsdienststelle maßgebend. Das hat für den vorliegenden Rechtsstreit vor allem in zweierlei Hinsicht Bedeutung: Einmal kann der Senat der insbesondere vom Kläger aufgeworfenen Frage, ob er in der Zeit bis zum 8. Mai 1945 überhaupt Berufssoldat gewesen ist, nicht nachgehen. Diese Frage betrifft die dienstrechtlichen Voraussetzungen der Nachversicherung und ist damit der Entscheidung durch die Sozialgerichte entzogen. Zum anderen und vor allem ist zu berücksichtigen, daß die zuständige Versorgungsdienststelle dem Kläger eine Nachversicherungsbescheinigung bisher nicht erteilt hat. Das mag möglicherweise darauf beruhen, daß der Kläger einen entsprechenden Antrag nicht gestellt hat, obgleich die dienstrechtlichen Voraussetzungen der Nachversicherung erfüllt sein mögen. Letzteres ist aber unerheblich und vom Senat nicht zu prüfen. Entscheidungserheblich ist das Fehlen einer Nachversicherungsbescheinigung als solches. Allein diese Tatsache ohne Rücksicht auf die für sie maßgebenden Gründe führt dazu, daß die bis zum 8. Mai 1945 zurückgelegte Dienstzeit des Klägers nicht als Zeit der Nachversicherung nach § 72 G 131 gelten kann. Damit aber ist für diese Zeit eine Nachversicherung gerade nicht im Sinne des § 1260 c Abs 2 RVO "möglich".
Der Senat verkennt nicht, daß dieses Ergebnis den mit der Einfügung des § 1260 Abs 2 RVO verfolgten Absichten des Gesetzgebers zuwiderläuft. Das BSG hat wiederholt entschieden, daß ein Antrag auf Feststellung der dienstrechtlichen Voraussetzungen einer Nachversicherung nach § 72 G 131 bzw nach § 99 AKG im Ermessen des Versicherten stehe und dieser durch das Unterlassen der Antragstellung nicht rechtsmißbräuchlich handele (BSGE 41, 198, 201 = SozR 2600 § 45 Nr 11 S 32; BSGE 48, 211, 213 = SozR 2600 § 50 Nr 2 S 3 f). Im erklärten Gegensatz dazu hat der Einfügung des § 1260 c Abs 2 RVO die Erwägung zugrundegelegen, daß ein Wahlrecht des Versicherten, je nach dem günstigeren Ergebnis die Zeit einer fiktiven Nachversicherung entweder als Beitragszeit oder als Ersatzzeit anrechnen zu lassen, in anderen vergleichbaren Fällen in der Rentenversicherung nicht bestehe, so daß die Versicherten ungleich behandelt würden. Daher soll die Zeit einer möglichen fiktiven Nachversicherung nicht als Ersatzzeit, Ausfallzeit oder Zurechnungszeit anrechenbar sein (so gleichlautend Entwurf eines Gesetzes zur Wiederbelebung der Wirtschaft und Beschäftigung und zur Entlastung des Bundeshaushalts - Haushaltsbegleitgesetz 1983 - der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, BT-Drucks 9/2074, und der Bundesregierung, BT-Drucks 9/2140, jeweils S 103). Dieses gesetzgeberische Ziel hat sich jedoch allein mit der Einfügung des § 1260 c Abs 2 RVO nicht erreichen lassen. Hierzu hätte es vielmehr in Abänderung des gegenwärtigen Rechtszustandes weiterhin einer Regelung bedurft, daß jedenfalls im Rahmen des § 1260c Abs 2 RVO hinsichtlich der Frage, ob eine Nachversicherung "möglich" ist, die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung und im Streitfalle die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit neben den versicherungsrechtlichen auch die dienstrechtlichen Voraussetzungen der Nachversicherung nach § 72 G 131 zu prüfen befugt sind. Eine solche Neuregelung ist nicht erlassen worden und damit die für die Rentenversicherungsträger und die Sozialgerichte bindende Entscheidung über die dienstrechtlichen Voraussetzungen der Nachversicherung nach wie vor ausschließlich den zuständigen Versorgungsdienststellen übertragen. Bei Fehlen einer solchen Entscheidung kann eine vor dem 8. Mai 1945 zurückgelegte Dienstzeit von vornherein nicht als Nachversicherungszeit gelten und deswegen eine Nachversicherung nicht im Sinne des § 1260 c Abs 2 RVO "möglich" sein.
Der Kläger hat nach alledem einen Anspruch auf Berücksichtigung des Zeitraums vom 18. April 1941 bis 31. Dezember 1944 als Ersatzzeit bei der Berechnung des ihm bewilligten flexiblen Altersruhegeldes. Seine Revision mußte zum Erfolg führen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Fundstellen