Leitsatz (amtlich)
1. ZO-Ärzte § 6 Abs 3, wonach unanfechtbar gewordene und zu den Arztregisterakten genommene Disziplinarentscheidungen nach Ablauf von 5 Jahren aus den Akten zu entfernen und zu vernichten sind, ist auf Entscheidungen in Zulassungssachen, insbesondere auf Beschlüsse über Zulassungsentziehungen, nicht entsprechend anwendbar.
2. Auch Entscheidungen in Zulassungssachen sind nur dann zu den Registerakten zu nehmen oder dort zu belassen, wenn sie unanfechtbar geworden sind.
Normenkette
RVO § 368b Fassung: 1955-08-17, § 368m Fassung: 1955-08-17; ZO-Ärzte § 6 Abs. 3 Fassung: 1957-05-28, § 41 Fassung: 1957-05-28
Tenor
Auf die Revision des Klägers werden das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 22. September 1971, das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 13. März 1970 und der Bescheid der Beklagten vom 31. März 1969 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25. Juni 1969 geändert. Die Beklagte wird verurteilt, die Beschlüsse des Zulassungsausschusses vom 29. Oktober 1964 und der Beteiligungskommission vom 30. Juli 1964 aus den Arztregisterakten des Klägers zu entfernen. Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger, ein bis 1968 in Nordrhein-Westfalen, seitdem im Bereich der Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) Hessen zur Kassen- und Ersatzkassenpraxis zugelassener Arzt, klagt gegen die früher für ihn zuständig gewesene KÄV auf Entfernung bestimmter Vorgänge aus seinen Arztregisterakten. Er hatte gegen die - 1964 zunächst ausgesprochene - Entziehung der Kassenzulassung und den Widerruf seiner Beteiligung an der Ersatzkassenpraxis Widerspruch eingelegt und damit auch Erfolg gehabt. Sämtliche Beschlüsse der Verwaltungsinstanzen sind zu seinen Registerakten genommen worden. Die beklagte KÄV hat sich dazu aufgrund einer Bestimmung der Zulassungsordnung für Kassenärzte (ZO-Ärzte) vom 28. Mai 1957 (§ 41 Abs. 5) für verpflichtet gehalten und es abgelehnt, die fraglichen Beschlüsse von einer Weitergabe der Registerakten an die jetzt zuständige KÄV auszunehmen. Das Sozialgericht (SG) hat die örtliche Zuständigkeit der Beklagten für die Entscheidung über den vom Kläger erhobenen Anspruch verneint, im übrigen jedoch die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Klage unter Hinweis auf die genannte Bestimmung und eine Reihe gerichtlicher Entscheidungen aus dem öffentlichen Dienstrecht in vollem Umfang abgewiesen (Urteil vom 22. September 1971).
Mit der zugelassenen Revision beruft sich der Kläger u. a. auf § 6 Abs. 3 der ZO-Ärzte, wonach unanfechtbar gewordene Disziplinarentscheidungen nach Ablauf von fünf Jahren aus den Registerakten zu entfernen und zu vernichten seien. Er beantragt, das angefochtene Urteil zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, die Beschlüsse der Zulassungs- und Beteiligungsinstanzen vom 30. Juli 1964 bzw. 29. Oktober 1964 und die Widerspruchsbescheide vom 24. Februar 1968 bzw. 11. März 1968 aus dem vorläufig zurückbehaltenen Teil der Arztregisterakten zu entfernen und nicht an die KÄV Hessen weiterzugeben.
Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.
II
Die Revision des Klägers ist nur zum Teil begründet. Entgegen seiner Ansicht kann er von der beklagten KÄV nicht verlangen, daß diese alle genannten Beschlüsse aus seinen Registerakten entfernt und sie nicht an die - nach dem Umzug des Klägers für ihn zuständig gewordene (§ 5 Abs. 2 und 3 ZO-Ärzte) - KÄV Hessen übersendet.
Nach § 1 Abs. 1 ZO-Ärzte führt die KÄV für jeden Zulassungsbezirk neben dem Arztregister (vgl. dazu im einzelnen § 1 Abs. 2 und §§ 2 ff ZO-Ärzte) die Registerakten. Zu ihnen gehören in erster Linie die Unterlagen, die der Arzt seinem Antrag auf Eintragung in das Arztregister beizufügen hat (§ 4 Abse. 2 bis 4 ZO-Ärzte). Außerdem werden in den Registerakten Tatsachen "eingetragen", die für die Zulassung, ihr Ruhen, ihren Entzug oder ihr Ende sowie für die Beteiligung an der kassenärztlichen Versorgung von Bedeutung sind, und zwar erfolgt die Eintragung von Amts wegen oder auf Antrag des Arztes, einer KÄV, einer Krankenkasse oder eines Landesverbandes der Krankenkassen (§ 6 Abs. 2 Satz 1 ZO-Ärzte). Zum Eintragungsverfahren bestimmt § 6 Abs. 2 Satz 2, daß der Arzt zu einem Antrag auf Eintragung in die Registerakten zu hören ist, falls er die Eintragung nicht selbst beantragt hat. Die Eintragung muß ferner vom Verstand der KÄV oder der durch die Satzung bestimmten Stelle beschlossen und dem Arzt in einem schriftlichen, mit Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Bescheid mitgeteilt werden (§ 8 ZO-Ärzte).
Im vorliegenden Fall hat die Beklagte die ihr von den Zulassungs- und Beteiligungsinstanzen übersandten Beschlüsse zu den Registerakten des Klägers genommen, ohne das in §§ 6 Abs. 2, 8 ZO-Ärzte vorgesehene, den Schutz des betroffenen Arztes bezweckende Eintragungsverfahren durchzuführen, ohne also den Kläger vorher zu hören, über die Eintragung einen förmlichen Beschluß zu fassen und dem Kläger darüber einen schriftlichen Bescheid zu erteilen. Dieses Verfahren mag zulässig gewesen sein, soweit es sich um die Beschlüsse der Zulassungsinstanzen handelt; denn nach §§ 41 Abs. 5 Satz 1, 45 Abs. 3 ZO-Ärzte haben die Vorsitzenden der Zulassungs- und der Berufungsausschüsse die von den Ausschüssen gefaßten Beschlüsse nicht nur den Beteiligten zuzustellen, sondern eine weitere Ausfertigung auch der KÄV "für die Registerakten zuzusenden". Für die Beschlüsse der Beteiligungsinstanzen der Ersatzkassen fehlen dagegen entsprechende Bestimmungen; deren Beschlüsse hätte deshalb die Beklagte hier nur als Tatsachen im Sinne des § 6 Abs. 2 ZO-Ärzte behandeln und im Verfahren nach §§ 6, 8 ZO-Ärzte in die Registerakten eintragen dürfen (vgl. Jantz-Prange, Das gesamte Kassenarztrecht, Anm. II 1 c zu § 6 ZO-Ärzte). Dieser Mangel im Verwaltungsverfahren der Beklagten wiegt indessen nicht so schwer, um das Verlangen des Klägers auf Entfernung der fraglichen Beschlüsse aus seinen Registerakten zu rechtfertigen, zumal er im Laufe des gerichtlichen Verfahrens ausreichend Gelegenheit gehabt hat, seine Einwendungen gegen die Aufnahme der Beschlüsse in die Registerakten geltend zu machen.
In der Sache hat sich der Kläger für sein Klagebegehren vor allem auf § 6 Abs. 3 ZO-Ärzte berufen. Danach sind unanfechtbar gewordene Beschlüsse in Disziplinarangelegenheiten (§ 368 m Abs. 4 RVO), mit Ausnahme der Verwarnung, zu den Registerakten zu nehmen, aber nach Ablauf von fünf Jahren, nachdem der Beschluß unanfechtbar geworden ist, wieder aus den Registerakten zu entfernen und zu vernichten. Das LSG hat eine unmittelbare oder entsprechende Anwendung dieser Vorschrift auf die Beschlüsse der Zulassungs- und Beteiligungsinstanzen nicht für vertretbar gehalten, weil deren Entscheidungen und die der Disziplinarausschüsse ihrem Wesen nach verschieden seien. Dem ist der Senat im Ergebnis - mit einer noch zu erörternden Einschränkung - beigetreten.
Zweck der genannten Vorschrift ist offenbar, den "Makel" und die sonstigen Nachteile, die mit einer disziplinarischen Bestrafung für den betroffenen Arzt verbunden sind, insbesondere ihre Verwertung als "Vorstrafe" in einem späteren Verfahren, auf eine bestimmte Zeit zu begrenzen. Eine ähnliche Regelung besteht seit einigen Jahren im Disziplinarrecht des Bundes und der ihm folgenden Länder (vgl. § 119 der Bundesdisziplinarordnung i. d. F. vom 20. Juli 1967, BGBl I 751, und dazu Lindgen, Handbuch des Disziplinarrechts, Ergänzungsband 1969, S. 55 ff). Über sie geht allerdings § 6 Abs. 3 ZO-Ärzte noch insofern hinaus, als er Verwarnungen überhaupt von der Aufnahme in die Registerakten ausschließt und im übrigen nur eine Aufnahme unanfechtbar gewordener Beschlüsse in die Registerakten zuläßt. Disziplinarbeschlüsse, die später von der Verwaltung selbst oder von einem Gericht aufgehoben werden (ein Vorverfahren ist insoweit nicht vorgesehen, vgl. § 81 Nr. 3 SGG), kommen also nicht zu den Registerakten.
Soweit § 6 Abs. 3 ZO-Ärzte vorschreibt, daß unanfechtbar gewordene (und zu den Registerakten genommene) Disziplinarentscheidungen nach Ablauf von fünf Jahren wieder aus den Registerakten zu entfernen und zu vernichten sind, kommt eine entsprechende Anwendung der Vorschrift auf Entscheidungen der Zulassungsinstanzen nicht in Betracht. Das gilt insbesondere für die hier in Rede stehenden Beschlüsse in Verfahren über eine Entziehung der Kassenzulassung. Zwar kann auch ein Entziehungsverfahren - ähnlich wie ein Disziplinarverfahren - eine Verletzung von Kassenarztpflichten zum Gegenstand haben.
Entscheidende Voraussetzung für die "Kassenarztfähigkeit" eines Arztes und damit für den Fortbestand seiner Kassenzulassung ist jedoch nicht die Pflichtverletzung als solche, sondern seine Eignung zur - weiteren - Mitwirkung an der kassenärztlichen Versorgung (vgl. zuletzt BSG 34, 252, 253 f). Wird sie in Frage gestellt, so ist dies für die Allgemeinheit von weit größerer Bedeutung als die Durchführung eines Disziplinarverfahrens, das für den betroffenen Arzt höchstens zu einer Geldbuße von 1.000,- DM führen kann, seine Eignung dagegen nicht berührt. Daß die in einem Disziplinarverfahren getroffenen Feststellungen nach Ablauf einer bestimmten Zeit nicht mehr verwertet werden dürfen, kann deshalb eher hingenommen werden, als wenn es sich um Feststellungen über die Eignung eines Arztes als Kassenarzt handelt. Im letzteren Fall überwiegt das öffentliche Interesse daran, daß die Registerakten über die für die Zulassungsfähigkeit des Arztes erheblichen Tatsachen möglichst vollständig Auskunft geben, das Interesse des einzelnen Arztes an der Entfernung eines ihn belastenden Vorgangs aus seinen Registerakten. Eine entsprechende Anwendung der für Disziplinarentscheidungen getroffenen "Tilgungs"-Regelung in § 6 Abs. 3 ZO-Ärzte auf Entscheidungen in Zulassungssachen ist somit grundsätzlich nicht möglich.
Keine Bedenken hat der Senat hingegen, die genannte Bestimmung insofern entsprechend anzuwenden, als nur unanfechtbar gewordene Disziplinarentscheidungen zu den Registerakten genommen werden dürfen, die von der Verwaltung selbst oder vom Gericht aufgehobenen also von der Aufnahme ausgeschlossen bleiben. An der Aufnahme solcher Entscheidungen in die Registerakten ist ein schutzwürdiges Interesse der Öffentlichkeit nicht erkennbar. Das gilt in gleicher Weise für später aufgehobene Entscheidungen in Zulassungssachen. Auch sie sind deshalb nicht zu den Registerakten zu nehmen oder, wenn sie vor ihrer Aufhebung zu den Akten gelangt sind, nachher wieder aus ihnen zu entfernen.
Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, daß der Anspruch des Klägers insofern begründet ist, als er die Entfernung der - im Widerspruchsverfahren aufgehobenen - Beschlüsse des Zulassungsausschusses und der Beteiligungskommission aus den Registerakten begehrt, daß dagegen die aufhebenden Beschlüsse des Berufungsausschusses und der Berufungskommission bei den Registerakten verbleiben müssen. Mit dieser Maßgabe hat der Senat deshalb das angefochtene Urteil bestätigt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen