Leitsatz (amtlich)
Die Grundrente nach dem BVG, die in der Regel auch dem Familienunterhalt dient, ist bei der Prüfung, ob die verstorbene Versicherte den Unterhalt ihrer Familie iS von AVG § 43 Abs 1 (= RVO § 1266 Abs 1) überwiegend bestritten hat, zu berücksichtigen (Bestätigung von BSG 1971-05-26 12/11 RA 40/70 - insoweit in SozR Nr 10 zu § 1266 RVO nicht abgedruckt).
Normenkette
RVO § 1266 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; AVG § 43 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; BVG § 31 Abs. 1 Fassung: 1974-08-23; SGB 1 § 24 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1975-12-11, § 54 Abs. 3 Fassung: 1975-12-11
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 29. Oktober 1976 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger Witwerrente aus der Versicherung seiner am 3. Februar 1975 verstorbenen Ehefrau zusteht (§ 43 Abs. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG -).
Die verstorbene Versicherte bezog von der Beklagten ein Altersruhegeld, das vom 1. Juli 1974 an monatlich 851,40 DM betrug. Das dem Kläger ebenfalls von der Beklagten gewährte Altersruhegeld belief sich im gleichen Zeitraum auf monatlich 545,20 DM. Die ihm als Kriegsbeschädigten zustehende Versorgungsrente kam ab 1. Oktober 1974 mit monatlich 498,- DM zur Auszahlung und setzte sich aus einer Grundrente von 230,- DM und einem Berufsschadensausgleich von 268,- DM zusammen.
Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers auf Gewährung von Witwerrente ab, weil die Versicherte den Unterhalt ihrer Familie nicht überwiegend bestritten habe (Bescheid vom 30. Juni 1975). Klage und Berufung des Klägers blieben ohne Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) bestätigte das klagabweisende Urteil des Sozialgerichts (SG) im wesentlichen mit folgender Begründung: Bei einer nur aus Mann und Frau bestehenden Familie mit gemeinsamer Haushaltsführung - wie sie beim Kläger und seiner verstorbenen Frau vorgelegen habe - könne nur derjenige Ehegatte den Unterhalt der Familie überwiegend im Sinne des § 43 AVG bestritten haben, der während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes zur gemeinsamen Lebensführung mehr als die Hälfte beigesteuert habe. Da die Eheleute ausschließlich von ihren Renten gelebt hätten, komme es hier darauf an, welcher der Ehegatten die höheren Renteneinkünfte bezogen habe. Dabei sei auf die letzten vier Monate vor dem Tode der Versicherten (3.2.1975) abzustellen, weil sich seit dem 1. Oktober 1974 in den wirtschaftlichen Verhältnissen der Eheleute nichts mehr geändert habe. In diesem maßgeblichen Zeitraum habe der Rentenbeitrag des Klägers zum gemeinsamen Familienunterhalt 4.172,80 DM betragen, derjenige seiner Ehefrau dagegen nur 3.405,60 DM. Entgegen der Meinung des Klägers könne sein Renteneinkommen nicht unter Außerachtlassung der Versorgungs-Grundrente auf 3.258,80 DM begrenzt werden. Zwar werde diese Rente "wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung" gewährt. Unabhängig von dieser Zweckbestimmung könne jedoch nicht unberücksichtigt bleiben, daß dem Beschädigten auch die Grundrente zur Deckung seines Lebensbedarfs zur Verfügung stehe (Hinweis auf das Urteil des Bundessozialgerichts - BSG - vom 18.9.1975 - 5 RJ 98/74 -). Der Gesetzgeber habe in § 67 Abs. 2 Nr. 2 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) die Pfändung der Grundrente wegen eines Anspruchs auf Erfüllung der gesetzlichen Unterhaltspflicht ausdrücklich zugelassen. Daraus sei zu ersehen, daß er den Beschädigten im Rahmen seiner familienrechtlichen Beziehungen für verpflichtet halte, die Grundrente für den Lebensunterhalt der Familie zu verwenden. Bei der Gegenüberstellung der Einnahmen beider Ehegatten im Rahmen des § 43 AVG müsse deshalb die Grundrente zu den Einkünften rechnen, zumal diese Vorschrift auf die von jedem Ehegatten tatsächlich zum gemeinsamen Lebensunterhalt beigesteuerten Leistungen abstelle. Ein überwiegendes Bestreiten des Familienunterhalts durch die Ehefrau des Klägers könne auch nicht unter Berücksichtigung der im Haushalt angefallenen Tätigkeiten bejaht werden. Bei Rentnerehepaaren dürfe nach den Erfahrungen des täglichen Lebens davon ausgegangen werden, daß sie in etwa zu gleichen Teilen zur Mitarbeit im Haushalt tätig und in diesem Umfang hierzu auch verpflichtet seien. Der Wert der jeweiligen Anteile hebe sich daher gegeneinander auf, so daß er praktisch außer Ansatz bleiben könne. Es bestehe auch kein Anhalt dafür, daß der Kläger ausnahmsweise etwa durch Krankheit oder Gebrechlichkeit gehindert gewesen wäre, den ihm aufgrund seiner Mithilfepflicht obliegenden Hälfteanteil an der gemeinsamen Haushaltsarbeit zu erbringen (Urteil vom 29. Oktober 1976).
Der Kläger hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Er rügt eine Verletzung des § 43 Abs. 1 AVG durch das Berufungsgericht.
Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil und das Urteil des SG Koblenz vom 10. Dezember 1975 sowie den Bescheid der Beklagten vom 30. Juni 1975 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, Witwerrente ab 1. März 1975 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die durch Zulassung statthafte Revision des Klägers ist nicht begründet. Der Entscheidung des Berufungsgerichts, daß der Kläger keinen Anspruch auf Witwerrente hat, ist im Hinblick auf die im angefochtenen Urteil getroffenen und das Revisionsgericht nach § 163 SGG bindenden tatsächlichen Feststellungen zuzustimmen.
Gemäß § 43 Abs. 1 AVG erhält der Ehemann nach dem Tode seiner versicherten Ehefrau Witwerrente, wenn die Verstorbene den Unterhalt ihrer Familie überwiegend bestritten hat. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. März 1975 (SozR 2200 § 1266 Nr. 2) ist diese gesetzliche Regelung derzeit geltendes Recht.
Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, daß der - für das überwiegende Bestreiten des Familienunterhalts maßgebliche - letzte wirtschaftliche Dauerzustand mit der letzten wesentlichen Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse eines Familienmitgliedes mit Dauerwirkung (vgl. BSGE 14, 129; SozR Nr. 3 und 4 zu § 1266 der Reichsversicherungsordnung - RVO -) und demzufolge mit der ab 1. Oktober 1974 erfolgten Änderung der Versorgungsbezüge des Klägers begonnen und mit dem Tode seiner Ehefrau am 3. Februar 1975 geendet hat. Das Berufungsgericht hat zu Recht entschieden, daß in diesem Zeitraum bei der nur aus Mann und Frau bestehenden Familie die Versicherte unter Berücksichtigung der Geldleistungen und des Wertes der Haushaltsarbeiten zum ehelichen Aufwand weniger als die Hälfte beigesteuert hat.
Dabei hat das LSG ohne Rechtsfehler angenommen, daß auch die dem Kläger damals gewährten Versorgungsbezüge einschließlich der Grundrente im Sinne des § 31 BVG seinem Beitrag zum gemeinsamen Familienunterhalt hinzuzurechnen sind. Die gegenteilige Auffassung der Revision wird darauf gestützt, daß die Grundrente dem Beschädigten persönlich zustehen solle, ohne Rücksicht auf sonstiges Einkommen gewährt werde und bei der Bemessung anderer Leistungen unberührt bleibe. Unter Anerkennung dieser vom Gesetzgeber mit der Gewährung der Grundrente verfolgten Ziele hat indes das BSG in dem auch vom Berufungsgericht angeführten Urteil vom 18. September 1975 (SozR 2200 § 1265 Nr. 8) eingehend und auch für den erkennenden Senat überzeugend dargelegt, daß die Grundrente gleichwohl geeignet ist, die Unterhaltsbedürfnisse zu befriedigen.
Die Revision ist der Ansicht, daß dieses zur Unterhaltsbedürftigkeit im Rahmen eines Rentenanspruchs nach § 1265 Satz 1 RVO (= § 42 Satz 1 AVG) ergangene Urteil für die hier zu entscheidende Frage, ob die Grundrente zum Bestreiten des überwiegenden Familienunterhalts gemäß § 43 Abs. 1 AVG (= § 1266 Abs. 1 RVO) diene, nicht entscheidend sein könne. Dem ist entgegenzuhalten, daß bereits in den Urteilen des BSG vom 27. Januar 1971 (Az.: 12 RJ 260/70) und 26. Mai 1971 (Az.: 12/11 RA 40/70 = SozR Nr. 10 zu § 1266 RVO) die Versorgungsrentenbezüge einschließlich der Grundrente als Einkünfte für den Unterhalt der Familie im Sinne des § 1266 Abs. 1 RVO gewertet worden sind. Das BSG hat dies in der Entscheidung vom 26. Mai 1971 - im Einklang mit den Ausführungen des LSG im angefochtenen Urteil - damit begründet, daß nach den §§ 1 Abs. 1, 9, 31 BVG die Grundrente auch wegen der wirtschaftlichen Folgen der erlittenen Schädigung gewährt werde und nach dem im maßgeblichen Zeitraum noch gültigen § 67 Abs. 2 Nr. 2 BVG der Anspruch auf die Grundrente wegen eines Anspruchs auf Erfüllung der gesetzlichen Unterhaltspflicht - u. a. - gepfändet werden könne (insoweit in SozR Nr. 10 zu § 1266 RVO nicht abgedruckt). Auch nach der Auffassung des erkennenden Senats folgt daraus, daß die Grundrente - ungeachtet ihrer besonderen Zweckbestimmung und ihrer Nichtanrechnung auf sonstiges Einkommen und andere Sozialleistungen - zum Bestreiten des Lebensunterhalts der Familie mit dienen soll. Zwar ist die in § 67 Abs. 2 Nr. 2 BVG getroffene Regelung durch Art. II § 9 Nr. 1 des Sozialgesetzbuches (SGB) aufgehoben worden. An ihre Stelle ist aber die für alle Sozialleistungsbereiche und damit auch für Versorgungsleistungen im Sinne des § 24 Abs. 1 Nr. 3 SGB geltende Vorschrift des § 54 Abs. 3 Nr. 1 SGB getreten, wonach u. a. auch die Grundrenten im Sinne des § 31 BVG weiterhin wegen gesetzlicher Unterhaltsansprüche wie Arbeitseinkommen gepfändet werden können. Der Senat sieht deshalb keinen Anlaß, von der in der Entscheidung des BSG vom 26. Mai 1971 aaO vertretenen Rechtsauffassung abzuweichen.
Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des LSG über die Höhe der von den Eheleuten im einzelnen bezogenen Renten überstiegen unter der somit gebotenen Einbeziehung der Grundrente die während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes verbrauchten Einkünfte des Klägers diejenigen seiner Ehefrau. Das für die begehrte Hinterbliebenenrente gemäß § 43 Abs. 1 AVG erforderliche überwiegende Bestreiten des Familienunterhalts durch die Versicherte muß deswegen verneint werden. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der im gemeinsamen Haushalt angefallenen Arbeiten, weil insoweit das LSG zutreffend und von der Revision unwidersprochen den Wert der Haushaltsarbeiten beiden Eheleuten je zur Hälfte und unabhängig davon zugerechnet hat, ob der Kläger entsprechend tätig geworden ist (vgl. hierzu BSG in SozR Nr. 10 zu § 1266 RVO).
Nach alledem muß der Revision des Klägers der Erfolg versagt werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen