Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 06.04.1955) |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 6. April 1955 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen
Gründe
Der Kläger hat am 26. April 1951 einen Unfall erlitten. Nach Beendigung seiner Arbeit um 17 Uhr hatte er sich auf den Heimweg von der Arbeitsstätte nach seiner 50 m entfernten Wohnung begeben; unterwegs betrat er eine Metzgerei, um sich eine Vesper zu besorgen. Nachdem er diesen etwa fünf bis sieben Minuten dauernden Einkauf erledigt hatte, verließ er das Geschäft wieder durch den Hinterausgang; dabei rutschte er auf einer Treppe aus und stürzte. Die Beklagte hat es abgelehnt, ihm für den hierbei erlittenen Bruch des linken Knöchels eine Entschädigung zu gewähren, da sich der Unfall während einer Unterbrechung des Heimwegs ereignet habe.
Das Oberversicherungsamt (OVA.) Karlsruhe hat die Beklagte verurteilt, den Unfall des Klägers als entschädigungspflichtigen Arbeitsunfall anzuerkennen und dem Kläger bis zum 17. August 1951 eine Unfallrente zu gewähren. Es hat angenommen, im Augenblick des Unfalls habe der Kläger bereits wieder seinen Heimweg fortgesetzt; unerheblich sei, daß der Unfall sich nicht auf der Straße, sondern schon einige Schritte vorher auf der Hintertreppe der Metzgerei ereignet habe. Gegen die Annähme einer Unterbrechung des Heimwegs spreche auch der Umstand, daß die gekauften Lebensmittel zum unmittelbaren Verzehr und damit zur Erhaltung der Arbeitskraft des Klägers bestimmt gewesen seien.
Der von der Beklagten hiergegen fristgerecht eingelegte Rekurs ging nach § 215 Abs. 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auf das Landessozialgericht (LSG.) Baden-Württemberg über. Dieses hat die Entscheidung des OVA. aufgehoben, den Ablehnungsbescheid der Beklagten wiederhergestellt und die Revision zugelassen. Das LSG. ist – im Gegensatz zum OVA. – davon ausgegangen, daß der Einkauf der Lebensmittel zur Vesper eine sogenannte eigenwirtschaftliche Tätigkeit ohne Zusammenhang mit dem versicherten Beschäftigungsverhältnis gewesen sei, weil der Kläger an diesem Tage seine Arbeit beendet gehabt und die Lebensmittel nur für seine persönlichen Bedürfnisse, nicht dagegen zur Stärkung für die unmittelbare Fortsetzung seiner Berufstätigkeit benötigt habe. Der Kläger habe den Unfall beim Verlassen der Metzgerei, also noch innerhalb eines besonderen Gefahrenbereichs erlitten, auf welchen sich der Versicherungsschutz nach § 543 Abs. 1 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht erstrecke.
Der Kläger hat die Revision gegen das am 6. Juni 1955 zugestellte Urteil am 18. Juni 1955 eingelegt und zugleich begründet: Die kleine private Besorgung habe seinen Versicherungsschutz nicht aufgehoben. Der Unfall habe sich außerhalb der Metzgerei auf einem geringfügigen Umweg ereignet. Der vom LSG. herausgestellte Gesichtspunkt des besonderen Gefahrenbereichs sei aber auch schon deshalb nicht verwertbar, weil dies zu der vom Reichsversicherungsamt (RVA.) in einem ähnlich liegenden Fall vertretenen Auffassung (EuM. Bd. 47 S. 1) in Widerspruch stehe. Im übrigen hänge die Besorgung der Vesper mit der Berufsarbeit zusammen, weil der Kläger während seiner Arbeit hungrig geworden sei. Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des LSG. Baden-Württemberg vom 6. April 1955 und des Bescheides der Beklagten vom 20. Oktober 1951 das Urteil des OVA. Karlsruhe vom 3. Juni 1953 wiederherzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verweist hierfür auf Rechtsprechung und Schrifttum.
Die Revision ist statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 164 SGG) und deshalb zulässig.
Von Amts wegen hatte der Senat zunächst zu prüfen, ob das Rechtsmittel der Beklagten gegen das Urteil des OVA. weder als Rekurs gemäß § 1700 RVO noch als Berufung gemäß § 145 SGG ausgeschlossen gewesen ist (BSG. 2 S. 225, SozR. SGG § 215 Bl. Da 4 Nr. 17; 2. Senat, Urt. v. 26.2.1957 – 2 RU 100/54 – in Soz. Sich. 1957 S. 123). Beides ist zu verneinen. Das OVA. hat die Beklagte allerdings nur zur Rentenzahlung für einen zur Zeit seiner Entscheidung bereits abgelaufenen Zeitraum verurteilt. Die hiernach in Betracht zu ziehenden Vorschriften des § 1700 Nr. 2 oder 3 RVO stehen indessen der Zulässigkeit des Rekurses nicht entgegen, weil Streitgegenstand des Rekurses der Rentenanspruch an sich war (RVO Mitgl. Komm. Bd. I, 2. Aufl., Anm. 5 u. 6 zu § 1700, S. 318 ff.). Auch § 145 Nr. 2 SGG ist im vorliegenden Fall nicht anwendbar, denn das Urteil des OVA. betraf den vom Kläger ohne zeitliche Beschränkung geltend gemachten Entschädigungsanspruch (BSG. 1 S, 225; SozR. SGG § 148 Bl. Da 2 Nr. 6). Davon abgesehen mußte das LSG. aber auch wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache unter entsprechender Anwendung von § 150 Nr. 1 SGG die Zulässigkeit der Berufung in diesem Übergangsfall bejahen (BSG. 1 S. 62 [67]; S. 264 [267]; SozR. SGG § 215 Bl. Da 9 Nr. 30).
Die Revision ist unbegründet, weil ihre Rüge, das LSG. habe den § 543 Abs. 1 Satz 1 RVO unrichtig angewendet, nicht zutrifft.
Das LSG. hat ohne Rechtsirrtum angenommen, daß der Kläger im Augenblick seines Unfalls noch nicht wieder unter dem Versicherungsschutz nach § 543 Abs. 1 Satz 1 RVO stand. Dieser Versicherungsschutz hatte aufgehört, als der Kläger von seinem Heimweg von der Arbeitsstätte abwich und die Metzgerei aufsuchte. Der in diesem Geschäft vorgenommene Einkauf von Lebensmitteln diente, wie der Vorderrichter zutreffend ausgeführt hat, den persönlichen Bedürfnissen des Klägers. Ein Zusammenhang dieser Besorgung mit der Tätigkeit des Klägers im Unternehmen kann nicht, wie die Revision meint, daraus hergeleitet werden, daß der Kläger während seiner vorhergehenden Berufstätigkeit hungrig geworden war und das Verlangen hatte, nach der Arbeit sogleich eine Vespermahlzeit zu sich zu nehmen. Nach den bindenden Feststellungen des LSG. hatte der Kläger seine Arbeit für diesen Tag beendet, die Vesper war also nicht erforderlich, um ihm eine alsbaldige Weiterarbeit zu ermöglichen. Aber auch für die Zurücklegung des ganz kurzen Heimwegs selbst war der Kläger auf eine solche Stärkung nicht angewiesen. Die Rechtslage bei den Fällen, in denen ein derartiger Grund für das Besorgen einer Vesper zuträfe, bedarf in der vorliegenden Sache keiner Erörterung.
Bei der Prüfung der Frage, aus welchem Grund auf Wegen im Sinne des § 543 RVO der Versicherungsschutz vorübergehend oder dauernd entfallen kann, ist sorgfältig zu unterscheiden zwischen den in der Rechtsprechung eingebürgerten Begriffen des „Umweges”, der „Unterbrechung” und der „Lösung vom Unternehmen” (so auch LSG. Celle in Breith. 1957 S. 319 ff., wo allerdings diese Unterschiede im Ergebnis stark verwischt werden). Im vorliegenden Fall hat das LSG. zwar eingangs seiner Urteilsgründe den Ausdruck „Lösung des Zusammenhangs mit der Tätigkeit im Unternehmen” gebraucht; im folgenden hat es aber das verhalten des Klägers eindeutig unter dem Gesichtspunkt einer Unterbrechung des Heimwegs beurteilt. Dies wird den Umständen des Falles gerecht. Der Kläger beabsichtigte nach den tatsächlichen Feststellungen nicht etwa, seinen üblichen Heimweg abzuändern (EuM. Bd. 25 S. 428; vgl. auch SozR. RVO § 543 Bl. Aa 2 Nr. 4); vielmehr wollte er sich nach Erledigung des Einkaufs wieder auf dieselbe Straße begeben, auf welcher er bis zum Metzgergeschäft gelangt war, um auf ihr anschließend seine Wohnung zu erreichen. Solange der Kläger die Metzgerei betrat, sich in ihr aufhielt und sie wieder verließ, bewegte er sich nicht in der Richtung auf das Ziel seines Weges fort – nur bei einer solchen Fortbewegung käme überhaupt die Annahme eines „Umweges” in Betracht-, sondern verrichtete eine andersgeartete Tätigkeit, nämlich den Einkauf von Lebensmitteln.
Zu einer Lösung von der Tätigkeit im Unternehmen – also zum endgültigen Verlust des Versicherungsschutzes – konnte diese Unterbrechung nicht führen, weil der Heimweg nicht auf längere Zeit, sondern nur vorübergehend unterbrochen wurde. Die private Besorgung des Klägers war aber andererseits hinsichtlich ihrer zeitlichen Dauer und der Art. ihrer Erledigung nicht so geringfügig, daß sie überhaupt keine rechtlich ins Gewicht fallende Unterbrechung des Heimweges bewirkt hätte, als geringfügige Verrichtungen auf dem Wege, die den Versicherungsschutz gar nicht erst unterbrechen, wären etwa Besorgungen im Vorbeigehen an auf der Straße befindlichen Verkaufsständen anzusehen (ähnlich auch der in der Rechtsauskunft in WzS. 1952, S. 93, mitgeteilte Sachverhalt). Von dieser Art. der eigenwirtschaftlichen Betätigung unterscheidet sich das Verhalten des Klägers dadurch, daß er zum Zwecke des Einkaufs die Straße verließ, das Metzgereigeschäft über die Hintertreppe betrat und dort eine nicht ganz unwesentliche Zeit lang verweilte. Das Aufsuchen des Geschäfts bedeutete hier für den Weg von der Arbeitsstätte eine deutliche Zäsur, die bei lebensnaher Betrachtung den Nachhauseweg unterbrochen hat.
Die Unterbrechung hat zur Folge, daß während ihrer Dauer der Versicherungsschutz nicht besteht. Damit wird eine Abgrenzung zwischen den versicherten Teilen des Weges vor und nach der Unterbrechung einerseits und den Bereich der Unterbrechung selbst andererseits erforderlich. Für diese Abgrenzung ist der Umstand bedeutsam, daß der Versicherungsschutz hier nicht so sehr – wie beim reinen Umweg – wegen des mangelnden örtlichen Zusammenhangs mit der Tätigkeit im Unternehmen, sondern ausschlaggebend wegen des mangelnden inneren Zusammenhangs wegfällt. Es kommt also weniger auf die räumliche Entfernung der Unfallstelle von der Straße an, sondern in erster Linie darauf, ob der Kläger ohne die private Besorgung überhaupt an die Unfallstelle gelangt wäre. Dies hat im vorliegenden Fall das OVA. übersehen, wenn es glaubt, die wenigen Schritte, die der Kläger noch von der Treppe der Metzgerei bis zur Straße vor sich gehabt hätte, seien außer acht zu lassen. Demgegenüber hat das LSG. mit Recht auf die Notwendigkeit einer klaren, eindeutigen Trennung zwischen der versicherten Zurücklegung des Heimweges und der unversicherten privaten Besorgung hingewiesen. Der Senat billigt auch das vom LSG. gefundene Ergebnis, wonach in der Hegel die Unterbrechung endet und der Versicherungsschutz wieder auflebt, sobald der Versicherte den üblichen Heimweg wieder erreicht hat; denn dies erst ist der Punkt, an dem der innere Zusammenhang mit der Beschäftigung im Unternehmen, den § 543 RVO voraussetzt, eindeutig wiederhergestellt wird. Es soll nicht verkannt werden, daß eine übertrieben enge Anwendung dieses Grundsatzes zu Unbilligkeiten führen kann, und die vom Vorderrichter angeführte Entscheidung des RVA. vom 1. August 1940 (Breith. 1940 S. 389) erscheint insoweit gewiß nicht frei von Bedenken. Im Gegensatz zu dem damals entschiedenen Fall befand sich jedoch der Kläger im Augenblick seines Sturzes noch ausschließlich in dem Gefahrenbereich, den er zur privaten Besorgung aufgesucht hatte. Der Hinweis des Vorderrichters auf den mit der Unterbrechung verbundenen besonderen Gefahrenbereich (ebenso LSG. Celle a.a.O.) erscheint allerdings nicht unbedenklich, wenn er etwa im Umkehrschluß dahin zu deuten wäre, daß der Versicherungsschutz des § 543 RVO speziell für die Gefahren des Straßenverkehrs gewährt wird; diese Auffassung hat der erkennende Senat nachdrücklich abgelehnt (BSG. 2 S. 239 [241]). Eine solche Schlußfolgerung hat das LSG. aber nicht gezogen. Das ergibt sich auch nicht notwendig aus seinen Erwägungen. Diese stellen es vielmehr sichtlich darauf ab, daß Unfälle bei der Zurücklegung des Weges zu entschädigen sind (einerlei ob durch typische Verkehrsgefahren oder durch sonstige Umstände hervorgerufen), Unfälle während einer Unterbrechung (ohne Rücksicht auf die Unfallursache) hingegen nicht. Die Gefahrenbereiche sind also nicht nach technischen Merkmalen (Straße – Gebäude), sondern nach ihrer kausalen Zuordnung (Heimweg – private Betätigung) zu unterscheiden.
Auch die vom Kläger angezogene Entscheidung des RVA. (EuM. Bd. 47 S. 1) ist nicht geeignet, der Revision zum Erfolg zu verhelfen. Diese Entscheidung, mit der sich der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom 13. März 1956 (BSG. 2 S. 239 [244]) zustimmend befaßt hat, hielt den Versicherungsschutz für gegeben bei einem Unfall, den eine auswärts wohnende Verkäuferin in der Mittagspause auf der Innentreppe eines Hauses erlitt, als sie einen dort befindlichen Mittagstisch aufsuchen wollte; das RVA. bezeichnete bei diesem Sachverhalt die von ihm selbst aufgestellte, später vom Bundessozialgericht (a.a.O.) gebilligte Abgrenzung zwischen dem unter Versicherungsschutz stehenden Weg und dem „häuslichen Bereich” durch die Außenhaustür als ungeeignet, weil der Weg nicht zum eigenen häuslichen Bereich der Versicherten führte. Diese Erwägungen wie auch die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze über die Trennung zwischen dem Weg von und nach der Arbeitsstätte und dem unversicherten häuslichen Bereich dienen dazu, vorwiegend nach räumlichen Maßstäben den Ausgangspunkt oder das Ziel des Weges von dem Weg selbst abzugrenzen. Die Grenzziehung bei einer während der Zurücklegung des Weges eintretenden Unterbrechung ist hiermit wohl verwandt – wie das LSG. zutreffend bemerkt hat – aber nicht identisch. Bei der Unterbrechung des Weges aus privaten Gründen tritt die Komponente des inneren Zusammenhangs weit stärker in den Vordergrund der Beurteilung als bei dem Ausgangspunkt oder Ziel des Weges. Deshalb sind hier nicht genau die gleichen Maßstäbe anzuwenden. Unter diesen Umständen ist es auch unerheblich, daß die Vorinstanzen nicht eindeutig geklärt haben, ob sich die Treppe, auf welcher der Kläger zu Fall kam, innerhalb oder außerhalb des Metzgerhauses befand.
Die Revision des Klägers war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen