Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. einheitlicher Bewertungsmaßstab für ärztliche Leistungen (juris: EBM-Ä 2008). notwendiger Leistungsinhalt einer Gebührenordnungsposition. normative Vorgaben der Bundesmantelvertragspartner zur Qualitätssicherung
Leitsatz (amtlich)
Der notwendige Leistungsinhalt einer Gebührenordnungsposition des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für die ärztlichen Leistungen bestimmt sich auch nach den normativen Vorgaben der Bundesmantelvertragspartner zur Qualitätssicherung (hier: Vereinbarung zur Ultraschalldiagnostik, B-Mode-Verfahren als notwendiger Bestandteil einer Untersuchung der extremitätenver- und/oder -entsorgenden Gefäße mittels Duplex-Verfahren).
Normenkette
SGB V § 82 Abs. 1, § 87 Abs. 1-2, § 106a Abs. 2 S. 1 Hs. 1 Fassung: 2003-11-14, § 135 Abs. 2 S. 1; BMV-Ä Anl 3; EBM-Ä Nr 33076; EBM-Ä 2008 Nr 33076; EBM-Ä Nr 33072; EBM-Ä 2008 Nr 33072; EBM-Ä AllgBest 2.1.3 Abs 2 S. 1; EBM-Ä 2008 AllgBest 2.1.3 Abs 2 S. 1; EBM-Ä AllgBest 2.1.3 Abs 3 S. 3; EBM-Ä 2008 AllgBest 2.1.3 Abs 3 S. 3
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. März 2016 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Im Streit ist die Vergütung sonographischer Leistungen in den Quartalen IV/2010 und I/2011.
Der Kläger ist als Facharzt für Allgemeinmedizin mit dem Schwerpunkt Phlebologie und Lymphologie zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Mit Honorarbescheid vom 15.4.2011 setzte die beklagte Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) sein vertragsärztliches Honorar für das Quartal IV/2010 fest. Dabei berücksichtigte sie lediglich zwei sonographische Leistungen nach der Gebührenordnungsposition (GOP) 33076 des einheitlichen Bewertungsmaßstabes für ärztliche Leistungen (EBM-Ä). Mit Bescheid vom selben Tag stellte die Beklagte weitere 962 sonographische Leistungen nach der GOP 33076 EBM-Ä ("sonographische Untersuchung der Venen einer Extremität mittels B-Mode-Verfahren von mindestens acht Beschallungsstellen - 245 Punkte") richtig, weil die Leistung nicht neben der GOP 33072 EBM-Ä ("sonographische Untersuchung der extremitätenver- und/oder - entsorgenden Gefäße mittels Duplex-Verfahren - 735 Punkte") berechnungsfähig sei. Der Kläger erhob Widerspruch und verwies darauf, dass die Leistungen auch in der Vergangenheit nebeneinander vergütet worden seien.
Mit Honorarbescheid vom 15.7.2011 setzte die Beklagte das vertragsärztliche Honorar für das Quartal I/2011 fest. Dabei erkannte sie ebenfalls lediglich zwei sonographische Leistungen nach der GOP 33076 EBM-Ä an und führte mit Richtigstellungsbescheid vom gleichen Tag aus, dass weitere 569 sonographische Leistungen nur nach der GOP 33072 EBM-Ä vergütet worden seien. Auch hiergegen erhob der Kläger Widerspruch.
Die Beklagte wies die Widersprüche des Klägers zurück (Widerspruchsbescheide vom 14.10.2011 und 9.2.2012). Die Abrechnung der GOP 33076 EBM-Ä neben der GOP 33072 EBM-Ä sei nach den Allgemeinen Bestimmungen in Abschnitt I Nummer 2.1.3 EBM-Ä ausgeschlossen, weil die Leistungsinhalte der GOP 33076 EBM-Ä vollständig Bestandteil der bereits vergüteten GOP 33072 EBM-Ä seien. Zudem sei die GOP 33072 EBM-Ä höher bewertet als die GOP 33076 EBM-Ä. Dass die Nebeneinanderberechnung der GOP 33072 und 33076 EBM-Ä bisher nicht beanstandet worden sei, binde sie, die Beklagte, nicht für die Zukunft.
Die hiergegen erhobenen, zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Klagen hat das SG als unbegründet abgewiesen (Urteil vom 24.7.2013). Die Abrechnung der GOP 33076 EBM-Ä neben der GOP 33072 EBM-Ä sei nach Abschnitt I Nummer 2.1.3 EBM-Ä ausgeschlossen. Danach dürfe eine GOP nicht abgerechnet werden, wenn deren obligate und - sofern vorhanden - fakultative Leistungsinhalte vollständiger Bestandteil einer anderen berechneten GOP seien. Dieser Abrechnungsausschluss verlange keine komplette Übereinstimmung der Leistungstatbestände. Es genüge, dass sich die Leistungstatbestände zweier GOP zu einem wesentlichen Teil überschnitten. Das sei hier der Fall, weil das B-Mode-Verfahren typischerweise in der Duplexsonographie enthalten sei. Das ergebe sich zum einen aus der technischen Überschneidung der Verfahren und zum anderen daraus, dass die Behandlung von Venenerkrankungen ohne Dopplersonographie nicht mehr dem Stand der medizinischen Erkenntnisse entspreche. Werde eine Vene im Duplex-Verfahren beleuchtet, sei von einem in derselben Sitzung kumulativ durchgeführten B-Mode-Verfahren kein Erkenntnisgewinn zu erwarten.
Die Berufung des Klägers hat das LSG aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückgewiesen (Urteil des LSG vom 16.3.2016). Der sachkundig besetzte Senat hege keinen Zweifel, dass die Leistungsinhalte der GOP 33076 EBM-Ä vollständig Bestandteil der GOP 33072 EBM-Ä seien. Die Duplexsonographie kombiniere ein B-Bild mit einer farbigen Bewegungsanzeige. Für eine Sonographie der Venen nach dem B-Mode-Verfahren als neben der Duplexsonographie selbständig durchzuführende Diagnostik bestehe mangels weitergehenden Erkenntnisgewinns keine medizinische Notwendigkeit.
Dass die GOP 13300 EBM-Ä (Zusatzpauschale Angiologie) die Leistungen nach der GOP 33072 EBM-Ä als obligaten Leistungsinhalt und die Leistungen nach der GOP 33076 EBM-Ä als fakultativen Leistungsinhalt bezeichne, erlaube keine Rückschlüsse auf das Verhältnis der Leistungsinhalte der GOP 33072 und 33076 EBM-Ä zueinander. Gleiches gelte für die Erwähnung beider GOP in der Auflistung der Abrechnungsausschlüsse bei postoperativen Behandlungen. Schließlich habe der Kläger nicht aufgrund der früheren Abrechnungspraxis der Beklagten auf die Zulässigkeit der Nebeneinanderabrechnung der streitigen GOP vertrauen dürfen.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Revision. Die allgemeine Bestimmung in Abschnitt I Nummer 2.1.3 EBM-Ä schließe die Abrechnung der GOP 33076 EBM-Ä neben der GOP 33072 EBM-Ä nicht aus, weil die Leistungsinhalte der GOP 33076 EBM-Ä nicht vollständig in der GOP 33072 EBM-Ä enthalten seien. Die sonographische Untersuchung der Venen einer Extremität mittels B-Mode-Verfahren müsse nach dem Wortlaut der GOP 33076 EBM-Ä an mindestens acht Beschallungsstellen erfolgen. Dieses Erfordernis enthalte der Wortlaut der GOP 33072 EBM-Ä nicht. Ebenfalls mit dem Wortlaut dieser Bestimmung ("vollständig Bestandteil") nicht vereinbar sei die Annahme eines Abrechnungsausschlusses bereits bei einer wesentlichen Überschneidung der Leistungsinhalte beider GOP. Vielmehr müsse die eine Leistung restlos in der anderen aufgehen, um von der Abrechnung ausgeschlossen zu sein. Das unterscheide den Abrechnungsausschluss nach Abschnitt I Nummer 2.1.3 EBM-Ä von dem Abrechnungsausschluss nach Ziffer 2 S 1 der Allgemeinen Bestimmungen des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für zahnärztliche Leistungen (BEMA-Z), zu dem sich die frühere Rechtsprechung des BSG verhalte. Dort greife ein Abrechnungsausschluss bereits dann, wenn eine Leistung "Bestandteil einer anderen abrechnungsfähigen Leistung" sei.
Die Leistungsinhalte der GOP 33076 EBM-Ä gingen auch bei systematischer Betrachtung nicht vollständig in den Leistungsinhalten der GOP 33072 EBM-Ä auf. Das zeige etwa der Umstand, dass die Zusatzpauschale Angiologie (GOP 13300 EBM-Ä) die sonographische Untersuchung mittels Duplex-Verfahren (GOP 33072 EBM-Ä) als obligaten Leistungsinhalt und die sonographische Untersuchung mittels B-Mode-Verfahren an mindestens acht Beschallungsstellen (GOP 33076 EBM-Ä) als fakultativen Leistungsinhalt ausweise. Bei postoperativen Behandlungen (GOP 31630 bis 31637 EBM-Ä) werde die Abrechnung der GOP 33072 EBM-Ä "und" der GOP 33076 EBM-Ä ausgeschlossen. Schließlich sei die Abrechnung der GOP 33076 EBM-Ä neben der GOP 33072 EBM-Ä auch bei späteren Neufassungen des EBM-Ä nicht explizit ausgeschlossen worden. Der Kläger hat Auskünfte vorgelegt, wonach die Nebeneinanderberechnung beider GOP von einer Reihe von KÄVen gebilligt wird.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des LSG Baden-Württemberg vom 16.3.2016 und des SG Stuttgart vom 24.7.2013 aufzuheben, den Honorar- und Richtigstellungsbescheid vom 15.4.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.10.2011 sowie den Honorar- und Richtig-stellungsbescheid vom 15.7.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9.2.2012 aufzuheben, soweit die Beklagte die Vergütung von Leistungen nach GOP 33076 EBM-Ä abgelehnt hat, und die Beklagte zu verpflichten, über die Vergütung dieser Leistungen in den Quartalen IV/2010 und I/2011 neu zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend. Die GOP 33072 EBM-Ä beinhalte bereits eine Untersuchung im B-Mode-Verfahren und schließe als höher bewertete GOP die Abrechnung einer Untersuchung im B-Mode-Verfahren nach der GOP 33076 EBM-Ä aus. Der Abrechnungsausschluss nach Abschnitt I Nummer 2.1.3 EBM-Ä greife ein, da bereits eine teilweise Überschneidung von Leistungsinhalten ausreiche, um eine GOP als vollständigen Bestandteil der anderen GOP zu werten. Die Auflistung obligater und fakultativer Leistungsinhalte der Zusatzpauschale Angiologie (GOP 13300 EBM-Ä) zeige nur, dass sich deren Höhe nicht ändere, wenn in einem Behandlungsfall nicht nur eine, sondern mehrere verschiedene sonographische Untersuchungen kumulativ erbracht würden.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist im Sinne der Zurückverweisung begründet.
1. Das Urteil des LSG leidet an keinen Verfahrensfehlern, die einer Sachentscheidung des Senats entgegenstehen.
a) Soweit der Kläger beanstandet, das LSG hätte die Beurteilung, dass die Anwendung des B-Mode-Verfahrens (GOP 33076 EBM-Ä) neben dem Duplex-Verfahren (GOP 33072 EBM-Ä) in einer Sitzung keinen weitergehenden Erkenntnisgewinn verheiße und medizinisch nicht notwen-dig sei, nicht auf eigene Sachkunde stützen dürfen, sondern ein phlebologisches Sachverständigengutachten einholen müssen, rügt er in der Sache einen Verstoß gegen die Pflicht des Gerichts, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen. Diese Rüge geht bereits deshalb fehl, weil die Frage, welche Gebührenordnungspositionen ein Vertragsarzt erbringen und abrechnen darf, durch Auslegung des EBM-Ä zu ermitteln und als Rechtsfrage keiner weiteren Sachaufklärung zugänglich ist (vgl BSG SozR 4-5532 Allg Nr 2 RdNr 23 mwN).
b) Das Urteil verletzt den Kläger nicht in seinem Recht auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG). Dass das LSG seine Entscheidung überraschend auf einen Gesichtspunkt gestützt hat, mit dem der Kläger nicht rechnen konnte, ist nicht ersichtlich. Eine Überraschungsentscheidung ist nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG (vgl BVerfGE 84, 188, 190; BVerfGE 86, 133, 144 f; BVerfGE 98, 218, 263; BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 7.10.2009 - 1 BvR 178/09 - Juris RdNr 8) wie auch des BSG (SozR 3-4100 § 103 Nr 4 S 23; SozR 4-2500 § 103 Nr 6 RdNr 17) nicht bereits dann anzunehmen, wenn einer der Beteiligten eine andere Entscheidung des Gerichts erwartet hat. Voraussetzung ist vielmehr, dass das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wende gibt, mit der auch ein gewissenhafter Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verfahrensverlauf selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen braucht. Der Anspruch auf rechtliches Gehör soll verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten (BSGE 120, 254 = SozR 4-2500 § 119 Nr 2, RdNr 24 mwN). Eine solche Konstellation lag hier nicht vor. Bereits das SG hat in den Entscheidungsgründen seines Urteils darauf abgestellt, dass eine sonographische Untersuchung der Venen nach dem B-Mode-Verfahren (GOP 33076 EBM-Ä) keinen höheren Erkenntnisgewinn als eine in derselben Sitzung vorgenommene sonographische Untersuchung der Venen im Duplex-Verfahren (GOP 33072 EBM-Ä) verheiße. Der Kläger ist dieser Annahme des SG in seiner Berufungsbegründung substantiiert entgegengetreten und hat so von seinem Recht zur Äußerung konkret Gebrauch gemacht. Allein der Umstand, dass das Gericht der Auffassung des Klägers nicht gefolgt ist, begründet keinen Verfahrensfehler.
2. Die Revision des Klägers ist im Sinne der Zurückverweisung begründet. Der Senat kann aufgrund der bisherigen Feststellungen nicht abschließend entscheiden, ob die angefochtenen Honorarbescheide in vollem Umfang rechtmäßig sind. Zwar sind die Leistungen der GOP 33076 EBM-Ä in der Leistung der GOP 33072 EBM Ä enthalten, soweit beide Untersuchungen die Venen der Extremitäten betreffen. Der Ausschluss greift jedoch dann nicht, wenn das neben dem B-Mode-Verfahren eingesetzte Duplex-Verfahren die Arterien betrifft. Ob solche Fallkonstellationen den richtiggestellten Abrechnungen zugrunde lagen, ist bislang nicht festgestellt.
a) Rechtsgrundlage der sachlich-rechnerischen Richtigstellung ist § 106a Abs 2 S 1 Halbs 1 SGB V (in der Normfassung des GKV-Modernisierungsgesetzes vom 14.11.2003, BGBl I 2190). Danach stellt die KÄV die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen der Vertragsärzte fest. Die Prüfung auf sachlich-rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen des Vertragsarztes zielt auf die Feststellung, ob die Leistungen rechtmäßig, also im Einklang mit den gesetzlichen, vertraglichen oder satzungsrechtlichen Vorschriften des Vertragsarztrechts - mit Ausnahme des Wirtschaftlichkeitsgebots -, erbracht und abgerechnet worden sind. Eine sachlich-rechnerische Richtigstellung ist insbesondere dann angezeigt, wenn die abgerechneten Leistungen nicht die Vorgaben des EBM-Ä erfüllen (vgl BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 28 - Nichterfüllung der Leistungslegende; BSG SozR 4-5533 Nr 653 Nr 1 - Nichtbeachtung von Leistungsausschlüssen).
Für die Auslegung der vertrags(zahn)ärztlicher Vergütungsbestimmungen ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats in erster Linie der Wortlaut der Regelungen maßgeblich. Dies gründet sich zum einen darauf, dass das vertragliche Regelwerk dem Ausgleich der unterschiedlichen Interessen von Ärzten und Krankenkassen dient und es vorrangig Aufgabe des Normgebers des EBM-Ä, des Bewertungsausschusses gemäß § 87 Abs 1 SGB V, ist, Unklarheiten zu beseitigen. Zum anderen folgt die primäre Bindung an den Wortlaut aus dem Gesamtkonzept des EBM-Ä als einer abschließenden Regelung, die keine Ergänzung oder Lückenfüllung durch Rückgriff auf andere Leistungsverzeichnisse bzw Gebührenordnungen oder durch analoge Anwendung zulässt. Raum für eine systematische Interpretation im Sinne einer Gesamtschau der in innerem Zusammenhang stehenden vergleichbaren oder ähnlichen Leistungstatbestände ist dann, wenn der Wortlaut eines Leistungstatbestandes zweifelhaft ist und es einer Klarstellung bedarf. Eine entstehungsgeschichtliche Auslegung kommt bei unklaren oder mehrdeutigen Regelungen ebenfalls in Betracht, kann allerdings nur anhand von Dokumenten erfolgen, in denen die Urheber der Bestimmungen diese in der Zeit ihrer Entstehung selbst erläutert haben. Leistungsbeschreibungen dürfen weder ausdehnend ausgelegt noch analog angewendet werden (stRspr, vgl zuletzt BSG SozR 4-5532 Allg Nr 2 RdNr 23 mwN; BSG SozR 4-5531 Nr 40100 Nr 1 RdNr 25 mwN). Diese Grundsätze gelten auch für die den Vergütungsbestimmungen vorangestellten Allgemeinen Bestimmungen (BSG SozR 4-5532 Allg Nr 2 RdNr 23 mwN).
b) Die Abrechnung einer Duplexsonographie der Venen nach GOP 33072 EBM-Ä schließt die Abrechnung einer in derselben Sitzung erbrachten Leistung nach GOP 33076 EBM-Ä danach aus.
aa) Ein ausdrücklicher Abrechnungsausschluss war in den streitbefangenen Quartalen in den einzelnen Gebührenordnungspositionen nicht vorgesehen. Weder hieraus noch aus dem Umstand, dass ein Abrechnungsausschluss auch bei späteren Änderungen des EBM-Ä nicht eingefügt worden ist, folgt indes, dass sich ein solcher Ausschluss nicht aus anderen Gesichtspunkten ergeben kann. Ein grundsätzlicher Ausschluss folgt hier aus Abschnitt I Nr 2.1.3 Abs 2 S 1 der Allgemeinen Bestimmungen des EBM-Ä (in der ab 1.1.2008 geltenden Normfassung). Danach ist eine Gebührenordnungsposition nicht berechnungsfähig, wenn deren obligate und - sofern vorhanden - fakultative Leistungsinhalte vollständig Bestandteil einer anderen berechneten Gebührenordnungsposition sind. Der Senat kann hier offenlassen, ob dieser - mit Wirkung ab dem 1.1.2008 durch Aufnahme des Begriffs "vollständig" neu gefasste - Abrechnungsausschluss erst eingreift, wenn sämtliche Leistungsinhalte einer Gebührenordnungsposition in den Leistungsinhalten einer anderen Gebührenordnungsposition aufgehen (sog Spezialität) oder ob - entsprechend der bisherigen Rechtsprechung des Senats (vgl zu Ziffer 2 S 1 BEMA-Z: BSG SozR 4-2500 § 106a Nr 4 RdNr 17 ff; BSG SozR 4-2500 § 106a Nr 3 RdNr 24 f; vgl zur Allgemeinen Bestimmung A Nr 1 S 2 EBM-Ä in der bis 31.3.2005 geltenden Normfassung: BSG Urteil vom 25.8.1999 - B 6 KA 57/98 R - Juris RdNr 23 = MedR 2000, 201, 203; BSG Urteil vom 22.3.2006 - B 6 KA 44/04 R - Juris RdNr 11 = ZMGR 2006, 101, 102; BSG SozR 4-5533 Nr 273 Nr 1 RdNr 19 mwN) - die Voraussetzungen für einen Abrechnungsausschluss bereits dann erfüllt sind, wenn sich die Leistungsinhalte zweier Gebührenordnungspositionen so überschneiden, dass die eine Leistung im Zuge einer anderen typischerweise miterbracht wird und der für sie erforderliche Aufwand im Regelfall hinter dem für die andere Leistung zurücktritt (sog Konsumtion). Sowohl nach Ziffer 2 S 1 der Allgemeinen Bestimmungen des BEMA-Z als auch nach der Allgemeinen Bestimmung A Nr 1 S 2 EBM-Ä in der bis 31.3.2005 geltenden Normfassung war bzw ist eine Leistung dann nicht als selbständige Leistung abrechnungsfähig, "wenn sie Bestandteil einer anderen abrechnungsfähigen Leistung ist." Nach Abschnitt I Nr 2.1.3 S 1 der Allgemeinen Bestimmungen des EBM-Ä in der vom 1.4.2005 bis 31.12.2007 geltenden Normfassung war eine Leistung nicht berechnungsfähig, "wenn sie Teilleistung einer anderen berechnungsfähigen Leistung oder eines Leistungskomplexes ist." Zu dieser Formulierung gibt es keine Rechtsprechung des Senats.
bb) Die Leistungsinhalte der GOP 33076 EBM-Ä gehen jedenfalls vollständig in den Leistungsinhalten der GOP 33072 EBM-Ä auf, soweit die letztgenannte Untersuchung an Venen der Extremitäten durchgeführt wird. Jede "Vene einer Extremität" im Sinne der GOP 33076 EBM-Ä ist ein "extremitätenentsorgendes Gefäß" im Sinne der GOP 33072 EBM-Ä. Jede Darstellung der Echoimpulse im "B-Mode-Verfahren" im Sinne der GOP 33076 EBM-Ä erfüllt dann, wenn in derselben Sitzung noch ein weiteres Ultraschallverfahren (zB Doppler-Verfahren) angewandt wird, die Anforderung an eine sonographische Untersuchung mittels Duplex-Verfahren im Sinne der GOP 33072 EBM-Ä. Nach dem Wortlaut "Duplex-Verfahren" in der GOP 33072 EBM-Ä (duplex = doppelt) ist davon auszugehen, dass die Leistungslegende die gleichzeitige Durchführung zweier (beliebiger) sonographischer Verfahren erfordert.
Dementsprechend wird technisch unter dem Begriff der Duplexsonografie im Allgemeinen die gleichzeitige Durchführung zweier Verfahren (B-Mode und M-Mode, B-Mode und Farbkodierung, M-Mode und Farbkodierung usw) verstanden und im Besonderen das Ultraschallverfahren, bei dem mit einem Schallkopf sowohl ein B-Bild zur Erfassung der Weichteilstrukturen als auch ein Dopplerspektrum zur Erfassung von Blutströmen gewonnen werden kann (Kubale/Stiegler, Farbkodierte Duplexsonographie, 2002, S 511). Beschrieben wird das Duplexverfahren auch als Kombination von Impulsechoverfahren (B-Bild) und Dopplerverfahren zur gleichzeitigen Untersuchung der Weichteilstrukturen und des Blutstroms (vgl Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 267. Auflage 2017, Stichwort: "Duplexsonographie"; Kopp/Ludwig, Checkliste Doppler- und Duplexsonographie, 5. Aufl 2016, S 27; Amann-Vesti/Thalhammer, Kursbuch Doppler- und Duplexsonografie, 4. Aufl 2015, S 63).
Liegt damit bereits aus technischen Gründen nahe, dass die Duplexsonographie stets auch die Durchführung des B-Mode-Verfahrens umfasst, ist dies jedenfalls deshalb der Fall, weil es normativ vorgegeben ist. Nach der Vereinbarung der Bundesmantelvertragspartner gemäß § 135 Abs 2 S 1 SGB V zur Ultraschalldiagnostik (Ultraschall-V, Anlage III. Anforderungen an die apparative Ausstattung) ist Voraussetzung für die Ausführung und Abrechnung der GOP 33072 EBM-Ä, dass das hierzu verwendete Ultraschallsystem im Arbeitsmodus mindestens Echoimpulse im B-Mode-Verfahren darstellen und gleichzeitig die Flussgeschwindigkeit und Flussrichtung messen können muss. Das B-Mode-Verfahren gehört damit notwendig zum Leistungsinhalt der GOP 33072 EBM-Ä. Unerheblich ist, dass eine nach GOP 33076 EBM-Ä abrechenbare sonographische Leistung an mindestens acht Beschallungsstellen durchgeführt werden muss, während die GOP 33072 EBM-Ä keine Mindestzahl an Beschallungsstellen fordert. Eine mit dem obligaten Leistungsinhalt erbrachte Sonographie nach der GOP 33076 EBM-Ä geht jedenfalls in der in derselben Sitzung zur Untersuchung der Venen erbrachten und höher bewerteten GOP 33072 EBM-Ä auf.
cc) Bestätigt wird dieses Ergebnis durch die in Nummer 2.1.3 Abs 3 S 3 der Allgemeinen Bestimmungen zum EBM-Ä zum Ausdruck kommende Wertung. Erfüllen erbrachte ärztliche Leistungen danach die Voraussetzungen sowohl zur Berechnung von Einzelleistungen als auch von Komplexen, so ist statt der Einzelleistung der zutreffendere Komplex zu berechnen. Die GOP 33072 EBM-Ä umfasst, wie der Begriff "Duplex-Verfahren" zeigt, mehrere Verfahren. Hierzu gehört nach der Vereinbarung zu § 135 Abs 2 SGB V im vertragsärztlichen Bereich stets das B-Mode-Verfahren. Wird dieses Verfahren in Kombination mit anderen Verfahren angewandt, ist nach der Intention der Allgemeinen Bestimmungen nur die weitergehende Leistung abrechenbar. Das entspricht auch der deutlich höheren Bewertung der GOP 33072 EBM-Ä mit 735 Punkten gegenüber der Bewertung der GOP 33076 EBM-Ä mit 245 Punkten.
dd) Dass die GOP 13300 EBM-Ä (Zusatzpauschale Angiologie) die GOP 33072 EBM-Ä als einen von fünf alternativen obligaten Leistungstatbeständen und die GOP 33076 EBM-Ä als einen von acht alternativen fakultativen Leistungstatbeständen nennt, erlaubt keine Rückschlüsse darauf, ob der Leistungsinhalt der GOP 33076 EBM-Ä (vollständig oder teilweise) Bestandteil der GOP 33072 EBM-Ä ist. Die Leistungslegende fordert nicht, dass neben einem bestimmten obligaten Leistungsinhalt (GOP 33072 EBM-Ä) ein weiterer fakultativer Leistungsinhalt (GOP 33076 EBM-Ä) erbracht und abgerechnet wird. Es verbleibt auch ein Regelungsgehalt für die gesonderte Aufführung der GOP 33076 EBM-Ä als fakultativer Leistungsinhalt. Sie kann neben anderen möglichen obligaten Leistungsinhalten und in bestimmten Konstellationen, in denen nicht die Venen betroffen sind, auch neben der GOP 33072 EBM-Ä abgerechnet werden (s unten Buchst c). Der Abrechnungsausschluss betrifft außerdem nur die Leistungserbringung "je Sitzung", während die Zusatzpauschale nur einmal im Behandlungsfall abrechenbar ist.
Ebensowenig aussagekräftig ist der Umstand, dass die GOP 31630 bis 31637 EBM-Ä (postoperative Behandlungen) "im Zeitraum von 21 Tagen nach Erbringung einer Leistung des Abschnitts 31.2 EBM-Ä (ambulante Operationen) nicht neben den GOP … 33072 und 33076 berechnungsfähig" sind. Der Abrechnungsausschluss erfasst eine ganze Reihe von Gebührenordnungspositionen, neben denen die GOP 33076 EBM-Ä auch isoliert abgerechnet werden kann. Die Verbindung der GOP 33072 und 33076 EBM-Ä durch die Konjunktion "und" bedeutet nicht, dass diese Leistungen stets nebeneinander stehen, sondern erklärt sich daraus, dass sie die letzten beiden Gebührenordnungspositionen am Ende einer Aufzählung sind.
ee) Die vor den streitbefangenen Quartalen über einen längeren Zeitraum hinweg praktizierte abweichende Honorierung der Leistungen durch die Beklagte ist nicht geeignet, zugunsten des Klägers einen Vertrauensschutz zu begründen. Es würde sonst die vierjährige Ausschlussfrist, innerhalb der die KÄV fehlerhafte Abrechnungen berichtigen kann, leer laufen (vgl BSG SozR 4-2500 § 106a Nr 12 RdNr 28; BSGE 114, 170 = SozR 4-2500 § 106a Nr 11 RdNr 22 ff). Eine Bindung der Beklagten an die abweichende Honorierungspraxis anderer KÄVen kommt nicht in Betracht.
c) Der Abrechnungsausschluss bezieht sich indes nur auf die Untersuchung der Venen in einer Sitzung. Nicht ausgeschlossen ist die Abrechnung beider GOP nebeneinander in den Fällen, in denen mittels B-Mode-Verfahren ausschließlich die Venen und mittels Duplex-Verfahren ausschließlich Arterien der Extremitäten untersucht werden. Eine solche besondere Konstellation muss indes vom Arzt im Einzelfall dargelegt werden. Das LSG wird daher dem Kläger Gelegenheit zu geben haben, solche Behandlungen in den von der Beklagten abgesetzten Fällen anhand seiner Dokumentation nachzuweisen. Nur in dem Umfang, in dem ihm ein solcher Nachweis gelingt, kann seine Klage letztlich Erfolg haben. Das LSG wird insofern noch die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben.
3. Das LSG wird in seinem Urteil auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen
NZS 2019, 118 |
SGb 2018, 486 |