Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an die Revisionsbegründung. Inhalt der Rechtsmittelbelehrung. Verschulden des beim BSG zugelassenen Prozeßbevollmächtigten
Orientierungssatz
1. Die Revision ist nicht begründet, wenn sich der Revisionsführer nicht mit der Entscheidung der Vorinstanz auseinandersetzt und darlegt, aus welchen Gründen und welchen Erwägungen die Vorentscheidung angegriffen wird und ihre Aussagen für unrichtig angesehen werden (vgl BSG 1981-12-16 11 RA 86/80 = SozR 1500 § 164 Nr 20).
2. Einen solchen Hinweis auf die Darlegungspflicht des Revisionsführers braucht in der Belehrung über das Rechtsmittel der Revision nicht ausdrücklich enthalten zu sein, denn sie braucht nicht über sämtliche von den Beteiligten zu wahrenden Förmlichkeiten des Revisionsverfahrens Aufschluß zu geben. Sie muß nur so abgefaßt sein, daß die Beteiligten ohne Zuhilfenahme des Gesetzestextes in der Lage sind, die "ersten Schritte" zur Durchführung der Revision zu unternehmen (vgl BSG 1958-07-31 3 RJ 71/56 = SozR Nr 23 zu § 66 SGG).
3. Von einem nach § 166 Abs 2 beim BSG zugelassenen Prozeßbevollmächtigten kann erwartet werden, daß er, sobald er mit der Revision befaßt ist, das Anliegen des Revisionsklägers auch ohne Belehrung über alle Einzelheiten des Revisionsverfahrens sachgemäß vertritt (vgl BSG 1955-09-23 3 RJ 26/55 = BSGE 1, 227, 229). Das Verschulden des Prozeßbevollmächtigten muß sich der Kläger zurechnen lassen. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 67 Abs 1 SGG kann nicht gewährt werden.
Normenkette
SGG § 164 Abs 2 S 3 Fassung: 1974-07-30, § 66 Abs 2 Fassung: 1953-09-03, § 67 Abs 1 Fassung: 1953-09-03
Verfahrensgang
Tatbestand
Streitig ist, ob die Beklagte zu Recht das dem Kläger gewährte Kindergeld entzogen hat.
Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er reiste im Februar 1979 in den Geltungsbereich des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) ein und beantragte hier im März 1979 Asyl. Dieser Antrag wurde durch Bescheid vom 23. Januar 1980 abgelehnt, der noch nicht bindend ist. Nachdem der Aufenthalt des Klägers in der Bundesrepublik Deutschland zunächst unter Aussetzung der Abschiebung geduldet worden war, wurde ihm im September 1981 eine befristete Aufenthaltserlaubnis für den Stadt- und Landkreis H mit der Maßgabe erteilt, daß sie mit der Bestandskraft des Asylablehnungsbescheides und der Ausreiseaufforderung erlischt.
Als im Oktober 1979 auch die Ehefrau mit fünf minderjährigen Kindern des Klägers in die Bundesrepublik Deutschland gekommen war, beantragte er im November 1979 Kindergeld. Die Beklagte zahlte es ihm rückwirkend und bis Juni 1980. Mit Ablauf des Monats Juni 1980 entzog sie es mit der Begründung, vor der rechtskräftigen Feststellung des Asylrechts habe der Kläger nur einen vorübergehenden, aber keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des BKGG (Bescheid vom 15. August 1980).
Während das Widerspruchsverfahren erfolglos war (Widerspruchsbescheid vom 5. September 1980), hob das Sozialgericht (SG) Heilbronn die Bescheide auf (Urteil vom 26. November 1980). Auf die Berufung der Beklagten hob das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg das Urteil des SG auf und wies die Klage ab (Urteil vom 16. Oktober 1981).
Gegen dieses Urteil hat der Kläger Revision eingelegt. Innerhalb der Revisionsbegründungsfrist hat er einen Schriftsatz eingereicht, der neben einem Prozeßkostenhilfeantrag und der Bitte, eine Kopie des Sitzungsprotokolls des Berufungsgerichts zuzuleiten, lediglich die Revisionsanträge und den Satz enthält: "Es wird die Verletzung folgender Rechtsnormen gerügt: § 1 Nr 1 BKGG, § 22 BKGG, § 30 Abs 3 SGB, Art 3 Abs 1 GG, Art 20 Abs 1 GG (Sozialstaatsprinzip), Art 6 Abs 1 GG, § 34 Abs 1 Satz 1 SGB".
Auf den Hinweis des Senats, daß innerhalb der Revisionsbegründungsfrist eine ordnungsgemäße Revisionsbegründung nicht eingegangen sei, hat er die Revision ua näher damit begründet, durch - allerdings noch nicht rechtskräftiges - Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 10. Dezember 1981 sei er inzwischen als Asylberechtigter anerkannt worden. Wegen einer etwaigen Versäumnis der Revisionsbegründungsfrist beantragt er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Er selbst habe sich auf seinen Prozeßbevollmächtigten verlassen, der die Revision habe einlegen und begründen sollen, und dieser habe auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der erteilten Rechtsmittelbelehrung vertraut. Ein etwaiges Verschulden des Prozeßbevollmächtigten brauche er selbst sich nicht anrechnen zu lassen. Er sei in rechtlichen Dingen unerfahren und der deutschen Sprache kaum mächtig.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom
16. Oktober 1981 aufzuheben und die Berufung der Beklagten
gegen das Urteil des SG Heilbronn vom 26. November 1980
zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist als unzulässig zu verwerfen, denn sie ist nicht ordnungsgemäß begründet worden.
Nach § 164 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist die Revision innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen (Satz 1); die Begründung muß einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben (Satz 3). Der innerhalb der Zweimonatsfrist eingegangene Schriftsatz enthält zwar einen bestimmten Revisionsantrag und die Bezeichnung der verletzten Rechtsnormen, nicht jedoch eine Begründung. Wie sich bereits aus dem Begriff "Begründung" ergibt, muß sich der Revisionsführer mit der Entscheidung der Vorinstanz auseinandersetzen und darlegen, aus welchen Gründen und welchen Erwägungen die Vorentscheidung angegriffen wird und ihre Aussagen für unrichtig angesehen werden (BSG SozR 1500 § 164 Nrn 5 und 12; zuletzt BSG Urteil vom 16. Dezember 1981 - 11 RA 86/80 -; BSG Urteil vom 17. Dezember 1981 - 10 RKg 3/81 -). Diese Auslegung des § 164 Abs 2 Satz 3 SGG durch das Bundessozialgericht (BSG) steht im Einklang mit der Rechtsprechung der anderen obersten Gerichtshöfe des Bundes zu den jeweiligen Vorschriften über die Begründung der Revision, die insoweit den gleichen Wortlaut haben wie § 164 Abs 2 SGG (zu § 554 Abs 3 Nr 1, Nr 3 Zivilprozeßordnung -ZPO- vgl Bundesgerichtshof -BGH- LM ZPO § 554 Nr 22; BGH VersR 1976, 1063; Bundesarbeitsgericht -BAG- AP Nr 17 zu § 611 Bürgerliches Gesetzbuch -BGB- Akkordlohn; zu § 139 Abs 3 Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO- vgl Bundesverwaltungsgericht -BVerwG- DÖV 1964, 564; BVerwG DÖV 1978, 814; zu § 120 Abs 2 Satz 2 Finanzgerichtsordnung -FGO- vgl Bundesfinanzhof -BFH- DStR 77, 287 = BStBl Teil II 1977, 217).
Eine den Anforderungen des § 164 Abs 2 Satz 3 SGG genügende Revisionsbegründungsschrift ist verspätet, nämlich erst nach Ablauf der Frist von zwei Monaten nach Zustellung des Berufungsurteils, beim BSG eingegangen. Diese Zweimonatsfrist des § 164 Abs 2 Satz 1 SGG ist hier maßgebend. Auf die Jahresfrist des § 66 Abs 2 SGG kann sich der Kläger nicht erfolgreich berufen. Sie greift nur dann ein, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsstelle oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist nicht schriftlich belehrt worden ist oder die Belehrung unrichtig erteilt ist. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, denn die Rechtsmittelbelehrung in dem Berufungsurteil ist weder unvollständig noch unrichtig.
Zur Pflicht, die Revision zu begründen, enthält sie den vollständigen Wortlaut des § 162 SGG und im wesentlichen den des § 164 Abs 2 Satz 1, Satz 3 SGG. Der Hinweis auf § 164 Abs 2 Satz 3 SGG ist erforderlich (BSGE 6, 105, 106); im Zusammenhang hiermit und mit den übrigen Angaben zur Begründung der Revision ist die Rechtsmittelbelehrung weder unvollständig noch mißdeutig. Daraus kann nicht geschlossen werden, daß bei sachlich-rechtlichen Revisionsangriffen bereits die Angabe der verletzten Rechtsnorm und eines bestimmten Antrages eine ordnungsgemäße Revisionsbegründung darstellt, denn schon nach der Bedeutung des Wortes "Begründung" muß der Revisionsführer darlegen, warum er das angefochtene Urteil für falsch hält. Ein solcher Hinweis braucht in der Belehrung über das Rechtsmittel der Revision nicht ausdrücklich enthalten zu sein, denn sie braucht nicht über sämtliche von den Beteiligten zu wahrenden Förmlichkeiten des Revisionsverfahrens Aufschluß zu geben (BSG SozR Nr 23 zu § 66 SGG). Sie muß nur so abgefaßt sein, daß die Beteiligten ohne Zuhilfenahme des Gesetzestextes in der Lage sind, die "ersten Schritte" zur Durchführung der Revision zu unternehmen (BSG, aaO). Diesem Erfordernis wird die Rechtsmittelbelehrung in dem angefochtenen Urteil gerecht. Darin sind ua nähere Angaben darüber enthalten, wie die Revision einzulegen und daß sie innerhalb einer bestimmten Frist zu begründen ist. Da die Revisionsbegründung ohnehin nur von einem nach § 166 Abs 2 SGG bei dem BSG zugelassenen Prozeßbevollmächtigten einzureichen ist, der die Verantwortung für ihren Inhalt übernimmt, kann von ihm erwartet werden, daß er, sobald er mit der Revision befaßt ist, das Anliegen des Revisionsklägers auch ohne Belehrung über alle Einzelheiten des Revisionsverfahrens sachgemäß vertritt (BSGE 1, 227, 229).
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 67 Abs 1 SGG kann dem Kläger nicht gewährt werden. Er war nicht ohne Verschulden verhindert, die Revisionsbegründungsfrist einzuhalten. Da von einem beim BSG zugelassenen Prozeßbevollmächtigten zu verlangen ist, daß er die Förmlichkeiten der Revisionsbegründung kennt, liegt in seiner Person ein Verschulden vor. Dies muß der Kläger sich anrechnen lassen (Meyer-Ladewig, SGG, 2. Aufl 1981, Anm 3 zu § 67 mN). Die gegenteilige Meinung des Verwaltungsgerichts Stuttgart in dem Aussetzungs- und Vorlagebeschluß vom 4. Juni 1981 (NJW 82, S 541) betrifft Besonderheiten von Verwaltungsgerichtsprozessen mit nichtvermögensrechtlichen Streitgegenständen, zB in Verfahren um die Anerkennung des Asylrechts. Hier jedoch handelt es sich um einen vermögensrechtlichen Anspruch, nämlich Zahlung von Kindergeld, wobei es unerheblich ist, daß der Kläger Asylbewerber ist.
Da sich somit die Revision als unzulässig erweist, ist der Antrag des Klägers, ihm Prozeßkostenhilfe zu bewilligen, mangels Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung abzulehnen (§ 73a Abs 1 SGG iVm § 114 ZPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen