Beteiligte
Landesamt für Soziales und Versorgung - Landesversorgungsamt - |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Brandenburg vom 22. Mai 1997 aufgehoben. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 7. Mai 1996 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungs- und Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob das beklagte Land dem Kläger Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) zahlen muß.
Auf Antrag vom 14. März 1991 gewährte der Beklagte dem Kläger unter dem 23. September 1991 mit einem Vorschußbescheid „gemäß §42 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB I)” für die Zeit ab 1. Januar bzw 1. Juli 1991 Versorgungsbezüge nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 vH. Mit Bescheiden des zuständigen Versorgungsamtes vom 16. Dezember 1991 und 10. Juni 1992 wurden die Versorgungsbezüge des Klägers „nach §48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X)” für die Zeit ab 1. Januar 1992 bzw 1. Juli 1992 in der Höhe der geltenden Bestimmungen angepaßt. Einen ausdrücklichen Hinweis darauf, daß diese Zahlungen weiterhin vorschußweise geleistet werden sollten, enthalten beide Bescheide nicht.
Mit Bescheid vom 26. Oktober 1992 lehnte der Beklagte den Antrag auf Versorgung ab, weil nach den vorhandenen Unterlagen eine Schädigungsfolge aus der Kriegsgefangenschaft nicht nachweisbar sei. Im übrigen teilte er dem Kläger mit Schreiben vom selben Tage mit, die bisher geleistete Vorschußzahlung werde zum Dezember 1992 eingestellt, eine Rückforderung dieser Bezüge erfolge nicht. Den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 26. Oktober 1992 wies der Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 13. September 1993). Am 4. Oktober 1993 stellte der Kläger gemäß §44 SGB X erneut einen Versorgungsantrag. Mit Bescheid vom 9. März 1994 erkannte der Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 26. Oktober 1992 idF des Widerspruchsbescheides vom 13. September 1993 im Wege der Neufeststellung nunmehr als Schädigungsfolgen iS des §1 BVG an „Narbe am Kopf, Narbe und eingeheilter Metallsplitter im rechten Oberarm”, lehnte es aber ab, dem Kläger eine Grundrente zu gewähren, weil die MdE nicht wenigstens 25 vH betrage. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 26. Juni 1995).
Das Sozialgericht (SG) hat die hiergegen gerichtete Klage nach weiterer medizinischer Sachaufklärung abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat vom Chefarzt der Orthopädischen Klinik des C -T -Klinikums C, Dr. T, ein Sachverständigengutachten eingeholt, auf das daraufhin eingeschränkte Klagebegehren das Urteil des SG Cottbus vom 7. Mai 1996 sowie die angefochtenen Bescheide geändert und das beklagte Land verurteilt, dem Kläger unter Anrechnung bereits gewährter Leistungen für die Zeit vom 1. Januar 1992 bis zum 30. Juni 1992 Versorgungsbezüge in Höhe von 108,00 DM monatlich und für die Zeit ab 1. Juli 1992 Versorgungsbezüge in Höhe von 122,00 DM monatlich zu zahlen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Aufgrund der Bescheide, mit denen die „monatlich zustehenden Versorgungsbezüge” nach dem KOV-Anpassungsgesetz vom 21. Juni 1991 sowie der 1. KOV-Anpassungsverordnung vom 17. Juni 1992 anpaßt worden seien, müßten die Versorgungsbezüge weitergezahlt werden. Der Kläger habe nach dem objektiven Erklärungswert dieser Bescheide davon ausgehen können, daß die im Vorschußbescheid zugrunde gelegte Anspruchshöhe nunmehr außer Frage gestanden habe und weitere Ermittlungen nur noch dazu dienten, festzustellen, ob sein Anspruch auf Grundrente nicht noch höher ausfallen würde.
Mit der – vom Senat zugelassenen – Revision rügt der Beklagte eine Verletzung der §§42 SGB I und 48 SGB X und macht geltend: Mit Inkrafttreten des BVG in den neuen Bundesländern am 1. Januar 1991 habe die Versorgungsverwaltung eine Vielzahl von Vorbehalts- bzw Vorschußbescheiden erlassen. Da die notwendige Sachverhaltsaufklärung – wie hier – nicht immer innerhalb eines halben Jahres habe abgeschlossen werden können, seien ohne Aufhebung des Vorschußbescheides die Zahlungen angepaßt worden. Damit habe man aber keine Entscheidung über den Versorgungsantrag selbst getroffen, so daß der Leistungsbezieher nicht Vertrauensschutz bzgl der bis zur endgültigen Entscheidung gezahlten vorläufigen Leistungen beanspruchen könne, auch wenn die Anpassungsbescheide selbst keinen Hinweis auf den Vorschußcharakter der Zahlungen enthalten hätten.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Brandenburg vom 22. Mai 1997 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 7. Mai 1996 zurückzuweisen.
Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht von einem zugelassenen Prozeßbevollmächtigten vertreten.
II
Die Revision des Beklagten hat Erfolg.
Der Kläger verlangt – nach der im Berufungsverfahren erfolgten Klageänderung (§99 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) – nur noch die Weiterzahlung des ihm bis einschließlich November 1992 gewährten Vorschusses in Höhe des letzten Anpassungsbescheides vom 10. Juni 1992 als Dauerrente (§123 SGG). Hierfür gibt es keine Rechtsgrundlage. Rentenzahlungen aufgrund des BVG kommen nicht in Betracht. §§30 Abs 1, 31 Abs 1 und 2 BVG setzen beim Antragsteller eine MdE von wenigstens 25 vH (= 30 vH) voraus. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt. Auch der Bescheid vom 23. September 1991 (Vorschußbescheid) in Verbindung mit den Anpassungsbescheiden vom 16. Dezember 1991 und 10. Juni 1992 begründet weder nach seinem Inhalt noch nach seiner Rechtsnatur die Verpflichtung des Beklagten, dem Kläger den bisher geleisteten Betrag über den 30. November 1992 hinaus auf Dauer zu gewähren.
1. Nach §42 Abs 1 Satz 1 SGB I kann der zuständige Leistungsträger Vorschüsse zahlen, deren Höhe er nach pflichtgemäßem Ermessen bestimmt, wenn ein Anspruch auf Geldleistungen dem Grunde nach besteht und zur Feststellung seiner Höhe voraussichtlich eine längere Zeit erforderlich ist. Solche Vorschüsse sind zu zahlen, wenn der Berechtigte es beantragt (§42 Abs 1 Satz 2 SGB I). Hiermit wird dem Sozialleistungsträger die Möglichkeit eingeräumt, in einem laufenden Verwaltungsverfahren bis zur endgültigen Feststellung einer Sozialleistung (vgl §20 SGB X) eine vorläufige Regelung zu treffen. Dafür reicht aus, daß der Antragsteller nach der Überzeugung des Sozialleistungsträgers einen Anspruch auf Geldleistungen hat.
Der Vorschuß ist eine eigenständige vorläufige Leistung und nicht etwa ein Teil der beanspruchten Leistung. Die spätere endgültige Entscheidung wird durch den Vorschußbescheid inhaltlich nicht präjudiziert (vgl BSGE 55, 287, 290 f = SozR 1200 §42 Nr 2; SozR 3-1200 §42 Nr 2; SozR 3-4100 §112 Nr 28 mwN). Der Vorschußbescheid verliert seine Wirkung mit dem endgültigen Bescheid (BSGE 67, 104, 110 = SozR 3-1300 §32 Nr 2; BSG SozR 1200 §42 Nr 4; SozR 3-4100 §112 Nr 28). Er entfaltet nur für einen begrenzten Zeitraum Bindungswirkungen, und zwar höchstens bis zum Abschluß des Verwaltungsverfahrens. Deshalb können derartige Regelungen bei dem Bescheidempfänger schutzwürdiges Vertrauen grundsätzlich nur bis zum Erlaß des abschließenden Verwaltungsaktes begründen (BSGE 67, 104, 110 = SozR 3-1300 §32 Nr 2 mwN).
Ist die Versorgungsverwaltung davon überzeugt, daß die MdE des Antragstellers wenigstens 30 vH beträgt, führt der Erlaß eines Vorschußbescheides in der Regel nicht dazu, daß gleichzeitig ein MdE-Grad mit Bindungswirkung für den endgültigen Bescheid fingiert oder festgesetzt wird. Etwas anderes gilt nur, wenn im Verfügungssatz des Vorschußbescheides bereits bindend über den Grad der MdE entschieden worden ist oder sich die Festsetzung des MdE-Grades aus dem Verfügungssatz in Verbindung mit der Begründung des Bescheides ergibt. Das entspricht der im Unfallversicherungsrecht herrschenden Auffassung (vgl BSGE 55, 287 = SozR 1200 §42 Nr 2 und SozR 3-1200 §42 Nr 2). Es bestehen keine Bedenken, die dort entwickelten Grundsätze auch im Versorgungsrecht anzuwenden. Vor der Bewilligung einer Versorgungsrente muß nämlich zunächst sorgfältig ermittelt werden, ob die geltend gemachten Gesundheitsstörungen mit Wahrscheinlichkeit auf eine schädigende Einwirkung iS des BVG zurückgeführt werden können und, wenn dies der Fall ist, ob die auf den schädigenden Einwirkungen beruhende MdE einen rentenberechtigenden Grad von wenigstens 25 vH (= 30 vH) erreicht. Deshalb wäre die Einschätzung des Grades der MdE in diesem Stadium des Verwaltungsverfahrens für den Beklagten mit einem erheblichen Risiko behaftet, wenn die Entscheidung insoweit bereits Bindungswirkung entfaltete. Das ist aber nicht der Fall. Nach §22 Abs 4 Satz 4 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) ist die Versorgungsverwaltung nicht an den vorläufigen Bescheid gebunden. Die Vorschrift schließt aber nicht aus, daß die Versorgungsverwaltung statt eines Vorbehaltsbescheides einen Vorschußbescheid nach §42 SGB I erläßt. Denn der Gesetzgeber hat bei Einführung des §42 Abs 1 SGB I im Jahre 1976 §22 Abs 4 KOVVfG nicht aufgehoben und auch nicht den Erlaß von Vorschußbescheiden im Versorgungsrecht ausgeschlossen.
Ob die Versorgungsverwaltung aufgrund eines Vorschußbescheides ausnahmsweise auf Dauer an die Gewährung von Leistungen gebunden ist, hängt vom Inhalt des Bescheides ab. Maßstab für seine – auch dem Revisionsgericht obliegende – Auslegung (vgl nur BSGE 67, 104 = SozR 3-1300 §32 Nr 2) ist der sog „Empfängerhorizont” eines verständigen Beteiligten, der die Zusammenhänge berücksichtigt, die die Behörde nach ihrem wirklichen Willen (§133 Bürgerliches Gesetzbuch) erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat. Unklarheiten gehen zu Lasten der Verwaltung. Soll ein Verwaltungsakt nur einstweilig wirken (§39 Abs 1 Satz 2 SGB X), muß der Adressat Inhalt und Umfang der Vorläufigkeit hinreichend erkennen können (vgl zB BSGE 67, 104 = SozR 3-1300 §32 Nr 2).
Legt man den Bescheid des Beklagten vom 23. September 1991 nach diesen Grundsätzen aus, so ergibt sich: Die Versorgungsverwaltung wollte dem Kläger ab 1. Januar 1991 nur einen Vorschuß gewähren. Hierauf ist der Inhalt des Bescheides beschränkt. Ein direkter Hinweis, daß der vorläufigen Leistungsbewilligung die Festsetzung eines bestimmten MdE-Grades zugrunde liegt, ist weder im Verfügungssatz noch in der Begründung des Bescheides enthalten. Lediglich aus der Höhe der Leistung läßt sich mittelbar erkennen, von welchem MdE-Grad die Verwaltung ausgegangen ist. Darin kann aber keine bindende, über die Dauer der Vorschußzahlung hinausgehende Festsetzung des MdE-Grades gesehen werden. Daß die Entscheidung nicht endgültig erfolgt ist und erfolgen sollte, gelangt im Bescheid auch durch den Hinweis zum Ausdruck, daß bei der endgültigen Entscheidung Vorschüsse gemäß §42 Abs 2 SGB I auf die noch festzustellende Leistung anzurechnen seien und daß die Versorgungsverwaltung erst nach Abschluß der Sachaufklärung und Feststellung der zustehenden Leistungen einen abschließenden Bescheid erteilen werde. Der Kläger mußte nach dem Inhalt des Bescheides davon ausgehen, daß trotz der Bewilligung der Leistungen die Frage, ob seine Schädigungsfolgen wenigstens eine MdE von 25 vH bedingten, noch offen war und die Rechtsfolgen des Vorschußbescheides mit der endgültigen Entscheidung wegfielen (§39 Abs 2 SGB X).
Auf Vertrauensschutz könnte sich der Kläger aber auch nicht berufen, wenn der Beklagte ihm vorläufig Leistungen nach §22 Abs 4 KOVVfG gewährt oder sie als sog Vorwegzahlungen (s dazu BSGE 67, 104 = SozR 3-1300 §32 Nr 2; SozR 3-1300 §31 Nr 10) ausgekehrt hätte. Denn auch in diesem Falle würde die Bindungswirkung eines entsprechenden Bescheides nicht über die Dauer der Gewährung der vorläufigen Leistung hinaus reichen. Deshalb kommt auch eine Umdeutung des Vorschußbescheides in einem Vorbehaltsbescheid nicht in Betracht (vgl dazu §43 SGB X).
Der Vorschußbescheid hat seine Wirkung mit Ablauf des Monats November 1992 verloren. Dies folgt aus dem Bescheid des Beklagten vom 26. Oktober 1992 idF des Widerspruchsbescheides vom 13. September 1993 iVm der „Mitteilung” über die Zahlungseinstellung des Vorschusses zum Dezember 1992. Hierbei handelte es sich um einen Verwaltungsakt iS des §31 SGB X. Denn mit dieser Mitteilung wird unter ausdrücklicher Bezugnahme auf den Bescheid vom selben Tag, dem 26. Oktober 1992, eine ergänzende Entscheidung getroffen, daß der Vorschuß mit Ablauf des Monats November 1992 ausläuft und dann keine Zahlungen mehr geleistet werden. Zwar hat der Beklagte den Bescheid vom 26. Oktober 1992 idF des Widerspruchsbescheides vom 13. September 1993 „aufgehoben”, dieser Umstand ist jedoch unschädlich, denn inhaltlich ist er durch den Bescheid vom 9. März 1994 idF des Widerspruchsbescheides vom 26. Juni 1995 als endgültige Entscheidung des Beklagten über den geltend gemachten Versorgungsanspruch des Klägers ersetzt worden.
2. Der Anspruch auf Vorschußzahlungen ist auf die Zeit bis zum 30. November 1992 beschränkt gewesen. Daran hat der Erlaß der Anpassungsbescheide vom 16. Dezember 1991 bzw 10. Juni 1992 nichts geändert. Entgegen der Auffassung des LSG haben solche Bescheide in der Regel auch keine anspruchsverlängernde oder anspruchsbegründende Wirkung (vgl allgemein: BSGE 79, 92 = SozR 3-1300 §45 Nr 30 sowie Senatsurteil vom 26. Oktober 1989 - 9 RV 14/88 in SozSich 1990, 231). Hierfür spricht insbesondere der Inhalt der im vorliegenden Fall ergangenen Anpassungsbescheide. Der Bescheid vom 16. Dezember 1991 setzt die durch das KOV-Anpassungsgesetz vom 21. Juni 1991 (BGBl I, 1310), der Bescheid vom 10. Juni 1992 die durch die 1. KOV-Anpassungsverordnung vom 17. Juni 1992 (BGBl I, 1078) vorgenommenen Änderungen bzgl der Höhe der Versorgungsleistungen um (vgl dazu §48 SGB X). Der Beklagte war nicht gehindert, auch Vorschußleistungen auf Grundrenten entsprechend §56 Abs 1 BVG nach pflichtgemäßen Ermessen anzupassen. Über die damit verbundene prozentuale Erhöhung des gezahlten Vorschusses geht der Regelungsgehalt der gegenüber dem Kläger erlassenen Formularbescheide nicht hinaus. Im Verfügungssatz dieser beiden Anpassungsbescheide wird nur zum Ausdruck gebracht, daß die individuellen, durch einen Vorschußbescheid gewährten Bezüge aufgrund der inzwischen ergangenen Anpassungsvorschriften heraufgesetzt werden. Eine darüber hinausgehende individuelle Berechnung, die zur Annahme weitergehender Rechtsfolgen der Anpassungsbescheide hätte führen können (zu anders gelagerten Fällen vgl Senatsurteil vom 10. August 1983 - 9a RV 33/82 - HV-Info 1984 Nr 5, 73-76 sowie BSG SozR 3-1300 §50 Nr 17), war damit nicht verbunden.
Nach alledem mußte die Revision des Beklagten Erfolg haben.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 543069 |
SGb 1999, 516 |
br 1999, 180 |
SozSi 2000, 34 |