Leitsatz (amtlich)

Bei der Ermittlung des fiktiven Durchschnittseinkommens zur Berechnung des Berufsschadensausgleichs kann die abgelegte Meisterprüfung nicht dem erfolgreichen Besuch einer Mittelschule oder einer gleichwertigen Schulbildung gleichgestellt werden.

 

Leitsatz (redaktionell)

Mit DV § 30 Abs 3 und 4 BVG § 5 Abs 1 idF vom 1961-07-30 hat die Bundesregierung das Vergleichseinkommen im Einklang mit der ihr erteilten Ermächtigung in einer Weise bestimmt, die grundsätzlich als ausreichend zu betrachten ist. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts zu prüfen, ob diese Regelung die "gerechteste" Lösung darstellt. Auch bei einer Rechtsverordnung sind die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit nicht zu einer Änderung der Rechtsnorm befugt.

 

Orientierungssatz

Zur Frage, ob die Meisterprüfung noch Berufsausbildung oder eine berufliche Weiterbildung darstellt.

 

Normenkette

BVG § 30 Abs. 3 u 4 DV § 5 Fassung: 1961-07-30

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 30. März 1967 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

Der 1913 geborene Kläger, der Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 100 v. H. sowie Pflegezulage bezieht, beantragte im November 1960 die Gewährung eines Berufsschadensausgleichs nach § 30 Abs. 3 und 4 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) idF des Ersten Neuordnungsgesetzes (1. NOG) vom 27. Juni 1960 (BGBl I 453 - aF -). Mit Bescheid des Versorgungsamts (VersorgA) vom 5. September 1963 wurde gemäß § 5 Abs. 1 der Verordnung zur Durchführung des § 30 Abs. 3 und 4 BVG vom 30. Juli 1961 (BGBl I 1115 - DVO aF -) für die Zeit vom 1. Juni 1960 bis 31. März 1963 "endgültig" und für die Zeit ab 1. April 1963 "vorläufig" ein Berufsschadensausgleich unter Zugrundelegung des Endgrundgehalts der Besoldungsgruppe A 6 des Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG) gewährt. Dabei ging das VersorgA davon aus, daß der Kläger, der nach seiner Verwundung (Februar 1942) im März 1943 die Meisterprüfung für das Fleischerhandwerk abgelegt hatte, ohne die Verwundung als Fleischermeister selbständig beruflich tätig wäre. Der Widerspruch blieb erfolglos. Während des Klageverfahrens wurde der Berufsschadensausgleich mit Bescheid vom 3. März 1965 für die Zeit vom 1. April 1963 bis 31. Dezember 1963 in gleicher Weise wie schon vorher endgültig festgestellt. Mit weiterem Bescheid vom 5. März 1965 wurde ab 1. Januar 1964 nach dem Zweiten Neuordnungsgesetz vom 21. Februar 1964 (BGBl I 85 - nF -) sowie der DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG vom 30. Juli 1964 (BGBl I 574 - DVO nF -) der Berufsschadensausgleich unter Zugrundelegung der Besoldungsgruppe A 9 BBesG festgestellt. Der Kläger hat im Klageverfahren u. a. geltend gemacht, er habe mit seiner Ehefrau einen Großschlachtereibetrieb mit einem Jahresumsatz von fast 500.000 RM geleitet, weshalb für ihn gemäß § 6 DVO aF und nF die Besoldungsgruppe A 14 BBesG zugrunde gelegt werden müsse. Das Sozialgericht (SG) hat den Beklagten mit Urteil vom 6. Juli 1965 verurteilt, dem Kläger nach § 6 DVO einen höheren Berufsschadensausgleich zu gewähren. Im Berufungsverfahren hat der Kläger als Berufungsbeklagter erklärt, er beschränke seinen Anspruch auf höheren Berufsschadensausgleich auf die Zeit vom 1. Juni 1960 bis 31. Dezember 1966, weil für die Zeit ab 1. Januar 1967 noch keine Rechtsverordnung zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG idF des 3. NOG ergangen sei. Mit Urteil vom 30. März 1967 hat das Landessozialgericht (LSG) den Beklagten unter Abänderung des SG-Urteils und der diesem zugrunde liegenden Verwaltungsbescheide verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 1. Juni 1960 bis 31. Dezember 1963 Berufsschadensausgleich unter Zugrundelegung der Besoldungsgruppe A 9 zu gewähren. Im übrigen hat es die Klage ab- und die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Das LSG hat u. a. ausgeführt, die Berufung sei trotz der Beschränkung des Anspruchs auf die Zeit bis zum 31. Dezember 1966 zulässig geblieben. In den Rechtsstreit seien gemäß § 96 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auch die Bescheide vom 3. und 5. März 1965 einbezogen. Der Kläger sei von 1935 bis August 1939 als Erstgeselle tätig gewesen und habe monatlich 240 RM netto zuzüglich freier Kost und Wohnung verdient; es sei davon auszugehen, daß er sich ohne die Schädigung nach dem Kriege selbständig gemacht und einen Fleischereibetrieb geleitet hätte. Die Einstufung in die Besoldungsgruppe A 6 werde den durch die Ausbildung gekennzeichneten beruflichen Fähigkeiten des Klägers nicht in vollem Umfang gerecht. Wie das Bundessozialgericht (BSG) im Urteil vom 22. Juni 1966 - 8 RV 251/64 - (BVBl 1967, 6) zu Recht ausgeführt habe, sei die Meisterprüfung dem erfolgreichen Besuch einer Mittelschule oder gleichwertigen Schulbildung ohne abgeschlossene Berufsausbildung gleichzusetzen, so daß in diesem Falle - wie nach der für die Zeit ab 1. Januar 1964 anzuwendenden Vorschrift des § 5 Abs. 1 DVO nF - die Heranziehung der Besoldungsgruppe A 9 gerechtfertigt sei. Daran ändere nichts, daß der Kläger im Gegensatz zu dem vom BSG am 22. Juni 1966 entschiedenen Fall vor der Schädigung noch keine Meisterprüfung abgelegt habe. Bei der Einstufung in eine der in den §§ 3 bis 5 DVO aF vorgesehenen Wirtschafts-, Leistungs- oder Besoldungsgruppen komme es nicht allein auf den tatsächlichen Stand der Berufsausbildung vor der Schädigung an, vielmehr sei der Beschädigte so zu stellen, als ob er keine Schädigung erlitten habe (§ 2 Satz 3 DVO aF). Der Kläger sei daher so zu behandeln, als ob er die nach der Schädigung im März 1943 abgelegte Meisterprüfung schon vor der Schädigung bestanden habe. Daher sei für die Zeit vom 1. Juni 1960 bis 31. Dezember 1963 bei der Ermittlung des Einkommensverlustes das Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe A 9 BBesG zuzüglich des Ortszuschlages nach der Ortsklasse A und - bis zum 30. November 1961 - eines Kinderzuschlages zugrunde zu legen. Eine weitere Erhöhung nach § 6 DVO sei nicht möglich, da allenfalls von einem früheren Verdienst von 240 RM netto, der einem Bruttoeinkommen - einschließlich Kost und Wohnung - "von höchstens 450 RM" entspreche, ausgegangen werden könne. Dieser Betrag erreiche das Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe A 4 c 2 des Reichsbesoldungsgesetzes vom 16. Dezember 1927, die der Gruppe A 9 BBesG entspreche, auf keinen Fall. § 6 DVO könne in den Fällen nicht angewandt werden, in denen ein höheres Durchschnittseinkommen, als es sich nach den §§ 3 bis 5 DVO ergebe, zwar nicht nachgewiesen sei, jedoch ohne die Schädigung von dem Beschädigten mit Rücksicht auf seine Lebensverhältnisse, Kenntnisse und Fähigkeiten sowie den bisher betätigten Arbeits- und Ausbildungswillen in späterer Zeit wahrscheinlich erzielt worden wäre. Hiernach sei die Berechnung des Berufsschadensausgleichs für die Zeit vom 1. Januar 1964 bis 31. Dezember 1966 (nach Besoldungsgruppe A 9) nicht zu beanstanden.

Mit der zugelassenen Revision trägt der Beklagte vor, das BSG habe im Urteil vom 22. Juni 1966 nicht abschließend über die Einstufung nach § 5 DVO entschieden, es habe der Vorinstanz nur zu erwägen gegeben, ob die Meisterprüfung dem erfolgreichen Besuch einer Mittelschule usw. gleichzusetzen sei. Diese Ausführungen stellten Erwägungen dar, die den Urteilstenor selbst nicht trügen. Nach dem klaren Wortlaut des § 5 DVO aF komme es neben der abgeschlossenen oder nicht abgeschlossenen Berufsausbildung entscheidend auf die Schulbildung an. Die Ausdehnung auf die abgelegte Meisterprüfung sei durch das 2. NOG erfolgt. Der Gesetzgeber habe bewußt Abgrenzungen vorgenommen, so daß Gleichstellungen im Sinne der Vorstellungen des BSG nicht möglich erschienen. Die Rechtslage gleiche der des § 30 Abs. 2 BVG. Das 3. NOG habe die in Absatz 2 früher aufgezählten Anwendungsfälle a) bis c) als nicht abschließend bezeichnet, indem das Wort "besonders" eingefügt worden sei. Wollte man sich der Ansicht des BSG im Urteil vom 22. Juni 1966 anschließen, so würde § 30 Abs. 2 BVG auch schon vor dem 3. NOG in diesem weiteren Sinne anzuwenden sein, da die Überlegungen des BSG auch insoweit Bedeutung gewinnen müßten. Wenn der Gesetzgeber sich besonders aufgrund der Erfahrungen der Praxis entschließe, eine gesetzliche Bestimmung zu erweitern, d. h. eine günstigere, den Verhältnissen besser entsprechende Lösung vor zunehmen, so könne eine rückwirkende Anwendung nicht in Betracht kommen, anderenfalls müßten sämtliche Neuregelungen ohne weiteres schon zu früherer Zeit Platz greifen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG Niedersachsen insoweit aufzuheben, als er verurteilt worden ist, dem Kläger vom 1. Juni 1960 bis 31. Dezember 1963 Berufsschadensausgleich nach der Besoldungsgruppe A 9 des BBesG zu gewähren, und auch insoweit die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Dem Urteil des BSG vom 22. Juni 1966 sei, obwohl es nicht abschließend über die Einstufung nach § 5 DVO entschieden habe, eine besondere Bedeutung einzuräumen. Aus Sinn und Zweck der DVO ergäben sich keine Gründe dafür, daß der Verordnungsgeber eine Modifizierung bestimmter Einzelfälle im Rahmen des Anwendungsbereichs des § 5 generell habe ausschließen wollen. Insofern handele es sich auch nicht um die Einführung eines weiteren Personenkreises, sondern um die wertende Gegenüberstellung Selbständiger mit unterschiedlichen Ausbildungsgängen. Es wäre falsch, unverständlich und jedem Erfahrungssatz zuwiderlaufend, einen selbständig Tätigen mit Volksschulbildung und abgeschlossener Berufsausbildung und abgelegter Meisterprüfung gegenüber dem selbständig Tätigen mit dem Zeugnis der mittleren Reife oder einer gleichwertigen Schulausbildung ohne abgeschlossene Berufsausbildung in so gravierender Weise benachteiligen zu wollen. Der Handwerksmeister stehe in der sozialen Wertung als Selbständiger in seinen beruflichen Chancen einem Selbständigen mit abgeschlossener Mittelschulbildung ohne abgeschlossene Berufsausbildung zumindest gleichrangig gegenüber. Es werde völlig übersehen, daß der Handwerksmeister in bezug auf die berufliche Situation Selbständiger jedem anderen Berufsgang überwertig sei (abgesehen von Ausnahmebewilligungen nach § 8), weil nach § 6 des Gesetzes zur Ordnung des Handwerks die Handwerkskammer ein Verzeichnis über die selbständigen Handwerker ihres Bezirks (Handwerksrolle) zu führen habe und in diese Handwerksrolle nur eingetragen werden könne, wer in dem von ihm zu betreibenden Handwerk oder in einem verwandten Handwerk die Meisterprüfung bestanden habe. Lehrlinge dürften nach § 22 des Gesetzes in einem Handwerk nur von solchen Personen ausgebildet werden, die das 24. Lebensjahr vollendet und die Meisterprüfung in dem betreffenden Handwerk abgelegt hätten oder zur Ausbildung berechtigt seien. Schließlich dürfe nach Ablauf eines Jahres seit dem Tode des selbständigen Handwerkers der Betrieb nur fortgeführt werden, wenn er von einem Handwerker geleitet werde, der den Voraussetzungen des § 7 genüge. Damit aber könne in § 5 DVO nF, der auch Fälle der abgelegten Meisterprüfung anführe, nur eine notwendige Klarstellung des § 5 DVO aF gesehen werden, die nicht ausschließe, daß auch bereits im Geltungsbereich der DVO aF diese Personengruppen in jener Form mit zu berücksichtigen gewesen seien, wie dies im LSG-Urteil geschehen sei. Ein anderes Verfahren sei willkürlich, weil es sich abseits jeder vernünftigen Betrachtungsweise bewegen würde. Das Vergleichsendgrundgehalt A 9 (selbständig Tätige mit mindestens dem Zeugnis über den erfolgreichen Besuch einer Mittelschule oder gleichwertiger Schulbildung ohne abgeschlossene Berufsausbildung) könnte, wenn man der Revision insoweit folgen wollte, nur Handelsvertreter oder ähnliche selbständig Berufstätige erfassen. Dies könne unmöglich in der Absicht des Bundesgesetzgebers gelegen haben. Damit fehle jeder vernünftige Anhaltspunkt dafür, daß der Gesetzgeber die von der Revision angedeuteten Abgrenzungen bewußt vorgenommen habe. Sonach habe die Bundesregierung unter Verletzung des Gebots der Gleichheit vor dem Gesetz die zu regelnden Tatbestände einer nicht sachgemäßen Differenzierung unterzogen und damit den ihr eingeräumten Ermessensspielraum - objektiv - willkürlich verletzt, wobei unter "objektiver Willkür" die tatsächliche und eindeutige Unangemessenheit einer bestimmten Regelung in bezug auf den zu ordnenden Gesetzgebungsgegenstand, d. h. das Fehlen einer ausreichenden Orientierung an der Idee der Gerechtigkeit, zu verstehen sei.

Die durch Zulassung statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und daher zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164, 166 SGG). Sie ist auch sachlich im Sinne einer Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG begründet.

Da lediglich der Beklagte Revision eingelegt hat, ist nur noch über den Anspruch auf Berufsschadensausgleich für die Zeit vom 1. Juni 1960 bis 31. Dezember 1963 zu entscheiden und dabei davon auszugehen, daß der Kläger, der unstreitig ohne die Schädigung als Fleischermeister selbständig beruflich tätig wäre, die Zugrundelegung einer höheren Besoldungsgruppe als A 9 BBesG nicht mehr begehrt.

Zutreffend beanstandet die Revision, daß das LSG bei der Ermittlung des wahrscheinlichen Einkommensverlustes des Klägers die Besoldungsgruppe A 9 anstatt A 6 BBesG zugrunde gelegt hat. Dabei bestehen gegen die Zulässigkeit der Berufung (vgl. BSG in SozR Nr. 6 und 8 zu § 146 SGG) und die Einbeziehung der späteren Verwaltungsakte in das Verfahren gemäß § 96 SGG keine Bedenken. Nach der hier anzuwendenden Vorschrift des § 5 Abs. 1 der Verordnung zur Durchführung des § 30 Abs. 3 und 4 BVG vom 30. Juli 1961 (BGBl I 1115 - DVO aF -) ist als Durchschnittseinkommen bei selbständig Tätigen mit Volksschulbildung ohne abgeschlossene Berufsausbildung das Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe A 3 und mit abgeschlossener Berufsausbildung das der Besoldungsgruppe A 6 des BBesG zugrunde zu legen. Ein höheres Durchschnittseinkommen ist nur für die selbständig Tätigen vorgesehen, die mindestens das Zeugnis über den erfolgreichen Besuch einer Mittelschule besitzen bzw. eine gleichwertige Schulbildung (A 9 bzw. 10) oder eine abgeschlossene Hochschulbildung (A 14) aufzuweisen haben. Im vorliegenden Fall besitzt der Kläger unstreitig weder ein Zeugnis über den erfolgreichen Besuch einer Mittelschule noch hat er eine gleichwertige Schulbildung. Sonach ist bei Ermittlung des für den Kläger in Betracht kommenden Durchschnittseinkommens, da er selbständig Tätiger mit Volksschulbildung und abgeschlossener Berufsausbildung ist, das Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe A 6 zugrunde zu legen. Denn unter "abgeschlossener Berufsausbildung" im Sinne des § 5 DVO aF ist sowohl der Abschluß der Gesellen- als auch der der Meisterprüfung zu verstehen. Beide Prüfungen dienen der Berufsausbildung; sie stehen dabei insoweit in einem engen ausbildungsmäßigen Zusammenhang, als die Gesellenprüfung nach § 49 Abs. 1 der Handwerksordnung idF vom 28. Dezember 1965 (BGBl 1966, I 1) Voraussetzung der Zulassung zur Meisterprüfung ist. Fraglich könnte nur sein, ob die Meisterprüfung noch Berufsausbildung oder eine berufliche Weiterbildung darstellt (vgl. van Nuis/Vorberg, Das Recht der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen, IV. Teil 1961, 4 Erg. 4.1966, S. 39, die eine berufliche Weiterbildung annehmen). Wie der erkennende Senat zur Frage der Berufsausbildung im Sinne des § 45 Abs. 4 Buchst. a BVG idF des 1. NOG im Urteil vom 22. Juni 1967 (SozR Nr. 11 zu § 45 BVG) bereits entschieden hat, handelt es sich bei der Vorbereitung auf die Meisterprüfung um eine Berufsausbildung im Sinne dieser Vorschrift und nicht um eine Fortbildung in dem bereits erlernten Beruf (vgl. aaO Ca 11). In gleichem Sinne hat auch der 12. Senat des BSG zu § 1267 Satz 2 RVO entschieden (vgl. SozR Nr. 27 zu § 1267 RVO). Auch Wilke (Komm. z. BVG, 2. Aufl. Anm. V zu § 33 b BVG, S. 264) erblickt in der Vorbereitung der Gesellen auf die Meisterprüfung eine "Berufsausbildung". Gleiches muß auch für den in § 5 DVO aF verwendeten Begriff der "Berufsausbildung" gelten, zumal hier auf eine "Fortbildung" im erlernten Beruf in keiner Weise abgestellt wird. Zwar hätte es im Ermessen der Bundesregierung gelegen, nach Gesellen- und Meisterprüfung zu unterscheiden, wie dies in der späteren Verordnung zur Durchführung des § 30 Abs. 3 und 4 BVG vom 30. Juli 1964 (BGBl I 574 - DVO nF -) geschehen ist; hier ist in § 5 DVO nF bestimmt, daß als Durchschnittseinkommen bei selbständig Tätigen mit Volksschulbildung und abgeschlossener Berufsausbildung (d. h. Gesellenprüfung) die Besoldungsgruppe A 7 und bei abgelegter Meisterprüfung die Besoldungsgruppe A 9 zugrunde zu legen ist. Wenn nun aber der Verordnungsgeber in der hier maßgebenden früheren DVO vom 30. Juli 1961 diese Unterschiede noch nicht getroffen (und auch niedrigere Besoldungsgruppen vorgesehen) hat, so berechtigt dieser Umstand allein die Gerichte nicht, die spätere Regelung, die gemäß § 15 DVO nF erst mit Wirkung vom 1. Januar 1964 in Kraft getreten ist, auch schon vor diesem Zeitpunkt, d. h. ab 1. Juni 1960, eintreten zu lassen. Denn die ab 1. Januar 1964 eingetretene Besserstellung steht im Einklang mit der Tatsache, daß durch das 2. NOG eine "wirksame Verbesserung der Kriegsopferversorgung" erreicht werden sollte und erreicht worden ist (vgl. Bericht über die 107. Sitzung des Deutschen Bundestages, 4. Wahlperiode, Seite 4986 C und Urteil des erkennenden Senats vom 23. April 1968 - 9 RV 700/67 -); deshalb kann auch nicht angenommen werden, daß die spätere Regelung nur eine Klarstellung des früher nur unvollkommen zum Ausdruck gekommenen Willens des Verordnungsgebers gebracht habe. Dem Gesetzgeber kann auch nicht unterstellt werden, er habe im Zweifel eine Besserstellung der Versorgungsberechtigten für die Zeit vor dem Inkrafttreten der Neuregelung gewollt; eine solche Annahme wäre willkürlich und nach den allgemeinen Grundsätzen über die Auslegung von Normen nicht gerechtfertigt.

Auch die vom LSG für die Einstufung in die Besoldungsgruppe A 9 gegebene Begründung, daß die Einstufung in die Besoldungsgruppe A 6 den durch die Ausbildung gekennzeichneten beruflichen Fähigkeiten des Klägers "nicht in vollem Umfange gerecht" werde, rechtfertigt es nicht, der Ermittlung des Durchschnittseinkommens statt der in der DVO bestimmten Besoldungsgruppe A 6 die Besoldungsgruppe A 9 zugrunde zu legen. Soweit damit gegebenenfalls zum Ausdruck gebracht werden sollte, daß dem LSG die in der DVO für den vorliegenden Fall getroffene Regelung als unsozial oder ungerecht erscheint, ist zu bemerken, daß das Gericht nicht befugt ist, seine Prüfung auch daraufhin zu erstrecken, ob der Gesetzgeber die unter Berücksichtigung aller Interessen zweckmäßigste Regelung getroffen hat. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, die vom Gesetz gewollte Lösung daraufhin zu überprüfen, ob sie vom Standpunkt eines Beteiligten aus die "gerechteste" denkbare Lösung darstellt (vgl. BVerfG Bd. 2 S. 280; 2, 135; 4, 18 ff). Auch bei einer Rechtsverordnung sind die Gerichte nicht zu einer Änderung der Norm befugt (vgl. BSG 23, 175 und BVerfG Bd. 16 S. 306, 329; vgl. ferner Urteil des erkennenden Senats vom 17. Oktober 1967 - 9 RV 182/67 -). Im übrigen hat der erkennende Senat in einer Reihe von Urteilen bereits entschieden (vgl. Urteile vom 25. Juli 1967 - 9 RV 892/65 - und vom 17. Oktober 1967 - 9 RV 914/65 - in SozR Nr. 1 und 3 zu § 6 DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG vom 30. Juli 1964; ferner Urteile vom 17. Oktober 1967 - 9 RV 182/67 und 9 RV 112/67 -), daß beim Berufsschadensausgleich der Gesichtspunkt einer individuellen Entschädigung zugunsten eines generalisierten oder pauschalierten Schadensausgleichs zurücktreten muß, da auch nach der Entstehungsgeschichte der Vorschriften über den Berufsschadensausgleich für den "fiktiv" zu errechnenden Einkommensverlust ein durchschnittlicher Berufserfolg maßgebend sein soll, und daß, wenn entsprechend der in § 30 Abs. 5 BVG erteilten Ermächtigung das für die Ermittlung des Einkommensverlustes maßgebliche Durchschnittseinkommen der Berufsgruppe in der DVO bestimmt worden ist, auch ein Mehrverdienst, der wahrscheinlich erzielt werden konnte, außer Betracht zu bleiben hat. Die auf der Ermittlung eines Durchschnittseinkommens für eine Berufsgruppe beruhende Einstufung ist die Folge eines gesetzlich zugelassenen Prinzips, das notwendigerweise Begünstigungen oder auch eine weniger vorteilhafte Einstufung für einzelne Berechtigte mit sich bringt. Dem Gesetzgeber steht es jedoch frei, im Interesse der Durchführbarkeit einer systematischen Regelung eine Generalisierung vorzunehmen. Die der Bundesregierung erteilte Ermächtigung ist hinsichtlich der Höhe der zu berücksichtigenden Durchschnittsverdienste nicht irgendwie nach oben oder unten eingeschränkt. Wie es in der Amtlichen Begründung zum Entwurf des 1. NOG - Deutscher Bundestag, 3. Wahlperiode, BT-Drucks. 1239 zu § 30 S. 25 - heißt, ... war die Ermächtigung zum Erlaß einer Verordnung deshalb notwendig, weil es einer allgemein verbindlichen Regelung bedurfte, wie verfahren werden sollte, wenn sich ein Durchschnittseinkommen der in Betracht kommenden Berufsgruppe nicht ermitteln läßt oder nicht zum Vergleich herangezogen werden kann. Die Bundesregierung konnte danach dieses Einkommen angesichts des Umstandes, daß das zu ermittelnde Vergleichseinkommen überhaupt nur eine theoretische Annahme darstellt, deren Richtigkeit sich im Einzelfall gar nicht feststellen läßt, nach dem regelmäßigen Ablauf der Dinge im Leben festsetzen, d. h. die Höhe des fiktiven Durchschnittseinkommens nach der Art der Schul- und Berufsausbildung nach unterschiedlichen Besoldungs-, Vergütungs- und Leistungsgruppen bestimmen. Dabei durfte sie entsprechend dem Sinn und Zweck des in § 30 Abs. 3 bis 5 BVG geregelten - begrenzten - Berufsschadensausgleichs das fiktive Durchschnittseinkommen auch nach oben begrenzen. Mit dieser Regelung hat die Bundesregierung jedenfalls für alle diejenigen, deren voraussichtliches Einkommen theoretisch ermittelt werden muß, das Vergleichseinkommen im Einklang mit der ihr erteilten Ermächtigung in einer Weise bestimmt, die grundsätzlich als ausreichend zu erachten ist.

Der Auffassung des LSG, die Meisterprüfung sei dem erfolgreichen Besuch einer Mittelschule oder einer gleichwertigen Schulbildung ohne abgeschlossene Berufsausbildung gleichzusetzen, kann nicht zugestimmt werden. Soweit sich das LSG dabei auf das Urteil des BSG vom 22. Juni 1966 - 8 RV 251/64 - (BVBl 1967, 6) stützt, ist zu bemerken, daß der 8. Senat des BSG in diesem Urteil nur entschieden hat, daß der in § 6 DVO geforderte Nachweis von der Verwaltungsbehörde (von Amts wegen) zu erbringen ist. Die am Schluß der Entscheidung enthaltenen Ausführungen des BSG, daß die Meisterprüfung "hier" dem erfolgreichen Besuch einer Mittelschule oder gleichwertigen Schulbildung ohne abgeschlossene Berufsausbildung gleichzusetzen sein "dürfte", was die Heranziehung der Besoldungsgruppe A 9 rechtfertigen "würde", stellen nur Empfehlungen für "im weiteren Verfahren" anzustellende Erwägungen dar; sie tragen daher die Entscheidung des 8. Senats nicht und nötigen deshalb den erkennenden Senat auch nicht, wegen der von ihm vertretenen anderen Auffassung gemäß § 42 SGG den Großen Senat anzurufen. Der 8. Senat hat diese seine Auffassung offensichtlich deshalb, weil sie die Entscheidung nicht tragen soll, auch nicht näher begründet, sondern im wesentlichen nur darauf hingewiesen, daß eine Heranziehung der Besoldungsgruppe A 9 bei selbständig Tätigen mit Volksschulbildung und abgelegter Meisterprüfung ebenso wie bei den selbständig Tätigen mit Mittelschulbildung ohne abgeschlossene Berufsausbildung in der Neufassung der DVO vom 30. Juli 1964 ausdrücklich ausgesprochen worden sei. Diese Verordnung ist jedoch, wie bereits erwähnt, erst mit Wirkung vom 1. Januar 1964 in Kraft getreten (§ 15 DVO nF), somit zu einem für den hier strittigen Anspruch nicht mehr in Betracht kommenden Zeitpunkt.

Auch der Hinweis des Revisionsbeklagten auf die soziale, gegenüber anderen Berufen höherwertige Bedeutung eines selbständigen Handwerksmeisters vermag zu keinem anderen Ergebnis zu führen. Zwar trifft es zu, daß der Handwerksmeister, wie der erkennende Senat im oben schon zitierten Urteil vom 22. Juni 1967 (SozR Nr. 11 zu § 45 BVG) eingehend dargelegt hat, eine vom Gesellen wesentlich abgehobene Berufsstellung einnimmt. Dieser Umstand rechtfertigt es jedoch nicht, die Meisterprüfung dem erfolgreichen Besuch einer Mittelschule als einer gleichwertigen "Schulbildung" gleichzusetzen. Die Ausbildung zum Handwerksmeister ist grundsätzlich überhaupt keine Schul-, sondern eine Berufsausbildung , und zwar auch dann, wenn hierzu eine Fachschule besucht wird. Dies ist bereits im Urteil des erkennenden Senats vom 22. Juni 1967 zum Ausdruck gekommen, wo die Ausbildung des Gesellen zur Meisterprüfung - auch beim Besuch einer Fachlehranstalt zur Vorbereitung auf die Meisterprüfung - als "Berufsausbildung" beurteilt worden ist. Zwar könnte der Besuch einer Fachschule begrifflich im weiteren Sinne sowohl als Schul- als auch als Berufsausbildung angesehen werden (vgl. hierzu auch Lauterbach, Unfallversicherung, 3. Aufl. Bd. I § 583 RVO Anm. 17). Werden jedoch beide Begriffe, wie dies in § 5 DVO geschehen ist, einander gegenübergestellt mit der Wirkung, daß sich unterschiedliche Rechtsfolgen daraus ergeben, je nachdem ob eine bestimmte Schulbildung und außerdem eine abgeschlossene Berufsausbildung vorgelegen haben oder nicht, so muß zwischen Schul- und Berufsausbildung unterschieden werden, damit die Tatbestände den Anforderungen der gesetzlichen Regelung zugeordnet werden können. Hiernach kann - wegen des geforderten doppelten Unterscheidungsmerkmals von Schulbildung und Berufsausbildung - die Vorbereitung zur Meisterprüfung grundsätzlich nicht als eine Mittelschulbildung oder gleichwertige " Schul "-bildung im Sinne der DVO angesehen werden; anderenfalls müßte konsequenterweise jeder Handwerksmeister mit Volksschulbildung ab 1. Juni 1960 nicht in die Besoldungsgruppe A 9, sondern A 10 und ab 1. Januar 1964 sogar in die Besoldungsgruppe A 11 eingestuft werden, weil er mit seiner Meisterprüfung dem erfolgreichen Besucher einer Mittelschule gleichstünde und außerdem über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügt. Eine solche vom Verordnungsgeber sicher nicht bezweckte Folgerung ziehen auch das LSG und der Kläger selbst nicht. - Ob etwas anderes dann zu gelten hat, wenn der erfolgreiche Besuch eines Technikums, das als höhere Lehranstalt gilt, zur Führung des Meister- oder Baumeistertitels berechtigt oder wenn es sich um eine besonders geartete Ausbildung, etwa zum Amt eines Bezirksschornsteinfegermeisters, oder um den Besuch einer weiterbildenden Schule nach Abschluß der Meisterprüfung oder ähnliche Sonderfälle handelt (vgl. z. B. Rundschreiben des BMA vom 19. Juli 1965 in BVBl 1965 S. 91 Nr. 56), konnte hier unerörtert bleiben.

Nach alledem hat das LSG für die in Frage stehende Zeit bei der Ermittlung des Durchschnittseinkommens für den Kläger unter Verletzung des § 5 DVO die Besoldungsgruppe A 9 anstatt A 6 zugrunde gelegt. Das LSG-Urteil war daher aufzuheben. Der Senat konnte in der Sache nicht selbst entscheiden, da nun zunächst noch zu prüfen ist, ob sich bei Anwendung des § 6 DVO ein höheres Durchschnittseinkommen des Klägers ergibt. Das LSG hat zur Frage der Anwendung von § 6 DVO - insoweit in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. BSG in SozR Nr. 1 und 3 zu § 6 DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG vom 30. Juli 1964) - entschieden, daß der Beschädigte in dem vor Eintritt der Schädigung oder des besonderen beruflichen Betroffenseins ausgeübten Beruf aufgrund der darin erreichten Stellung nachweislich einen überdurchschnittlichen (höheren) Verdienst erzielt haben müsse; zutreffend hat es auch ausgeführt, daß das Vorliegen dieser Voraussetzung von den Gerichten in vollem Umfang nachgeprüft werden kann. Das LSG hat jedoch nicht festgestellt, ob sich bei Anwendung des § 6 DVO ein höheres Durchschnittseinkommen als ein solches nach Besoldungsgruppe A 6 ergibt, sondern lediglich ausgeführt, daß das "höchstens" anzunehmende Bruttoeinkommen von 450 RM (vor Einberufung zum Wehrdienst) den Betrag des Endgrundgehalts der Besoldungsgruppe A 4 c 2 des Reichsbesoldungsgesetzes vom 16. Dezember 1927, das dem der Besoldungsgruppe A 9 BBesG entspreche, auf keinen Fall erreicht habe. Das LSG wird daher nunmehr zu prüfen haben, welches tatsächlich erzielte Bruttoeinkommen als nachgewiesen anzusehen und ob es wesentlich höher als das Endgrundgehalt ist, das ein Reichsbeamter in der der Besoldungsgruppe A 6 BBesG entsprechenden Besoldungsgruppe erhalten haben würde. Zu diesem Zweck war der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Das LSG wird bei seiner erneuten Prüfung auch auf die Einwendungen des Beklagten im Schriftsatz vom 4. Juni 1965 einzugehen haben, wonach der Kläger bis zu seiner Einberufung nicht bei der Firma K, die einen Umsatz von ca. 500.000 RM erzielt haben will, sondern bei Fleischermeister P B als Erstgeselle tätig gewesen sein soll. In der Mitteilung des F K vom 30. Januar 1964 heißt es auch nur, daß der Kläger und seine Ehefrau nach der Lehrzeit "noch viele Jahre als Gehilfen tätig gewesen" seien.

Die Kostenentscheidung bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2226414

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