Leitsatz (amtlich)

Seelsorge ist jedenfalls dann keine gemeinnützige Tätigkeit iS des AVG § 2 Abs 1 Nr 7 (= RVO § 1227 Abs 1 Nr 5), wenn sie, Wie bei Missionaren, unmittelbar nur Personen im Ausland zugute kommt.

 

Normenkette

AVG § 2 Abs. 1 Nr. 7 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1227 Abs. 1 Nr. 5 Fassung: 1960-09-08

 

Tenor

Die Revision der Beigeladenen zu 1) gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 19. Dezember 1967 wird zurückgewiesen.

Die Beigeladene zu 1) hat dem Kläger (Dominikanerkloster St. J in H) die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten. Im übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob der beigeladene Ordensgeistliche (Beigeladener zu 2), der jetzt als Missionar in Bolivien tätig ist, während seiner Ausbildung zu dieser Tätigkeit der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung der Angestellten unterlag.

Der Beigeladene wurde in der Zeit vom 1. Oktober 1963 bis 2. April 1966 an kirchlichen Hochschulen in Spanien und Deutschland zum Missionar ausgebildet. Er gehörte während dieser Zeit dem Dominikanerkloster St. J in H an. Im Dezember 1965 forderte die beklagte Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) von dem Kloster für die Zeit vom 1. Oktober 1963 bis 30. November 1965 Beiträge zur Angestelltenversicherung in Höhe von insgesamt 592,20 DM, weil der Beigeladene nach § 2 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. a des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) versicherungspflichtig sei.

Nach erfolglosem Widerspruch hat das Kloster Klage erhoben: § 2 Abs. 1 Nr. 7 AVG mache studierende Ordensmitglieder im Gegensatz zu sonstigen Studenten rentenversicherungspflichtig; dieses Sonderrecht verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 des Grundgesetzes - GG -). Im übrigen sei die Ausbildung zum Seelsorger keine Ausbildung zu einer gemeinnützigen Tätigkeit im Sinne der genannten Vorschrift.

Die Vorinstanzen haben die Klage für begründet gehalten (Urteile des Sozialgerichts - SG - vom 14. Juni und des Landessozialgerichts - LSG - vom 19. Dezember 1967). Nach Ansicht des LSG sind gemeinnützige Tätigkeiten im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 7 AVG nur solche, die der Krankenpflege und dem Unterricht ähnlich sind: Tätigkeiten dieser Art seien solche im Bereich der allgemeinen sozialen Betreuung, die unmittelbar dem körperlichen, geistigen oder sittlichen Wohl hilfsbedürftiger Personen dienten. Bei reiner Seelsorge und Verbreitung des Glaubens stehe aber die Fürsorge auf religiösem Gebiet im Vordergrund.

Gegen diese Rechtsauffassung wendet sich die beigeladene Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) mit der zugelassenen Revision: Der unbestimmte Rechtsbegriff der "anderen gemeinnützigen Tätigkeiten" (§ 2 Abs. 1 Nr. 7 AVG) sei nicht von den Begriffen Krankenpflege und Unterricht her auszulegen; denn das Gesetz spreche von anderen, nicht von ähnlichen gemeinnützigen Tätigkeiten. Das Schwergewicht müsse auf die vom Gesetz geforderten "überwiegend religiösen oder sittlichen Beweggründe" gelegt werden. Damit werde ausnahmsweise dem Tätigkeitsmotiv eine tatbestandsmäßige Wirkung zugesprochen. Wo dieses Motiv gegeben sei, seien die inneren Voraussetzungen der Gemeinnützigkeit erfüllt. Soweit das Gesetz mit "Krankenpflege, Unterricht oder anderen gemeinnützigen Tätigkeiten" noch äußere Voraussetzungen fordere, verlange es nur, daß sich der Beweggrund in Tätigkeiten ausleben müsse, die - einerlei, in welcher Form - nach außen wirkten, also nicht ordensintern blieben. Wie die Gleichsetzung der religiösen mit den sittlichen Motiven beweise, habe die Seelsorge - als ethisch-sittliches Bemühen um den Menschen und damit um die Allgemeinheit - nicht aus dem Kreis der gemeinnützigen Tätigkeiten ausgeschlossen werden sollen. Um so weniger könne dies von der Tätigkeit des Missionars angenommen werden, der durch seine Ausbildung befähigt werde, seinen Mitmenschen im Ausland seelsorgerisch und in den Dingen des täglichen Lebens beizustehen.

Die beigeladene BfA beantragt,

das angefochtene Urteil sowie das Urteil des SG Hamburg vom 14. Juni 1967 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die beklagte AOK, die der Revisionsbegründung zustimmt, stellt den gleichen Antrag.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) einverstanden.

II

Die Revision der beigeladenen BfA ist unbegründet. Wie die Vorinstanzen im Ergebnis zutreffend entschieden haben, braucht das klagende Kloster für den - in der streitigen Zeit zum Missionar ausgebildeten - Beigeladenen zu 2) keine Beiträge zur Angestelltenversicherung zu entrichten.

Nach § 2 Abs. 1 Nr. 7 AVG sind versicherungspflichtig in der Angestelltenversicherung

Mitglieder geistlicher Genossenschaften, Diakonissen, Schwestern vom Deutschen Roten Kreuz und Angehörige ähnlicher Gemeinschaften, die sich aus überwiegend religiösen oder sittlichen Beweggründen mit Krankenpflege, Unterricht oder anderen gemeinnützigen Tätigkeiten beschäftigen, nur

a)

während der Zeit ihrer Ausbildung zu einer solchen Tätigkeit,

b)

wenn sie persönlich nach der Ausbildung neben dem freien Unterhalt Barbezüge von mehr als einem Zehntel der für Monatsbezüge geltenden Beitragsbemessungsgrenze monatlich erhalten.

Die in diesen Fällen zu entrichtenden Beiträge hat diejenige Gemeinschaft zu tragen, der der Versicherte angehört (§ 112 Abs. 4 Buchst. c AVG).

Der beigeladene Ordensgeistliche war während der streitigen Zeit Mitglied eines Klosters, mithin einer geistlichen Genossenschaft. Als angehender Missionar wurde er jedoch nicht zu einer "gemeinnützigen" Tätigkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 7 AVG ausgebildet. Was unter einer solchen Tätigkeit zu verstehen ist, erläutert das Gesetz - abgesehen von den beispielhaft genannten Tätigkeiten der Krankenpflege und des Unterrichts - weder in § 2 Abs. 1 Nr. 7 noch in § 9 Abs. 5 AVG, der die Nachversicherung im Falle des Ausscheidens aus der Gemeinschaft regelt. Auch § 172 Abs. 1 Nr. 6 RVO, der u.a. Mitglieder geistlicher Genossenschaften während der Beschäftigung mit gemeinnützigen Tätigkeiten unter bestimmten weiteren Voraussetzungen für krankenversicherungsfrei erklärt und den angeführten Vorschriften der Rentenversicherung offenbar als Vorbild gedient hat, konkretisiert den Begriff der gemeinnützigen Tätigkeiten nicht näher. Das ehemalige Reichsversicherungsamt (RVA) hat zu ihnen eine Beschäftigung in der Heilsarmee gerechnet, weil sie darauf gerichtet sei, Wohltätigkeit zu üben sowie Not, Krankheit und sittliche Verwahrlosung zu bekämpfen (GE Nr. 5323, AN 1939, IV 446; vgl. aber auch EuM Bd. 41, 349). Das Bundessozialgericht (BSG) hat in einem Streitfall, der die Nachversicherung eines früheren Ordensangehörigen betraf, den Begriff der gemeinnützigen Tätigkeit auf Tätigkeiten im sozialen mitmenschlichen Bereich beschränkt, die unmittelbar der Befriedigung von Bedürfnissen der Allgemeinheit dienen, also nicht "ordensintern" bleiben (BSG 31, 139).

Diese Auslegung entspricht weitgehend der - von der Revision angegriffenen - Auffassung des LSG, das als gemeinnützig nur Tätigkeiten angesehen hat, die der Krankenpflege und dem Unterricht ähnlich sind (vgl. ferner Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. bis 7. Aufl., S. 322 g, 619; Jantz/Zweng, Das neue Recht der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, 2. Aufl., § 1227 RVO Anm. II C). Folgt man dieser Auffassung, könnte es in der Tat fraglich sein, ob die Seelsorge, zu der ihrem Wesen nach auch eine Tätigkeit als Missionar gehört, gemeinnützig im Sinne der genannten Vorschriften ist, da sie sich ihrer Zielsetzung nach kaum mit Krankenpflege und Unterricht vergleichen läßt, die das Gesetz als Beispiele gemeinnütziger Tätigkeiten anführt.

Die Revisionsklägerin hat demgegenüber geltend gemacht, das Gesetz spreche nicht von der Krankenpflege und dem Unterricht "ähnlichen", sondern von "anderen" gemeinnützigen Tätigkeiten und erkenne als Motiv ausdrücklich religiöse Beweggründe an; deshalb müsse auch die Seelsorge zu den gemeinnützigen Tätigkeiten gerechnet werden (ebenso im Ergebnis Hess. LSG, Breithaupt 1964, 830, 832; Hanow/Lehmann/Bogs/ von Altrock, Reichsversicherungsordnung, 4. Buch Rentenversicherung der Arbeiter, § 1227 Anm. 43; Buckel, Die Versicherungspflicht und Versicherungsfreiheit der Mitglieder geistlicher Genossenschaften in der Kranken-, Renten- und der Arbeitslosenversicherung sowie ihre Nachversicherung in den Rentenversicherungen, S. 26; Böcker, Die Nachversicherung von ausgeschiedenen Mitgliedern geistlicher Genossenschaften, Diakonissen, Schwestern vom Deutschen Roten Kreuz und Angehörigen ähnlicher Gemeinschaften in der sozialen Rentenversicherung, Diss. jur., Köln 1962, S. 56; Oppinger, SozVers 1969, 95).

Welcher von beiden Auffassungen der Vorzug zu geben ist, hat der Senat nicht zu entscheiden brauchen. Selbst wenn der Revisionsklägerin insoweit beizutreten, eine Seelsorgetätigkeit also nicht allgemein aus dem Kreis der gemeinnützigen Tätigkeiten auszuscheiden wäre, könnte sie jedenfalls dann nicht zu ihnen gezählt werden, wenn sie, wie beim Missionar, lediglich im Ausland ausgeübt wird. Ähnlich wie das Steuerrecht, das zwar auch die "Förderung der Religion" als Förderung eines gemeinnützigen Zwecks anerkennt (§ 17 Abs. 3 des Steueranpassungsgesetzes vom 16. Oktober 1934), dabei jedoch nur solche Betätigungen berücksichtigt, die dem allgemeinen Besten im innerstaatlichen Bereich dienen (vgl. BFH 87, 304 = BStBl III 1967, 116), kann nicht angenommen werden, der Gesetzgeber habe Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 7 AVG für Tätigkeiten gewähren wollen, die unmittelbar nur Personen im Ausland zugute kommen, wie dies für eine Tätigkeit als Missionar zutrifft. Diese mag zwar für das missionarisch betreute Ausland gemeinnützig sein, ist aber, worauf es für die Versicherungspflicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 7 AVG allein ankommt, ohne unmittelbare Bedeutung für das Inland. Sie gehört insbesondere nicht, wie z.B. die Entwicklungshilfe, zu den Gemeinschaftsaufgaben, deren Erfüllung auch im Interesse des Inlands liegt.

Erst seit 1. Juli 1965 besteht nach § 2 Abs. 1 Nr. 10 AVG (eingefügt durch Art. 1 § 2 Nr. 1 d des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes vom 9. Juni 1965, BGBl I 476) eine beschränkte Möglichkeit, auch Missionare sowie Personen, die zu Missionaren ausgebildet werden, auf Antrag ihrer Gemeinschaft (§ 2 Abs. 1 Nr. 7 AVG) in die Rentenversicherung einzubeziehen (vgl. BT-Drucks. IV/2572 S. 23). Von dieser Möglichkeit ist hier aber kein Gebrauch gemacht worden.

Ob im übrigen die im Laufe des Prozesses geäußerten Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der fraglichen Vorschrift begründet sind - eine Versicherung von in (Hoch)schulausbildung befindlichen Ordensmitgliedern würde diese in der Tat anders als sonst Schüler oder Studenten behandeln, die der Versicherungspflicht nicht unterliegen (vgl. § 4 Abs. 1 Nr. 4 AVG und Oppinger, SozVers 1969, 96) -, hat der Senat nicht zu entscheiden brauchen, weil im vorliegenden Fall schon die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anwendung der Vorschrift fehlen.

Ist der Beigeladene zu 2) hiernach während seiner Ausbildung zum Missionar nicht in der Rentenversicherung der Angestellten versichert gewesen, so hat die AOK die streitige Beitragsforderung zu Unrecht erhoben, wie die Vorinstanzen zutreffend entschieden haben. Die Revision ist unbegründet.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1669515

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