Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Beurteilung der Frage, welche Beträge dem Unterhalt der Familie zuzurechnen sind, ist von den Nettoeinkünften der Familienmitglieder auszugehen.
2. Wird der Wert der Hausarbeit vergleichsweise durch Ermittlung des Lohnes von Ersatzkräften festgestellt, so ist der Arbeitgeberanteil an den Sozialversicherungsbeiträgen der Ersatzkraft nicht zu berücksichtigen.
Normenkette
AVG § 43 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1266 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 22. April 1971 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zu neuer Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Der Kläger begehrt Witwerrente aus der Versicherung seiner im August 1968 gestorbenen Ehefrau. Streitig ist, ob sie im Sinne des § 43 Abs. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) den Unterhalt ihrer Familie überwiegend bestritten hat.
Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) war die Erwerbsfähigkeit der Versicherten seit Januar 1968 wegen Krankheit beeinträchtigt; seit März 1968 wurde sie stationär behandelt. Der 1920 geborene Kläger hatte im Jahre 1967 ein Nettoeinkommen von 14.951,- DM, die Versicherte ein solches von 10.102,- DM. Im Haushalt des Klägers und seiner Ehefrau lebten zu dieser Zeit noch zwei Söhne und die Mutter des Klägers. Der Kläger ist wegen einer spastischen Gehbehinderung (Little'sche Erkrankung) und eines Augenleidens auf fremde Hilfe angewiesen. Die Beklagte lehnte seinen Antrag auf Witwerrente durch Bescheid vom 11. Februar 1969 ab.
Das Sozialgericht (SG) wies die Klage ab. Das LSG verurteilte die Beklagte zur Zahlung von Witwerrente vom 1. September 1968 an (Urteil vom 22. April 1971). Es ging davon aus, daß dem Bareinkommen der Versicherten der Wert ihrer Haushaltsarbeit hinzuzurechnen sei. Nach dem Beweisergebnis habe die Versicherte im letzten Jahr vor ihrem Tode im Haushalt Arbeiten verrichtet, zu deren Erledigung eine fremde gesunde Hilfskraft wöchentlich 26 Stunden benötigt haben würde; für das Jahr 1967 ergebe sich somit eine Arbeitsleistung von 1352 Stunden, was bei einem Stundenlohn von 3,50 DM (3,00 DM + 0,50 DM Zuschlag für Pflegedienste) den Betrag von 4.732,- DM ausmacht; hinzu komme noch der Anteil der sozialen Abgaben, der allein vom Arbeitgeber zu tragen sei. Bei einem Prozentsatz von 11,5 v. H. ergebe sich ein Betrag von rd. 544,- DM jährlich, so daß der Gesamtaufwand für die Arbeit der Versicherten mit 5.276,- DM zu veranschlagen sei. Sie habe zum Familienunterhalt im Jahre 1967 also 15.378,- DM beigetragen und damit einen höheren Anteil geleistet als der Kläger. Die übrigen im Haushalt der Ehegatten lebenden Familienangehörigen hätten keine oder nur ganz unwesentliche Einkünfte gehabt.
Das LSG hat die Revision zugelassen. Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt mit dem Antrag,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 4. November 1969 zurückzuweisen.
Sie rügt eine Verletzung des § 43 AVG. Im Rahmen dieser Vorschrift komme es nur auf den Wert der Haushaltstätigkeit an, welche die Versicherte tatsächlich verrichtet habe, nicht aber darauf, welche Kosten für die Beschäftigung einer Ersatzkraft insgesamt entstanden wären. Das LSG habe deshalb dem Nettobareinkommen der Eheleute als Wert der Haushaltsführung nicht einen Bruttobetrag hinzurechnen und außerdem noch Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung berücksichtigen dürfen. Es habe vielmehr umgekehrt von dem Betrag von 4.732,- DM Steuern und Sozialversicherungsbeiträge abziehen müssen und das Nettogehalt nur um diesen Betrag erhöhen dürfen. Nettobeträge könnten nur Nettobeträgen hinzugezählt werden, und Bruttobeträge seien nur mit Bruttobeträgen vergleichbar. Das bedeute, daß nicht die Versicherte, sondern der Kläger mehr als die Hälfte des Familienunterhalts getragen habe.
Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Revision.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
II
Die Revision ist insofern begründet, als das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit zu neuer Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist.
Nach § 43 Abs. 1 AVG erhält der Ehemann nach dem Tod seiner versicherten Ehefrau Witwerrente, wenn die Verstorbene den Unterhalt der Familie überwiegend bestritten hat. Diese Vorschrift hat das LSG nicht fehlerfrei ausgelegt und angewandt.
Das LSG ist zu Recht von den Nettoeinkünften des Klägers und seiner Ehefrau ausgegangen, weil nur diese Beträge der Familie effektiv zugeflossen sind und für ihren Unterhalt tatsächlich zur Verfügung gestanden haben. Zu den Nettoeinkünften gehören nicht die Beträge, die - wie z. B. die Lohnsteuer - auf Grund gesetzlicher Verpflichtungen gezahlt worden sind (vgl. BSG 32, 197, 199 unten); dabei kann offen bleiben, welche Funktion ihnen im einzelnen zukommt.
Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt somit davon ab, ob das LSG den Wert der Haushaltsführung zutreffend ermittelt hat. Die Arbeit der Frau im Haushalt ist mit ihrem tatsächlichen wirtschaftlichen Wert als Unterhaltsleistung zu berücksichtigen (BVerfGE 17, 1, 16). Eine solche Bewertung ist allerdings schwierig. Einen Anhaltspunkt bieten die Kosten, die für eine vergleichbare Ersatzkraft aufzuwenden wären (BVerfGE aaO; BSG 31, 70 = SozR Nr. 7 zu § 1266 RVO). Sie erfordern zunächst die Feststellung, welche Arbeiten der Ehefrau überhaupt zu bewerten sind; sodann müssen ihre Eigenart und ihr zeitliches Ausmaß festgestellt werden. Das LSG hat sich im vorliegenden Fall darauf beschränkt, den zeitlichen Arbeitsaufwand einer vergleichbaren Ersatzkraft, nämlich 26 Wochenstunden, festzustellen und daraus die Aufwendungen für eine Ersatzkraft zu berechnen. Dabei hat es zwar auch die Pflegedienste der Versicherten für ihren hilfsbedürftigen Mann als Unterhaltsbeitrag berücksichtigt, indem einem normalen Stundenlohn von 3,- DM ein Betrag von 0,50 DM zugeschlagen wurde. Das LSG hat jedoch den Umfang und die Art der Pflegedienste, auf die der Kläger angewiesen war, nicht geklärt. Das Revisionsgericht ist daher nicht in der Lage zu prüfen, ob die vom LSG vorgenommene schematische Erhöhung des Stundenlohnes einer Ersatzkraft dem wirtschaftlichen Wert der von der Ehefrau des Klägers tatsächlich geleisteten Pflegedienste auch wirklich entspricht. Bei 26 Wochenstunden und einem Stundenlohn von 3,- DM ergibt eine Arbeitsleistung von 1352 Stunden für das Jahr 1967 den Betrag von 4.056,- DM. Der Anteil, den die Versicherte zum Familienunterhalt im Jahr 1967 beigetragen hat, wäre also nur dann höher als der des Klägers, wenn der Wert der Pflegedienste der Ehefrau im Jahr 1967 mit wenigstens rd. 800,- DM anzusetzen wäre. In welchem Umfang und in welcher Höhe die Versicherte Pflegeleistungen erbracht hat, ist bisher nicht festgestellt; der Senat darf dies nicht selbst tun.
Das LSG hat den Beitrag der Versicherten zum Familienunterhalt deshalb als überwiegend angesehen, weil es ihren Nettoeinkünften für das Jahr 1967 in Höhe von 10.102,- DM den Betrag von 4.732,- DM als Wert der Arbeitsleistung einer Ersatzkraft unter Zugrundelegung von 3,50 DM Stundenlohn und zusätzlich noch einen Betrag von 544,- DM als Anteil des Arbeitgebers an den sozialen Abgaben hinzugeschlagen hat. Letzterem kann der Senat nicht zustimmen. Zum Begriff "Entgelt" im Sinne der RVO (vgl. § 160 Abs. 1 RVO), der auch hier für den Wertvergleich zugrunde zu legen ist, gehören zwar neben Gehalt oder Lohn auch Sach- und andere Bezüge, nicht aber der Beitrag des Arbeitgebers zur Sozialversicherung. Davon gehen auch die Tabellen der Anlage 11 zu § 22 des Fremdrentengesetzes (FRG) aus. Der Umstand, daß sie einen Beitrag des Arbeitgebers zur Sozialversicherung nicht enthalten, rechtfertigt aber nicht seine zusätzliche Berücksichtigung bei der Ermittlung des Wertes der Arbeitsleistung einer vergleichbaren Ersatzkraft. Hierbei darf vielmehr nur das reine Arbeitsentgelt ohne irgendwelche Zulagen, die im konkreten Fall zu zahlen wären, zugrunde gelegt werden. Das LSG verkennt, daß ein Arbeitgeberanteil an den sozialen Abgaben möglicherweise auch entfallen kann und daß somit unter Umständen Zufälligkeiten eine Rolle spielen, die einer notwendigerweise typisierenden Wertbetrachtung entgegenstehen. Da es keine festen Bewertungs-Richtlinien gibt, kann die Rechtsprechung nur von einem reinen Wertvergleich ausgehen. Dazu gehört nicht der Arbeitgeberanteil an den sozialen Abgaben.
Der Senat kann hiernach nicht abschließend beurteilen, ob der Unterhaltsbeitrag der Versicherten die Hälfte des gesetzlichen Aufwandes für den Unterhalt der Familie überschritten hat. Dazu sind weitere Feststellungen des LSG erforderlich, die unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zu treffen sind. Auch ist zu berücksichtigen, daß der Kläger inzwischen wieder geheiratet hat. Das angefochtene Urteil ist somit aufzuheben und der Rechtsstreit zu neuer Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes).
Die Entscheidung über die Kosten der Revisionsinstanz bleibt dem abschließenden Urteil des LSG vorbehalten.
Fundstellen