Entscheidungsstichwort (Thema)
Heilung von Mängeln bei der Zustellung der Revisionsbegründung. Beginn der Anschlußrevisionsfrist. Erwerbsunfähigkeitsrente. besondere versicherungsrechtliche Voraussetzungen. türkischer Staatsangehöriger. freiwillige Versicherung. eigentumsgeschützte Rentenanwartschaften Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Mängel einer nach § 202 SGG iVm § 554 Abs 5 § 553a Abs 2 S 1 ZPO vorzunehmenden Zustellung der Revisionsbegründung werden nicht gemäß § 9 Abs 1 VwZG geheilt, sofern mit der Zustellung die Frist für eine Anschlußrevision beginnt (§ 9 Abs 2 VwZG).
2. Zu verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Einführung der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für Berufs-/Erwerbsunfähigkeitsrenten (§ 1246 Abs 2a RVO) bei türkischen Staatsangehörigen, die vor dem 1.1.1984 ohne ein Recht zur freiwilligen Versicherung in ihre Heimat zurückgekehrt sind.
Stand: 24. Oktober 2002
Normenkette
VwZG § 9 Abs. 1-2; SGG § 202; ZPO § 553a Abs. 2, § 554 Abs. 5; RVO § 1246 Abs. 2a Sätze 1-2, § 1247 Abs. 2a; ArVNG Art. 2 § 6 Abs. 2 S. 1 Nrn. 1-2; HBegleitG 1984 Art. 4 Nr. 4; GG Art. 14 Abs. 1; SozSichAbk TUR Art. 27
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten und die Anschlußrevision des Klägers wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 16. Mai 1995 aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Der Kläger begehrt Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) aus der deutschen Rentenversicherung. Es geht dabei vornehmlich um die Frage, ob er die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 1247 Abs 1 und Abs 2a der Reichsversicherungsordnung (RVO) iVm § 1246 Abs 2a RVO erfüllen muß und ggf noch nachträglich erfüllen kann.
Unter Berücksichtigung der Feststellungen des Bayerischen Landessozialgerichts (LSG) in dem angefochtenen Urteil stellt sich der Sachverhalt wie folgt dar:
Der 1934 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er war von April 1958 bis Oktober 1961 beitragspflichtig in der Türkei beschäftigt. Von Oktober 1961 bis Juli 1973 arbeitete er versicherungspflichtig in Deutschland. Vom 23. April bis 4. Juni 1973 absolvierte er auf Kosten der Landesversicherungsanstalt Württemberg (LVA) ein Heilverfahren. Am 1. April 1975 kehrte der Kläger in die Türkei zurück.
Der Kläger beantragte erstmalig am 2. April 1975 die Erstattung des Arbeitnehmeranteils der in Deutschland für ihn abgeführten Rentenversicherungsbeiträge. Die Beklagte teilte ihm daraufhin mit, daß wegen des durchgeführten Heilverfahrens nur die Beitragsanteile ab 5. Juni 1973 erstattet werden könnten. Es bestehe aber die Möglichkeit, Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrente zu beanspruchen, wenn deren Voraussetzungen eingetreten seien. Der Kläger wandte sich dennoch erneut am 28. Oktober 1975 an die Beklagte und bat darum, ihm das ganze Geld zu schicken, wenn er die Beiträge für die Zeit von 1961 bis 1973 erstattet bekommen könne; andernfalls solle ihm die Beklagte eine vollständige Bescheinigung schicken.
Das nächste Mal wandte sich der Kläger mit Schreiben vom 13. Oktober 1976 an die Beklagte. Darin wies er darauf hin, daß er durch die Arbeit in Deutschland krank geworden sei und deshalb keine Arbeit mehr finde. Die Beklagte teilte ihm daraufhin erneut mit, daß er das Recht habe, Rente zu beantragen, wenn er aus gesundheitlichen Gründen keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgehen könne.
Schließlich beantragte der Kläger am 31. Januar 1977 Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Diese wurde jedoch mit Bescheid vom 19. Mai 1978 abgelehnt, da die Beklagte den Kläger noch für fähig hielt, zumutbare Erwerbstätigkeiten vollschichtig zu verrichten. Zugrunde lag ein Untersuchungsbericht der Klinik B. … vom 6. Januar 1978, die als Hauptleiden des Klägers einen depressiven Zustand und schmerzhafte Hüft- und Lendenbewegungen bei einem rechtsseitigen lumbalen Ischias feststellte. Der Prüfarzt der Beklagten, Dr. W. …, hielt den Kläger in seiner Stellungnahme vom 25. April 1978 aufgrund der eingesandten Befunde für noch in der Lage, vollschichtig erwerbstätig zu sein. Es müsse sich um leichte Arbeiten im Wechselrhythmus überwiegend im Sitzen ohne besonderen Zeitdruck, ohne häufiges Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten, nicht unter dem Einfluß von Kälte, Zugluft, Temperaturschwankungen und Nässe handeln.
Im Juni 1981 beantragte der Kläger erneut Beitragserstattung. Er nahm jedoch nach Erläuterung der Rechtslage durch die Beklagte diesen Antrag am 26. April 1982 wieder zurück.
Mit demselben Schreiben beantragte der Kläger wiederum Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Dieser Antrag wurde mit Bescheid vom 26. Januar 1984 abgelehnt, weil nach Ansicht der Beklagten der Versicherungsfall der EU oder Berufsunfähigkeit (BU) noch nicht eingetreten sei. Ein Hinweis auf die durch das Haushaltsbegleitgesetz 1984 (HBegleitG 1984) eingeführten besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfolgte nicht.
Der Ablehnungsbescheid stützt sich auf einen Untersuchungsbericht des Krankenhauses I. … vom 27. August 1982, wo als Leiden des Klägers ein Bluthochdruck und Anzeichen für eine beidseitige Ischialgie sowie eine schmerzhafte Einschränkung der Beweglichkeit der Lendenwirbelsäule bei minimalen degenerativen Veränderungen im oberen LWS-Bereich und einer Gelenkspaltverschmälerung in den Sakroiliakalgelenken festgestellt wurden. Dazu kam ein nachgereichter Untersuchungsbericht eines orthopädischen Sachverständigen vom 7. Oktober 1983, in dem beiderseitige ischialgische Schmerzen und eine Einschränkung der Beweglichkeit der Lendenwirbelsäule bei minimalen arthrotischen Veränderungen aufgeführt wurden. Der Prüfarzt der Beklagten, Dr. Wa. …, hielt den Kläger in seiner Stellungnahme vom 13. Januar 1984 noch für fähig, Arbeiten im Wechsel von Sitzen und Stehen, überwiegend im Sitzen, ohne besonderen Zeitdruck (zB Akkord), ohne häufiges Heben, Tragen und Bewegen von Lasten (ohne mechanische Hilfsmittel), ohne Gefährdung durch Kälte, Zugluft, starke Temperaturschwankungen und Nässe vollschichtig zu verrichten.
Der Kläger stellte danach erst wieder am 26. November 1988 einen Antrag auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Dazu übersandte der türkische Versicherungsträger medizinische Unterlagen aus dem Jahre 1988. Diese weisen als Gesundheitsstörungen aus: Schmerzhafte Einschränkung der Beweglichkeit der Lendenwirbelsäule bei nunmehr festgestellten Bandscheibenschäden im Bereich der Lendenwirbelsäule und der Halswirbelsäule, eine essentielle arterielle Hypertonie, neurotische Depressionen und eine hochgradige Schwerhörigkeit; eine Erwerbstätigkeit sei auf Dauer nicht mehr möglich. Dieser Beurteilung schloß sich der Prüfarzt der Beklagten, Dr. E. …, in seiner Stellungnahme vom 5. Juli 1989 an; er hielt den Kläger nur noch für fähig, leichte Arbeiten unter zwei Stunden täglich zu verrichten.
Auf dieser Grundlage nahm die Beklagte in ihrem Bescheid vom 30. Oktober 1989 an, daß der Kläger seit Antragstellung erwerbsunfähig (eu) sei und die Wartezeit erfüllt habe. Der Rentenantrag wurde dennoch abgelehnt, und zwar mit der Begründung, daß der Kläger die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen EU nicht erfülle. In der maßgeblichen 60-Monatsfrist vom 1. November 1983 bis 31. Oktober 1988 habe er keine Pflichtbeiträge entrichtet. Auch lägen die Voraussetzungen einer Anwartschaftserhaltung nach Art 2 § 6 Abs 2 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) nicht vor.
Die Klage gegen diesen Bescheid hatte keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts Bayreuth ≪SG≫ vom 8. Mai 1990). Auf die Berufung des Klägers hat das LSG die Beklagte in Abänderung des SG-Urteils sowie des Bescheides vom 30. Oktober 1989 verurteilt, ihm ab 1. Januar 1992 Rente wegen EU zu gewähren. Im übrigen wurde die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 16. Mai 1995).
Der Entscheidung des LSG liegt folgender Gedankengang zugrunde:
Auf den geltend gemachten Anspruch seien zunächst noch die RVO und das ArVNG anzuwenden. Nach den ärztlichen Feststellungen im Verwaltungsverfahren sei der Kläger seit November 1988 erwerbsunfähig. Die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen gemäß § 1247 Abs 1 und 2a RVO iVm § 1246 Abs 2a RVO seien aber unter Zugrundelegung dieses Zeitpunktes nicht erfüllt. In der maßgebenden Frist vom 1. November 1983 bis 31. Oktober 1988 seien Pflichtbeiträge weder zur deutschen noch zur türkischen Sozialversicherung entrichtet worden. Diese Voraussetzungen seien auch nicht unter Beachtung von Streckungstatbeständen iS von § 1246 Abs 2a Satz 2 RVO erfüllt; denn solche lägen nicht vor. Insbesondere sei keine ununterbrochene Arbeitsunfähigkeit im Anschluß an das Ausscheiden aus dem letzten Arbeitsverhältnis festzustellen. Bei den orthopädischen Leiden des Klägers handele es sich nicht um Dauerleiden, sondern um recidivierende Syndrome.
Schließlich sei auch nicht festzustellen, daß die EU durch Unfallfolgen verursacht sei und deshalb die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt werden müßten (§ 1246 Abs 2 Buchst a Satz 1 Nr 2 iVm § 1252 RVO).
Auch die Alternativen des Art 2 § 6 Abs 2 ArVNG lägen nicht vor. Weder seien ausreichende Anhaltspunkte für eine Annahme von BU oder EU des Klägers bereits bis 30. Juni 1984 gegeben noch sei die Zeit bis Ende 1987 mit Beiträgen oder Streckungstatbeständen belegt.
Für die Zeit ab 1. Januar 1992 sei jedoch ein EU-Rentenanspruch des Klägers nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) im wesentlichen unter zwei Gesichtspunkten gegeben: Zum einen sei er aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs analog § 241 Abs 2 SGB VI als berechtigt anzusehen, die zur Anwartschaftserhaltung erforderlichen Beiträge für die Zeit vom 1. Januar 1984 bis 31. Dezember 1987 zur türkischen Sozialversicherung zu entrichten. Zum anderen sei entweder im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs oder auch einer Nachsichtgewährung (im Sinne von § 197 Abs 3 SGB VI) eine Berechtigung des Klägers zur Beitragsentrichtung in die deutsche Rentenversicherung anzunehmen.
Der Herstellungsanspruch folge daraus, daß die Beklagte in der Lage und verpflichtet gewesen sei, den Kläger während des laufenden Rentenverfahrens, spätestens ab 9. November 1983 (Sitzung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, BT-Drucks 10/690 S 44 und BT-Drucks 10/691 S 5 und 6), darauf hinzuweisen, daß er zur Erhaltung seiner Anwartschaft, falls er sie aufrechterhalten wollte, ab 1. Januar 1984 laufend freiwillige Beiträge entrichten müsse und diese Voraussetzung auch durch Entrichtung freiwilliger Beiträge zum türkischen Rentenversicherungsträger erfüllen könne. Eine solche Beitragsentrichtung wäre nach Art 27 des deutsch-türkischen Abkommens über soziale Sicherheit vom 30. April 1964 (BGBl 1965 II, 1169 ≪Abk Türkei SozSich≫) idF des Änderungsabkommens vom 28. Mai 1969 (BGBl 1972 II, 2) und des Zwischenabkommens vom 25. Oktober 1974 (BGBl 1975 II, 273) ausreichend gewesen. Es seien seinerzeit auch nach türkischem Recht die Voraussetzungen für die Entrichtung freiwilliger Beiträge nach Art 85 des türkischen Gesetzes Nr 506 in der vor dem 20. Juni 1987 geltenden Fassung gegeben gewesen. Es sei dazu allerdings ein Antrag erforderlich gewesen, der rechtzeitig vor Ablauf des Quartals hätte gestellt werden müssen, für das eine Beitragsentrichtung habe erfolgen sollen, und darüber hinaus eine vorherige Genehmigung durch den türkischen Versicherungsträger (Hinweis auf Mitt LVA Oberfranken und Mittelfranken 1987, S 154 Fußn 13). Das LSG bezieht sich dazu auch auf ein von ihm beigezogenes Gutachten des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Sozialrecht, München, vom 6. Oktober 1992 aus dem Rechtsstreit vor dem Bayerischen LSG – L 5 Ar 873/89 –, das sich bei den Akten befindet.
Nach den Feststellungen des LSG bestand außerdem kein Zweifel, daß der Kläger von dieser sich ihm bietenden Möglichkeit Gebrauch gemacht hätte und daß er dies auch noch mit Erfolg hätte tun können, wenn er Anfang November 1983 über die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen informiert worden wäre.
Die Beratungspflicht sei auch nicht überzogen, da für die Beklagte erkennbar gewesen sei, daß der Kläger vor seiner Rückkehr in die Türkei keine freiwilligen Beiträge zur deutschen Rentenversicherung entrichtet gehabt habe und deshalb hierzu auch 1984 nicht mehr berechtigt gewesen sei (§ 1233 Abs 1 RVO iVm Art 26 und 52 des Abk Türkei SozSich). Auch habe es für die Beklagte nicht ferngelegen, daß der Kläger noch vor Erreichen der Altersgrenze die Voraussetzungen für die EU und BU erfüllen werde.
Allerdings könne im Wege des Herstellungsanspruchs allenfalls ein rechtzeitiger Antrag auf freiwillige Versicherung in der türkischen Rentenversicherung fingiert werden, nicht jedoch die Entrichtung dieser Beiträge, weil hierauf das deutsche Recht keinen Einfluß habe. Im Rahmen des § 241 Abs 2 Satz 2 SGB VI könne jedoch, da Beiträge ohnehin nicht entrichtet werden müßten, ein solcher Fall im Wege der Analogie gleichbehandelt werden. Wollte man dem nicht folgen, so wäre im Wege des Herstellungsanspruchs eine Beitragsnachentrichtung zur deutschen Rentenversicherung zuzulassen. Dieser in das Schadensersatzrecht hineinreichende Anspruch sei ausnahmsweise begründet ähnlich dem Ersatzentgelt im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung bei nicht nachholbarer Sachleistung (s dazu BSG SozR 2200 § 182 Nr 57).
Im übrigen habe der Kläger einen Anspruch auf nachträgliche Entrichtung der für die Anwartschaftserhaltung notwendigen freiwilligen Beiträge zur deutschen Rentenversicherung im Wege der Nachsichtgewährung. Diese sei in § 197 Abs 3 SGB VI konkret geregelt. In diesem Rahmen sei zu berücksichtigen, daß es völlig außer Verhältnis stände, wenn die Möglichkeit der Erhaltung der vom Kläger begründeten Rentenanwartschaft und damit der Anspruch auf EU-Rente daran scheiterte, daß er vor seinem Wegzug in Deutschland im April 1975 nicht wenigstens einen freiwilligen Beitrag zur deutschen Rentenversicherung entrichtet habe.
Zu berücksichtigen sei ferner, daß die Einführung der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die vor 1984 in ihre Heimat zurückgekehrten türkischen Staatsangehörigen verfassungswidrig sei, denn sie mute denjenigen, die noch keinen freiwilligen Beitrag entrichtet hätten, zu, ihren Wohnsitz zunächst wieder nach Deutschland zu verlegen, um diesen einen Beitrag zu entrichten. Dies komme dem Totalentzug einer eigentumsrechtlich geschützten Position gleich. Dem sei durch verfassungskonforme Auslegung der Nachsichtgewährung nach § 197 Abs 3 SGB VI Rechnung zu tragen. Im Hinblick auf § 240 Abs 2 Satz 2 bzw § 241 Abs 2 Satz 2 SGB VI sei es auch nicht erforderlich, diesen dem Kläger danach noch möglichen Beitrag für einen Zeitraum bis spätestens März 1975 auch tatsächlich zu entrichten.
Das Urteil des LSG ist der Beklagten am 31. Oktober 1995 mit Empfangsbekenntnis und dem Kläger am 13. November 1995 durch die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Ankara zugestellt worden.
Gegen das Urteil hat zunächst die Beklagte die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Diese wurde dem Kläger durch einfachen Brief (zur Post gegeben am 28. November 1995) übermittelt. Die Revisionsbegründung wurde ihm durch Einschreiben/Rückschein zugestellt (Empfangsbestätigung vom 3. Dezember 1995).
Die Beklagte macht geltend, daß das Urteil gegen die Bestimmungen des Abk Türkei SozSich verstoße. Ein Recht zur Nachsichtgewährung komme hier nicht infrage. Es scheide von vornherein aus, weil die Versäumung von Ausschlußfristen dort überhaupt nicht in Betracht komme, wo nicht einmal ein Recht zur (fristgerechten) Beitragsleistung bestehe.
Ein Herstellungsanspruch komme ebenfalls nicht in Betracht, da die Beklagte dadurch zu gesetzwidriger Entgegennahme von Beiträgen gezwungen würde. Dies wäre auch dann der Fall, wenn der deutsche Rentenversicherungsträger zur Zulassung einer freiwilligen Beitragsleistung allein deshalb gezwungen würde, weil die freiwillige Beitragsentrichtung in der Türkei unterblieben sei.
Die Beklagte beantragt (dem Sinne nach),
das Urteil des Landessozialgerichts abzuändern, soweit es das Urteil des Sozialgerichts abgeändert hat, sowie die Berufung des Klägers in vollem Umfang zurückzuweisen,
weiterhin beantragt sie,
die Anschlußrevision des Klägers zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Die Anschlußrevision des Klägers vom 16. Dezember 1997 ist am 18. Dezember 1997 bei Gericht eingegangen.
Zur Begründung weist der Kläger darauf hin, daß er schon vor dem 1. Juli 1984 erwerbsunfähig gewesen sei. Die Erfüllung der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 1246 Abs 2a RVO seien deshalb gemäß Art 2 § 6 Abs 2 ArVNG nicht erforderlich.
Im übrigen habe er diese Voraussetzungen auch dadurch erfüllt, daß vom Ausscheiden aus dem letzten versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis bis zum Eintritt des Versicherungsfalles eine Dauerarbeitsunfähigkeit vorgelegen habe, die als Streckungstatbestand iS von § 1246 Abs 2a Satz 2 RVO zu berücksichtigen sei.
Hierzu und zu den Feststellungen des LSG über den Eintritt von BU oder EU hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung des erkennenden Senats Aufklärungsmängel gerügt.
Ferner macht der Kläger geltend, daß die Forderung nach Erfüllung der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen iS von Art 1247 Abs 1 und 2a RVO iVm § 1246 Abs 2a RVO sowie Art 2 § 6 Abs 2 ArVNG verfassungswidrig sei. Er habe keine Möglichkeit gehabt, seine Anwartschaft durch freiwillige Versicherung aufrechtzuerhalten; das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe bereits anerkannt, daß ein Verstoß gegen Art 14 Grundgesetz (GG) vorliege, wenn nicht eine zumutbare Möglichkeit bestehe, die Anwartschaft durch freiwillige Beiträge aufrechtzuerhalten (BVerfGE 75, 78).
Während des Revisionsverfahrens hat die gemäß Art 48 Abs 2 Abk Türkei SozSich zuständige Verbindungsstelle der Türkei mitgeteilt, daß der Kläger dort seit 1977 eine Invalidenrente erhält und deshalb gemäß Art 85 Großbuchst A, Kleinbuchst c des türkischen Gesetzes Nr 506 seitdem nicht zur freiwilligen Beitragsentrichtung zur türkischen Sozialversicherung berechtigt war. Beide Beteiligten haben den mitgeteilten Rentenbezug als unstreitig bezeichnet.
Der erkennende Senat hat ferner eine Rückfrage an den Gutachter Dr. R. … des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Sozialrecht zur zeitlichen Geltung des Art 85 Großbuchst A, Kleinbuchst c des türkischen Gesetzes 506 in der mitgeteilten Fassung gerichtet. Das Institut hat daraufhin mitgeteilt, daß die gegenwärtige Fassung des Kleinbuchst c schon seit der Zeit vor dem 1. Januar 1984 unverändert gegolten hat.
Entscheidungsgründe
II
Revision und Anschlußrevision sind zulässig und begründet. Sie führen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das LSG.
Die Revision der Beklagten ist statthaft, weil sie durch das LSG zugelassen wurde. Sie ist in gesetzlicher Form und Frist eingelegt worden.
Auch die Anschlußrevision des Klägers ist statthaft und zulässig. Gemäß § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) iVm § 556 Zivilprozeßordnung (ZPO) kann der Revisionsbeklagte sich der Revision bis zum Ablauf eines Monats nach Zustellung der Revisionsbegründung anschließen. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Zwar ist die Revisionsbegründung der Beklagten dem Kläger bereits am 3. Dezember 1995 zugegangen; die Anschlußrevision ist hingegen erst am 18. Dezember 1997 bei Gericht eingegangen. Dennoch ist die Anschlußrevisionsfrist des § 556 Abs 1 ZPO nicht versäumt worden, weil sie nicht zu laufen begonnen hatte. Es fehlt nämlich an einer formgerechten Zustellung der Revisionsbegründung.
Die Revisionsbegründung ist auch im Revisionsverfahren vor dem Bundessozialgericht (BSG) formgerecht zuzustellen. Dies ergibt sich aus § 202 SGG iVm § 554 Abs 5 und § 553a Abs 2 Satz 1 ZPO. Unterschiede zwischen dem sozialgerichtlichen Revisionsverfahren und dem zivilrechtlichen Revisionsverfahren, die einer entsprechenden Anwendung der ZPO entgegenstehen könnten, sind insoweit nicht ersichtlich. In beiden Verfahren erfolgt die Zustellung durch das Revisionsgericht, in beiden Fällen ist die Bedeutung der Fristwahrung und die Bedeutung für die Frist zur Einlegung der Anschlußrevision gleich.
Das BSG hat dem Kläger die Revisionsbegründung lediglich mit Einschreiben/Rückschein übermittelt. Diese Zustellungsart genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen; denn gemäß § 14 Abs 1 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) war die Revisionsbegründung über die zuständigen Behörden in der Türkei oder der deutschen amtlichen Vertretung in der Türkei zuzustellen. Vereinbarungen mit der Türkei, die im Gerichtsverfahren eine Zustellung durch Einschreiben/Rückschein erlauben, bestehen nicht. Art 47 Abk Türkei SozSich erlaubt lediglich, Bescheide in dieser Weise zuzustellen.
Der Zustellungsmangel ist auch nicht gemäß § 9 Abs 1 VwZG dadurch geheilt, daß der Kläger die Revisionsbegründung der Beklagten tatsächlich erhalten hat; denn gemäß § 9 Abs 2 VwZG ist die Heilungsvorschrift des Abs 1 nicht anzuwenden, wenn mit der Zustellung eine Frist für die Erhebung der Klage, eine Berufungs-, Revisions- oder Rechtsmittelbegründungsfrist beginnt. Zu den dort genannten Fristen ist auch die Frist des § 556 Abs 1 ZPO für die Einlegung der Anschlußrevision zu rechnen. Zwar wird die Anschlußrevision nach völlig herrschender Auffassung nicht als Rechtsmittel, sondern als Angriffsmittel im Rahmen der Revision des Prozeßgegners angesehen (vgl ua BGHZ 37, 131). Daraus kann jedoch nicht bereits die Folgerung gezogen werden, daß § 9 Abs 2 VwZG keine Anwendung findet. Die allgemeine Qualifizierung ist zur Lösung von Einzelfragen allein nicht tauglich (vgl Grunsky/Stein-Jonas, Komm zur ZPO § 521 Rz 3 sowie Allg Einl vor § 511 Rz 3). Vielmehr ist jeweils zu prüfen, welche Vorschriften des Rechtsmittelrechts nach Sachlage und Bedeutung auch auf die Anschlußrevision anzuwenden sind (vgl zB BGH GS BGHZ 72, 339, 340 zur Frage der Kostentragung mwN).
Bezogen auf das Zustellungserfordernis und die Bedeutung der präzisen Feststellung des Zugangs eines Schriftstückes unterscheidet sich die Anschlußrevision nicht von Revision und Revisionsbegründung. Sie öffnet ebenso wie die Revision und sonstige Rechtsmittel die Möglichkeit, einen bisher vom Verfahren nicht erfaßten (Teil-)Streitgegenstand zur Entscheidung zu stellen. Sie ist wie Rechtsmittel fristgebunden. Diese Frist wird durch die Zustellung eines Schriftstücks (hier der Revisionsbegründung) ausgelöst. Es kommt wie bei der Zustellung von Urteilen in hohem Maße darauf an, daß der Betreffende vom Inhalt des Schriftstücks Kenntnis nimmt und ihm auch durch eine formgerechte Zustellung die Bedeutung der Übermittlung als maßgebliche und die Frist einleitende Handlung deutlich wird. Es könnten sich anderenfalls auch hier, wie bei einer Revisionsfrist, Unklarheiten ergeben: In § 556 ZPO ist ausdrücklich gesagt, daß die Frist mit der Zustellung beginnt, so daß die Auffassung naheliegt, eine nicht formgerecht zugestellte Revisionsbegründung könne die Frist nicht in Lauf setzen.
Diesen Gründen kommt besondere Bedeutung zu, weil es sich bei § 9 Abs 2 VwZG nach bisheriger Rechtsprechung und Rechtslehre nicht um eine geschlossene Vorschrift handelt, sondern um eine solche, welche die Einbeziehung rechtsähnlicher Fristen erlaubt (vgl zum Vorbescheid LSG Celle NJW 75, 1855; zur Nichtzulassungsbeschwerde BVerwGE 23, 89, 93). Wichtig ist nur, daß es sich jeweils um Fristen handelt, bei denen gleichermaßen der Schutz des Betroffenen und das Interesse an eindeutiger Klarheit über die Rechtskraft im Vordergrund steht (vgl BVerwGE 23, 89, 93f; Redeker/von Oertzen, VwGO 12. Aufl, § 56 Rz 12).
Zwar ist nicht zu übersehen, daß im Rahmen der ZPO die Frist zur Einlegung der Anschlußrevision nicht als Notfrist bezeichnet ist und deshalb dort gemäß § 187 Abs 1 ZPO eine Heilung möglich erscheint. Die entsprechende Anwendung von § 187 ZPO über § 202 SGG ist jedoch ausgeschlossen, weil gemäß § 63 Abs 2 SGG die Zustellung nicht nach der ZPO, sondern nach dem VwZG erfolgt. § 9 VwZG ist insoweit eigenständig unter Berücksichtigung der Bedeutung und des Zwecks der jeweiligen Frist auszulegen.
Der Anspruch des Klägers auf Versichertenrente wegen EU richtet sich noch nach der RVO. Gemäß § 300 Abs 1 SGB VI ist zwar dieses Gesetz vom Zeitpunkt seines Inkrafttretens an (1. Januar 1992) auf einen Sachverhalt oder Anspruch auch dann anzuwenden, wenn bereits vor diesem Zeitpunkt der Sachverhalt oder Anspruch bestanden hat. § 300 Abs 2 SGB VI enthält jedoch eine Ausnahme für den Fall, daß der Anspruch schon vor dem 1. April 1992 geltend gemacht worden ist und der im Streit stehende Anspruch sich auf die Zeit vor dem 1. Januar 1992 erstreckt. Das ist hier im Hinblick auf die Anschlußrevision des Klägers der Fall.
Nach § 1247 Abs 1 RVO besteht Anspruch auf Rente wegen EU, wenn der Versicherte eu ist, zuletzt vor Eintritt der EU eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt und die Wartezeit erfüllt hat.
Zuletzt vor Eintritt der EU ist eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt worden, wenn
- von den letzten 60 Kalendermonaten vor Eintritt der EU mindestens 36 Kalendermonate mit Beiträgen für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind oder
- die EU aufgrund eines der in § 1252 RVO genannten Tatbestände eingetreten ist (§ 1247 Abs 2a RVO iVm § 1246 Abs 2a Satz 1 RVO).
Diese versicherungsrechtlichen Voraussetzungen können ua auch dann entfallen, wenn BU oder EU bereits vor dem 1. Juli 1984 eingetreten ist (Art 2 § 6 Abs 2 Satz 2 ArVNG).
Dazu ist dem angefochtenen Urteil zu entnehmen, daß EU jedenfalls ab November 1988 vorlag. Das LSG hat sich insoweit auf die von ihm mitgeteilten Ergebnisse der Untersuchungsberichte von Dezember 1988 und die prüfärztliche Stellungnahme des Prüfarztes der Beklagten bezogen und ist diesen gefolgt. Dies ist nachvollziehbar. Rügen sind insoweit nicht erhoben worden.
Das LSG ist bei seiner weiteren Prüfung zu dem Ergebnis gekommen, daß bezogen auf November 1988 in den letzten fünf Jahren vor Eintritt des Versicherungsfalles keine Pflichtbeiträge entrichtet worden sind, weder zur deutschen noch zur türkischen Sozialversicherung. Der letzte vom Kläger entrichtete Pflichtbeitrag wurde nach diesen Feststellungen im Juli 1973 zur deutschen Rentenversicherung entrichtet.
Aus dieser Feststellung folgt zugleich, daß die Voraussetzungen des Grundtatbestandes in § 1246 Abs 2a Satz 1 Nr 1 RVO auch dann nicht vorlägen, wenn der Versicherungsfall in der Zeit zwischen dem 1. Juli 1984 und November 1988 eingetreten wäre.
Das LSG ist ferner zu dem Ergebnis gelangt, daß die Erfüllung der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen iS von § 1246 Abs 2a Satz 1 Nr 1 RVO nicht deshalb entbehrlich ist, weil die EU auf einen der in § 1252 RVO genannten Tatbestände beruht. Es hat unangegriffen festgestellt, daß die beim Kläger vorliegende EU nicht auf Folgen eines früheren Unfalls zurückzuführen ist. Rechtliche Bedenken sind insoweit nicht zu erheben. Andere Tatbestände des § 1252 RVO kommen nicht in Betracht.
Die Erfüllung der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen wäre allerdings auch dann nicht erforderlich, wenn bereits vor dem 1. Januar 1984 eine Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten erfüllt wäre und zumindest BU bereits in der Zeit bis 30. Juni 1984 eingetreten wäre (Art 2 § 6 Abs 2 Satz 1 Nr 1 und Satz 2 ArVNG). Hierzu hat das LSG festgestellt, daß die erstgenannte Voraussetzung (60 Kalendermonate anrechenbarer Versicherungszeit vor dem 1. Januar 1984) gegeben war. Verfahrensrügen sind insoweit nicht erhoben worden.
Das LSG ist außerdem zu dem Ergebnis gelangt, daß in der Zeit bis 30. Juni 1984 keine Anhaltspunkte für die Annahme von BU oder EU vorlägen. Diese Feststellung ist jedoch verfahrensfehlerhaft zustande gekommen. Der Kläger hat zu Recht gerügt, daß sich das LSG nicht hinreichend mit den Ergebnissen der medizinischen Untersuchungen zwischen 1982 und 1988 auseinandergesetzt und versäumt hat, ergänzende Ermittlungen anzustellen. Die Aussage des LSG beschränkt sich darauf mitzuteilen, daß keine ausreichenden Anhaltspunkte für den Eintritt eines Versicherungsfalls bis 30. Juni 1984 vorlägen, und teilt dazu im Tatbestand des Urteils lediglich das Ergebnis vorangegangener ärztlicher Untersuchungen mit. Dies konnte aber im vorliegenden Fall nicht genügen, da sowohl depressive Zustände sowie Leiden im orthopädischen Bereich, die später zur Annahme von EU herangezogen wurden, bereits in den Gutachten von 1978 erwähnt sind und die insoweit ebenfalls bedeutsame essentielle Hypertonie bereits bei der Untersuchung im Jahre 1982 festgestellt wurde. Es hätten also weitere Ermittlungen durch Beiziehung ärztlicher Unterlagen oder zumindest durch eine Begutachtung nach Aktenlage erfolgen müssen, um festzustellen, wie sich die betreffenden Leiden entwickelt haben und ab welchem Zeitpunkt die dadurch bedingte Leistungseinschränkung insgesamt einen Grad erreicht hatte, der die Annahme von BU oder EU rechtfertigt. Hierbei war von den Begriffen der BU und der EU iS der §§ 1246, 1247 RVO auszugehen, so wie sie durch die Rechtsprechung ausgeformt worden sind, und zwar ohne Berücksichtigung der Einschränkungen der Rentenzahlung durch das Auslandsrentenrecht (vgl § 1321 RVO). Insofern sind Feststellungen zum bisherigen Beruf ebenso erforderlich wie Feststellungen zu möglichen Verweisungsberufen und den dort zu stellenden Anforderungen sowie – wenn eine Verweisung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt in Betracht kommt – Überlegungen dazu, ob wegen einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung doch die konkrete Benennung einer Tätigkeit erforderlich ist, ferner Feststellungen dazu, ob dem Kläger der Arbeitsmarkt für die ihm noch möglichen Tätigkeiten verschlossen ist.
Sollten die Feststellungen des LSG ergeben, daß bis 30. Juni 1984 kein Versicherungsfall eingetreten ist, kommt es darauf an, ob die Voraussetzungen des § 1246 Abs 2a Satz 1 Nr 1 RVO durch Berücksichtigung von sog. Streckungszeiten iS von Satz 2 bis 4 oder die übergangsrechtlichen Regelungen in Art 2 § 6 Abs 2 Satz 1 Nr 2 oder Satz 3 ArVNG erfüllt sind.
§ 1246 Abs 2a Satz 2 RVO (der gem § 1247 Abs 2a RVO für EU-Renten entsprechend gilt) bestimmt, daß bei der Ermittlung des Rahmenzeitraums von 60 Kalendermonaten, in dem mindestens 36 Monate mit Pflichtbeiträgen belegt sein müssen, folgende Zeiten (sofern sie nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind) nicht mitgezählt werden:
- Ersatzzeiten (§ 1241 RVO),
- Ausfallzeiten (§ 1259 Abs 1 Nr 1 bis 4 RVO),
- Rentenbezugszeiten,
- Zeiten des Bezugs von Anpassungsgeld für entlassene Arbeitnehmer des Bergbaus,
- Zeiten der Erziehung eines Kindes (§ 56 Abs 2 Satz 1 Nr 1 bis 4 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch ≪SGB I≫), längstens jedoch bis zum vollendeten 5. Lebensjahr des Kindes,
- Zeiten (ua) der Arbeitsunfähigkeit und der Arbeitslosigkeit im Sinne von § 1259 Abs 1 RVO, wenn diese Zeiten nur deshalb keine Ausfallzeiten sind, weil sie eine rentenversicherungspflichtige Tätigkeit nicht unterbrochen haben, sofern in den letzten sechs Kalendermonaten der Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Beitrag für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit entrichtet ist oder eine Zeit im Sinne der Nrn 1 bis 5 vorliegt.
Das LSG hat angenommen, daß solche Aufschubzeiten nicht vorliegen. Davon kann indes ebenfalls nicht ohne weitere Ermittlungen ausgegangen werden.
Allerdings ist dem LSG insoweit Recht zu geben, als es annimmt, daß Rentenbezugszeiten, die gemäß § 1246 Abs 2a Satz 2 Nr 3 RVO Streckungszeiten sein könnten, nicht vorliegen. Aus den deutschen Rentenversicherungsbeiträgen hat der Kläger zu keinem Zeitpunkt Rente bezogen. Ob der Kläger eine Erwerbsminderungsrente vom türkischen Sozialversicherungsträger erhalten hat, ist an dieser Stelle unbeachtlich, da Aufschubzeiten nur bei Bezug deutscher Erwerbsminderungsrenten anzuerkennen sind (vgl ua BSGE 75, 199, 205 = SozR 3-2200 § 1246 Nr 48 mwN).
Ferner werden in § 1246 Abs 2a Satz 2 RVO Ersatzzeiten (§ 1251 RVO) und Ausfallzeiten (§ 1259 RVO) als Aufschubzeiten aufgeführt. Hiervon kommen auf der Grundlage der Feststellungen des LSG nach innerstaatlichem Rentenrecht schon tatbestandlich nur Ausfallzeiten wegen Krankheit oder Rehabilitation in Betracht (§ 1259 Abs 1 Satz 1 Nr 1 RVO).
Eine Ausfallzeit wegen Krankheit oder Rehabilitation setzt gemäß § 1259 Abs 1 Satz 1 Nr 1 RVO voraus, daß durch sie die versicherungspflichtige Beschäftigung unterbrochen worden ist. Dieser Tatbestand würde grundsätzlich nur vorliegen, soweit der Kläger unmittelbar nach Beendigung oder schon während seiner letzten versicherungspflichtigen Beschäftigung arbeitsunfähig geworden wäre oder Rehabilitationsleistungen erhalten hätte (vgl BSGE 75, 199, 204 = SozR 3-2200 § 1246 Nr 48 mwN). Dabei ist lediglich zu beachten, daß Unterbrechungen unschädlich sind, die keinen vollen Kalendermonat betragen (BSGE 53, 54 = SozR 2200 § 1259 Nr 60), aber auch Überbrückungstatbestände beachtet werden müssen (KassKomm Niesel § 1259 Rz 25f mwN), für die hier allerdings kein Anhalt besteht.
Außerdem könnte diese Arbeitsunfähigkeit nur solange als Streckungstatbestand berücksichtigt werden, als sie ununterbrochen besteht. Auch dabei sind kürzere Unterbrechungen unbeachtlich. Es ist jedoch zu berücksichtigen, daß immer dann, wenn Arbeitslosigkeit eingetreten ist, die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit sich nicht mehr nach den arbeitsvertraglichen Verpflichtungen aus dem letzten Arbeitsverhältnis richtet, sondern nach den Tätigkeiten, die dem Versicherten arbeitslosenversicherungsrechtlich im Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit zugemutet werden können (BSGE 75, 199, 205 = SozR 3-2200 § 1246 Nr 48).
Das LSG hat sich mit der Möglichkeit einer kontinuierlichen Arbeitsunfähigkeit nach Ende des letzten Beschäftigungsverhältnisses im Jahre 1973 auseinandergesetzt und diese aufgrund der vorliegenden Unterlagen über den Gesundheitszustand des Klägers verneint. Diese Feststellung ist jedoch vom Kläger mit wirksamen Verfahrensrügen angegriffen worden. Das LSG hat sich nämlich bei seinen Überlegungen lediglich mit den orthopädischen Leiden befaßt, nicht aber mit dem bereits Anfang 1978 festgestellten depressiven Zustand. Auch einer damals schon bestehenden Hypertonie wurde nicht nachgegangen. Das LSG wird deshalb auch insoweit prüfen müssen, ob sich noch weitere medizinische Unterlagen beiziehen lassen und alsdann bei erneuter Würdigung den gesamten Leidenszustand berücksichtigen müssen.
Bei seiner Prüfung wird das LSG schließlich auch ermitteln müssen, ob ein Tatbestand iS des § 1246 Abs 2a Satz 2 Nr 6 RVO vorlag. Danach zählen als Streckungstatbestände auch Zeiten der Arbeitsunfähigkeit, wenn diese Zeiten nur deshalb nicht Ausfallzeiten sind, weil sie eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit nicht unterbrochen haben, sofern in den letzten sechs Monaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Beitrag für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit entrichtet ist oder eine Zeit iS der Nrn 1 bis 5 vorliegt. Diese Streckungszeit könnte innerhalb der sechs Monate nach Entrichtung des letzten Beitrags oder innerhalb der sechs Monate nach Beendigung einer an das Beschäftigungsverhältnis anschließenden und dieses unterbrechenden Arbeitsunfähigkeit eingetreten sein, denn der Fall der Nr 6 kann nur einer Arbeitsunfähigkeit folgen, die das Arbeitsverhältnis unterbrochen hat (§ 1246 Abs 2a Satz 2 Nr 2 und Satz 3 RVO), sich aber nicht an eine Arbeitsunfähigkeit iS der Nr 6 dieser Vorschrift anzulehnen, die das Arbeitsverhältnis nicht unterbrochen hat. Deshalb kommt auch der Fall der Nr 6 nicht als Überbrückungstatbestand iS des § 1259 RVO in Betracht.
Die einschlägigen internationalen Vereinbarungen sehen keine weitergehenden Möglichkeiten zur Berücksichtigung von Streckungszeiten vor.
Das Abk Türkei SozSich enthält in den Art 27 ff für Ersatzzeiten, Ausfallzeiten, Rentenbezugszeiten und Kindererziehungszeiten (vgl § 1246 Abs 2a Satz 2 Nr 5, Satz 4 RVO) keine Bestimmungen, die es erlauben würden, entsprechende in der Türkei zurückgelegte Zeiten als Streckungszeiten zu berücksichtigen. Dem Art 27 Abk Türkei SozSich ist lediglich zu entnehmen, daß solche Zeiten, wenn sie nach deutschem Recht zurückgelegt wurden, für die Entstehung eines Anspruchs zu berücksichtigen sind. Die Gleichstellungsvorschriften in Art 4 und 4a Abk Türkei SozSich helfen ebenfalls nicht weiter, denn sie enthalten keine Gebietsgleichstellung in dem Sinne, daß die Tatbestände der Ersatz-, Ausfall- Rentenbezugs- und Kindererziehungszeiten auch in der Türkei erfüllt werden könnten, zB durch Meldung bei einem türkischen Arbeitsamt, Bezug einer türkischen Rente oder Kindererziehung in der Türkei (vgl ua BSGE 75, 199 = SozR 3-2200 § 1246 Nr 48 mwN).
Schließlich lassen sich auch aus dem Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei (EWGAbk Türkei) vom 12. September 1963 (ABl EG vom 19. Dezember 1964 S 3687), dem Zusatzprotokoll zu diesem Abkommen vom 23. November 1970 (ABl EG Nr L 293 vom 29. Dezember 1972) und den dazu ergangenen Beschlüssen des Assoziationsrates keine weitergehenden Rechte des Klägers ableiten, weil es sich bei den Art 12 bis 14 EWG Abk Türkei und den Art 12 und 13 des Assoziationsratsbeschlusses Nr 3/80 vom 19. September 1980 (Abl EG Nr C 110 vom 25. April 1983 S 60) nicht um unmittelbar anwendbares Recht handelt (vgl BSG SozR 6100 Allg Nr 1; EuGHE I 1996, 4085 = NZA 1997, 309 = SozR 3-6935 Allg Nr 2). Eine Anwendbarkeit im Einzelfall setzt voraus, daß der Rat zuvor ergänzende Bestimmungen zur Durchführung dieser Bestimmungen erlassen hat (EuGH aaO). Das ist für die hier zu beurteilenden Fragen nicht geschehen.
Ergibt sich, daß Streckungszeiten iS von § 1247 Abs 2a Satz 2 RVO vorliegen, aber nicht unmittelbar zur Erfüllung der Voraussetzungen des § 1247 RVO iVm § 1246 Abs 2a RVO ausreichen, könnten diese an sich auch noch im Rahmen der Übergangsvorschrift in Art 2 § 6 Abs 2 Satz 1 Nr 2 ArVNG Bedeutung gewinnen. Die Erfüllung der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen ist nach dieser Vorschrift nicht erforderlich, wenn vor dem 1. Januar 1984 die allgemeine Wartezeit erfüllt war und jeder Kalendermonat vom 1. Januar 1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der EU mit Anwartschaftserhaltungszeiten belegt ist. Das sind Beitragszeiten und Streckungszeiten. Bei Eintritt des Versicherungsfalls in der Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 1984 würde es genügen, daß die Zeit vom 1. Januar 1984 bis 30. Juni 1984 mit Anwartschaftserhaltungszeiten belegt wäre (Art 2 § 6 Abs 2 Satz 3 ArVNG).
Letztlich wirkt sich diese Vorschrift aber für den Kläger praktisch nicht aus, weil Beitragszeiten, die hier zu berücksichtigen wären, nach den Feststellungen des LSG bisher nicht vorhanden sind. Der letzte Beitrag zur deutschen Rentenversicherung ist 1973 entrichtet worden. Auch Beiträge zur türkischen Sozialversicherung könnten zwar Bedeutung gewinnen. Art 27 Abk Türkei SozSich bestimmt, daß dann, wenn anrechnungsfähige Versicherungszeiten nach den Vorschriften beider Vertragszeiten vorhanden sind, für den Erwerb des Leistungsanspruchs nach den anzuwendenden Rechtsvorschriften auch die Versicherungszeiten berücksichtigt werden, die nach den Rechtsvorschriften der anderen Vertragspartei anrechnungsfähig sind und nicht auf dieselbe Zeit entfallen (vgl auch zu einer ähnlichen Vorschrift im Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit vom 12. Oktober 1968 BGBl 1969 II S 1438; BSGE 75, 199, 211 ff = SozR 3-2200 § 1246 Nr 48). Das LSG hat indes festgestellt, daß in dem hier maßgeblichen Zeitraum keine Beiträge zur türkischen Sozialversicherung entrichtet wurden.
Nach alledem kommt es mithin letztlich darauf an, ob bereits vor dem 1. Juli 1984 ein Versicherungsfall der BU oder EU eingetreten ist oder Streckungstatbestände vorliegen, unter deren Berücksichtigung die Voraussetzungen des § 1247 RVO iVm § 1246 Abs 2a Satz 1 Nr 1 RVO erfüllt sind. Die dazu erforderlichen Feststellungen können vom erkennenden Senat nicht selbst getroffen werden (§ 163 SGG). Die Sache ist deshalb an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 SGG).
Ergeben die Feststellungen des LSG einen Tatbestand, demzufolge die gesetzlichen Voraussetzungen eines Rentenanspruchs ab Dezember 1988 unter Zugrundelegung der RVO nicht erfüllt sind, ist auch noch zu prüfen, ob dem Kläger Gelegenheit gegeben werden müßte, freiwillige Beiträge zur deutschen oder türkischen Rentenversicherung nachzuentrichten. Ob diese Möglichkeit jetzt noch besteht, richtet sich in der deutschen Rentenversicherung nach dem SGB VI (§ 300 Abs 1 SGB VI, dazu Niesel, KassKomm § 300 Rz 4 mwN). Auch diese Möglichkeit scheidet aber aus, da der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland nicht zur Entrichtung freiwilliger Rentenversicherungsbeiträge für die Zeit nach dem 1. Januar 1984 berechtigt ist. Ein derartiges Recht besteht nach § 7 SGB VI iVm § 30 Abs 1 SGB I für Ausländer nur dann, wenn sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des SGB haben. Allerdings bleiben gemäß § 30 Abs 2 SGB I Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts unberührt. Insoweit ist das Abk Türkei SozSich zu beachten. Dieses sah in der bis 31. März 1987 geltenden Fassung für türkische Staatsangehörige, die in ihr Heimatland zurückgekehrt sind, in Art 26 und 52 ein Recht zur Entrichtung freiwilliger Beiträge zur deutschen Rentenversicherung nur dann vor, wenn der Versicherte noch während seines Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland zumindest einen freiwilligen Beitrag zur deutschen Rentenversicherung entrichtet hatte. Dies hat der Kläger nicht getan und kann dies auch nicht mehr nachholen, da er hier nicht mehr seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.
Es gibt auch keine Möglichkeit, die Abkommensbestimmung erweiternd dahin auszulegen, daß die freiwillige Beitragsentrichtung heute noch nachgeholt werden kann, wenn sich die Gesetzeslage ändert und die freiwillige Entrichtung von Beiträgen eine andere Bedeutung erhält. Abgesehen davon, daß Abkommen grundsätzlich eng am Wortlaut auszulegen sind, weil sie im einzelnen ausgehandelt worden sind, ist letztlich auch der Sinn der Regelung erkennbar, den Status des Versicherten bei Verlassen der Bundesrepublik Deutschland endgültig festzulegen und damit für türkische Staatsangehörige mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in der Türkei die Möglichkeit eines weiteren Ausbaus ihrer sozialen Sicherung in der deutschen Rentenversicherung zu beschränken. Dabei spielte zugleich der Gedanke eine Rolle, den türkischen Arbeitnehmern, die in ihre Heimat zurückkehren, die Möglichkeit einer Beitragsrückerstattung möglichst weitgehend zu eröffnen (vgl dazu Mitt LVA Oberfranken und Mittelfranken 1987 S 153 f). Bestätigt wird diese Auslegung auch noch durch Nr 5 Buchst d des Schlußprotokolls zum Abk Türkei SozSich, wo ausdrücklich bestimmt wird, daß die nach Art 4 den deutschen Staatsangehörigen gleichgestellten Personen, solange sie sich gewöhnlich außerhalb des Gebietes der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, zur freiwilligen Versicherung in der deutschen Rentenversicherung nicht berechtigt sind. Auch die weitere Entwicklung des Abk Türkei SozSich eröffnet keine Möglichkeiten der freiwilligen Versicherung in Deutschland. Im Gegenteil: Art 26 und 52 Abk Türkei SozSich wurden durch das Zusatzabkommen vom 2. November 1984 ≪ZA≫ (BGBl II 1986, 1040) vollständig aufgehoben mit der Folge, daß danach eine freiwillige Versicherung in der deutschen Rentenversicherung für türkische Staatsangehörige, die in ihr Heimatland zurückgekehrt waren, grundsätzlich überhaupt nicht mehr möglich war. Lediglich diejenigen, die ihre freiwillige Versicherung schon vor dem 1. April 1987 begonnen hatten, durften auch nach dem 31. März 1987 freiwillige Beiträge entrichten (Art 2 Abs 5 ZA). Zu diesem Personenkreis gehört der Kläger nicht.
Ein Recht zur Nachentrichtung des einen freiwilligen Beitrags, der nach der Rechtslage, die bei Rückkehr des Klägers in die Türkei bestand, die Berechtigung zur freiwilligen Versicherung in der deutschen Rentenversicherung sicherte, kann dem Kläger schließlich auch nicht, wie das LSG meint, im Wege der Nachsichtgewährung eingeräumt werden. Dieses Rechtsinstitut ist aus dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben entwickelt worden für Fälle, in denen eine Fristversäumnis eine besondere Härte bedeutet. Diese richterrechtliche Entwicklung ist inzwischen weitgehend durch § 27 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) abgelöst worden, der nunmehr stattdessen die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand grundsätzlich auch für Ausschlußfristen eröffnet (BSGE 64, 153). Die Wiedereinsetzung ist aber ausgeschlossen, wenn sich dies aus einer Rechtsvorschrift ergibt (§ 27 Abs 5 SGB X). Dazu ist keine ausdrückliche Bestimmung erforderlich; der Ausschluß kann sich auch aus Sinn und Zweck der Vorschrift ergeben (vgl zB BSG SozR 4100 § 66 Nr 2; SozR 4100 § 78 Nr 8; SozR 3-4100 § 81 Nr 1). Selbst wenn man das Erfordernis der Entrichtung eines freiwilligen Beitrags zur deutschen Rentenversicherung vor Rückkehr in die Türkei als Fristenregelung ansehen könnte (was fraglich ist), würden jedenfalls die Voraussetzungen des § 27 SGB X für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht vorliegen. Die Gründe, die oben gegen eine Berücksichtigung späterer Rechtsänderungen angeführt wurden, gelten auch hier. Die Möglichkeit der Wiedereinsetzung würde dem klaren Zweck der Vorschriften des Abk Türkei SozSich widersprechen; denn jedenfalls könnte der Versicherte dann nicht gehindert werden, seine deutsche Rentenversicherung durch rückwirkende Entrichtung von Beiträgen für noch offene Zeiten auszubauen (§ 1418 Abs 3 RVO würde dafür eine Grundlage bilden). Ein solcher Ausbau sollte aber nach der früheren Fassung des Abk Türkei SozSich gerade beschränkt, nach neuerer Fassung sogar ausgeschlossen werden (vgl zur Ausschlußfrist in internationalen Verträgen auch BSG SozR 6961 Nr 7, Nr 2).
Ein Anspruch des Klägers darauf, unabhängig von der Entrichtung eines freiwilligen Beitrags vor Rückkehr in die Türkei zur Nachentrichtung freiwilliger Beiträge in die deutsche Rentenversicherung zugelassen zu werden, läßt sich nicht begründen, insbesondere nicht aus einem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch herleiten. Der Herstellungsanspruch ist als ein Instrument zur Sicherung des Rechtsstaatsprinzips in der Verwaltung und des in § 2 Abs 2 SGB I zum Ausdruck gebrachten Erfüllungsprinzips entwickelt worden. Ihm liegt der Gedanke zugrunde, daß die Verwaltung dann, wenn sie Fehler macht, insbesondere den Versicherten unzureichend beraten hat und sich daraus für ihn Nachteile ergeben, die Rechtsfolgen herzustellen hat, die eingetreten wären, wenn das Verwaltungsverfahren ordnungsgemäß gelaufen wäre; dies gilt allerdings nur, soweit dies mit Mitteln des Verwaltungsverfahrens möglich ist (vgl ua BSG SozR 3-1200 § 14 Nr 22 und § 45 Nr 6; BSG SozR 3-2600 § 300 Nr 5). Im vorliegenden Fall ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, daß ein der Beklagten zurechenbarer Verwaltungsfehler ursächlich dafür gewesen sein könnte, daß der Kläger vor seiner Rückkehr keinen freiwilligen Beitrag zur deutschen Rentenversicherung entrichtet hat. Auf das HBegleitG 1984 konnte seinerzeit nicht hingewiesen werden, weil 1975 die spätere Gesetzesentwicklung nicht vorauszusehen war. Ob später – etwa noch gegen Ende des Jahre 1983 – eine Möglichkeit bestand, den Kläger über die Notwendigkeit einer freiwilligen Beitragsentrichtung zu beraten, ist ohne Bedeutung, da der Kläger zu dieser Zeit bereits vom Recht zur freiwilligen Versicherung in der Bundesrepublik Deutschland ausgeschlossen war.
Damit steht fest, daß der Kläger auch in der Folgezeit keine Berechtigung hatte, laufend oder gar rückwirkend freiwillige Beiträge zur deutschen Rentenversicherung zu entrichten. Auf die jeweiligen Regelungen über die Fristen für eine wirksame Beitragsentrichtung (§ 1418 Abs 2 und 3 RVO, § 197 Abs 2 und 3 SGB VI) kommt es nicht mehr an, weil diese Vorschriften ein Recht zur freiwilligen Versicherung dem Grunde nach voraussetzen.
Nun könnte allerdings aufgrund des Art 27 Abk Türkei SozSich die Entrichtung freiwilliger Beiträge zur türkischen Sozialversicherung ebenfalls die hier umstrittenen besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen sicherstellen. Der inzwischen mitgeteilte Rentenbezug in der Türkei ab 1977 spricht indes dafür, daß der Kläger in der gesamten Zeit seit 1. Januar 1984 nicht zur Entrichtung freiwilliger Beiträge zur türkischen Rentenversicherung berechtigt war. Dies würde aus dem vom LSG erwähnten Art 85 Großbuchst A Kleinbuchst c des türkischen Sozialversicherungsgeseztes Nr 506 folgen, der nach den im Revisionsverfahren eingeholten Auskünften in der gesamten Zeit seit 1. Januar 1984 die Entrichtung freiwilliger Beiträge während des Bezugs einer Rente ausschloß. Damit scheidet die vom LSG versuchte Konstruktion eines Herstellungsanspruchs von vornherein aus.
Sollte sich aufgrund der erforderlichen weiteren Feststellungen ergeben, daß der Kläger entweder nicht in der Zeit bis 30. Juni 1984 bu oder eu geworden ist oder bei einem späteren Versicherungsfall die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 1247 Abs 2a, § 1246 Abs 2a RVO auch nicht unter Berücksichtigung von Streckungszeiten der Arbeitsunfähigkeit erfüllt sind, ferner daß der Kläger ab 1. Januar 1984 auch in der Türkei nicht fortlaufend zur Entrichtung freiwilliger Beiträge berechtigt war, ist nach Auffassung des erkennenden Senats eine Vorlage an das BVerfG geboten (vgl Art 100 GG).
Unter diesen Voraussetzungen verstoßen nämlich § 1247 Abs 1 und 2a RVO iVm § 1246 Abs 2a RVO sowie Art 2 § 6 Abs 2 ArVNG gegen Art 14 GG, weil dem Kläger dann seine Anwartschaft auf Gewährung von Erwerbsminderungsrente vor Erreichen der Altersgrenze weitgehend entzogen worden wäre.
Das BVerfG hat in seinem Beschluß vom 8. August 1987 (BVerfGE 75, 78 = SozR 2200 § 1246 NR 142) seine Rechtsprechung bestätigt, daß die in der deutschen Rentenversicherung erworbenen Anwartschaften den Schutz des Art 14 GG genießen. Es hat darüber hinaus entschieden, daß die Anforderungen in § 1246 Abs 1 und 2a, § 1247 Abs 1 und 2a RVO, Art 2 § 6 Abs 2 ArVNG, bezogen auf die ihm vorliegenden Fälle die – soweit ersichtlich – sämtlich Versicherte betrafen, welche ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatten, mit dem GG vereinbar sind, weil diejenigen, die bei Inkrafttreten des Gesetzes bereits eine durch Erfüllung der allgemeinen Wartezeit gesicherte Anwartschaft erworben hatten, berechtigt waren und sind, die Anwartschaft durch freiwillige Entrichtung von Mindestbeiträgen aufrechtzuerhalten (vgl Art 2 § 6 Abs 2 Sätze 1 und 3 ArVNG, § 1233 RVO). Dieser Teil der Entscheidung kann jedoch nicht ohne weiteres auf Ausländer übertragen werden, die in der Bundesrepublik Deutschland eine Anwartschaft erworben haben, danach in ihre Heimat zurückgekehrt sind und von den hier umstrittenen Änderungen durch das HBegleitG 1984 betroffen worden sind. Bezogen auf diesen Personenkreis läßt der Beschluß des BVerfG (aaO) Raum für eine erneute Prüfung der Verfassungsmäßigkeit, weil zusätzliche Hindernisse und Erschwernisse für die Entrichtung freiwilliger Beiträge zu berücksichtigen sind, die ergeben könnten und im vorliegenden Fall nach Auffassung des erkennenden Senats auch ergeben, daß die Grenzen, die dem Gesetzgeber für die Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums gesetzt sind, als überschritten angesehen werden müssen (vgl dazu allg BVerfGE 22, 387, 407 f).
Das BVerfG stellt in der genannten Entscheidung zunächst fest, daß die Einführung der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen in § 1246 Abs 2a RVO für Inländer keinen totalen Entzug des Eigentums an einer vorher begründeten Anwartschaft bewirkt; es wird lediglich die zusätzliche laufende Entrichtung von Mindestbeiträgen zugemutet, die unter dem Gesichtspunkt zulässiger Festlegung von Inhalt und Schranken des Eigentums zu prüfen ist (vgl BVerfGE 75, 78, 97). Dabei wurde gedanklich bereits die Möglichkeit der Anwartschaftserhaltung durch freiwillige Beiträge nach Art 2 § 6 Abs 2 ArVNG einbezogen; denn Pflichtbeiträge kann man regelmäßig nicht nach Belieben entrichten und auch nicht jederzeit die Voraussetzungen für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit schaffen. Aus der Entscheidung des BVerfG ergibt sich bereits an dieser Stelle, daß ohne das Recht zur Anwartschaftserhaltung durch freiwillige Beitragsentrichtung die Befugnisse des Gesetzgebers zur Festlegung der Schranken des Eigentums überschritten waren (so BVerfGE 75, 78, 103).
Ein solches Recht hätte der Kläger nach dem unterstellten Ergebnis der noch durchgeführten Ermittlungen ab 1. Januar 1984 nicht gehabt. Es wäre ihm auch nicht zuzumuten gewesen, nach Inkrafttreten des HBegleitG 1984 nur zur Eröffnung der Möglichkeit freiwilliger Beitragsentrichtung zur deutschen gesetzlichen Rentenversicherung sofort wieder nach Deutschland zurückzukehren und notfalls hier zu verbleiben (vgl dazu allg BVerfGE 51, 356, 365). Die Begründung und Aufrechterhaltung eines gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland würde außerdem nicht nur tatsächlichen, sondern auch ausländerrechtlichen Schwierigkeiten begegnen.
Da der Kläger somit keine realisierbare Möglichkeit gehabt hätte, die Voraussetzungen des Art 2 § 6 Abs 2 Satz 1 Nr 2 ArVNG zu erfüllen, läge unter Zugrundelegung der zitierten Entscheidung des BVerfG bei ihm eine Eigentumsverletzung vor, die nicht mehr durch die Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums gerechtfertigt ist.
Der Eingriff in das Eigentum des Klägers zeichnet sich dadurch aus, daß die Hindernisse für eine anwartschaftserhaltende freiwillige Beitragsentrichtung hier ua im Bereich der ausländischen Gesetzgebung und der internationalen Abkommen liegen. Insofern kann davon ausgegangen werden, daß der Eigentumsschutz nach Art 14 GG nicht abhängig ist vom Aufenthalt oder von der Staatsangehörigkeit des Berechtigten. Jeder kann sein im Inland erworbenes und befindliches Eigentum geltend machen und den verfassungsrechtlichen Schutz dafür in Anspruch nehmen. Jede Handlung des Gesetzgebers, die eine Situation schafft, welche das Eigentum ohne hinreichende Rechtfertigung beeinträchtigt, ist ein Verfassungsverstoß, auch gegenüber Ausländern. Das Eigentum darf auch nicht als „Faustpfand” für den Abschluß von Sozialversicherungsabkommen verwendet werden (vgl BVerfGE 51, 1, 23 ff).
Darüber hinaus ist keine Rechtsprechung des BVerfG ersichtlich, die eine andere Beurteilung nahelegen würde. Der dem Beschluß des BVerfG vom 20. März 1979 (BVerfGE 51, 19) zugrundeliegende Sachverhalt unterscheidet sich wesentlich von dem hier zur Entscheidung stehenden. Insbesondere wurde dort die Möglichkeit, deutsche Rentenzahlungen im Ausland zu erhalten, allein durch inländische Gesetzgebung beeinträchtigt. Ähnlich verhält es sich mit dem Beschluß des BVerfG vom 26. Juni 1979 (BVerfGE 51, 356), der die Frage betrifft, ob Ausländern im Ausland durch das Rentenreformgesetz vom 16. Oktober 1972 übergangslos die Möglichkeit genommen werden durfte, eine freiwillige Versicherung fortzusetzen. Bei dem jetzt zu entscheidenden Fall handelt es sich demgegenüber um das Zusammenwirken von inländischer und ausländischer Gesetzgebung sowie das Abkommensrecht. Dementsprechend ist neu zu prüfen, ob und unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber auf die Verhältnisse im Ausland Rücksicht nehmen muß, wenn er Regelungen trifft, die auch Versicherte mit eigentumsgeschützter Anwartschaft beeinträchtigen, die im Ausland wohnen.
Betrachtet man zunächst die Ursachen für die Beeinträchtigungen des Eigentums türkischer Versicherter, so war die Änderung der deutschen Gesetzes – trotz der Wechselwirkung mit vorhandenem ausländischen Recht und dem bestehenden Abk Türkei SozSich – doch der ausschlaggebende Eingriff in das Eigentum. Bis zum HBegleitG 1984 war das Eigentum an dem Anwartschaftsrecht auf EU/BU-Rente für türkische Staatsangehörige, die wieder in ihre Heimat zurückkehrten, gesichert, unabhängig davon, ob sie sich das Recht zur Entrichtung freiwilliger Beiträge in die deutsche Rentenversicherung (durch Entrichtung zumindest eines freiwilligen Beitrags vor der Rückkehr) erhalten hatten. Durch das HBegleitG 1984 ist denjenigen, die ohne ein solches Recht zur freiwilligen Beitragsentrichtung zurückgekehrt waren und weder die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 1246 Abs 2a RVO unter Berücksichtigung von langdauernden Streckungszeiten oder einer versicherungspflichtigen Beschäftigung in der Türkei erfüllen noch ihr Anwartschaftsrecht gemäß Art 2 § 6 Abs 2 ArVNG namentlich auch durch Entrichtung freiwilliger Beiträge zur türkischen Sozialversicherung erhalten konnten, ihre verfassungsrechtlich „geschützte” Rentenanwartschaft teilweise übergangslos entzogen worden. Der Gesetzgeber hat solche türkischen Rückkehrer durch das HBegleitG 1984 in eine Lage versetzt, in der ihr Eigentum verloren ging, ohne daß sie individuell in der Lage waren, hieran etwas zu ändern, es sei denn, sie kämen wieder nach Deutschland und entrichteten hier die erforderlichen freiwilligen Beiträge. Auf die Unzumutbarkeit dieser Möglichkeit wurde bereits hingewiesen.
Es kann hier offenbleiben, ob der Gesetzgeber bei der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums immer und in jeder Beziehung Beeinträchtigungen durch die tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse im Ausland Rechnung tragen muß. Jedenfalls im Verhältnis zu dem Personenkreis, dem der Kläger angehört, war es jedoch verfassungsrechtlich geboten, die durch bereits bestehendes türkisches Recht bedingte Unmöglichkeit einer freiwilligen Beitragsentrichtung zur dortigen Rentenversicherung zu berücksichtigen. Die einschneidende Verschärfung der Anspruchsvoraussetzungen für BU/EU-Renten durch das HBegleitG 1984, die sich im SGB VI fortgesetzt hat, stellt für türkische Versicherte, die sich nach Beendigung ihrer deutschen Beschäftigungszeit, ohne vorher einen freiwilligen Beitrag zur deutschen Rentenversicherung geleistet zu haben, schon vor 1984 wieder auf Dauer in ihre Heimat zurückgekehrt sind, nicht nur einen Eingriff von besonderer Art und besonderem Gewicht dar. Ihnen gegenüber ist nach Auffassung des erkennenden Senats auch ein besonderer Vertrauenstatbestand gegeben (zur Bedeutung des Vertrauensschutzes im Bereich der Sozialversicherung vgl allg BVerfGE 51, 356, 363), der es erwarten ließ, daß der deutsche Gesetzgeber bei Änderungen des Rentenrechts – zumindest soweit sie die verfassungsrechtlich geschützten Rechtspositionen an Rentenanwartschaften betreffen – auf die rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten dieses Personenkreises, welche maßgeblich durch die Verhältnisse in der Türkei bestimmt werden, Rücksicht nehmen würde. Dies ergibt sich im einzelnen aus folgenden Erwägungen:
Die Bundesrepublik Deutschland trägt für diesen Personenkreis eine besondere Verantwortung, weil sie die Wanderungsbewegung im Rahmen ihrer Arbeitsmarkt- und Ausländerpolitik zunächst durch Anwerbung und später durch Veranlassung sowie Förderung der Rückkehr gelenkt hat. Die deutsche Wirtschaft war in den sechziger Jahren verstärkt auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen. Das führte zur Anwerbung im Ausland; es wurden Anwerbevereinbarungen geschlossen. Diese Anwerbung erfolgte stets vor dem Hintergrund der Arbeitserlaubnisverordnung und des Ausländerrechts, die im Grundsatz nur eine begrenzte Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland zuließen. Es war nicht an eine Einwanderung auf Dauer gedacht. In den siebziger Jahren setzte dann das Bemühen ein, die „Gastarbeiter” stärker zur Rückkehr zu bewegen und Anreize dafür zu schaffen (zum Ganzen ausführlich Pröbsting, Arbeit und Sozialpolitik 1992, 44; Seidel, Ausländerbeschäftigung 1955-1988, Informationsdienst zur Ausländerarbeit 1988, 47). Es war also stets das Ziel der Beschäftigungspolitik, den Aufenthalt auch von türkischen Arbeitnehmern in der Bundesrepublik Deutschland zu steuern. Dementsprechend war zu erwarten, daß der Inlandsaufenthalt dieser Arbeitnehmer in der überwiegenden Zahl der Fälle begrenzt sein würde und sie irgendwann in ihr Heimatland zurückkehren würden. Soweit sie es freiwillig taten, handelten sie im Sinne der Ziele der deutschen Ausländerbeschäftigungspolitik.
Daraus ergibt sich, daß auch die Absicherung im Rentenrecht, die ein ausländischer Arbeitnehmer hier erwerben konnte, in der Regel nur einen Teil seiner gesamten Invaliditäts- und Alterssicherung ausmacht. Dazu ist hervorzuheben, daß ein Arbeitnehmer regelmäßig zur Absicherung von Invalidität und Alter auf die Systeme der sozialen Sicherung angewiesen ist, er aber eine angemessene Versorgung in diesem Bereich nur über seine Lebensarbeitszeit erreichen kann. Jede Phase des Arbeitslebens ist deshalb notwendiger und nicht wiederholbarer Teil des individuellen Sicherungskonzepts. Das gilt auch, wenn die Absicht besteht, sich die deutschen Beiträge auszahlen zu lassen und damit in der Heimat eine Existenz aufzubauen, denn es steht jedem frei zu wählen, welcher Weg der Existenzsicherung für ihn der günstigere ist.
Eine längere Tätigkeit in der Bundesrepublik war für türkische Arbeitnehmer nach alledem nur vertretbar, wenn sie darauf vertrauen konnten, daß die von ihnen in der Bundesrepublik erworbenen Anwartschaften eine anteilige Invaliditäts- und Alterssicherung zur Folge haben würden, sofern sie sich nicht die Beiträge auszahlen ließen, um damit eine Existenzsicherung aufzubauen. Interessengerecht war insofern ein Gesamtkonzept, das türkische und deutsche Versicherungszeiten zur Anspruchsbegründung gegenseitig anrechenbar machte. Dem wurde durch das Abk Türkei SozSich im wesentlichen Rechnung getragen. Unter diesen Bedingungen sind die türkischen Arbeitnehmer dann auch in der Bundesrepublik Deutschland tätig gewesen. Diese Sach- und Rechtslage war geeignet, bei diesem Personenkreis ein Vertrauen darauf entstehen zu lassen, daß der deutsche Gesetzgeber in ihre erworbenen Rentenanwartschaften nicht ohne Berücksichtigung ihrer berechtigten Belange eingreifen würde.
Diese Vertrauenstatbestand sowie die besondere soziale Bedeutung und grundsätzliche Unersetzbarkeit der durch Einsatz von Lebensarbeitszeit erworbenen Rentenanwartschaft erfordern jedenfalls dann, wenn es sich wie hier um eine durch deutsche Arbeitsmarktpolitik unterstützte und gelenkte Massenerscheinung handelt, eine gesetzgeberische Behandlung der einschlägigen Vorschriften, die den typischen Komplikationen einer Ausländerberührung Rechnung trägt. Hierzu gehört auch der Umstand, daß neue innerstaatliche Regelungen im Zusammenwirken mit bestehender ausländischer Gesetzgebung und abgeschlossenem Sozialversicherungabkommen zu Folgerungen führen können, die so nicht angestrebt und verfassungsrechtlich nicht vertretbar sind. Der Gesetzgeber muß dann zum Schutze der Anwartschaften der betroffenen, im Ausland lebenden Versicherten auf diese realen, vom Einzelnen nicht beeinflußbaren Auswirkungen Rücksicht nehmen, weil anderenfalls deren eigentumsähnliche Rechtsposition (teilweise) entzogen würde.
Der Bundesrepublik Deutschland wäre es auch möglich gewesen, die in der türkischen Gesetzgebung liegenden Hindernisse für eine freiwillige Beitragsentrichtung durch in der Türkei wohnende Versicherte in einer Weise zu berücksichtigen, die dem Schutzzweck des Art 14 GG Genüge tat. Es gab insbesondere die Möglichkeit, durch Nachverhandlungen mit der Türkei zu Ergänzungen des Abk Türkei SozSich zu gelangen, welche die durch das HBegleitG 1984 entstehenden Härten hätten vermeiden helfen können. Denkbar wäre dabei eine Ausweitung des Streckungstatbestandes „Rentenbezug” (§ 1246 Abs 2a Satz 1 Nr 3 RVO) auf türkische Renten.
Soweit sich aus den Urteilen des 5. Senats des BSG vom 27. Januar 1994 – 5 RJ 76/92 – und vom 23. März 1994 – 5 RJ 38/93 – eine gegenteilige Ansicht entnehmen läßt, kann dem für die hier zu entscheidende Fallgestaltung nicht gefolgt werden. Der 5. Senat hat in dem Urteil vom 27. Januar 1994 ausgeführt: Wer in ein fremdes Land gehe, von wo aus er, sei es aus rechtlichen, sei es aus tatsächlichen Gründen, eine Möglichkeit nicht mehr habe, die er noch im Inland gehabt habe, schlage diese Möglichkeit freiwillig aus. Wer sich durch Wegzug von Deutschland selbst einer rechtlichen Chance beraube, setze sich zu seinem eigenen Verhalten in Widerspruch, wenn er sich wegen der von ihm selbst in Kauf genommenen geminderten rechtlichen Möglichkeiten benachteiligt glaube. Diese Ausführungen sind im Zusammenhang damit zu lesen, daß der 5. Senat des BSG über einen Fall zu entscheiden hatte, in dem ein türkischer Versicherter zunächst in Deutschland zur freiwilligen Weiterversicherung berechtigt war und diese Möglichkeit nicht nutzte, obwohl im Zeitpunkt seiner Rückkehr (nach dem 1. Januar 1984) das HBegleitG 1984 schon einige Zeit in Kraft war. Auch in einem solchen Zusammenhang erscheint es dem erkennenden Senat allerdings fraglich, ob die vom 5. Senat des BSG (aaO) gezogenen Folgerungen mit dem Eigentumsschutz des Art 14 GG in Einklang stehen. Denn das Lohn-, Kaufkraft- und Wechselkursgefälle ist dabei nicht berücksichtigt worden. Dies mag indes hier dahinstehen, da über einen solchen Fall nicht zu entscheiden ist.
Das LSG wird auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen
BSGE 82, 1 |
BSGE, 1 |
NVwZ 1998, 1222 |
NZS 1998, 544 |
SozR 3-2200 § 1246, Nr.60 |
SozSi 1999, 117 |
SozSi 1999, 80 |