Entscheidungsstichwort (Thema)
Verletzung rechtlichen Gehörs bei Nichtentscheidung über aufrechterhaltenes Prozeßkostenhilfebegehren. Vorliegen neuer Gesichtspunkte für eine andere Beurteilung
Leitsatz (amtlich)
Der Anspruch eines Beteiligten auf Gewährung rechtlichen Gehörs kann verletzt sein, wenn das Gericht über dessen nach erfolgter Ablehnung aufrechterhaltenes Prozeßkostenhilfebegehren nicht erneut entscheidet, obwohl sich inzwischen neue Gesichtspunkte ergeben haben, die eine andere Beurteilung nahelegten.
Orientierungssatz
1. Bei der Prüfung der Erfolgsaussicht ist zu berücksichtigen, daß die Anwendung des § 114 ZPO dem aus Art 3 Abs 1, Art 19 Abs 4, Art 20 Abs 3 GG abzuleitenden verfassungsrechtlichen Gebot entsprechen soll, die Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes weitgehend anzugleichen (vgl BVerfG vom 13.3.1990 - 2 BvR 94/88 = BVerfGE 81, 347, 356f). Daher dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussicht nicht überspannt werden. So kann Prozeßkostenhilfe durchaus verweigert werden, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist. Hingegen ist eine hinreichende Aussicht auf Erfolg zu bejahen, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von der Klärung entscheidungserheblicher Tatsachen abhängt und keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Antragstellers ausgehen wird (vgl BVerfG vom 2.2.1993 - 1 BvR 1697/91 = FamRZ 1993, 664f).
2. In den schriftlichen Eingaben, mit denen der Kläger wiederholt die Verweigerung von Prozeßkostenhilfe rügt, ist ein formloser Prozeßkostenhilfeantrag zu sehen.
3. An der Geltendmachung des in der Vorenthaltung von Prozeßkostenhilfe liegenden Verfahrensmangels ist der Kläger im Revisionsverfahren nicht durch § 548 ZPO gehindert. Zwar gehören zu den unanfechtbaren Entscheidungen des LSG, die danach als solche vom BSG im Revisionsverfahren nicht überprüft werden können, an sich auch Beschlüsse über die Ablehnung von Prozeßkostenhilfe (vgl § 177 SGG). Im vorliegenden Fall liegt der Verfahrensfehler jedoch gerade darin, daß die Vorinstanz trotz geänderter Sach- und Rechtslage nicht erneut über eine Bewilligung von Prozeßkostenhilfe entschieden hat. Abgesehen davon bezieht sich die Bindung des Revisionsgerichts nur auf die Vorentscheidung selbst, nicht jedoch auf deren Auswirkungen auf die prozessuale Situation des betroffenen Beteiligten.
4. Bei der Versagung des rechtlichen Gehörs handelt es sich um einen verzichtbaren Verfahrensmangel.
Normenkette
SGG §§ 62, 73a Abs. 1 S. 1, § 202; GG Art. 103 Abs. 1; ZPO §§ 114, 121, 295 Abs. 1-2, § 548; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Streitig ist die Gewährung von Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit (BU). Im Revisionsverfahren geht es vorrangig darum, ob das Landessozialgericht (LSG) dem Kläger in verfahrensfehlerhafter Weise die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe vorenthalten hat.
Der 1957 geborene Kläger bestand 1975 die Gesellenprüfung als Heizungs- und Lüftungsbauer. Anschließend war er bis Januar 1982 im erlernten Beruf versicherungspflichtig beschäftigt. Danach war er- bis auf eine Tätigkeit als Heizungsbauer von September 1988 bis Oktober 1989 - arbeitslos oder arbeitsunfähig krank. Von Oktober 1992 bis zum 5. Dezember 1995 arbeitete der Kläger als Heizungsmonteur. Ab 6. Dezember 1995 war er arbeitsunfähig krank.
Den (nach Aktenlage) im Dezember 1993 gestellten Rentenantrag des Klägers lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 24. Mai 1994 ab, weil er zwar nicht mehr seinen erlernten Beruf aber noch verschiedene (im einzelnen aufgeführte) zumutbare Verweisungstätigkeiten vollschichtig verrichten könne. Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte ua mit der Begründung zurück, die tatsächlich ausgeübte Erwerbstätigkeit belege, daß er auch seinen erlernten Beruf noch ausüben könne (Widerspruchsbescheid vom 14. Juni 1994). Die Klage hatte keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ Karlsruhe vom 25. Oktober 1995).
Im anschließenden Berufungsverfahren lehnte das LSG Baden-Württemberg durch Beschlüsse vom 1. Februar 1996 und 25. März 1996 die wiederholt beantragte Bewilligung von Prozeßkostenhilfe ab. Einen weiteren Prozeßkostenhilfeantrag des Klägers verwarf das LSG durch Beschluß vom 15. April 1996 als unzulässig, weil der Kläger mangels einer zwischenzeitlich eingetretenen Änderung der Sach- und Rechtslage keinen Anspruch auf eine erneute Sachentscheidung habe. In der Folgezeit rügte der Kläger mehrfach die Vorenthaltung eines im Wege der Prozeßkostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalts (Schreiben des Klägers vom 3. und 12. Mai 1996, 20. Oktober 1996, 10. Februar und 3. März 1997). Währenddessen führte das LSG verschiedene berufskundliche Ermittlungen durch, deren Ergebnisse es veranlaßten, mit Verfügung vom 16. Dezember 1996 bei der Beklagten anzufragen, ob der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf BU-Rente anerkannt werde. Dies lehnte die Beklagte mit Schriftsatz vom 30. Januar 1997 unter Hinweis auf bestimmte vorliegende Beweismittel ab.
Durch Urteil des LSG vom 12. März 1997 ist die Berufung des Klägers sodann im wesentlichen aus folgenden Gründen zurückgewiesen worden:
Bisheriger Beruf des Klägers sei die von ihm zuletzt bis zum 5. Dezember 1995 ausgeübte versicherungspflichtige Tätigkeit als Heizungsbauer und Kundendienstmonteur im Bereich Heizungsbau. Bei dieser Tätigkeit handele es sich um eine besonders hoch qualifizierte Facharbeitertätigkeit, denn sie umfasse- wie sich aus der Auskunft der Firma S. ergebe - nicht nur Facharbeitertätigkeiten als Heizungsbauer, sondern darüber hinaus auch Prüf- und Reparaturarbeiten an Gaskesselanlagen sowie Öl- und Gasfeuerungen. Insoweit sei auch einleuchtend, daß diese Arbeiten eine besondere Präzision erforderten; denn ein Fehler hätte sich für den Kläger und auch für die Kunden seines Arbeitgebers lebensgefährlich ausgewirkt. Schließlich habe die Tätigkeit eines Kundendienstmonteurs über den formalen Lehrabschluß hinaus weitere Kenntnisse durch Produktschulungen erfordert. Die letzte versicherungspflichtige Tätigkeit des Klägers habe daher derjenigen eines Obermonteurs entsprochen.
Den Beruf des Heizungsbauers und Kundendienstmonteurs könne der Kläger aus gesundheitlichen Gründen erst seit dem 6. Dezember 1995, dem Beginn seiner letzten Arbeitsunfähigkeit, nicht mehr ausüben. Nicht erwiesen sei jedoch, daß er diese Tätigkeit bis zum 5. Dezember 1995 auf Kosten der Restgesundheit verrichtet habe. Denn der Kläger sei trotz vollschichtiger Berufsausübung zwischen dem 1. Oktober 1992 und dem 5. Dezember 1995 nur in der Zeit vom 20. bis 29. Oktober 1993 und vom 6. bis 13. Juni 1994 arbeitsunfähig krank gewesen. Er habe diese Tätigkeit auch nach dem Eintritt der von Dr. R. im Juni 1994 diagnostizierten Bandscheibenprotrusionen im Bereich der Lendenwirbelkörper drei bis fünf noch rund eineinhalb Jahre weiter uneingeschränkt verrichtet. Überdies komme für die Frage des gesundheitlichen Leistungsvermögens der Tatsache einer vollschichtigen Berufsausübung regelmäßig ein höherer Beweiswert zu als entgegenstehenden ärztlichen Beurteilungen.
Der Kläger sei auch nicht deswegen berufsunfähig, weil er seit dem 6. Dezember 1995 durchgehend arbeitsunfähig krank sei. Denn er könne mit seinem gesundheitlichen Restleistungsvermögen zumutbar auf eine Facharbeitertätigkeit als Kundendienstbetreuer im Bereich Heizungs- und Sanitärtechnik verwiesen werden. Entsprechende Tätigkeiten würden beispielsweise nach der Gehaltsgruppe 3 des Manteltarifvertrages (MTV) für Angestellte in den Handwerken Zentralheizungs- und Lüftungsbauer sowie Spengler in Bayern bezahlt. Arbeitsplätze als Kundendienstbetreuer seien nach Auskunft des Landesarbeitsamtes auch in nennenswerter Zahl vorhanden. Dabei handele es sich nicht um sogenannte Schonarbeitsplätze. Vielmehr stünden diese auch betriebsfremden Bewerbern offen.
Es handele sich um eine körperlich leichte Tätigkeit, die überwiegend im Sitzen ausgeübt werde. Zugleich seien Tätigkeitsanteile im Stehen und Gehen vorhanden. Der Kundendienstbetreuer habe telefonische Bestellungen und Aufträge entgegenzunehmen und weiterzuleiten, die einzelnen Serviceleistungen einzuteilen, die Ersatzteillagerhaltung zu verwalten und die Ausstattung der Kundendienstfahrzeuge mit Kleinteilen zu ergänzen. Diese Kleinteile hätten ein Gewicht von nicht mehr als einem Kilogramm. Einen großen Raum der Tätigkeit des Kundendienstbetreuers nehme der Telefondienst ein, bei dem die Fachkenntnisse eines gelernten Heizungs- und Lüftungsbauers insoweit von großem Nutzen seien, als ein praxisbezogener Fachmann den Kunden am Telefon Ratschläge geben und so sehr viel erledigen könne. Dabei seien kaufmännische Kenntnisse nur von untergeordneter Bedeutung. Maßgebend seien vor allem genaue Kenntnisse der Materialien aufgrund beruflicher Erfahrung. Dies stehe zur Überzeugung des Senats aufgrund der Auskünfte des vom Bayerischen LSG im Verfahren L 11 Ar 811/90 gehörten berufskundlichen Sachverständigen fest.
Der Kläger verfüge über die für den Beruf eines Kundendienstbetreuers erforderlichen Kenntnisse im Umgang mit elektronischer Datenverarbeitung, denn er besitze einen PC, an dem er eigenen Angaben zufolge täglich mehrere Stunden arbeite und auch eigene Programme erstelle. Auch sonst könne er diese Tätigkeit innerhalb einer Einarbeitungszeit von maximal drei Monaten vollwertig ausüben, wie sich aufgrund der Darlegungen des Industrieverbandes Heizungs-, Klima- und Sanitärtechnik Baden-Württemberg (IV) sowie der Bekundungen des vom Bayerischen LSG gehörten berufskundlichen Sachverständigen ergebe. Soweit hiervon abweichend das Landesarbeitsamt eine solche Einarbeitungszeit für nicht ausreichend erachte, überzeuge dies angesichts der entgegenstehenden Auskunft des IV als Fachverband sowie des berufskundlichen Sachverständigen, eines Obermeisters der Innung Spengler-, Sanitär- und Heizungstechnik und Landesinnungsmeisters des Fachverbandes Sanitär- und Heizungstechnik Bayern, nicht.
Mit seiner vom erkennenden Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger einen Verstoß gegen § 62 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), Art 103 des Grundgesetzes (GG). Dazu trägt er vor: Auch nachdem sein dritter Prozeßkostenhilfeantrag vom LSG als unzulässig verworfen worden sei, habe er im Berufungsverfahren fortlaufend Anträge auf Beiordnung eines Rechtsanwalts gestellt, allerdings nicht mehr förmlich, sondern nur dadurch, daß er die Verweigerung einer Anwaltsbeiordnung gerügt habe. Währenddessen habe das LSG weitere erhebliche Ermittlungen angestellt, jedoch gleichwohl die Beiordnung eines Rechtsanwalts weiter stillschweigend abgelehnt, obgleich sich die Sach- und Rechtslage entscheidend geändert gehabt habe. Unter diesen Umständen habe das LSG eine hinreichende Aussicht auf Erfolg nicht weiter verneinen dürfen.
Indem das Berufungsgericht davon ausgehe, daß er ab 6. Dezember 1995 den Beruf eines Heizungsbauers nicht mehr ausüben könne, weiche es in einem erheblichen Punkt von der Entscheidung des SG ab. Für die Zeit vor dem 6. Dezember 1995 habe das LSG die Feststellung getroffen, er habe seine bisherige Tätigkeit ohne Gefährdung seiner Restgesundheit ausgeübt. Insoweit habe er keine ausreichende Chance gehabt, seine Sicht der Dinge vorzutragen und die Beweiswürdigung zu beeinflussen. Für die Frage, ob er in seinem Beruf noch habe arbeiten können, seien eingehende medizinische Ermittlungen erforderlich gewesen. Zu deren Ergebnis habe er ohne Hilfe eines Rechtsanwalts nicht sachgerecht Stellung nehmen können. Hätte das LSG ihm einen Rechtsanwalt beigeordnet, wäre dieser in der Lage gewesen, vorzutragen und unter Beweis zu stellen, daß er, der Kläger, schon vor dem 6. Dezember 1995 nicht mehr in seinem Beruf habe tätig sein können. Seine damalige Tätigkeit sei nur wegen besonderer Arbeitsbedingungen möglich gewesen.
Auch soweit er vom LSG auf eine andere Tätigkeit verwiesen worden sei, habe sich die Sach- und Rechtslage entscheidend geändert. Insbesondere hinsichtlich der Erforderlichkeit einer mehr als dreimonatigen Einarbeitungszeit habe er keine Chance gehabt, durch einen Rechtsanwalt die Beweiswürdigung des LSG zu beeinflussen, möglicherweise durch den Antrag, ein weiteres Sachverständigengutachten einzuholen.
Schließlich habe das LSG auch durch seine Anfrage vom 16. Dezember 1996 bei der Beklagten, ob der Anspruch anerkannt werde, deutlich zum Ausdruck gebracht, daß sich die Sach- und Rechtslage zu seinen Gunsten eindeutig geändert habe.
Das LSG verkenne offensichtlich den Umfang des im GG garantierten effektiven Rechtsschutzes, wonach der Bürger einen substantiellen Anspruch auf eine im Einzelfall möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle in allen ihm von den Prozeßordnungen zur Verfügung gestellten Instanzen habe (Hinweis auf Bundesverfassungsgericht ≪BVerfG≫ NJW 1997, 2103 f).
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 12. März 1997 und des Sozialgerichts Karlsruhe vom 25. Oktober 1995 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 24. Mai 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juni 1994 zu verurteilen, ihm ab 1. Mai 1993 Rente wegen BU zu gewähren.
Die Beklagte hat sich im Revisionsverfahren nicht zur Sache geäußert.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unzulässig, soweit er BU-Rente auch für die Zeit von Mai bis November 1993 begehrt. Hinsichtlich dieses Teils des Klageanspruchs fehlt es an einer hinreichenden Revisionsbegründung. Gemäß § 164 Abs 2 Satz 3 SGG muß die Revision einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben.
Zur Begründung seiner Revision hat der Kläger- in Übereinstimmung mit den Feststellungen des LSG im angefochtenen Urteil - vorgetragen, daß er am 22. Dezember 1993 bei der Beklagten einen Antrag auf Bewilligung von Versichertenrente wegen EU, hilfsweise wegen BU, gestellt habe. Gleichzeitig richtet sich sein Revisionsantrag auf Verurteilung der Beklagten zur Rentengewährung ab 1. Mai 1993. Auch wenn das LSG auf die Frage des Rentenbeginns im Rahmen seiner die Klageabweisung bestätigenden Entscheidung konsequenterweise nicht eingegangen ist, hätte es dazu nach den vom Kläger selbst vorgetragenen Umständen des Falles näherer Ausführungen bedurft. Nach § 99 Abs 1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) kommt nämlich bei einer Antragstellung im Dezember 1993 ein Rentenbeginn ab Mai 1993 von vornherein nicht in Betracht. Vielmehr wird eine BU-Rente bei Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen grundsätzlich von dem Kalendermonat an geleistet, in dem die Rente beantragt worden ist (vgl § 99 Abs 1 Satz 2 SGB VI). Insofern ist nicht ersichtlich, inwiefern sich der vom Kläger geltend gemachte Verfahrensmangel (Versagung des rechtlichen Gehörs durch Vorenthaltung einer Anwaltsbeiordnung im Wege der Prozeßkostenhilfe) auf diesen Teil des Klageanspruchs hätte auswirken können.
Im übrigen ist die Revision zulässig und begründet. Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das LSG.
Das berufungsgerichtliche Verfahren leidet an einem Mangel, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Wie der Kläger zutreffend rügt, hat das LSG ihm gegenüber seine Pflicht zur Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, indem es in der Zeit ab Mai 1996 das fortbestehende Prozeßkostenhilfebegehren des Klägers unberücksichtigt gelassen hat. Bezogen auf das Hauptsacheverfahren hat die Vorinstanz damit zugleich ihre Verpflichtung zur Gewährung effektiven, sozial gerechten Rechtsschutzes mißachtet.
Gemäß § 62 SGG ist den Beteiligten vor jeder Entscheidung rechtliches Gehör zu gewähren (vgl auch Art 103 Abs 1 GG). Dazu gehört auch die Pflicht des Gerichts, den Vortrag der Beteiligten in seine Erwägungen einzubeziehen (vgl BVerfGE 25, 137, 140). Zwar gewähren § 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG keinen Schutz gegen Entscheidungen, die den Sachvortrag eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise unberücksichtigt lassen (vgl BVerfGE 21, 191, 194). Im vorliegenden Fall durfte das LSG jedoch das gegen die weitere Vorenthaltung von Prozeßkostenhilfe gerichtete Vorbringen des Klägers nicht übergehen.
Allerdings hat der Kläger, nachdem das LSG seinen dritten Prozeßkostenhilfeantrag mit Beschluß vom 15. April 1996 als unzulässig verworfen hatte, keinen förmlichen Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe mehr gestellt. Mit seinen Eingaben an das LSG (zB Schreiben vom 3. und 12. Mai 1996 sowie 20. Oktober 1996) hat er jedoch wiederholt die Verweigerung von Prozeßkostenhilfe (einer Anwaltsbeiordnung) gerügt und dadurch hinreichend deutlich gemacht, daß er nach wie vor deren Bewilligung begehre. Darin ist ein formloser Prozeßkostenhilfeantrag zu sehen. Über diesen hätte das LSG entscheiden müssen, zumal sich neue Gesichtspunkte ergeben hatten, die eine andere Beurteilung nahelegten.
Nach § 73a SGG iVm § 114 der Zivilprozeßordnung (ZPO) kann einem Beteiligten nur dann Prozeßkostenhilfe bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht willkürlich erscheint. Bei der Prüfung der Erfolgsaussicht ist zu berücksichtigen, daß die Anwendung des § 114 ZPO dem aus Art 3 Abs 1, Art 19 Abs 4, Art 20 Abs 3 GG abzuleitenden verfassungsrechtlichen Gebot entsprechen soll, die Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes weitgehend anzugleichen (vgl dazu BVerfGE 81, 347, 356 f). Daher dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussicht nicht überspannt werden. So kann Prozeßkostenhilfe durchaus verweigert werden, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist. Hingegen ist eine hinreichende Aussicht auf Erfolg zu bejahen, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von der Klärung entscheidungserheblicher Tatsachen abhängt und keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Antragstellers ausgehen wird (vgl BVerfG FamRZ 1993, 664 f).
Gemessen an diesen Kriterien durfte das LSG in der Zeit ab Mai 1996 nicht an ohne weiteres an der Verneinung einer Erfolgsaussicht festhalten, wie sie in seinem Beschluß vom 25. März 1996 über die Ablehnung von Prozeßkostenhilfe zum Ausdruck gekommen ist. Darin hatte das LSG die Auffassung vertreten, daß der Kläger, soweit er seit Dezember 1995 aus Gesundheitsgründen nicht mehr in seinem bisherigen Beruf als Heizungsbauer tätig sein könne, jedenfalls noch fähig sein dürfte, als Lagerverwalter oder Lagerleiter zu arbeiten. Dabei handele es sich um höhere Anlerntätigkeiten, die einem Facharbeiter wie dem Kläger sozial zumutbar seien.
Demgegenüber lag im Mai 1996 die Arbeitgeberauskunft der Firma S. vom 14. April 1996 vor, aus der das LSG im angefochtenen Urteil eine Einstufung des Klägers als besonders hoch qualifizierter Facharbeiter hergeleitet hat. Als ein solcher war der Kläger nur auf Tätigkeiten verweisbar, die zumindest zur Gruppe mit dem Leitberuf des (einfachen) Facharbeiters gehören. Damit war die Suche nach einer entsprechenden Verweisungstätigkeit erforderlich. Folglich hat sich das LSG veranlaßt gesehen, zusätzlich zu den bereits beigezogenen berufskundlichen Unterlagen mit Verfügung vom 30. September 1996 eine Stellungnahme des Präsidenten des Landesarbeitsamtes zu in Betracht kommenden Tätigkeiten (ua Kundendienstbetreuer im Heizungs- und Sanitärbereich) anzufordern. Als diese Äußerung am 16. Dezember 1996 vorlag, hat das LSG sogar bei der Beklagten angefragt, ob der Rentenanspruch des Klägers anerkannt werde. Spätestens in diesem Zeitpunkt hat die Vorinstanz also selbst eine hinreichende Erfolgsaussicht bejaht, ohne jedoch daraus für die Frage einer Bewilligung von Prozeßkostenhilfe Konsequenzen zu ziehen.
Es ist auch nicht ersichtlich, daß das Prozeßkostenhilfebegehren des Klägers aus anderen Gründen hätte abgelehnt werden müssen. Er hatte bereits im März 1996 eine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse abgegeben (vgl § 117 Abs 2 bis 4 ZPO). Aus dieser und den beigefügten Belegen ergaben sich keine Anhaltspunkte dafür, daß der Kläger nicht iS von §§ 114, 115 ZPO als prozeßkostenhilfebedürftig hätte angesehen werden können.
Da das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gemäß § 183 SGG grundsätzlich kostenfrei ist und die Erstattung von außergerichtlichen Kosten der Beklagten im Hinblick auf § 193 Abs 4 SGG nicht in Betracht kam, ging es dem Kläger bei seinem Prozeßkostenhilfebegehren jedenfalls in erster Linie um die Übernahme der Aufwendungen für eine anwaltliche Vertretung. Nach § 73a SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO wird dem Beteiligten, wenn eine Vertretung durch Anwälte- wie hier vor dem LSG - nicht vorgeschrieben ist, auf seinen Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt seiner Wahl beigeordnet, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich ist oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist. Da die Beklagte im Berufungsverfahren nicht anwaltlich vertreten war, hing die Beiordnung eines Rechtsanwalts hier somit von deren Erforderlichkeit ab. Auch insoweit war die verfassungsrechtlich verbürgte Rechtsschutzgleichheit zu beachten. Ob die Voraussetzungen der Beiordnung eines Rechtsanwalts vorliegen, beurteilt sich im Einzelfall nach Umfang und Schwierigkeit der Sache sowie nach der Fähigkeit der Beteiligten, sich mündlich und schriftlich auszudrücken. Die Erforderlichkeit anwaltlicher Vertretung ist demnach insbesondere dann zu bejahen, wenn es im Rechtsstreit um nicht einfach zu überschauende Tat- und Rechtsfragen geht (vgl BVerfG NVwZ-Beilage Nr 3/94 S 17 f).
In Anbetracht dieser Grundsätze durfte das LSG in der Zeit ab Mai 1996 nicht von einer erneuten Entscheidung über das Prozeßkostenhilfebegehren des Klägers absehen. Einer bloßen Beibehaltung der im Beschluß des LSG vom 25. März 1996 vertretene Auffassung, die Erforderlichkeit einer Rechtsanwaltsbeiordnung sei zu verneinen, stand insbesondere das Gebot einer Berücksichtigung der geänderten Sach- und Rechtslage entgegen.
Sofern das LSG die Rechtssache weiterhin als "weder tatsächlich noch rechtlich schwierig" hätte einstufen wollen, würde es verkannt haben, daß die Prüfung der BU des Klägers im vorliegenden Fall- insbesondere nachdem ein Berufsschutz als besonders hoch qualifizierter Facharbeiter in Betracht kam - in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nicht einfach zu überschauen war. Dies zeigt zum einen ein Blick in die einschlägige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ≪BSG≫ (vgl zB BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 37, 103, 144, SozR 3-2200 § 1246 Nr 34), der das LSG selbst nicht in vollem Umfang Rechnung getragen hat, indem es zB Feststellungen zur Entlohnung (tariflichen Einstufung) des Klägers in seinem bisherigen Beruf unterlassen hat. Zum anderen belegen dies auch die recht umfangreichen berufskundlichen Ermittlungen des LSG, die zudem in entscheidenden Punkten (zB Dauer der erforderlichen Einarbeitungszeit als Kundendienstbetreuer) zu unterschiedlichen Ergebnissen geführt haben.
Angesichts dieser Umstände hätte sich das LSG nicht- wie in seinem Beschluß vom 25. März 1996 - unter Hinweis auf die große Zahl der vom Kläger bislang ohne anwaltliche Hilfe geführten Sozialrechtsstreitigkeiten mit der Feststellung begnügen dürfen, der Kläger selbst biete keinen Anhalt dafür, daß in seiner Person Gründe bestünden, die eine Anwaltsbeiordnung erforderten. Auch wenn der Kläger in der Lage war, sich in umfangreichen Schriftsätzen weitgehend sachbezogen zu äußern, kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß er im vorliegenden Berufungsverfahren keiner anwaltlichen Unterstützung bedurfte. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die prozessuale Notwendigkeit, durch Stellung sachgerechter Beweisanträge auf die Ermittlungstätigkeit des LSG Einfluß zu nehmen und sich dadurch zugleich die Möglichkeit einer erfolgreichen Nichtzulassungsbeschwerde offenzuhalten (vgl dazu § 160 Abs 2 Nr 3 SGG).
Soweit das LSG in diesem Zusammenhang auch für die Zeit ab Mai 1996 die Auffassung vertreten haben sollte, angesichts seiner Amtsermittlungs- und Aufklärungspflichten (§§ 103, 106 SGG) bedürfe es hier nicht in gleicher Weise wie in anderen Verfahren der Bewilligung von Prozeßkostenhilfe, hätte es wesentliche Gesichtspunkte unberücksichtigt gelassen. Es hätte nämlich in seine Überlegungen einbeziehen müssen, ob ein Bemittelter in der Lage des Klägers vernünftigerweise einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hätte. Das ist regelmäßig in den Fällen anzunehmen, wo im Kenntnisstand und in den Fähigkeiten der Prozeßbeteiligten ein deutliches Ungleichgewicht besteht. Dies gilt auch dann, wenn schwerpunktmäßig tatsächliche Fragen, die durch eine Beweisaufnahme geklärt werden müssen, im Streit sind. Die insoweit bedeutsamen Aufklärungs- und Beratungspflichten eines Anwalts gehen nämlich über die Reichweite der Amtsermittlungspflicht des Richters hinaus (vgl BVerfG NJW 1997, 2102 f).
An der Geltendmachung des in der Vorenthaltung von Prozeßkostenhilfe liegenden Verfahrensmangels ist der Kläger im Revisionsverfahren nicht durch § 548 ZPO gehindert. Nach dieser Vorschrift, die gemäß § 202 SGG im Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit entsprechend anzuwenden ist, unterliegen der Beurteilung des Revisionsgerichts auch diejenigen Entscheidungen, die dem Endurteil vorausgegangen sind, sofern sie nicht nach den Vorschriften dieses Gesetzes unanfechtbar sind. Zu den unanfechtbaren Entscheidungen des LSG, die danach als solche vom BSG im Revisionsverfahren nicht überprüft werden können, gehören an sich auch Beschlüsse über die Ablehnung von Prozeßkostenhilfe (vgl § 177 SGG). Im vorliegenden Fall liegt der Verfahrensfehler jedoch gerade darin, daß die Vorinstanz in der Zeit ab Mai 1996 trotz geänderter Sach- und Rechtslage nicht erneut über eine Bewilligung von Prozeßkostenhilfe entschieden hat. Abgesehen davon bezieht sich die Bindung des Revisionsgerichts nur auf die Vorentscheidung selbst, nicht jedoch auf deren Auswirkungen auf die prozessuale Situation des betroffenen Beteiligten (vgl dazu Thomas/Putzo, ZPO mit GVG, 19. Aufl, § 548 ZPO RdNr 1).
Der festgestellte Verfahrensmangel kann auch nicht gemäß § 202 SGG iVm § 295 ZPO als geheilt angesehen werden. Nach Abs 1 der letztgenannten Vorschrift kann die Verletzung einer das Verfahren und insbesondere die Form der Prozeßführung betreffenden Vorschrift nicht mehr gerügt werden, wenn die Partei auf die Befolgung der Vorschrift verzichtet oder wenn sie bei der nächsten mündlichen Verhandlung, die aufgrund des betreffenden Verfahrens stattgefunden hat oder in der darauf Bezug genommen ist, den Mangel nicht gerügt hat, obgleich sie erschienen und ihr der Mangel bekannt war oder bekannt sein mußte. Diese Bestimmung ist nicht anzuwenden, wenn Vorschriften verletzt sind, auf deren Verfolgung ein Beteiligter wirksam nicht verzichten kann (vgl § 295 Abs 2 ZPO). Zwar handelt es sich bei der Versagung rechtlichen Gehörs mit gleichzeitiger Vorenthaltung eines effektiven, sozial gerechten Rechtsschutzes um einen verzichtbaren Verfahrensmangel (vgl dazu Meyer-Ladewig, SGG mit Erl, 5. Aufl, § 62 RdNr 11; Jarass/Pieroth, GG, 3. Aufl, Art 19 RdNr 31), der Kläger hat diesen Mangel jedoch bereits im Berufungsverfahren ausgiebig gerügt und damit deutlich gemacht, daß er ihn nicht hinzunehmen bereit sei (vgl zB Schreiben vom 10. Februar und 3. März 1997). Daß er eine solche Rüge in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 12. März 1997 nicht erneut zu Protokoll erklärt hat, erscheint als unerheblich, zumal der Kläger im Berufungsverfahren nicht anwaltlich vertreten war (vgl dazu Meyer-Ladewig, SGG mit Erl, 5. Aufl, § 122 RdNr 11).
Schließlich ist davon auszugehen, daß die angefochtene Entscheidung auf dem Verfahrensmangel beruhen kann, soweit sie den Anspruch des Klägers auf BU-Rente ab Dezember 1993 betrifft. Dies ergibt sich schon daraus, daß das Berufungsurteil auf Tatsachenfeststellungen gestützt ist, die der Kläger mit anwaltlicher Hilfe durch gezielte Beweisanträge hätte beeinflussen können. Wie der Kläger nachvollziehbar dargetan hat, gilt dies insbesondere für die Frage, ob bei ihm eine Einarbeitungszeit von drei Monaten ausreichen würde, um die ihm zugemutete Verweisungstätigkeit eines Kundendienstbetreuers vollwertig verrichten zu können.
Die dem Kläger im Berufungsverfahren vorenthaltene prozessuale Möglichkeit, mit anwaltlicher Unterstützung auf bestimmte tatrichterliche Ermittlungen hinzuwirken, kann ihm im Revisionsverfahren nicht nachträglich eingeräumt werden, da das BSG grundsätzlich nicht befugt ist, eigene Tatsachenfeststellungen zu treffen (vgl § 163 SGG). Im Hinblick darauf ist die vorinstanzliche Entscheidung in entsprechendem Umfang aufzuheben und die Sache insoweit gemäß § 170 Abs 2 Satz 2 SGG an das LSG zurückzuverweisen. Dieses Gericht wird auch insgesamt über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden haben (vgl BSG SozR 5870 § 2 Nr 62, S 201 f).
Fundstellen
HFR 1999, 494 |
NJW 1998, 2998 |
MDR 1998, 1367 |
NZS 1999, 56 |
SozR 3-1500 § 62, Nr.19 |
SozSi 1999, 79 |