Entscheidungsstichwort (Thema)
Sachaufklärung. Beweiswürdigung
Orientierungssatz
1. Kommt es nach der Ansicht des medizinischen Sachverständigen darauf an, ob der Kläger in jugoslawischer Kriegsgefangenschaft häufig schwer mißhandelt wurde und liegt die eidesstattliche Erklärung eines Zeugen über eine einmalige Mißhandlung vor, so muß das Gericht diesen Zeugen persönlich hören, um gegebenenfalls weitere Mißhandlungen festzustellen.
2. Schließt das Gericht aus der Tatsache, daß eine stationäre Behandlung nicht erfolgt ist, diese sei auch nicht erforderlich gewesen, so überschreitet es sein Recht auf freie Beweiswürdigung.
Normenkette
SGG §§ 103, 128
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 07.12.1966) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 7. Dezember 1966 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Gründe
Der am 12. Juli 1914 geborene Kläger war seit August 1939 Soldat und kam gegen Ende des Krieges in jugoslawische Gefangenschaft, aus der er im Januar 1949 entlassen wurde. Auf den vom Kläger im Januar 1949 gestellten Antrag hin erkannte das Versorgungsamt (VersorgA) mit Bescheid vom 7. August 1950 als Leistungsgrund nach dem Körperbeschädigten-Leistungsgesetz "Weichteildurchschuß Hals, Rücken, re. Schulter, Stecksplitter li. Lunge, abgeklungene Malaria" an; es gewährte nur bis zum 31. März 1950 Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 v.H., weil nach diesem Zeitpunkt ein rentenberechtigender Grad der MdE nicht mehr vorlag. Dieser Bescheid wurde bindend. Durch Bescheid vom 16. Oktober 1952 wurden dieselben Gesundheitsstörungen als Schädigungsfolgen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) übernommen, Versorgungsrente aber wiederum nicht gewährt.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Berufung zum Oberversicherungsamt W ein. Während des Verfahrens übersandte Dr. A zwei Bescheinigungen, in denen er bekundet, daß der Kläger an anfallsweise auftretenden Schmerzen im Hinterkopf, verbunden mit Übelkeit und Brechreiz, leide und im Januar 1953 in der Neurologischen Universitätsklinik W zu einer fachärztlichen Untersuchung eingewiesen worden sei. In einem mitübersandten Arztbrief führt der Direktor dieser Klinik, Prof. Dr. S, aus, es sei beim Kläger eine Turricephalie (Turmschädel) festgestellt worden und die Beschwerden des Klägers seien auf Liquorzirkulationsstörungen, wie sie häufig bei einer Turricephalie vorkommen, und auf einen hirnatrophischen Prozeß zurückzuführen. In der mündlichen Verhandlung am 12. Oktober 1954 vor dem Sozialgericht (SG), auf das die Berufung als Klage übergegangen war, kam Dr. J in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, daß ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den Kopfschmerzen und den vom Kläger behaupteten Schlägen auf den Hinterkopf während der jugoslawischen Kriegsgefangenschaft nicht hinreichend wahrscheinlich sei. Für die bereits anerkannten Schädigungsfolgen betrage die MdE nur 20 v.H. Daraufhin nahm der Kläger die Klage gegen den Bescheid vom 16. Oktober 1952 zurück.
Im Oktober 1958 beantragte der Kläger erneut die Anerkennung seines Kopfleidens, das auf einem hirnatrophischen Prozeß als Folge der Mißhandlungen in jugoslawischer Kriegsgefangenschaft beruhe. Er legte eine eidesstattliche Erklärung des R B vom 28. September 1958 vor, der mit ihm auf der Insel Kortschula in jugoslawischer Kriegsgefangenschaft gewesen ist. In dieser Erklärung ist ausgeführt, daß der Kläger im Winter 1945/46 oder 1946/47 von den Wachposten sowie von einem Offizier schwer mißhandelt worden sei. Die Gefangenen hätten damals Holz transportieren müssen und hierbei sei der Kläger von einem jugoslawischen Offizier, der ein Stück Holz als zu leicht befunden hatte, angehalten und niedergeschlagen worden. An der Prügelei hätten sich noch einige Wachposten beteiligt und den Kläger mit der Pistole oder einem Stock auf den Körper, hauptsächlich auf den Kopf bzw. Hinterkopf geschlagen. Der Kläger sei zusammengebrochen und einige Zeit bewußtlos gewesen, nach dem Erwachen hätte er noch weiter große Holzstücke von 140 bis 150 Pfund zur Straße hinauftragen müssen. Seit diesen Mißhandlungen habe der Kläger über ständige Kopfschmerzen, hauptsächlich am Hinterkopf, geklagt. Der Versorgungsarzt Dr. B kam in seinem fachneurologischen Gutachten zu der Auffassung, daß die Turmschädelbildung und die dadurch hervorgerufenen Liquorzirkulationsstörungen keine Folgen einer Mißhandlung in der jugoslawischen Kriegsgefangenschaft, insbesondere auch nicht einer etwa dabei erlittenen Gehirnerschütterung, seien. Das VersorgA zog ferner je ein chirurgisches, innerfachärztliches und hals-nasen-ohrenärztliches Gutachten bei; nach diesen Gutachten bestand kein Anlaß zur Änderung der bisherigen Ansicht über die Ursachen der Gesundheitsstörungen des Klägers. Lediglich der HNO-Facharzt wollte für den Fall, daß die Angaben des Klägers über Mißhandlungen in der jugoslawischen Kriegsgefangenschaft der Wahrheit entsprechen, die leichte beiderseitige Innenohrschwerhörigkeit als Schädigungsfolge ansehen. Durch Bescheid vom 22. April 1959 lehnte das VersorgA die Anerkennung der Turmschädelbildung und der dadurch hervorgerufenen Liquorzirkulationsstörungen ab; zu der geringen Innenohrschwerhörigkeit des Klägers führte es aus, daß diese von ihm erst seit einigen Wochen bemerkt worden sei und daher weder ursächlich noch zeitlich mit den in der Kriegsgefangenschaft erlittenen Mißhandlungen in Zusammenhang gebracht werden könne. Der Widerspruch hatte keinen Erfolg (Bescheid des LVersorgA Bayern vom 4. Juli 1959). Das SG Würzburg hat erneut den Sachverständigen Dr. J gehört, der seine frühere Beurteilung aufrechterhalten hat; es hat sodann die Kläger durch Urteil vom 22. Februar 1961 abgewiesen.
Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) von Prof. Dr. S (Neurologische Universitätsklinik W) das Gutachten vom 17. August 1965 eingeholt. Diesem Sachverständigen gegenüber hat der Kläger zur Anamnese angegeben, er sei im Mai 1945 in jugoslawische Gefangenschaft geraten und dort maßlos mißhandelt und geschlagen worden. Er habe 20 bis 30 Pfund an Gewicht verloren und schwerste Arbeiten leisten müssen. Die Kriegsgefangenen hätten Schläge bekommen, wann immer es den Jugoslawen in ihrer Laune eingefallen sei; sie hätten Spießruten laufen müssen, wobei ihnen sogar Prügel zwischen die Beine geworfen worden seien. Im Jahre 1945 sei er beim Tragen schwerer Stämme zusammengebrochen und habe mit Pistolen und Stöcken Schläge auf den Kopf bekommen, so daß er sogar bewußtlos geworden sei. Danach habe er sofort wieder arbeiten müssen. Im Anschluß an die Waldarbeit sei er drei Jahre nach Belgrad zu Aufräumungsarbeiten gekommen. Die Ernährung habe auch hier aus Gerstensuppe, Graupensuppe und Maisbrot bestanden. Er sei maßlos dünn und mit Furunkeln übersät gewesen. Auch hier habe es Schläge gegeben, wann immer es den Posten eingefallen sei. Prof. Dr. S ist zu der Beurteilung gelangt, es könne keinen Zweifel darüber geben, daß die Menschen mit einer turricephalen Kopfkonfiguration zu Beschwerden neigten, wie sie der Kläger angebe. Man könne aber auch andererseits sagen, daß ein Mensch mit einem Turmschädel Kopftraumen schlechter vertrage als ein Mensch mit normalkonfiguriertem Schädel. Die Mißhandlungen des Klägers seien nicht nur glaubhaft geschildert, sondern außerdem auch eidesstattlich bestätigt. In den rechtzeitigen Pyramidenbahnzeichen sehe man noch die Folgen einer contusionellen Hirnschädigung, die der Kläger bei den Mißhandlungen erlitten habe. Auch die Hirnstromkurve lasse diese Annahme zu. Zusätzlich zu der cerebralen Traumagefährdung wegen Turricephalie komme als zweite Noxe die Hungerdystrophie, die nachweislich zu einer Hirnatrophie führen könne. Die Wahrscheinlichkeit des Zusammenhangs der in jugoslawischer Gefangenschaft erlittenen Hirntraumen und der Hungerdystrophie mit den Beschwerden des Klägers sei daher anzunehmen. Der frühzeitige hirnatrophische Prozeß infolge schädigender Einwirkungen der Kriegsgefangenschaft verursache eine MdE um 50 v.H.
Gegenüber diesem Gutachten hat der Versorgungsarzt Dr. K in seiner Stellungnahme vom 2. Februar 1966 die Auffassung vertreten, daß nicht jede Mißhandlung mit Kopfverletzung und Bewußtlosigkeit zu einer Hirnverletzung mit einem Hirndauerschaden führe. Schon die Annahme des Prof. Dr. S, daß es sich bei dem Kläger um einen atrophischen Prozeß handle, spreche sowohl gegen eine traumatisch als auch gegen eine atrophisch bedingte Hirnsubstanzminderung. Das Elektroencephalogramm vom 1953 sei im übrigen an der Grenze der Norm und sicher nicht pathologisch gewesen. Die Zunahme von Störungen, wie sie beim Vergleich des jetzigen EEG-Befundes im Gutachten vom 6. August 1965 mit dem Befund von 1953 offenkundig werden, lasse mit größerer Wahrscheinlichkeit an eine nicht mit schädigenden Einwirkungen der Gefangenschaft in Zusammenhang stehende Entstehung denken. Eine cerebrale Auswirkung der vom Kläger behaupteten, in der Gefangenschaft durchgemachten Hungerdystrophie lasse sich ebensowenig wahrscheinlich machen wie eine von Prof. Dr. S angenommene contusionelle Hirnschädigung. Das LSG hat die gutachtliche Äußerung des Dr. K vom 2. Februar 1966 der Neurologischen Universitätsklinik Würzburg zur nochmaligen Stellungnahme übersandt. Prof. Dr. S hat hierzu in seiner Äußerung vom 8. August 1966 darauf hingewiesen, daß es sich bei dem Zusammenhang des Hydrocephalus des Klägers mit einer Hungerdystrophie um einen "Kann"-Zusammenhang handle, der als zweite Noxe zu diskutieren sei. Selbstverständlich könne die schicksalsmäßige Alterung des Hirns und des Gefäßsystems heute für einen Teil der Beschwerden des Klägers verantwortlich gemacht werden. Dabei sei jedoch zu bedenken, daß es ein Unterschied sei, ob Alterungs- und Gefäßveränderungen ein durch Kriegseinflüsse geschädigtes Gehirn oder ein Gehirn treffen, das Traumen und evtl. Hungerschäden nicht unterworfen gewesen ist. Eine genaue Abschätzung des Anteils der einzelnen Faktoren sei nicht mit hundertprozentiger Sicherheit zu treffen; es liege hier ein Ermessensfall vor. Diese Äußerung des Prof. Dr. S ist Dr. K in seiner Stellungnahme vom 8. September 1966 erneut entgegengetreten.
Mit Urteil vom 7. Dezember 1966 hat das Bayerische LSG die Berufung des Klägers zurückgewiesen; es hat die Revision nicht zugelassen. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, daß der Kläger in der Gefangenschaft in der von seinem Kriegskameraden B dargestellten Weise mißhandelt worden ist. Es führt sodann aus, "diese eine anschließende stationäre Behandlung nicht erfordernden Mißhandlungen machten an sich schon eine organische Gehirnverletzung nicht wahrscheinlich"; es sei vielmehr eher auf eine Gehirnerschütterung zu schließen, die in einigen Jahren ausheile. Es finde sich auch kein Anhalt, daß Folgen der Mißhandlung fortbestanden hätten; denn der Kläger habe bei den ärztlichen Untersuchungen in den Jahren 1949 und 1950 weder Mißhandlungen noch Kopfbeschwerden angegeben. Die von ihm erst anläßlich der ersten Behandlung der Kopfbeschwerden im Jahre 1953 gegebene Darstellung lasse vielmehr darauf schließen, daß sich diese Beschwerden nach 1950 allmählich gesteigert haben. Es fehle daher schon an einem zeitlichen Zusammenhang mit Mißhandlungen in den Jahren 1945/46. Der Sachverständige Prof. Dr. S habe zu Unrecht eine Dystrophie als möglicherweise mitwirkenden Faktor angesehen, weil der Kläger nach seiner eigenen Darstellung nicht an Dystrophie gelitten habe. Eine allgemeine Unterernährung könne im Gegensatz zur Dystrophie nicht als Ursache von Hirnschädigungen in Betracht kommen. Der Sachverständige habe im übrigen den spärlichen organischen Befunden und den Schilderungen des Klägers eine Deutung gegeben, nach der ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Mißhandlungen und Hirnschaden nicht mit letzter Sicherheit auszuschließen sei. Er habe aber außer acht gelassen, daß bei der angeborenen Turricephalie des Klägers der Leidensablauf einer äußeren Ursache nicht bedurfte, so daß nur i.S. einer entfernteren Möglichkeit an die sieben bis acht Jahre vor der ersten ärztlichen Behandlung von Kopfbeschwerden stattgefundenen Mißhandlungen gedacht werden könne. Prof. Dr. S habe somit die einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Mißhandlungen und Hirnatrophie verneinenden Gutachten nicht widerlegen können.
Gegen dieses am 11. Januar 1967 zugestellte Urteil hat der Kläger mit Schriftsatz vom 30. Januar 1967, eingegangen beim Bundessozialgericht (BSG) am 31. Januar 1967, Revision eingelegt und beantragt zu erkennen:
I. Auf die Revision des Klägers hin wird das Urteil des LSG München vom 7. Januar 1966 (muß heißen: 7. Dezember 1966) aufgehoben.
II. Unter Aufhebung des Urteils des SG Würzburg vom 22. Februar 1961 wird der Beklagte verurteilt, als weitere Schädigungsfolge neurologische und psychische Ausfallerscheinungen bei Turricephalie als Schädigungsfolge anzuerkennen und dem Kläger ab 1. Oktober 1958 eine Rente nach einer MdE um 50 v.H. zu zahlen.
III. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Der Kläger hat die Revision mit Schriftsatz vom 27. Februar 1967, auf den Bezug genommen wird, begründet. Er rügt ausdrücklich eine Verletzung des § 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und des § 1 Abs. 3 BVG; er wendet sich ferner dem Sinne nach gegen die Beweiswürdigung durch das Berufungsgericht. Vor allem macht er mit näheren Ausführungen geltend, daß das LSG dem Gutachten des Prof. Dr. S hätte folgen müssen, das zutreffend davon ausgegangen sei, daß der Kläger nicht nur einmal, sondern während der ganzen Zeit der jugoslawischen Kriegsgefangenschaft mißhandelt worden ist. Das LSG habe zwar unterstellt, daß er in der Gefangenschaft in der von seinem Kriegskameraden B dargestellten Weise mißhandelt wurde, es habe aber zu Unrecht festgestellt, daß diese Mißhandlungen keine stationäre Behandlung erforderlich gemacht hätten. Richtig sei allerdings, daß keine stationäre Behandlung durchgeführt worden sei; damit sei aber entgegen der Auffassung des LSG noch nicht dargetan, daß eine stationäre Behandlung tatsächlich auch nicht erforderlich gewesen sei. Wenn das Berufungsgericht dem Gutachten des Prof. Dr. S nicht hätte folgen wollen, dann wäre es verpflichtet gewesen, noch ein Obergutachten einzuholen. Wenn das LSG ausgeführt habe, daß der Kläger nach der Entlassung aus der jugoslawischen Kriegsgefangenschaft im Jahre 1949 bis zum Jahre 1953 nicht über Kopfbeschwerden geklagt habe, wäre es insoweit verpflichtet gewesen, seine Ehefrau und seine Schwester hierzu als Zeuginnen zu hören. Das LSG sei ferner zu einer Vernehmung des Zeugen B verpflichtet gewesen, um über dessen eidesstattliche Versicherung hinaus die Verhältnisse in der Kriegsgefangenschaft aufzuklären. Dann hätte sich herausgestellt, daß die katastrophalen Zustände mit Mißhandlungen und eine Hungerdystrophie nicht nur 1945/1946 bestanden, sondern in mehr oder minder starker Form bis 1949 angedauert haben.
Der Beklagte beantragt die Verwerfung der Revision als unzulässig; er hält die vom Kläger erhobenen Verfahrensrügen nicht für gerechtfertigt. Auf seinen Schriftsatz vom 13. April 1967 wird verwiesen.
Der Kläger hat die Revision form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet (§§ 164, 166 SGG). Da das LSG die Revision nicht nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG zugelassen hat, ist sie nur statthaft, wenn ein wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wird und vorliegt (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG; BSG 1, 150) oder wenn bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung oder des Todes mit einer Schädigung i. S. des BVG das Gesetz verletzt ist (§ 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG). Der Kläger rügt als wesentliche Verfahrensmängel ausdrücklich in mehrfacher Hinsicht eine Verletzung des § 103 SGG und dem Sinne seiner Ausführungen nach auch Verstöße gegen § 128 SGG durch das LSG. Zur Statthaftigkeit der Revision genügt es, daß eine der vom Kläger erhobenen Rügen durchgreift; in einem solchen Falle braucht auf weitere Rügen, welche die Revision ebenfalls nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft machen könnten, nicht mehr eingegangen zu werden (BSG in SozR SGG § 162 Nr. 122).
Der Kläger rügt in erster Linie eine unzureichende Sachaufklärung durch das Berufungsgericht, weil es nicht den Zeugen B vernommen habe. Diese Rüge ist nicht gerechtfertigt. Nach § 103 SGG hat das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen. Hierbei muß es das tatsächliche Vorbringen der Beteiligten zwar berücksichtigen, es ist jedoch an das Vorbringen und die Beweisanträge nicht gebunden (§ 103 Satz 2 SGG), Zur Feststellung, ob die für das Bestehen oder Nichtbestehen des geltend gemachten Anspruchs erheblichen Tatsachen vorliegen, hat das Gericht alle geeigneten und notwendigen Ermittlungen anzustellen. Über den Umfang der zur Erforschung der Wahrheit erforderlichen Ermittlungen entscheidet der Tatrichter im Rahmen der ihm obliegenden Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts.
Er verletzt seine Aufklärungspflicht, wenn er eine tatsächliche Frage über den gesundheitlichen Zustand eines Versorgungsberechtigten oder über die Ursache einer Gesundheitsstörung entscheidet, die er auch vom Standpunkt eines lebenserfahrenen Richters nicht aus eigener Sachkunde entscheiden kann, oder wenn er seine Feststellungen auf ein Gutachten stützt, das in sich widerspruchsvoll oder wegen anderer Mängel zur Erforschung der rechtserheblichen Tatsachen nicht geeignet oder nicht ausreichend ist (vgl. BSG 1, 91, 93). Eine unzureichende Sachaufklärung liegt auch dann vor, wenn das LSG Beweismittel ungenützt läßt, obwohl die bisher erhobenen Beweise zu einer sicheren tatsächlichen Feststellung nicht ausreichend. Diese Voraussetzungen für die Rüge mangelhafter Sachaufklärung sind im vorliegenden Falle erfüllt.
Der Kläger begehrt die Anerkennung der bei ihm bestehenden neurologischen und psychischen Ausfallserscheinungen bei Turricephalie als Folge von zahlreichen Mißhandlungen und mangelhafter Ernährung in der jugoslawischen Kriegsgefangenschaft sowie die Gewährung einer Rente nach einer MdE um 50 v.H. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, daß der Kläger in der Gefangenschaft in der von seinem Kriegskameraden B dargestellten Weise mißhandelt worden ist. Dieser Zeuge hat in einer eidesstattlichen Erklärung vom 28. September 1958 angegeben, daß der Kläger im Winter 1945/46 oder 1946/47 von den Wachposten und einem Offizier durch Pistolen- und Stockschläge auf den Kopf schwer mißhandelt worden ist. Seit dieser Zeit habe der Kläger über ständige Kopfschmerzen, hauptsächlich am Hinterkopf, geklagt. Der Zeuge B hat in dieser eidesstattlichen Erklärung lediglich über mehrfache Mißhandlungen an einem Tage im Winter 1945/46 oder 1946/47 berichtet. Das LSG ist somit bei seiner Prüfung der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zwischen den Mißhandlungen des Klägers und seinen Kopfbeschwerden davon ausgegangen, daß dieser nur an einem Tage mißhandelt worden ist. Aus dem von dem Zeugen B angegebenen Zeitpunkt hat das LSG in dem angefochtenen Urteil ferner gefolgert, daß diese Mißhandlungen sieben bis acht Jahre vor der ersten ärztlichen Behandlung von Kopfbeschwerden im Jahre 1953 stattgefunden haben. Es hat unter Berücksichtigung dieses zeitlichen Abstandes auf Seite 9 der Urteilsausfertigung die Feststellung getroffen, "daß selbst unter mitwirkenden äußeren Faktoren nur im Sinne einer entfernteren Möglichkeit an die sieben bis acht Jahre vor der ersten ärztlichen Behandlung von Kopfbeschwerden liegenden Mißhandlungen gedacht werden kann". Es ist u.a. auch aus diesem Grunde dem Gutachten des Prof. Dr. S vom 17. August 1965 und seiner ergänzenden Stellungnahme vom 8. August 1966 nicht gefolgt, in denen der Sachverständige die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen den nach Angabe des Klägers im gesamten Verlauf der Kriegsgefangenschaft erlittenen Mißhandlungen und den Kopfbeschwerden bejaht hat.
Der Kläger trägt in der Revisionsbegründung in diesem Zusammenhang hinreichend substantiiert vor, daß das LSG verpflichtet gewesen sei, durch gerichtliche Vernehmung des Zeugen B oder auf andere geeignete Weise weiter im einzelnen aufzuklären, ob er - der Kläger - nur an einem einzigen Tage oder laufend während der gesamten Dauer seiner Kriegsgefangenschaft schwer mißhandelt worden ist. Diese Rüge mangelnder Sachaufklärung greift durch. Der Kläger hat in dem vom Berufungsgericht eingeholten Gutachten des Prof. Dr. S vom 17. August 1965 zur Anamnese (Seite 4 und 5 des Gutachtens) häufige Mißhandlungen, insbesondere auch Schläge auf den Kopf, angegeben. Der Sachverständige hat die Schilderungen des Klägers über die katastrophalen Verhältnisse in der jugoslawischen Kriegsgefangenschaft für glaubhaft gehalten und in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 8. August 1966 nochmals darauf hingewiesen, daß er die Angaben des Klägers, die durch die eidesstattliche Versicherung des Zeugen B untermauert werden, für wahr halte. Bei diesem Sachverhalt mußte das LSG aus der Beurteilung der Zusammenhangsfrage durch den Sachverständigen Prof. Dr. S erkennen, daß es auf die Häufigkeit und Schwere der vom Kläger in der Gefangenschaft erlittenen Mißhandlungen entscheidend ankommen konnte. Erst bei weiterer Sachaufklärung in dieser Richtung hätte sich auch herausgestellt, ob die vom LSG in dem angefochtenen Urteil getroffene Feststellung zutrifft, daß zwischen den Mißhandlungen in der Gefangenschaft, die erst 1949 endete, und der ersten Behandlung von Kopfbeschwerden im Jahre 1953 tatsächlich ein Zeitraum von sieben bis acht Jahren liegt. Die Statthaftigkeit der Revision kann somit auf eine Verletzung des § 103 SGG gestützt werden, weil das LSG die nach der Sachlage gebotene gerichtliche Vernehmung des Zeugen B oder eine anderweitige Sachaufklärung darüber unterlassen hat, ob der Kläger während der gesamten Dauer der Kriegsgefangenschaft laufend schweren Mißhandlungen oder sonstigen schädigenden Einwirkungen ausgesetzt war, die zu Kopfbeschwerden führen konnten.
Der Kläger trägt ferner vor, das LSG habe auf Seite 8 der Urteilsausfertigung ausgeführt, die von dem Zeugen B geschilderten Mißhandlungen hätten eine anschließende stationäre Behandlung nicht erforderlich gemacht, so daß schon deswegen eine organische Gehirnverletzung nicht wahrscheinlich sei. Es sei zwar Tatsache, daß damals keine stationäre Behandlung durchgeführt worden ist, falsch sei aber die daraus vom LSG gezogene Folgerung, daß eine stationäre Behandlung nicht erforderlich war. Mit diesem Vorbringen rügt der Kläger dem Sinne nach eine Verletzung des § 128 SGG durch das LSG. Diese liegt auch vor. Der Kläger hat mehrfach, insbesondere auch im Rahmen der Anamnese in dem Gutachten des Prof. Dr. S vom 17. August 1965, vorgetragen, daß eine ordnungsgemäße ärztliche Betreuung während der jugoslawischen Gefangenschaft nicht vorhanden war. Er räumt daher auch ohne weiteres ein, daß im Anschluß an die von dem Zeugen B bestätigten Mißhandlungen eine stationäre Behandlung nicht stattgefunden hat. Demnach konnte das LSG nur auf der Voraussetzung, daß in jugoslawischer Gefangenschaft stationäre Behandlungen der Gefangenen möglich und üblich waren, die Folgerung ziehen, daß beim Kläger eine stationäre Behandlung nicht "erforderlich" war, weil sie tatsächlich nicht stattgefunden hat. Das LSG hat aber nicht festgestellt, daß entgegen den Behauptungen des Klägers die Voraussetzung für seine Folgerung vorlag, nämlich daß stationäre Behandlungen der Gefangenen nach Mißhandlungen möglich waren und auch tatsächlich stattgefunden haben. Ohne eine solche Feststellung aber konnte das LSG nicht ohne weiteres aus der Tatsache, daß eine stationäre Behandlung des Klägers nach den Mißhandlungen nicht stattgefunden hat, die Folgerung ziehen, daß eine stationäre Behandlung nicht erforderlich war und daher eine organische Gehirnverletzung des Klägers infolge der Mißhandlungen nicht wahrscheinlich ist. Das LSG hat damit die Grenzen seines Rechts zur freien Beweiswürdigung überschritten und somit auch den § 128 SGG verletzt.
Die nicht zugelassene Revision des Klägers ist hiernach wegen Verletzung der §§ 103, 128 SGG statthaft; sie ist auch begründet, weil das angefochtene Urteil auf diesen Verfahrensmängeln beruhen kann. Es besteht die Möglichkeit, daß das LSG anders entschieden hätte, wenn es die nach den vorstehenden Ausführungen erforderliche Sachaufklärung durchgeführt und die Grundsätze der Beweiswürdigung in vollem Umfang beachtet hätte (BSG 2, 197). Da der Senat in der Sache nicht entscheiden kann, weil noch weitere Ermittlungen erforderlich sind und dem Revisionsgericht auch eine eigene Beweiswürdigung verwehrt ist, muß das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen werden (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).
Fundstellen