Leitsatz (amtlich)

1. Hat der Versicherte auf seine Anfrage vom Versicherungsträger eine unvollständige Auskunft erhalten und ist nach Lage des Falles anzunehmen, daß er deshalb von der Beantragung einer Rente (hier nach RVO § 1276 Abs 2 S 2) abgesehen hat, so muß ihn der - später darum angegangene - Versicherungsträger so stellen, als ob die Auskunft vollständig erteilt und im Anschluß daran die Rente beantragt worden wäre (Anschluß BSG 1970-11-17 1 RA 233/68 = BSGE 32, 60).

2. Für die Frage des Berufsschutzes kommt es, wenn die Wartezeit nach RVO § 1252 Nr 1 idF des ArVNG als erfüllt gilt, nur darauf an, welchen Beruf der Versicherte bis zum Arbeitsunfall versicherungspflichtig ausgeübt hat.

 

Normenkette

RVO § 1252 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1965-06-09, § 1276 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1957-02-23, § 1252 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

1)

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 24. August 1972 wird als unzulässig verworfen. Insoweit sind dem Kläger Kosten des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten.

2)

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts insoweit aufgehoben, als die Beklagte zur Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit für die Zeit vom 1. Februar 1959 bis 31. Juli 1961 und zur Kostenerstattung verurteilt worden ist. In diesem Umfang wird. der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Es ist umstritten, ob der Kläger Rente wegen Berufsunfähigkeit beanspruchen kann.

Der Kläger, geboren 1931, war von 1946 bis 1952 in dem 46 ha großen landwirtschaftlichen Betrieb seines Vaters tätig. Er besuchte in den Winterhalbjahren 1949/50 und 1950/51 die Landwirtschaftsschule. Von April 1952 bis März 1953 arbeitete er auf einem fremden Bauernhof. Anschließend war er wieder im väterlichen Betrieb tätig. Infolge eines Unfalls im Januar 1957 verlor er das linke Bein von der Mitte des Oberschenkels an. Er erhielt von der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft eine Unfallrente. Seit dem Tod seines Vaters im August 1961 betrieb der Kläger die ererbte Landwirtschaft als selbständiger Unternehmer. Das vom Landessozialgericht (LSG) nach den Steuerakten ermittelte Einkommen betrug in den Jahren 1962 bis 1970 jeweils zwischen ca 15.000 und 27.000 DM. Für den Kläger sind für die Zeit von April 1952 bis März 1953 12 Monatsbeiträge zur Arbeiterrentenversicherung (ArV) entrichtet; außerdem sind in der am 4. Februar 1957 - nach dem Unfall - ausgestellten Versicherungskarte Beiträge für die Zeit von Dezember 1956 bis 14. Januar 1957 entrichtet.

Die Beklagte sah die Wartezeit als erfüllt an, weil es sich um einen Arbeitsunfall handelte (§ 1252 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung - RVO -). Sie gewährte mit Bescheid vom 3. September 1958 eine Zeitrente wegen Erwerbsunfähigkeit bis zum Ablauf des Monats Januar 1959. In dem Bescheid ist darauf hingewiesen, daß die Rente dann wegfällt, ohne daß es eines Entziehungsbescheides bedarf.

Am 11. Februar 1959 schrieb der Kläger an die Beklagte:

"Habe für den Monat Februar 1959 plötzlich keine Rente (14,60 DM) bekommen. Dieses Ausbleiben der Auszahlung blieb bisher unbegründet. Hoffe, daß irgendwie ein Versehen vorliegt. Bitte daher um eine Aufklärung, da ich nun leider auf die Rente angewiesen bin, welche, addiert mit der von der Berufsgenossenschaft sowieso knapp bemessen ist".

Die Beklagte antwortete am 25. Februar 1959:

"Mit Bescheid vom 3. September 1958 wurde der ... Anspruch auf Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit ... bis längstens 31. Januar 1959 anerkannt. Aus diesem Grunde ist die Rentenzahlung mit Ende Januar 1959 weggefallen".

Zehn Jahre später - im Februar 1969 - schrieb der Rentenberater des Klägers an die Beklagte, die Rente sei dem Kläger zu Unrecht entzogen worden; er müsse eine fremde Arbeitskraft einstellen, so daß er dadurch große finanzielle Verluste erleide; er beabsichtige, erneut einen Rentenantrag zu stellen. Hierauf erwiderte die Beklagte, gegen den Bescheid sei s. Zt. Klage nicht erhoben und auch nicht die Weitergewährung der Rente beantragt worden; dem Kläger werde anheimgestellt, gegebenenfalls erneut einen Rentenantrag zu stellen. Darauf beantragte der Rentenberater, Rente wegen Erwerbsunfähigkeit von Februar 1959 an nachzuzahlen. Die Beklagte erklärte sich mit Schreiben vom 6. März 1969 an den Rentenberater bereit, das Schreiben vom 11. Februar 1959 als Antrag auf Weiterzahlung der Rente anzusehen. Sie lehnte nach ärztlicher Begutachtung des Klägers mit Bescheid vom 28. Juli 1969 die Weitergewährung der Rente ab; Berufsunfähigkeit habe seit Februar 1959 nicht mehr bestanden.

Das Sozialgericht (SG) hat den Wirtschaftsberater Ascheberg (A.) der Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein darüber gehört, ob der Kläger einem Versicherten, der den Beruf eines Landwirts ordnungsgemäß erlernt habe, in seinen praktischen und theoretischen Fähigkeiten gleichzustellen sei und ob er unter Berücksichtigung seiner körperlichen Behinderung in einer Stellung, die der eines gelernten Landwirts sozial vergleichbar sei - etwa als Verwalter - noch die Lohnhälfte verdienen könne. A. hat die erste Frage bejaht, die letzte verneint, da dem Kläger die nötige körperliche Beweglichkeit und Ausdauer fehle und er nicht die für Verwalter von Großbetrieben erforderliche Ausbildung als Landwirtschaftsmeister oder Agraringenieur habe. Das SG hat die Beklagte zur Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit ab Februar 1959 verurteilt.

Die Beklagte vertrat in ihrer Berufung ua die Auffassung, in dem Schreiben des Klägers vom 11. Februar 1959 sei kein Antrag auf Weiterzahlung der Rente zu erblicken; der Kläger habe sich 10 Jahre lang mit der Nichtbearbeitung seines "Antrages" zufrieden gegeben. Sie machte vorsorglich Verjährung geltend.

Das LSG hat Rente wegen Berufsunfähigkeit nur für die Zeit von Februar 1959 bis Juli 1961 zugesprochen; die Revision wurde zugelassen (Urteil vom 24. August 1972).

Das LSG hat im wesentlichen sinngemäß ausgeführt, in dem Schreiben des Klägers vom 11. Februar 1959 sei ein Antrag auf Weitergewährung der Rente zu sehen, weil er darin darauf hingewiesen habe, daß er weiterhin auf die Rente angewiesen sei, und weil in der Antwort der Beklagten vom 25. Februar 1959 nicht das Erfordernis eines neuen Antrages erwähnt worden sei. Dem Kläger sei Berufsschutz als landwirtschaftlicher Gehilfe zuzubilligen. Der Grundsatz, daß nur aus solchen Beiträgen Rechtsfolgen erwachsen, die überhaupt geeignet sind, Ansprüche auszulösen, d. h. mindestens 60 Monatsbeiträge (Hinweis auf BSG 19, 279), sei auf den Ausnahmefall der Wartezeitfiktion des § 1252 RVO zu übertragen (Hinweis auf SozR Nr. 14 zu § 1254 RVO aF); in einem solchen Fall sei der berufliche Status maßgebend, den der Versicherte zur Zeit des Unfalls erreicht habe. Dies sei hier der eines landwirtschaftlichen Gehilfen. Solange der Kläger nur auf abhängige Arbeit verweisbar gewesen sei, sei er, weil er im wesentlichen nur sitzende Tätigkeiten habe verrichten können, als Arbeitskraft im landwirtschaftlichen Sektor weitgehend ausgefallen; Kenntnisse für andere Arbeitsplätze habe er nicht erworben. Eine rechtlich beachtliche Änderung sei aber eingetreten, als der Kläger im Juli 1961 den Hof übernommen habe. Wenn auch der Kläger den Hof schon längere Zeit vor dem Tod des Vaters wegen dessen Krankheit allein geführt habe, sei die Änderung doch in wirtschaftlicher Hinsicht wesentlich, weil dem Kläger nunmehr als Unternehmer der Gewinn aus der Bewirtschaftung des Hofes zugeflossen sei. Das festgestellte Einkommen, bei dem auch bereits ein Teil der persönlichen Bedürfnisse des Klägers (Licht, Kfz, Haushalt usw.) abgezogen sei, entspreche etwa dem Doppelten von dem, was ein landwirtschaftlicher Facharbeiter nach dem einschlägigen Lohntarifvertrag erziele. Der Kläger könne die selbständige Tätigkeit mit dem bisherigen wirtschaftlichen Erfolg aufrechterhalten. Es sei unschädlich, daß ein Teil der körperlichen Arbeiten von der Ehefrau und fremden Hilfskräften erledigt werden müsse (Hinweis auf BSG 22, 265). Verjährung sei nicht eingetreten, weil die Verjährungsfrist durch den Antrag vom 11. Februar 1959 bis zur Beendigung des Verfahrens unterbrochen sei (Hinweis auf SozR Nr. 5 und 24 zu § 29 RVO). Der Kläger und die Beklagte haben Revision eingelegt. Der Kläger beantragt (sinngemäß), das Urteil des Landessozialgerichts dahin zu ändern, daß die Beklagte verurteilt wird, ihm Rente wegen Berufsunfähigkeit über den 31. Juli 1961 hinaus zu gewähren.

Die Beklagte beantragt (sinngemäß), das Urteil des Landessozialgerichts dahin zu ändern, daß die Klage in vollem Umfang abgewiesen wird, hilfsweise, den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen, sowie die Revision des Klägers als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise zurückzuweisen.

Der Kläger rügt "wesentliche Mängel des Verfahrens und zwar die Verletzung der §§ 103 und 128 des Sozialgerichtsgesetzes in Bezug auf die Feststellungen, die mit dem § 1246 RVO zusammenhängen". Das LSG habe seine Auffassung, daß der Kläger von der Übernahme des Hofes ab nicht mehr berufsunfähig gewesen sei, allein mit den Bruttoeinnahmen aus dem Hof begründet. Dabei habe es wesentliche Punkte, die in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG herausgestellt worden seien, nicht beachtet. Der berufskundliche Sachverständige A. habe erklärt, die Ehefrau des Klägers verrichte mindestens 55% der körperlichen Arbeit. Tatsächlich leiste sie jedoch alle wesentlichen körperlichen Arbeiten, die das Einkommen einbrächten. Geistige Arbeiten, wie Leitung, Planung, Kalkulation, machten nur etwa 2 Stunden wöchentlich aus. Treckerarbeiten, die der Kläger einigermaßen gut leisten könne, gebe es nicht viele, da wenig Ackerland, aber viel Wiesen und Weiden (Viehwirtschaft) vorhanden seien. Der erzielte Gewinn sei, verglichen mit anderen Höfen gleicher Größe und Wirtschaft, sehr gering. Trotz des Lohntarifs eines Landarbeiters von monatlich 950,- DM erziele ein Landarbeiter durch die notwendigen Überstunden einen Bruttojahreslohn von etwa 14.000,- DM. Das LSG habe die wirklichen Verhältnisse auch dadurch verkannt, daß es den fiktiven Lohn der Ehefrau mit 500,- bis 600,- DM zuzüglich Kost und Wohnung angesetzt habe. Dafür müßten 1100,- bis 1200,- DM zugestanden werden. Für den Kläger bliebe nicht die Lohnhälfte eines gleichartig Beschäftigten übrig.

Die Beklagte führt in ihrer Revisionsbegründung aus, der Kläger könne nicht den Berufsschutz als landwirtschaftlicher Gehilfe beanspruchen, weil er versicherungsrechtlich nur kurzfristig als solcher gearbeitet habe. Er sei auf das allgemeine Arbeitsfeld zu verweisen, weil er keine 60 Monate lang als landwirtschaftlicher Gehilfe versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei.

Das LSG habe den Kläger mit Recht für die Zeit seit Übernahme des Hofes im Juli 1961 auf die selbständige Tätigkeit verwiesen und Berufsunfähigkeit abgelehnt; es habe aber nicht geprüft, ob der Kläger schon vorher den Hof wegen der Krankheit des Vaters selbständig geführt habe. Schließlich beanstandet die Beklagte, daß das LSG das Schreiben des Klägers vom 11. Februar 1959 als Rentenantrag angesehen habe und deshalb zu einem Rentenbeginn am 1. Februar 1959 gelangt sei. Der Rentenantrag sei hier nicht für die Feststellung des Rentenbeginns nach § 1290 RVO von Bedeutung. Der Rentenbeginn vom 1. Februar 1959 ergebe sich vielmehr unmittelbar aus § 1276 Abs. 2 Satz 2 RVO, weil bis 31. Januar 1959 eine Zeitrente wegen Erwerbsunfähigkeit gewährt worden sei. Ein Rentenantrag sei hier von Bedeutung für die Frage, ob seit 1959 ein Feststellungsverfahren anhängig gewesen sei, das die Verjährung unterbrochen habe. Nach Wegfall einer Zeitrente sei ein Rentenantrag zu stellen (§ 1545 RVO), wenn die Weiterzahlung der Rente begehrt werde. Aus dem Schreiben vom 11. Februar 1959 sei eindeutig zu ersehen, daß der Kläger nur die Auszahlung einer bereits festgesetzten Rente begehre. Die Anfrage des Klägers sei sachgerecht und ausreichend beantwortet worden. Der Hinweis in seinem Schreiben, er sei auf die Rente angewiesen, habe für den Sachbearbeiter nicht entscheidend sein können, weil daraus nicht erkennbar gewesen sei, wie sich der Kläger nach Aufklärung seines Irrtums zu der Rentenfrage stellen würde. Das LSG sehe in dem Schreiben vom 11. Februar 1959 einen Rentenantrag wohl deshalb, weil sie - die Beklagte - in ihrem Aufklärungsschreiben vom 25. Februar 1959 das Erfordernis eines neuen Antrages nicht erwähnt habe und der Kläger nach Auffassung des LSG hätte meinen können, er werde einen besonderen Bescheid über die Rentengewährung erhalten. Damit sei aber nicht die Auslegung des Schreibens des Klägers, sondern ihre ordnungsmäßige Aufklärung, der Vertrauensschutz und damit ein Folgebeseitigungsanspruch angesprochen. Im Hinblick auf den vorhergehenden Rentenantrag und das Feststellungsverfahren habe nicht auf das Antragserfordernis hingewiesen werden müssen. Es liege nahe, daß der Kläger keinen Rentenantrag gestellt habe, weil die Rente in Höhe von 14,60 DM für ihn als Hoferben keine besondere Bedeutung gehabt habe. Somit sei kein Feststellungsverfahren gelaufen und die Verjährung sei 1959 nicht unterbrochen worden. Zur Zeit des Antrags von Februar 1969 seien Ansprüche für die Zeit von Februar 1959 bis Juli 1961 bereits verjährt gewesen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unzulässig, weil keine vorliegenden wesentlichen Verfahrensmängel des LSG und keine Verletzung des materiellen Rechts formgerecht gerügt sind (§ 164 Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). In der Revisionsbegründung ist weder ausdrücklich gesagt, daß das LSG den § 1246 RVO falsch ausgelegt hätte, noch geht daraus klar hervor, daß die Verletzung materiellen Rechts gerügt werde.

Das LSG ist, wie sein Hinweis auf BSG 22, 265 zeigt, bei der Anwendung des § 1246 RVO von der materiell-rechtlichen Auffassung ausgegangen, daß ein Versicherter, dessen Versicherungsverhältnis auf Beiträgen aus abhängiger Beschäftigung beruht, nicht berufsunfähig ist, wenn er aus selbständiger Tätigkeit mindestens die Hälfte des Einkommens zu verdienen vermag, das durchschnittlich in dem früher abhängig ausgeübten Beruf erreicht wird, und wenn der Verdienst wesentlich auf dem Gebrauch der geistigen und körperlichen Arbeitskraft beruht und nicht ausschlaggebend vom Einsatz finanzieller Mittel abhängt. Das LSG war also der Auffassung, daß nicht das gesamte Einkommen auf eigener voller körperlicher Mitarbeit eines Versicherten beruhen muß, daß es vielmehr genügt, wenn ein Versicherter, der nur beschränkt körperlich mitarbeiten kann, in der Lage ist, mehr den geistigen Anforderungen einer Betriebsführung gerecht zu werden. Von dieser sachlich-rechtlichen Auffassung geht offenbar auch der Kläger in seiner Revisionsbegründung aus, weil er dazu nur vorbringt, sein Betrieb erfordere nur in ganz geringem Umfang geistige Tätigkeit.

Auch wesentliche Verfahrensmängel sind nicht formgerecht gerügt. Das LSG hat auf Grund des Gutachtens des Sachverständigen A., der den Betrieb des Klägers besichtigt und mit diesem gesprochen hat, festgestellt, daß etwa 55% der körperlichen Arbeiten von Hilfskräften (Ehefrau, fremde Kraft) erledigt werden. Dies hat nach seiner materiell-rechtlichen Auffassung von § 1246 RVO genügt, um Berufsunfähigkeit zu verneinen. Demgegenüber gibt der Kläger in seiner Revision kein Beweismittel dafür an, daß und weshalb die Schätzung des Sachverständigen A. unrichtig sei, so daß das LSG sich darauf nicht hätte stützen können. Was die Revision über die Art des Betriebes des Klägers anführt - Milchwirtschaft, wenig Ackerland -, war dem Sachverständigen bekannt. Auch die Lohnverhältnisse bei Landwirtschaftsgehilfen sind vom LSG berücksichtigt worden. Die Revision wendet sich insgesamt gegen die Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse bei der Bewirtschaftung des Hofes durch das LSG. Sie hat aber weder im einzelnen ausgeführt, welche weiteren Ermittlungen das LSG hätte durchführen müssen, noch dargelegt, daß und inwiefern das LSG sein Recht der freien Beweiswürdigung überschritten hätte (§§ 103, 128 Abs. 1, 164 Abs. 2 Satz 2 SGG). Da keine Verfahrensrügen ordnungsmäßig erhoben sind, ist das Urteil des LSG auf die Revision des Klägers nicht materiell-rechtlich nachzuprüfen.

Die Revision der Beklagten ist zulässig und begründet; das Urteil des LSG ist insoweit aufzuheben und der Rechtsstreit zurückzuverweisen, als die Beklagte zur Rentengewährung für die Zeit von Februar 1959 bis Juli 1961 verurteilt worden ist.

Der Auffassung des LSG, das Schreiben des Klägers vom 11. Februar 1959 stelle einen Antrag auf Weiterzahlung der Rente dar, ist - auch entgegen der Meinung, welche die Beklagte ursprünglich vertreten hat - nicht zu folgen. Das Schreiben des Klägers vom 11. Februar 1959 ist aus der damaligen Lage heraus, als es bei der Beklagten einging, auszulegen. Der Kläger hat darin der Beklagten nur mitgeteilt, daß für Februar 1959 keine Rente ausgezahlt worden ist und nach dem Grund dafür gefragt. Ein Rentenantrag, d. h. eine auf Gewährung von Rente gerichtete Willenserklärung, verlangt in dem Antragsteller das Bewußtsein, daß er ohne diesen Antrag keine Rente erhält. Daß der Kläger dieses Bewußtsein hatte, ist aus seinem Schreiben nicht zu entnehmen, weil er darin nur ein versehentliches Unterbleiben der Rentenzahlung angenommen hat. Diese Annahme des Klägers wurde erst durch die Antwort der Beklagten, die Rente sei zu Ende Januar 1959 weggefallen, weil sie in dem Bescheid vom 3. September 1958 nur bis zu diesem Zeitpunkt bewilligt worden sei, beseitigt.

Diese Mitteilung genügte aber nicht der aus dem Versicherungsverhältnis erwachsenden Auskunftspflicht des Versicherungsträgers; denn sie mußte in dem Kläger den Eindruck erwecken, die Rente sei unabänderlich fortgefallen. Die Beklagte hätte den Kläger vielmehr auch auf die Rechtslage nach § 1276 Abs. 2 Satz 2 RVO hinweisen müssen, wonach vom Zeitpunkt des Wegfalls der Erwerbsunfähigkeitsrente an Rente wegen Berufsunfähigkeit zusteht, wenn der Rentenempfänger zwar nicht mehr erwerbsunfähig, aber noch berufsunfähig ist. Zu dieser vollständigen Auskunft war die Beklagte schon deshalb veranlaßt, weil der Kläger seiner Mitteilung über das Ausbleiben der Rente angefügt hatte, daß er auf die Rente angewiesen sei. Insbesondere war die Beklagte hier aber auch deshalb zu einer ergänzenden Belehrung über § 1276 Abs. 2 Satz 2 RVO verpflichtet, weil sie zunächst im Anschluß an den Befundbericht des Städtischen Krankenhauses Ost, Lübeck, vom 1. Oktober 1957 eine Überwachung für Oktober 1958 vorgesehen hatte (Aktenvermerk vom 8.10.1957), dann aber am 15. Januar 1959 verfügt hatte, daß keine Nachuntersuchung vorzunehmen, sondern ein evtl. Neuantrag abzuwarten sei. Als einige Wochen nach dieser Verfügung das Schreiben des Klägers vom 11. Februar 1959 einging, war die Beklagte gerade auf ihre bisherige Behandlung des Falles hin gehalten, den Kläger über § 1276 Abs. 2 RVO besonders aufzuklären und ihm einen entsprechenden Antrag, gegebenenfalls mit Vorlage ärztlicher Bescheinigungen, anheimzustellen. Da der Kläger auch erwähnt hatte, daß er auf die Rente zusammen mit der Rente aus der Unfallversicherung angewiesen sei, und im Jahre 1959 ein Rentenbetrag von ca 15,- DM monatlich für geringere Bedürfnisse nicht ganz unbedeutend war, ist davon auszugehen, daß der Kläger bei ausreichender Belehrung die Weitergewährung von Berufsunfähigkeitsrente beantragt hätte. Dies wird besonders dadurch bestärkt, daß damals Rente nur wegen der Fiktion der Wartezeiterfüllung infolge Arbeitsunfalls gewährt werden konnte, bei einem späteren Versicherungsfall nach Wegfall von Erwerbsunfähigkeit und Berufsunfähigkeit aber die Wartezeit für eine neuerliche Rentengewährung nicht mehr erfüllt war (vgl. BSG 32, 60; SozR Nr. 12 zu § 242 BGB).

Zur Beseitigung der Folgen ihrer unvollständigen und deshalb irreführenden Auskunft vom 25. Februar 1959 hat die Beklagte den Kläger so zu stellen, als hätte er im Anschluß an dieses Schreiben die Weitergewährung der Rente nach § 1276 Abs. 2 Satz 2 RVO beantragt.

Bei dieser Sach- und Rechtslage kann sich die Beklagte - auch nach Treu und Glauben - nicht auf Verjährung berufen; denn ein damaliger Antrag des Klägers nach § 1276 Abs. 2 Satz 2 RVO hätte eine Verjährung unterbrochen (§ 220 Abs. 1, §§ 209, 211 BGB).

Die Verurteilung der Beklagten zur Rentengewährung für die Zeit von Februar 1959 bis Juli 1961 kann jedoch nicht aufrecht erhalten werden.

Allerdings folgt der Senat nicht der Auffassung, bei fiktiver Wartezeiterfüllung nach § 1252 RVO sei nicht von einer qualifizierten Berufstätigkeit auszugehen, weil sie nicht - entsprechend den Grundsätzen in BSG 19, 279 und SozR Nr. 73 zu § 1246 RVO - mindestens 60 Kalendermonate lang bis zur Erfüllung der Wartezeit nach § 1246 Abs. 3 RVO versicherungspflichtig ausgeübt worden sei. Voraussetzung dafür, daß die Fiktion der Wartezeiterfüllung eingreifen kann, ist nach § 1252 RVO, daß der Versicherte "berufsunfähig" geworden ist. Die Merkmale der Berufsunfähigkeit sind in § 1246 Abs. 2 RVO beschrieben. Danach steht Berufsunfähigkeit stets in Beziehung zu einem mehr oder weniger qualifizierten Beruf des Versicherten. Die Erfüllung der Wartezeit nach § 1246 Abs. 3 RVO ist Voraussetzung einer Rentengewährung. Sie hängt aber nicht untrennbar mit den auf den Beruf bezogenen Merkmalen des Absatzes 2 des § 1246 RVO zusammen. Da die Wartezeitfiktion einerseits nur bei einer Versicherungszeit von weniger als 60 Monaten in Frage kommt, andererseits aber auch nur eingreift, wenn der Versicherte "berufsunfähig" geworden ist, ist bei der Feststellung der Berufsunfähigkeit im Hinblick auf einen bestimmten Beruf nicht zu berücksichtigen, daß der Versicherte noch nicht 60 Monate versicherungspflichtig in diesem Beruf tätig war. Sonst könnte bei der Wartezeitfiktion kaum jemals ein qualifizierter Beruf der Beurteilung der Berufsunfähigkeit zugrunde gelegt werden. Deshalb kann es bei § 1252 Nr. 1 RVO - wie bereits in BSG 19, 280 angedeutet - nur darauf ankommen, welchen Beruf der Versicherte bis zum Eintritt des Arbeitsunfalles versicherungspflichtig ausgeübt hat und ob er durch den Arbeitsunfall in diesem Beruf berufsunfähig im Sinne des § 1246 Abs. 2 RVO geworden ist. Dieser Auslegung steht das Urteil des 1. Senats vom 3. April 1973 - 1 RA 163/72 - nicht entgegen; denn die dortige Entscheidung über die Bedeutung der Fiktion der Wartezeiterfüllung für die Berücksichtigung von Ausfallzeiten betrifft eine andere Rechtsfrage.

Der Senat kann die Auffassung der Beklagten auch nicht als durch § 1252 Abs. 2 RVO idF des Rentenreformgesetzes vom 16. Oktober 1972 bestätigt ansehen. Mit diesem Absatz 2 ist die Wartezeitfiktion bei Berufsunfähigkeit wegen Arbeitsunfalls auf Erwerbsunfähigkeit wegen sonstiger Unfälle ausgedehnt worden. Diese Ausdehnung gilt jedoch nur unter bestimmten einschränkenden Voraussetzungen: Wenn der Versicherte vor Ablauf von sechs Jahren nach Beendigung einer Ausbildung infolge eines Unfalles erwerbsunfähig geworden ist und wenn er in den dem Versicherungsfall vorausgegangenen vierundzwanzig Kalendermonaten mindestens für sechs Kalendermonate Beiträge auf Grund einer versicherungspflichtigen Beschäftigung ... entrichtet hat (vgl. auch BABl 1973, 153, 154, rechte Spalte). Diese Einschränkung ist bei der weitreichenden Ausdehnung der Wartezeitfiktion auf allgemeine Unfälle verständlich. Daß sie in Verbindung mit der Ausdehnung der Wartezeitfiktion auf allgemeine Unfälle vorgenommen, aber nicht auf Arbeitsunfälle erstreckt worden ist, spricht nach Auffassung des Senats eher für seine Auslegung, daß bei der Wartezeitfiktion bei Arbeitsunfällen der bis zum Eintritt des Arbeitsunfalls versicherungspflichtig ausgeübte qualifizierte Beruf, der nach § 1246 Abs. 2 RVO festzustellen ist, ohne besondere Einschränkungen maßgebend ist.

Das LSG hat ohne Gesetzesverletzung den Kläger beruflich als landwirtschaftlichen Gehilfen beurteilt; denn der berufskundliche Sachverständige, dem das LSG bei der Feststellung der beruflichen Qualifikation des Klägers gefolgt ist, hat ausgeführt, daß der Kläger bereits im April 1952, also schon vor Beginn der Arbeit auf dem fremden Hof, durch die sechsjährige praktische Arbeit im elterlichen Betrieb und den Besuch der Landwirtschaftsschule (Fachschule) in zwei Wintersemestern einem Absolventen der Landwirtschaftslehre mit Gehilfenprüfung gleichzustellen gewesen sei.

Das LSG hat jedoch den Kreis der dem Kläger nach § 1246 Abs. 2 RVO beruflich zumutbaren Tätigkeiten zu stark eingeengt. Es durfte ihn nicht auf den landwirtschaftlichen Sektor beschränken. Der erkennende Senat hat im Urteil vom 30. November 1972 - 12 RJ 118/72 (mit weiteren Hinweisen auf Entscheidungen des 4. und 5. Senats) zur Auslegung des § 1246 Abs. 2 RVO entschieden, daß es zwar angebracht ist, zunächst die Verweisungsmöglichkeiten für solche Berufe zu prüfen, die mit dem bisherigen Beruf verwandt sind und für deren Ausübung die beruflichen Kenntnisse und die verbliebene gesundheitliche Leistungsfähigkeit ausreichen. Es kommen aber auch ungelernte Tätigkeiten als Verweisungsberufe in Frage, die sich aus dem allgemeinen Kreis der ungelernten Tätigkeiten - etwa im Hinblick auf ihre Bedeutung und ihr Ansehen im Betrieb, aber auch unter Berücksichtigung ihrer tariflichen Einstufung - besonders hervorheben und die gegebenenfalls lediglich eine kürzere betriebliche Einweisung und Einarbeitung erfordern. Da dies in dem angefochtenen Urteil noch nicht berücksichtigt ist, ist das Urteil des LSG aufzuheben und der Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem das Verfahren abschließenden Urteil vorbehalten, soweit der Rechtsstreit auf die Revision der Beklagten zurückverwiesen ist.

Die Kostenentscheidung zu der unzulässigen Revision des Klägers beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1669534

NJW 1973, 1768

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