Entscheidungsstichwort (Thema)
Überprüfbarkeit eines Beschlusses nach SGG § 109 im Revisionsverfahren. Gutachten nach SGG § 109 ohne Kostenvorschuß
Orientierungssatz
1. Nach ZPO § 548, der im Sozialgerichtsverfahren nach SGG § 202 entsprechend gilt (vgl BSG 1958-01-14 11/8 RV 95/57 = BSGE 6, 256, 262f; BSG 1958-06-24 10 RV 1131/56 = BSGE 7, 240 = SGb 1960, 78 mit kritischer Anmerkung von Friedrichs), unterliegen der Beurteilung des Revisionsgerichts auch diejenigen Entscheidungen, die dem Endurteil vorausgegangen sind, sofern sie nicht nach dem Gesetz unanfechtbar sind.
2. Der Beschluß des LSG, die beantragte Beweiserhebung nach SGG § 109 nicht ohne Kostenvorschuß vorzunehmen, ist nach SGG § 177 unanfechtbar. Damit ist diese Entscheidung selbst der Überprüfung entzogen.
3. Gleichwohl kann eine durch sie entstandene Folge, die sich in dem mit der Revision anfechtbaren Urteil auswirkt, zB als Verfahrensfehler der unzureichenden Sachaufklärung, durch das Revisionsgericht zu kontrollieren sein.
4. Grundsätzlich kann auch von einem finanziell unvermögenden Kläger ein Kostenvorschuß für ein Gutachten nach SGG § 109 verlangt werden (vgl BSG 1964-03-31 4 RJ 169/63 = Breith 1964, 908).
Normenkette
ZPO § 548 Fassung: 1950-09-12; SGG § 202 Fassung: 1953-09-03, § 109 Abs 1 S 2 Fassung: 1953-09-03, § 177 Fassung: 1974-07-30, § 103 Fassung: 1974-07-30
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger, der im Krieg durch Splitter im Rücken verwundet wurde, machte wiederholt eine Verletzung der Wirbelsäule als Schädigungsfolge nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) erfolglos geltend. Sein letzter Antrag vom Dezember 1976 wurde ebenfalls abgelehnt (Bescheid vom 2. November 1977). Das Sozialgericht wies die Klage ab (Urteil vom 22. August 1978). Mit der Berufung strebte der Kläger an, Folgen eines Wirbelsäulenschußbruches des 5. Lendenwirbels mit Schädigung der nervösen Versorgung des rechten Beines als Schädigungsfolge anzuerkennen und dementsprechend eine Beschädigtenrente entsprechend einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 30 vH zu gewähren. Er beantragte, ein Gutachten nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf seine Kosten vom Chefarzt Dr R, P, einzuholen, und bat nachträglich, wegen seiner Armut davon abzusehen, die Kosten vorher anzufordern. Das Landessozialgericht (LSG) lehnte durch Beschluß vom 10. April 1979 den Antrag ab, den Arzt als Gutachter ohne Kostenvorschuß zu hören. Nachdem der Kläger sodann angekündigt hatte, er werde evtl doch die Kosten aufbringen, und das Gericht den erforderlichen Betrag mit 1.000,-- DM beziffert und ihn zur Einzahlung aufgefordert hatte, erklärte der Kläger, er werde die Berufung nicht zurücknehmen. Darauf hat das LSG das Rechtsmittel als unbegründet zurückgewiesen (Urteil vom 22. Mai 1979). In der Begründung hat es unter Hinweis auf seinen Beschluß vom 10. April 1979 ausgeführt, dem Antrag nach § 109 SGG ohne Kostenvorschuß sei nicht stattzugeben. Ein Antrag mit dem Anerbieten, die Kosten vorzuschießen, ist nach Auffassung des Berufungsgerichts nicht gestellt. Das Gericht hat die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage zugelassen, unter welcher Voraussetzung bei Armut eines Antragstellers von der Auferlegung eines Kostenvorschusses nach § 109 SGG abgesehen werden kann.
Der Kläger rügt mit der Revision als Verfahrensmangel, daß das LSG das nach § 109 SGG beantragte Gutachten ohne einen Kostenvorschuß hätte einholen müssen. Durch ein ärztliches Attest sei nachgewiesen worden, daß beim Kläger Folgen eines Wirbelschußbruches beständen. Zu Unrecht habe das Berufungsgericht den Beweisantrag nach dem Maßstab des Verhaltens "eines vernünftigen Beteiligten" abgelehnt. Das Recht aus § 109 SGG dürfe für arme Patienten nicht dadurch praktisch bedeutungslos werden, daß die Beweiserhebung davon abhängig gemacht werde, ob das Gericht sie für notwendig halte.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben und den Rechtsstreit
zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die
Vorinstanz zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Nach seiner Auffassung hat das LSG sein Ermessen, ob ein Kostenvorschuß gefordert werde, rechtsfehlerfrei ausgeübt.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg.
Obgleich das LSG das Rechtsmittel wegen einer grundsätzlich bedeutsamen Rechtsfrage eröffnet hat, die das angefochtene Urteil gar nicht betrifft, bindet die Zulassung das Revisionsgericht uneingeschränkt (§ 160 Abs 3 SGG; BSG SozR 1500 § 160 Nr 21).
Der Kläger richtet sein Rechtsmittel ausschließlich gegen die Ablehnung seines Antrages, nach § 109 SGG ein Gutachten von dem von ihm benannten Sachverständigen ohne Kostenvorschuß einzuholen. Die darüber getroffene Entscheidung ist aber überhaupt nicht im angefochtenen Urteil, gegen das sich allein die zugelassene Revision richten kann (§ 160 Abs 1, § 162 SGG), enthalten, sondern im Beschluß vom 10. April 1979, auf den das Berufungsgericht in den Gründen seines Urteils lediglich nochmals verwiesen hat. Zu einer erneuten Entschließung des Gerichts über eine Beweiserhebung nach § 109 SGG bestand auch kein Anlaß; denn der Kläger hatte nach der früheren Ablehnung seines Begehrens, von einem Kostenvorschuß abzusehen, nicht nochmals einen gleichen Antrag gestellt, etwa mit einer erweiterten Begründung. Im Gegenteil hatte er nachträglich angedeutet, er werde den Kostenvorschuß doch aufbringen, aber auch dann bis zur nächsten mündlichen Verhandlung diese Ankündigung nicht verwirklicht. Von seinem rechtskundigen Prozeßbevollmächtigten wäre jedoch zu erwarten gewesen, daß er den Antrag in der ursprünglichen Fassung, falls er ihn weiterhin hätte verfolgen wollen, wiederholt hätte. Er beschränkte sich hingegen sodann auf das Berufungsbegehren, also auf einen Sachantrag, was er in der Erklärung zum Ausdruck brachte, er wolle das Rechtsmittel nicht zurücknehmen.
Die zugelassene Revision kann auch nicht deshalb zum Erfolg führen, weil das Bundessozialgericht (BSG) die dem Berufungsurteil vorausgegangene Entscheidung über einen Antrag nach § 109 SGG entsprechend § 548 Zivilprozeßordnung (ZPO) zu überprüfen hätte und weil es dabei dem Kläger Recht geben müßte. Nach der genannten Vorschrift, die im Sozialgerichtsverfahren nach § 202 SGG entsprechend gilt (BSGE 6, 256, 262f; 7, 240 = Sozialgerichtsbarkeit 1960, 78 mit kritischer Anmerkung von Friederichs), unterliegen der Beurteilung des Revisionsgerichts auch diejenigen Entscheidungen, die dem Endurteil vorausgegangen sind, sofern sie nicht nach dem Gesetz unanfechtbar sind. Der Beschluß des LSG, die beantragte Beweiserhebung nach § 109 SGG nicht ohne Kostenvorschuß vorzunehmen, ist nach § 177 SGG unanfechtbar. Damit ist aber allein diese Entscheidung selbst der Überprüfung entzogen. Gleichwohl könnte eine durch sie entstandene Folge, die sich in dem mit der Revision anfechtbaren Urteil auswirkt, zB als Verfahrensfehler der unzureichenden Sachaufklärung, durch das Revisionsgericht zu kontrollieren sein (RGZ 160, 157, 160f; BGH LM Nr 2 zu § 548 ZPO; BVerwG Sammlung Buchholz 448.0 § 21 WehrpflG Nr 11; Stein/Jonas/Grunsky, Kommentar zur ZPO, 20. Auflage 1977, § 548, RdNr 2; Friederichs aaO). Doch ist das Berufungsurteil im vorliegenden Fall nicht wegen eines solchen Verfahrensmangels aufzuheben. Eine unzureichende Sachaufklärung von Amts wegen (§ 103 SGG) kommt nicht in Frage. Soweit die Revision behauptet, das angefochtene Urteil beruhe auf einer Verletzung des § 109 SGG, rügt sie wohl ein Fortwirken des Beschlusses vom 10. April 1979. Dies kann sie jedoch nach dem allgemeinen verfahrensrechtlichen Rechtsgrundsatz, der in § 295 ZPO seinen Ausdruck gefunden hat, nicht mehr als einen Verfahrensfehler im Revisionsverfahren geltend machen; denn der rechtskundig vertretene Kläger hat nach der Ablehnung einer Beweiserhebung ohne Kostenvorschuß, wie dargelegt, bis zum Schluß der nächsten mündlichen Verhandlung, in der sein Prozeßbevollmächtigter ihn vertreten konnte, nicht mehr darauf bestanden, daß der Sachverhalt nach § 109 SGG weiter aufgeklärt werde (BSGE 3, 284 f). Abgesehen davon hat die Revision den Verfahrensmangel nicht gemäß § 164 Abs 2 Satz 3 SGG ausreichend gerügt. Sie hat nicht schlüssig dargelegt, inwiefern das LSG, ausgehend von seinen verbindlichen Tatsachenfeststellungen zum konkreten Fall des Klägers (§ 163 SGG), sein Ermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt haben soll (vgl zB BSG SozR Nr 35 zu § 109 SGG; BSG 29. April 1969 - 8 RV 377/68 -); dabei ist davon auszugehen, daß grundsätzlich auch von einem finanziell unvermögenden Kläger ein Kostenvorschuß für ein Gutachten nach § 109 SGG verlangt werden kann (BSG SozR Nr 21 zu § 109 SGG; Breithaupt 1964, 908). Aus diesen Gründen wäre selbst dann nicht anders zu entscheiden, wenn allgemein Beschlüsse über die Ablehnung einer Beweisaufnahme nach § 109 SGG ebenso wie in dem in BSGE 7, 240 veröffentlichten Urteil des 10. Senats des BSG weiterhin nicht als "unanfechtbar" iS des § 548 ZPO zu beurteilen wären (vgl aber die Kritik von Friederichs). Neue Bedenken gegen die Fortsetzung dieser Rechtsprechung könnten sich dadurch ergeben, daß das nachträglich geänderte Revisionsrecht eine Zulassung der Revision wegen einer Verletzung des § 109 SGG schlechthin verbietet (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG; BSG SozR 1500 § 160 Nr 34), also die revisionsgerichtliche Überprüfung solcher vorbereitender Entscheidungen grundsätzlich eingeschränkt worden ist.
Im übrigen beanstandet der Kläger mit seiner Revisionsbegründung das Berufungsurteil nicht. Naturgemäß wird er mit dem negativen Ergebnis nicht einverstanden sein. Er rügt aber nicht irgendwelche Fehler in der Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG). Daß das Urteil bei dieser verbindlich festgestellten Sachlage (§ 163 SGG) in rechtlicher Hinsicht unrichtig sei, behauptet der Kläger nicht, liegt auch völlig außer Betracht.
Mithin muß die Revision als unbegründet zurückgewiesen werden.
Das Armenrecht muß dem Kläger aus den vorgenannten Gründen versagt werden (§ 167 SGG, § 114 ZPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen