Verfahrensgang
LSG für das Saarland (Urteil vom 28.02.1991) |
SG für das Saarland (Urteil vom 15.07.1988) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 28. Februar 1991 abgeändert und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 15. Juli 1988 in vollem Umfang zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist noch, ob der Kläger ihm zu Unrecht gezahlte Arbeitslosenhilfe (Alhi) im Gesamtbetrag von 9.523,– DM auch insoweit zurückzahlen muß, als darin ein Abzweigungsbetrag an den Sozialhilfeträger, die Stadt Saarbrücken, in Höhe von 1.681,96 DM enthalten ist.
Der Kläger, türkischer Staatsangehöriger, bezog von der beklagten Bundesanstalt für Arbeit (BA) mit Unterbrechungen seit 2. November 1982 Arbeitslosengeld und im Anschluß daran Alhi. Zuletzt vor dem streitigen Zeitraum wurde ihm mit Bescheid vom 1. Oktober 1985 für die Zeit vom 1. Oktober 1985 bis 30. September 1986 Alhi in Höhe von 320,40 DM wöchentlich bewilligt. Aufgrund eines Abzweigungsbegehrens (vom 5. März 1985) der Landeshauptstadt Saarbrücken als Sozialhilfeträger wurde ein Abzweigungsbetrag von 101,40 DM wöchentlich wegen an die frühere Ehefrau des Klägers, Frau S. … B. …, gezahlter Sozialhilfe und unterbliebener Unterhaltsleistungen des Klägers festgesetzt.
Mit Bewilligungsbescheid vom 2. Januar 1986 wurde die wöchentlich zu zahlende Alhi wegen der Anwendung einer neuen Leistungstabelle ab 1. Januar 1986 auf 321,– DM wöchentlich erhöht; es verblieb jedoch bei dem Abzweigungsbetrag zugunsten der Landeshauptstadt Saarbrücken. Mit Bescheid vom 9. April 1986 wurde schließlich unter Beibehaltung der grundsätzlichen Höhe der Alhi der Abzweigungsbetrag zugunsten der Landeshauptstadt Saarbrücken auf 27,72 DM (richtig: 27,75 DM) mit Wirkung ab 28. März 1986 reduziert.
Im Juni 1986 teilte der Kläger der BA mit, er arbeite seit zwei Wochen bei der Firma B. … F. … in S. …, die ihrerseits bei der Firma M. … „Landschaftsbau” in N. … tätig sei. Nachdem die BA im Juli 1986 durch ihre Bearbeitungsstelle zur Bekämpfung illegaler Beschäftigung in Aschaffenburg festgestellt hatte, daß die Angaben des Klägers zu seiner Beschäftigung nicht korrekt waren, stellte sie die Zahlung von Alhi ab 1. August 1986 ein und hob nach Anhörung des Klägers mit Bescheid vom 26. September 1986 die Leistungsbewilligung rückwirkend ab 6. Januar 1986 gemäß § 48 Abs 1 Sozialgesetzbuch X (SGB X) auf, weil der Kläger seither mehr als kurzzeitig gearbeitet habe. Gleichzeitig verlangte sie die Rückzahlung von 9.523,– DM.
Nach erfolglosem Widerspruch (Widerspruchsbescheid vom 22. Dezember 1986) hat der Kläger Klage erhoben, die nach Beweiserhebung durch das Sozialgericht (SG) mit Urteil vom 15. Juli 1988 abgewiesen worden ist.
Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG vom 15. Juli 1988 sowie den Bescheid der BA vom 25. September 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Dezember 1986 insoweit aufgehoben, als ein Betrag von über 7.842,04 DM zurückgefordert wird. Im übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, in dem Zeitraum vom 6. Januar bis 31. Juli 1986 sei lediglich Alhi in Höhe eines Betrages von 7.842,04 DM an den Kläger zur Auszahlung gelangt. Der im streitigen Zeitraum zugunsten der Landeshauptstadt Saarbrücken als Sozialhilfeträger abgezweigte Betrag in Höhe von 1.681,96 DM (70 Tage à 16,90 DM und 108 Tage à 4,62 DM) könne dem Kläger nicht zugerechnet werden. Diesen Betrag habe die BA zu Unrecht als Leistung an den Kläger gewertet und zurückverlangt. Abweichend von der Entscheidung des 7. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 17. Januar 1991 (7 RAr 72/90) sei davon auszugehen, daß in Fällen der Abzweigung gemäß § 48 SGB I bei Aufhebung lediglich der Bewilligungsentscheidung zugunsten des Leistungsempfängers, nicht der Bewilligungsentscheidung zugunsten des Abzweigungsberechtigten, vom Leistungsberechtigten selbst nur der Betrag zurückverlangt werden könne, der an ihn gezahlt worden sei.
Mit der zugelassenen Revision rügt die BA eine Verletzung der §§ 50 Abs 1 Satz 1 SGB X, 48 Abs 1 SGB I. Sie beruft sich auf die genannte Entscheidung des 7. Senats des BSG vom 17. Januar 1991 und macht geltend, § 48 SGB I regele nach seinem Wortlaut wie nach seiner systematischen Einordnung lediglich eine bloße Auszahlungsmodalität, stelle aber dadurch noch kein Sozialrechtsverhältnis zum Abzweigungsempfänger her.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG vom 28. Februar 1991 abzuändern und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG vom 15. Juli 1988 ganz zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt (sinngemäß),
die Revision zurückzuweisen.
Er hat sich nicht zur Sache geäußert.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der BA ist begründet. Sie verlangt zu Recht vom Kläger die Erstattung der in der Zeit vom 6. Januar bis 31. Juli 1986 gezahlten Alhi in Höhe des Gesamtbetrages von 9.523,– DM.
Der angefochtene Bescheid der BA vom 25. September 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Dezember 1986 enthält zwei Verfügungssätze, nämlich zum einen die Aufhebung der Bewilligung von Alhi für die Zeit vom 6. Januar bis 31. Juli 1986, zum anderen die Regelung, daß der Kläger 9.523,– DM zu Unrecht gezahlte Alhi an die BA zurückzuzahlen (zu erstatten) habe. Über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung hat der Senat nicht zu entscheiden; denn über diesen Teil des erwähnten Bescheides ist vom LSG bereits rechtskräftig entschieden worden. Das LSG hat in seiner Entscheidung die Rechtmäßigkeit der Aufhebung der Bewilligung von Alhi für den streitigen Zeitraum vom 6. Januar 1986 bis 31. Juli 1986 bestätigt. Gegen diese Entscheidung hat der Kläger kein selbständiges Rechtsmittel oder Anschlußrechtsmittel eingelegt.
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist sonach nur die Frage, ob der Kläger die ihm tatsächlich zugeflossenen Leistungen in Höhe von 7.842,04 DM zurückzuzahlen hat oder auch die 1.681,96 DM erstatten muß, die die Landeshauptstadt Saarbrücken als Sozialhilfeträger erhalten hat. Letzteres ist der Fall.
Nach § 50 Abs 1 Satz 1 SGB X sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist. Hier ist die Bewilligung von Alhi an den Kläger für die Zeit vom 6. Januar bis 31. Juli 1986 bindend aufgehoben worden; für die gleiche Zeit hat die BA aufgrund der aufgehobenen Alhi-Bewilligung Leistungen in Höhe von 9.523,– DM „erbracht”. Von diesem Betrag sind zwar unstreitig nur 7.842,04 DM dem Kläger zugeflossen. Der Kläger muß sich jedoch den an den Sozialhilfeträger ausgezahlten Betrag in Höhe von 1.681,96 DM zurechnen lassen und hat diesen Betrag als eine von der BA erbrachte Leistung ebenso zu erstatten wie den Betrag, den er selbst erhalten hat. Dies ergibt sich aus der für den Kläger wirksamen Abzweigung (auch) dieses Teils der ihm zustehenden Alhi an den Sozialhilfeträger.
Die Abzweigung beruht auf der Anwendung des § 48 Abs 1 SGB I durch die BA. Nach dieser Vorschrift können laufende Geldleistungen, die – wie die Alhi – der Sicherung des Lebensunterhalts zu dienen bestimmt sind, in angemessener Höhe an den Ehegatten oder die Kinder des Leistungsberechtigten ausgezahlt werden, wenn er ihnen gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt (Satz 1). Die Auszahlung kann auch an die Person oder Stelle erfolgen, die dem Ehegatten oder den Kindern Unterhalt gewährt (Satz 2 aF, jetzt Satz 4).
Wie der 7. Senat in der bereits zitierten Entscheidung vom 17. Januar 1991 (BSG SozR 3-1300 § 50 Nr 7) ausgeführt hat, hat die Abzweigung nach Anspruchsvoraussetzung und Zweckbestimmung keinen selbständigen Charakter; sie setzt die Leistungsgewährung voraus und teilt deshalb als akzessorische Leistung deren Schicksal. Die Wirksamkeit der Abzweigung ist deshalb mit der Aufhebung der Alhi-Bewilligung für die Zeit vom 6. Januar bis 31. Juli 1986 rückwirkend entfallen. Dieser Rechtsprechung des 7. Senats des BSG hat sich der erkennende Senat bereits in seiner Entscheidung vom 28. Juli 1991 (BSG SozR 3-1300 § 50 Nr 10) angeschlossen. Wie dort ausgeführt, ändert die auf § 48 SGB I gestützte Verfügung des Leistungsträgers, eine bestimmte Sozialleistung in bestimmter Höhe an einen Dritten und nicht an den Leistungsberechtigten auszuzahlen, nichts an der Anspruchsberechtigung des Leistungsberechtigten. Dieser bleibt Anspruchsinhaber und der Leistungsträger verfügt, soweit er die Sozialleistung einem Dritten zukommen läßt, lediglich anstelle des Leistungsberechtigten (entsprechend § 362 Abs 2 iVm § 185 Abs 1 BGB – vgl auch Loytved, SGb 1984, 510, 511). Entgegen der Rechtsauffassung des LSG bestehen somit im Fall der Abzweigung nicht zwei Leistungsverhältnisse, nämlich das des Leistungsberechtigten und das des Abzweigungsberechtigten. Vielmehr bleibt der Leistungsberechtigte Anspruchsinhaber und muß sich die auf den ihm zustehenden Leistungsanspruch an einen Dritten gezahlten Leistungen als empfangen zurechnen lassen.
Letzteres setzt allerdings die Wirksamkeit der Abzweigungsregelung auch ihm gegenüber voraus. Wie der 7. Senat in der zitierten Entscheidung vom 17. Januar 1991 (aaO) ausdrücklich klargestellt hat, handelt es sich bei der Abzweigung nach § 48 Abs 1 SGB I zwar um eine Ermessensentscheidung; jedoch müssen die tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift gegeben sein, was sowohl vorab von der BA als auch im Streitfall von den Gerichten zu prüfen ist. Zu dieser Prüfung gehört auch, ob der Leistungsberechtigte gegenüber dem Ehegatten oder Kindern als Abzweigungsbegünstigten unterhaltspflichtig ist und dieser Pflicht nicht nachkommt. Erst nach Feststellung dieser Tatbestandsmerkmale ist die BA zur Ausübung ihres Ermessens berechtigt und verpflichtet, ob und in welchem Umfang sie eine Abzweigungsregelung trifft. Da mit der Entscheidung zur Abzweigung in die Rechte des Leistungsberechtigten eingegriffen wird, ist dieser vor der Entscheidung gemäß § 24 Abs 1 SGB X anzuhören. Die Entscheidung, eine Abzweigung vorzunehmen, ist dem Leistungsberechtigten außerdem bekanntzugeben, damit sie ihm gegenüber wirksam wird (§ 37 Abs 1, § 39 Abs 1 und 2 SGB X). Der Leistungsberechtigte hat schließlich das Recht, zu seinem Nachteil lautende Abzweigungsentscheidungen vor den Sozialgerichten anzufechten.
Diese rechtliche Ausgestaltung des Abzweigungsverfahrens nach § 48 SGB I gewährleistet, wie der erkennende Senat in seiner Entscheidung vom 28. Juni 1991 (BSG SozR 3-1300 § 50 Nr 10) im Anschluß an die Rechtsprechung des 7. Senats des BSG ausgeführt hat, die Rechte des Leistungsberechtigten in vollem Umfang. Die vom LSG betonte Gefahr, daß bei einer umfassenden Erstattungspflicht des Leistungsberechtigten diesem gegenüber dem Abzweigungsberechtigten Einreden abgeschnitten werden könnten, besteht nicht. Denn der Leistungsberechtigte kann sich mit allen relevanten Einwänden Gehör verschaffen, die er gegenüber der Auszahlung von Teilen der ihm zustehenden Leistung an Dritte besitzt. So kann er insbesondere geltend machen, daß eine Unterhaltspflicht gar nicht bestehe. Wendet sich der Leistungsberechtigte hingegen dem Grunde nach weder gegen das Vorhaben einer Abzweigung noch gegen die dementsprechende Entscheidung, obwohl ihm diese eröffnet ist, folgt daraus, daß er damit einverstanden ist. Er steht dann rechtlich so da, als ob er in die Auszahlung eines Teils der ihm zustehenden Leistung durch den Leistungsträger an einen Dritten einwilligt oder sie jedenfalls genehmigt. Diese Schlußfolgerung aus einer dem Leistungsberechtigten gegenüber eingetretenen Bindungswirkung der vom Leistungsträger getroffenen Abzweigungsentscheidung bedeutet zugleich, daß der Leistungsberechtigte sich die abgezweigten Leistungsteile ungeachtet ihrer tatsächlichen Auszahlung an einen Dritten als iS von § 50 Abs 1 SGB X an sich erbracht zurechnen lassen muß.
Im vorliegenden Fall sind keinerlei Anhaltspunkte dafür gegeben, daß die Abzweigungsregelung gegenüber dem Kläger nicht wirksam war. Der Kläger ist von der BA vor der Abzweigungsentscheidung angehört und dabei über Grund und Höhe der beabsichtigten Abzweigung an den Sozialhilfeträger informiert worden; die Abzweigungsentscheidung ist ihm zwar nicht förmlich bekanntgegeben worden, er konnte ihren Vollzug jedoch an der veränderten Höhe der laufenden Leistungen erkennen; Einwände hiergegen hat er nicht erhoben; entsprechend seinem späteren Antrag wurde die Höhe des Abzweigungsbetrages ab 28. März 1986 geändert. Hiergegen hat sich der Kläger ebenfalls nicht gewandt. Die hieraus folgende Wirksamkeit der Abzweigungsregelung auch ihm gegenüber muß der Kläger als Grundlage für seine Erstattungspflicht nach § 50 Abs 1 SGB X gegen sich gelten lassen. Auf die Frage der fortbestehenden Unterhaltspflicht des Klägers gegenüber seiner Ehefrau oder seinen Kindern kommt es insoweit nicht mehr an.
Es bedurfte auch keiner Beiladung des Sozialhilfeträgers. Insoweit wird auf die Rechtsprechung des Senats im Urteil vom 25. April 1991 – 11 RAr 9/90 – (zur Veröffentlichung vorgesehen) verwiesen.
Auf die Revision der BA war daher die Entscheidung des SG wiederherzustellen. Demzufolge war das Urteil des LSG abzuändern und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG in vollem Umfang zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen