Entscheidungsstichwort (Thema)
Witwerrente. Gleichheitssatz. Verfassungsauftrag. Änderung nach verfassungsgemäßer Norm. Zeitvorgabe für Reformbemühen. Inkraftsetzen der Reform. Regierungswechsel. gesetzgeberische Gestaltungsfreiheit
Orientierungssatz
1. Die Regelung des Art 2 § 18 Abs 2 ArVNG, nach der Witwerrente iS des § 1264 Abs 2 RVO nur zu gewähren ist, wenn der Tod der versicherten Ehefrau nach dem 31.12.1985 eingetreten ist, ist nicht verfassungswidrig.
2. Die Regelung des Art 2 § 18 Abs 2 ArVNG idF des HEZG hält sich im Rahmen der dem Gesetzgeber zustehenden Gestaltungsfreiheit, die nicht zuletzt davon bestimmt wird, den von der Neuregelung berührten Personen und Institutionen die Einstellung darauf zu ermöglichen.
3. Das Urteil des BVerfG vom 12.3.1975 1 BvL 15/71 = SozR 2200 § 1266 Nr 2 enthält keine Befristung, und es ist auch nicht ersichtlich, daß der Gesetzgeber bei der Bestimmung des zeitlichen Geltungsbereichs seiner Neuregelung der Witwerrente verfassungswidrig gehandelt hat (vgl BSG 29.9.1987 5b RJ 8/87).
Normenkette
ArVNG Art 2 § 18 Abs 2 Fassung: 1985-07-11; RVO § 1264 Abs 2 Fassung: 1985-07-11; GG Art 3 Abs 2 Fassung: 1949-05-23; RVO § 1266 Fassung: 1957-02-23; GG Art 3 Abs 1 Fassung: 1949-05-23
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger beansprucht Witwerrente aus der Versicherung seiner am 27. Juni 1985 verstorbenen Ehefrau.
Bis zum Beginn ihrer Arbeitsunfähigkeit im Januar 1985 war die Ehefrau des Klägers versicherungspflichtig beschäftigt. Im Jahre 1984 belief sich ihr Arbeitseinkommen auf brutto 30.173,97 DM und das des Klägers auf 35.081,69 DM. Das entsprach nach den Berechnungen der Beklagten Nettoeinkünften von 22.653,84 DM für die Versicherte und 25.430,66 DM für den Kläger. Seinen Antrag, ihm Witwerrente zu gewähren, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 27. Januar 1985 ab, weil die Ehefrau des Klägers 1984 während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes vor ihrem Tode den Unterhalt der Familie nicht überwiegend bestritten habe. Dabei ging die Beklagte von § 1266 der Reichsversicherungsordnung in der vor dem 1. Januar 1986 geltenden Fassung (RVO aF) aus.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 29. April 1986). Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) die Beklagte verurteilt, "dem Kläger nach seiner am 27. Juni 1985 verstorbenen Ehefrau Witwerrente zu gewähren" (Urteil vom 28. November 1986). Es hat ausgeführt, durch das Gesetz zur Neuordnung der Hinterbliebenenrenten sowie zur Anerkennung von Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung (HEZG) vom 11. Juli 1985 sei § 1266 RVO aF gestrichen und in § 1264 Abs 2 RVO eingefügt worden. Zwar gelte die Neuordnung des Hinterbliebenenrechts gemäß Art 2 § 18 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) nur, wenn der Tod der Versicherten nach dem 31. Dezember 1985 eingetreten sei. Diese Vorschrift sei aber verfassungswidrig. Deshalb dürfe sie nicht angewendet werden und die so entstehende Gesetzeslücke sei dadurch zu schließen, daß im Jahre 1985 eingetretene Versicherungsfälle nach § 1264 Abs 2 RVO nF zu beurteilen seien.
Die Beklagte hat dieses Urteil mit der vom LSG zugelassenen Revision angefochten. Ihrer Ansicht nach sind die Regelungen darüber, ab wann das neue Hinterbliebenenrecht anzuwenden ist, verfassungsgemäß.
Die Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist insofern begründet, als das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen werden mußte. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Witwerrente nach § 1264 Abs 2 RVO nF. Ob die Voraussetzungen des § 1266 RVO aF erfüllt sind, kann der erkennende Senat nicht entscheiden; denn dazu fehlen die erforderlichen Feststellungen des LSG.
§ 1264 Abs 2 RVO nF gilt nach Art 2 § 18 Abs 2 ArVNG nur, wenn der Tod der Versicherten nach dem 31. Dezember 1985 eingetreten ist. Die Ehefrau des Klägers ist jedoch am 27. Juni 1985 verstorben. Der Anspruch des Klägers auf Witwerrente richtet sich daher nach § 1266 RVO aF. Er hängt von der Feststellung ab, daß die Versicherte den Unterhalt ihrer Familie überwiegend bestritten hat. Dazu hat das LSG keine Feststellungen getroffen und von seinem materiell-rechtlichen Standpunkt aus auch nicht zu treffen brauchen. Der Senat vermochte nicht der Auffassung des LSG zu folgen, wonach Art 2 § 18 Abs 2 ArVNG, soweit er die Anwendung des § 1264 Abs 2 RVO nF auf im Jahre 1984 eingetretene Versicherungsfälle ausschließt, im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 12. März 1975 (BVerfGE 39, 169 = SozR 2200 § 1266 Nr 2) gegen Art 3 Abs 2 und 3 des Grundgesetzes (GG) verstoße.
Der erkennende Senat hat bereits in seinem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil vom 29. September 1987 - 5b RJ 8/87 - entschieden, daß die Regelung des Art 2 § 18 Abs 2 ArVNG, nach der Witwerrente iS des §1264 Abs 2 RVO nF nur zu gewähren ist, wenn der Tod der versicherten Ehefrau nach dem 31. Dezember 1985 eingetreten ist, nicht verfassungswidrig ist. Danach enthält das Urteil des BVerfG vom 12. März 1975 (aaO) keine Befristung und es ist auch nicht ersichtlich, daß der Gesetzgeber bei der Bestimmung des zeitlichen Geltungsbereichs seiner Neuregelung der Witwerrente verfassungswidrig gehandelt hat. In diesem Sinne hat bereits die 2. Kammer des Ersten Senats beim BVerfG im Beschluß vom 27. März 1987 - 1 BvR 1284/86 - entschieden. Danach ist eine willkürliche Ausklammerung der vor dem 1. Januar 1986 liegenden Versicherungsfälle nicht ersichtlich. Die Regelung des Art 2 § 18 Abs 2 ArVNG idF des HEZG halte sich vielmehr im Rahmen der dem Gesetzgeber zustehenden Gestaltungsfreiheit, die nicht zuletzt davon bestimmt wird, den von der Neuregelung berührten Personen und Institutionen die Einstellung darauf zu ermöglichen. Wegen der Begründung im einzelnen wird auf das Urteil des Senats vom 29. September 1987 verwiesen.
Der Kläger ist der Ansicht, der Senat könne sich nicht, um seine Rechtsauffassung zu stützen, auf den erwähnten Beschluß des BVerfG vom 27. März 1987 berufen. Der diesem zugrundeliegende Sachverhalt sei nicht mit demjenigen im Falle des Klägers vergleichbar. Die Unterschiede in den Sachverhalten sind dem Senat nicht entgangen, insbesondere nicht, daß die Entscheidung des BVerfG eine Versicherte betrifft, die bereits im Jahre 1981 verstorben ist. Das Verfassungsgericht hat aber wörtlich ausgeführt: "Eine willkürliche Ausklammerung der vor dem 1. Januar 1986 liegenden Versicherungsfälle ist jedoch nicht ersichtlich." Darauf beruft sich der erkennende Senat. Im übrigen besteht keine Veranlassung, die im Urteil vom 29. September 1987 näher begründete Rechtsauffassung zu revidieren; vielmehr hält der Senat daran auch unter Würdigung der Argumente des Klägers fest.
Das LSG wird nun festzustellen haben, ob die Ehefrau des Klägers während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes vor ihrem Tode den Unterhalt der Familie überwiegend bestritten hat. Dabei ist zu prüfen, ob die Versicherte - wie vom Kläger vorgetragen - einen höheren Anteil an der Haushaltsführung und der Kindererziehung geleistet hat als der Kläger. Jedoch kann dieser sich nicht auf einen insoweit geringeren tatsächlichen Beitrag berufen, wenn er rechtlich zu einem höheren verpflichtet gewesen ist (vgl Bundessozialgericht in SozR 2200 § 1266 Nr 4 mwN).
Die Kostenentscheidung bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen