Entscheidungsstichwort (Thema)
KOV. Neufeststellung. Umanerkennung
Orientierungssatz
1. Der in einem Umanerkennungsbescheid ausgesprochene Verzicht auf eine ärztliche Nachuntersuchung schließt nur die Neufeststellung nach § 62 BVG, nicht aber die Neufeststellung nach § 62 BVG aus (vgl BSG 1963-01-10 10 RV 763/60 = SozR Nr 20 zu § 62 BVG).
2. Für die Feststellung, ob eine wesentliche Änderung der Verhältnisse iS des § 62 BVG eingetreten ist, kommt es auf die Verhältnisse an, die bei Erlaß des letzten, auf Grund einer ärztlichen Untersuchung ergangenen Bescheides nach früheren versorgungsrechtlichen Vorschriften vorgelegen haben, wenn ein Umanerkennungsbescheid nach dem BVG ohne ärztliche Nachuntersuchung unter Übernahme der Schädigungsfolgen und des bisher anerkannten Grades der MdE ergangen ist und die Rente später nach § 62 Abs 1 BVG neu festgestellt wird. Dabei ist es unerheblich, ob die Änderung vor oder nach Erlaß des Umanerkennungsbescheides eingetreten ist (vgl BSG 1963-10-24 8 RV 585/63 = VdKMitt 1963, 548)*,
Normenkette
BVG § 62 Abs. 1, § 86 Abs. 3
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 07.12.1961) |
SG Hannover (Entscheidung vom 12.08.1960) |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 7. Dezember 1961 aufgehoben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 12. August 1960 zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Die Landesversicherungsanstalt Hannover erkannte bei dem im Jahre 1921 geborenen Kläger nach Begutachtung durch Dr. F (Gutachten vom 14. Oktober 1946) mit Bescheid vom 13. April 1948 "Übererregbarkeit des Gefäßzentrums im Gehirn, unvollständige Versteifung des linken Ellenbogengelenks" als Versorgungsleiden bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 v. H. an. Schädigungsfolgen und Grad der MdE übernahm das Versorgungsamt (VersorgA) ohne ärztliche Untersuchung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) im Umanerkennungsbescheid vom 27. November 1951, in dem es außerdem erklärte, daß eine ärztliche Nachuntersuchung nicht mehr beabsichtigt sei. Auf Grund einer Nachuntersuchung durch Frau Dr. K (Gutachten vom 18. Februar 1957) und weiterer Gutachten von Dr. U und Dr. G vom 8. und 9. August 1957 erließ das VersorgA den auf § 62 BVG gestützten Neufeststellungsbescheid vom 11. September 1957 mit der Begründung, daß Folgen einer Kopfverletzung nicht mehr nachweisbar seien und daher die bisher anerkannte "Übererregbarkeit des Gefäßzentrums im Gehirn" als Folge einer angenommenen Gehirnerschütterung im Jahre 1944 nicht mehr vorliege. Das VersorgA erkannte weiterhin nur noch "unvollständige Versteifung des linken Ellenbogens und Kopfschwartennarbe hinter dem rechten Ohr" als Schädigungsfolgen nach dem BVG bei einer MdE um 30 v. H. an. Der Widerspruch war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 11. August 1958). Das Sozialgericht (SG) Hannover hat mit Urteil vom 12. August 1960 die Klage abgewiesen.
Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 7. Dezember 1961 auf die Berufung des Klägers das Urteil des SG Hannover vom 12. August 1960, den Widerspruchsbescheid des Landesversorgungsamts Niedersachsen vom 11. August 1958 und den Bescheid des VersorgA II Hannover vom 11. September 1957 aufgehoben, soweit festgestellt wurde, daß "Übererregbarkeit des Gefäßzentrums im Gehirn" nicht mehr vorliege, und soweit die Rente herabgesetzt wurde. Es hat ausgeführt, der im Umanerkennungsbescheid ausgesprochene Verzicht auf eine Nachuntersuchung hindere die Versorgungsbehörde nicht, eine Neufeststellung nach § 62 BVG vorzunehmen. Im Gegensatz zu den Entscheidungen des 8. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) in BSG 11, 236 und 15, 26 ist das LSG der Auffassung, daß im vorliegenden Falle die wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 62 BVG gegenüber den Verhältnissen zur Zeit des Erlasses des Umanerkennungsbescheides eingetreten sein müsse. Dies könne jedoch nicht festgestellt werden. Zwar könne angenommen werden, daß der Kläger bei Erlaß des Bescheides vom 13. April 1948 noch unter den Folgen der Kopfverletzung vom 11. November 1944 in Form der von Dr. F angegebenen Übererregbarkeit des Gefäßzentrums im Gehirn gelitten habe, jedoch seien die Folgen dieser Gehirnerschütterung vor Erlaß des Umanerkennungsbescheides nach der allgemeinen medizinischen Erfahrung abgeklungen gewesen. Da im Zeitpunkt des Erlasses des Umanerkennungsbescheides objektiv keine Übererregbarkeit des Gefäßzentrums im Gehirn vorgelegen habe, sei auch eine wesentliche Änderung der Verhältnisse nach § 62 BVG bis zum Erlaß des angefochtenen Bescheides insoweit nicht eingetreten. Das LSG hat die Revision zugelassen.
Gegen dieses ihm am 13. Februar 1962 zugestellte Urteil hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 6. März 1962, beim BSG am 9. März 1962 eingegangen, Revision eingelegt und diese nach Fristverlängerung bis zum 12. Mai 1962 mit Schriftsatz vom 7. Mai, eingegangen beim BSG am 9. Mai 1962, begründet.
Er beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 12. August 1960 zurückzuweisen,
hilfsweise,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG Niedersachsen zurückzuverweisen.
Der Beklagte rügt eine Verletzung des § 62 BVG durch das LSG. Er trägt hierzu vor, daß für die Frage, ob und wann eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten sei, nicht die Verhältnisse zur Zeit der letzten rechtsverbindlich gewordenen Feststellung, sondern die tatsächlichen Verhältnisse bei der dieser Feststellung zugrundeliegenden Untersuchung maßgebend seien. Entgegen der Auffassung des LSG sei daher bei der Prüfung der wesentlichen Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 62 BVG der Untersuchungsbefund des Dr. F aus dem Jahre 1948 dem Befund bei der Nachuntersuchung im Jahre 1957 gegenüberzustellen, da die Anerkennung nach dem BVG ohne ärztliche Nachuntersuchung nach § 86 Abs. 3 BVG erfolgt sei. Im übrigen wird auf die Revisionsbegründung des Beklagten Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
die am 6. März 1962 vom Beklagten und Revisionskläger eingelegte Revision zurückzuweisen und ihm die Erstattung der außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen.
Die durch Zulassung gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 SGG) und daher zulässig. Sie ist auch begründet. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte mit dem Bescheid vom 11. September 1957 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. August 1958 eine Neufeststellung der Versorgungsbezüge nach § 62 BVG vorzunehmen berechtigt war.
Das LSG ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, daß der im Umanerkennungsbescheid vom 27. November 1951 ausgesprochene Verzicht auf eine ärztliche Nachuntersuchung nur die Neufeststellung nach § 86 Abs. 3 BVG, nicht aber die Neufeststellung nach § 62 BVG ausschließt (BSG 6, 175; 11, 236, 237 und Entscheidung des erkennenden Senats vom 10.1.1963 in SozR BVG § 62 Bl. Ca 19 Nr. 20). Der Ansicht des LSG kann jedoch nicht gefolgt werden, daß im Falle der Übernahme der Schädigungsfolgen und der Höhe der MdE ohne ärztliche Nachuntersuchung (§ 86 Abs. 3 BVG aF) im Wege der Umanerkennung bei einer Neufeststellung nach § 62 BVG die wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne dieser Vorschrift gegenüber dem Zeitpunkt der Umanerkennung eingetreten sein müsse. Nach § 62 Abs. 1 BVG in der bei Erlaß des angefochtenen Bescheides geltenden Fassung werden die Versorgungsbezüge neu festgestellt, wenn in den Verhältnissen, die für die Feststellung maßgebend gewesen sind, eine wesentliche Änderung eintritt. Nach der ständigen Rechtsprechung der Kriegsopfersenate des BSG (BSG 11, 236, 237;, 15, 26; BSG in SozR BVG § 62 Bl. Ca 19 Nr. 20 und Bl. Ca 21 Nr. 24 sowie Urteile des 8. Senats des BSG vom 20.8.1963 - 8 RV 685/62 - und - 8 RV 77/63 - sowie vom 24.10.1963 - 8 RV 585/63 -) kommt es für die Feststellung, ob eine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 62 BVG eingetreten ist, auf die Verhältnisse an, die bei Erlaß des letzten, auf Grund einer ärztlichen Untersuchung ergangenen Bescheides nach früheren versorgungsrechtlichen Vorschriften vorgelegen haben, wenn ein Umanerkennungsbescheid nach dem BVG ohne ärztliche Nachuntersuchung (§ 86 Abs. 3 BVG) unter Übernahme der Schädigungsfolgen und des bisher anerkannten Grades der MdE ergangen ist und die Rente später nach § 62 Abs. 1 BVG neu festgestellt wird. Dabei ist es unerheblich, ob die Änderung vor oder nach Erlaß des Umanerkennungsbescheides eingetreten ist.
Das BSG hat sich in seinen Entscheidungen mit der in dem angefochtenen Urteil vertretenen Auffassung eingehend auseinandergesetzt. Da das LSG keine neuen Gesichtspunkte angeführt hat, erübrigt sich eine weitere Erörterung im Hinblick darauf, daß zu der hier zu entscheidenden Rechtsfrage schon zahlreiche Entscheidungen des BSG ergangen und veröffentlicht worden sind. Der erkennende Senat sieht jedenfalls keinen Anlaß, von dieser Rechtsprechung abzuweichen.
Da im vorliegenden Falle der Umanerkennungsbescheid vom 27. November 1951 Schädigungsfolgen und Grad der MdE nach § 86 Abs. 3 BVG ohne ärztliche Nachuntersuchung aus dem Bescheid vom 13. April 1948 übernommen hat, richtet sich also die Frage, ob eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen im Sinne des § 62 BVG eingetreten ist, nach den bei Erlaß des Bescheides vom 13. April 1948 maßgebend gewesenen Verhältnissen, wie sie sich aus dem Gutachten des Dr. F vom 14. Oktober 1946 ergeben. Da das LSG somit den § 62 BVG unrichtig angewandt hat, war das angefochtene Urteil aufzuheben.
Der Senat konnte in der Sache selbst entscheiden, da die vom LSG getroffenen tatsächlichen Feststellungen, die nicht angegriffen und somit gemäß § 163 SGG für das BSG bindend sind, ausreichen. Das LSG hat festgestellt, daß bei Erlaß des Bescheides vom 13. April 1948 die von Dr. F in seinem Gutachten vom 14. Oktober 1946 als Folgen der im Jahre 1944 erlittenen Gehirnerschütterung mit "Übererregbarkeit des Gefäßzentrums im Gehirn" bezeichneten Gesundheitsstörungen vorgelegen haben und nach gesicherter medizinischer Erfahrung spätestens im Jahre 1950 folgenlos abgeklungen sind. Damit ist nach der vom BSG ständig vertretenen Rechtsauffassung eine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 62 BVG eingetreten, die den angefochtenen Bescheid vom 11. September 1957 rechtfertigt. Zu der Höhe der MdE für die noch anerkannt gebliebenen Gesundheitsstörungen hat das LSG festgestellt, daß die Bewertung der MdE wegen "unvollständiger Versteifung des linken Ellenbogens und Kopfschwartennarbe hinter dem rechten Ohr" mit 30 v. H. im Hinblick auf die von Dr. K und Dr. U erhobenen Befunde "keinesfalls zu niedrig" ist. Daraus ergibt sich, daß das LSG die Gewährung einer höheren Rente für die in dem angefochtenen Bescheid anerkannten Gesundheitsstörungen für nicht gerechtfertigt gehalten hat, also die MdE mit 30 v. H. zutreffend festgesetzt ist. Der Neufeststellungsbescheid vom 11. September 1957 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. August 1958 ist somit nicht zu beanstanden. Demzufolge war auf die Revision des Beklagten das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Hannover vom 12. August 1960 als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Fundstellen