Entscheidungsstichwort (Thema)
Beitragsleistung. Garantie für angemessene Altersversorgung. abstrakte Gefährdung der Rentenfinanzierung. Gestaltungsermessen für gerechte Sozialordnung. Äquivalenzprinzip
Leitsatz (amtlich)
Der seit 1981 in der gesetzlichen Rentenversicherung geltende Beitragssatz ist nicht verfassungswidrig.
Orientierungssatz
1. Es begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn die Versicherten in der gesetzlichen Rentenversicherung Beiträge nach dem derzeit gültigen Beitragssatz allein mit der "Aussicht" auf eine angemessene Altersversorgung zu tragen haben.
2. Eine konkrete Verletzung der Lohnersatzfunktion der Rente - als einer in die Zeit der geminderten Erwerbsfähigkeit bzw des Alters hinreichenden Ersatzleistung für den Ausfall des Arbeitsentgelts -, die als Ausfluß der Berufsfreiheit (Art 12 Abs 1 GG) verfassungsfest sein könnte, ist nicht ersichtlich. Eine rein "abstrakte" Gefährdung aufgrund der allgemeinen Entwicklung der Rentenfinanzierung fällt nicht in den Schutzbereich des GG.
3. Wie der Staat seine Verpflichtung erfüllt, für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen, liegt grundsätzlich in seinem Gestaltungsermessen.
4. Das Ungleichgewicht von Beiträgen und Leistungen der Sozialversicherung, zB für unverheiratete, gut verdienende Versicherte, für die weder Familienhilfeleistungen der Krankenversicherung noch Hinterbliebenenrenten der Rentenversicherung in Betracht kommen, ist indessen nicht verfassungswidrig, sondern gehört gerade zum Wesen der deutschen Sozialversicherung mit dem ihr eigentümlichen sozialen Lastenausgleich.
Normenkette
AVG § 112 Abs 1 S 1 Fassung: 1978-07-25; RVO § 1385 Abs 1 S 1 Fassung: 1978-07-25; GG Art 20 Abs 1 Fassung: 1949-05-23; GG Art 14 Abs 1 Fassung: 1949-05-23; GG Art 20 Abs 3 Fassung: 1949-05-23; GG Art 12 Abs 1 Fassung: 1949-05-23; GG Art 3 Abs 1 Fassung: 1949-05-23; GG Art 1 Abs 1 Fassung: 1949-05-23; GG Art 2 Abs 1 Fassung: 1949-05-23
Verfahrensgang
SG Detmold (Entscheidung vom 15.03.1983; Aktenzeichen S 13 An 112/81) |
Tatbestand
Der Kläger wendet sich mit verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Beitragsentrichtung zur Angestelltenversicherung, insbesondere gegen die Anwendung des Beitragssatzes von 18,5 vH ab 1. Januar 1981.
Er ist am 3. Mai 1932 geboren und bei der Beklagten pflichtversichert. Am 7. Dezember 1980 beantragte er bei der Beklagten die Aussetzung der ab 1. Januar 1981 vorgesehenen Beitragserhöhung, ferner die Benennung des Beitragsanteils, der zur Abgeltung der von ihm erworbenen Rentenansprüche nicht erforderlich ist, sodann eine entsprechende Herabsetzung seines Beitragsanteils und darüber hinaus die Freistellung von der Beitragsleistung, bis eine seiner Beitragsleistung angemessene Altersversorgung gesetzlich gewährleistet sei.
Mit Bescheid vom 18. Februar 1981 und Widerspruchsbescheid vom 12. Mai 1981 lehnte die Beklagte die Anträge ab.
Die hiergegen erhobene Klage hatte keinen Erfolg (Urteil vom 15. März 1983). Das Sozialgericht (SG) hat zur Begründung ausgeführt, § 112 Abs 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) in der Fassung des 21. Rentenanpassungsgesetzes (RAG) vom 25. Juli 1978 (BGBl I S 1089) lege die Höhe des Beitragssatzes verbindlich fest. Die Vorschrift sei auch verfassungsgemäß; sie verstoße weder gegen den Gleichheitssatz noch handele es sich bei den Pflichtbeiträgen um Sonderabgaben.
Mit der vom SG durch Beschluß vom 5. Juli 1983 zugelassenen Sprungrevision rügt der Kläger unter Hinweis auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 10. Dezember 1980 - 2 BvF 3/77 - die Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Vorschriften, auf die sich die Beklagte und das SG gestützt haben. Diese Vorschriften verletzten seine verfassungsmäßigen Rechte aus den Art 1, 2, 14, 20, 33 und 38 des Grundgesetzes (GG): Die Rentenversicherungsbeiträge dienten der Finanzierung allgemeiner Staatsaufgaben; die gesetzliche Regelung des Bundeszuschusses bestimme keine hinreichende Zuschuß- bzw Erstattungspflicht des Bundes; eine angemessene Altersversorgung der heutigen Beitragszahler sei in der Zukunft nicht gesichert; bei den Beiträgen handele es sich um verfassungswidrige Sondersteuern, weil sie nicht von allen Bürgern erhoben würden; ihre Bemessung verstoße gegen die Art 3 und 33 GG; die Beitragshöhe berücksichtige auch nicht die Leistungsfähigkeit der Beitragszahler; die Höhe der Sozialabgaben sei im übrigen eine wesentliche Ursache der Arbeitslosigkeit.
Der Kläger beantragt, "1. die Beitragssatzerhöhung per 1. Januar 1981 (von 18 auf 18,5 %) auszusetzen bzw die dieser Erhöhung entsprechenden Beträge dem Kläger zu erstatten;
2. den Beitragsanteil (unter Berücksichtigung einer verfassungskonformen Risiko- und Solidaritätsumlage) zu benennen, der die zur Abgeltung der durch tatsächliche Beitragsleistungen erworbenen Rentenansprüche erforderliche Höhe übersteigt;
3. die Beiträge des Klägers um den sich aus 2. ergebenden Anteil herabzusetzen und seit Antragstellung bei der BfA entsprechend zu erstatten (immer einschließlich der sog. Arbeitgeberhälften);
4. den Kläger von allen Beitragspflichten freizustellen, bis eine gesetzliche Gewährleistung vorliegt (die auch wirtschaftlich fundiert sein sollte), daß der Kläger eine seinen Gegenleistungen (Beiträgen) angemessene besondere Leistung erhält (in Form einer seinen Beiträgen entsprechenden und den heutigen Renten vergleichbaren Altersversorgung)".
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie widerspricht insbesondere der Auffassung des Klägers über die Eigenschaft der Sozialversicherungsbeiträge. Diese seien als eigenständige Abgabeart auch in ihrer Höhe rechtmäßig, da dem Gesetzgeber insoweit weite Entscheidungsfreiheit zustehe, was aus der Rechtsprechung des BVerfG zu Art 74 Nr 12 GG folge. Die Bedenken des Klägers hinsichtlich der 1981 vorgenommenen Kürzung des Bundeszuschusses seien politischer Natur; die Kürzung sei rechtlich nicht zu beanstanden.
Die Beigeladene beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Die Klage ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.
Nach § 55 Abs 1 Nr 1 SGG kann mit der Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Unter diese Vorschrift fällt nach § 55 Abs 2 SGG auch die Feststellung, in welchem Umfang Beiträge zu berechnen sind. Eine derartige Feststellung begehrt der Kläger, dessen weitestgehender Antrag auf vollständige Aussetzung der Beitragszahlung gerichtet ist (Ziffer 4 des Revisionsantrages). Daß die Beiträge, deren anderweitige Berechnung der Kläger verlangt, nicht von ihm selbst, sondern von seinem Arbeitgeber zu entrichten sind (§ 118 Abs 1 Satz 1 AVG) - er selbst muß sich lediglich den von ihm zu tragenden Beitragsanteil (§ 112 Abs 4 Buchst a AVG) bei der Gehaltszahlung vom Gehalt abziehen lassen (§ 119 Abs 1 AVG) - und daß der Beklagten die Beiträge nicht unmittelbar zufließen, sondern über die beigeladene AOK als Einzugsstelle der Rentenversicherungsbeiträge (§ 121 Abs 1 AVG), macht das Feststellungsbegehren nicht unzulässig. Denn das nach dem Klagantrag festzustellende Rechtsverhältnis muß nicht zwischen den Beteiligten des Rechtsstreits, sondern kann auch zwischen einem Beteiligten und einem Dritten (hier: zwischen dem Arbeitgeber des Klägers und der beigeladenen AOK) bestehen, sofern der Kläger ein berechtigtes Interesse an der beantragten Feststellung hat (vgl dazu Meyer-Ladewig, SGG, 2. Aufl, § 55 RdNr 7). Letzteres ist hier der Fall, da die streitigen Beiträge, wenn die Beklagte unterliegen würde, entweder überhaupt nicht oder nur in geringerer Höhe von der beigeladenen AOK eingezogen werden dürften, was dem Kläger wegen der genannten Gehaltsabzugsregelung unmittelbar zugute käme.
Entgegen der Auffassung der Revision hat die Beklagte zu Recht eine "Aussetzung" der Beitragserhebung oder eine teilweise oder völlige Freistellung des Klägers von Beiträgen abgelehnt. § 112 Abs 1 AVG, gegen den sich der Kläger in erster Linie wendet, ist nicht verfassungswidrig.
Nach § 112 Abs 1 Satz 1 AVG (idF von Art 2 § 2 Nr 5 des 21. RAG) beträgt der Beitragssatz vom 1. Januar 1973 an 18 vH und vom 1. Januar 1981 an 18,5 vH der maßgebenden Bezüge, soweit diese die Beitragsbemessungsgrenze nicht überschreiten. Abweichend hiervon wurde der Beitragssatz für die Zeit vom 1. Januar 1982 bis 31. August 1983 auf 18 vH herabgesetzt (Art 2 § 29b des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes -AnVNG -, eingefügt mit Wirkung vom 1. Januar 1982 durch Art 7 Nr 2 des Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetzes vom 22. Dezember 1981, BGBl I S 1497, und geändert durch Art 23 Nr 9 des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 vom 20. Dezember 1982, BGBl I S 1857). Mit Wirkung vom 1. Januar 1985 wurde der Beitragssatz vorübergehend auf 18,7 vH und für die Zeit vom 1. Juni 1985 bis zum 31. Dezember 1986 sogar auf 19,2 vH angehoben; für die Zeit vom 1. Januar 1987 bis 31. Dezember 1989 soll er 18,7 vH betragen (Art 2 § 29b AnVNG idF von Art 3 des Arbeitsförderungs- und Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes vom 20. Dezember 1984, BGBl I S 1713, und Art 6 des Gesetzes zur Stärkung der Finanzgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung vom 16. Mai 1985, BGBl I S 766).
Mit der Erhöhung des Beitragssatzes auf 18 vH ab 1973 (Art 1 § 2 Nr 6 Buchst a des Dritten Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes vom 28. Juli 1969, BGBl I S 956) hatte an sich der "Rentenberg" bis 1985 finanziert werden sollen (vgl VDR-Kommentar zur RVO, Vorbemerkung vor § 1382, RdNr 4). Da jedoch bereits ab 1976 - vor allem infolge von Leistungsverbesserungen durch das Rentenreformgesetz vom 16. Oktober 1972 (BGBl I 1965) - die Ausgaben der Rentenversicherung ihre Einnahmen überstiegen (vgl VDR-Kommentar aaO RdNr 5), wurden, nachdem die Regelungen des 20. RAG vom 27. Juni 1977 (BGBl I 1040) sich als nicht ausreichend erwiesen hatten, weitere Maßnahmen im 21. RAG erforderlich (zu den Zielen des 21. RAG vgl BVerfGE 64, 87, 103). Deshalb wurde - neben der Kürzung von Leistungen - der Beitragssatz ab 1981 um 0,5 vH auf 18,5 vH erhöht. Andererseits wurde, als sich im Jahre 1980 als Folge dieser Maßnahmen eine gewisse Konsolidierung der gesetzlichen Rentenversicherung abzeichnete (vgl dazu Hauck und Schenke in BABl 1985, Heft 12, S 5, 7), der Bundeszuschuß zu den Rentenversicherungen der Arbeiter und Angestellten um insgesamt 3,5 Milliarden DM gekürzt; davon entfielen auf die Angestelltenversicherung 642,95 Millionen DM, der Rest auf die Arbeiterrentenversicherung (§ 27 des Haushaltsgesetzes 1981 vom 13. Juli 1981, BGBl I S 630). Diese Kürzung wirkte sich für die Rentenversicherungsträger im Ergebnis stärker aus als die gleichzeitige Erhöhung des Beitragssatzes (VDR-Kommentar aaO RdNr 7 aE). Gegen sie wurde ua eingewandt, sie habe nur der finanziellen Stabilisierung der Bundesanstalt für Arbeit und der Ausgabenbegrenzung des Bundeshaushalts gedient ("übergreifender Finanzausgleich", vgl dazu Hoffmann, DAngVers 1982, 401 ff; zur Diskussion um die künftige Finanzierung der Rentenversicherung vgl Hauck und Schenke aaO; Borgwardt, BB 1985, 1073 - 1075).
Daß die Beiträge des Klägers entsprechend den angeführten Vorschriften erhoben und richtig berechnet worden sind, wird von ihm nicht bestritten. Er wendet sich lediglich gegen die der Beitragsberechnung zugrunde gelegten Vorschriften selbst. Daß diese verfassungswidrig sind, wie der Kläger meint, kann der Senat indessen nicht erkennen.
Der Gesetzgeber ist zur Erhebung von Beiträgen für die gesetzliche Rentenversicherung von Verfassungs wegen befugt (Art 74 Nr 12 GG; vgl BVerfGE 53, 313, 326 mwN; Krause, VSSR 1980, 115, 125 mwN zur Rechtsprechung des BVerfG). Dabei hat er, auch soweit seine Beitragsregelungen einer sozialen Vermögensumschichtung dienen, einen weiten, von steuerrechtlichen Zuständigkeiten unabhängigen Spielraum (Selmer, Steuerinterventionismus und Verfassungsrecht 1972, S 188).
Die Sozialversicherung ist ein eigenständiges, rechtlich und tatsächlich hoch differenziertes System öffentlicher Abgabenerhebung und Leistungszuteilung, das als solches auch verfassungsrechtlich für sich zu würdigen ist (vgl Osterloh NJW 1982, 1617, 1619 f). Die Beiträge der Arbeitnehmer und Arbeitgeber sind dabei nach ihrer rechtlichen und ökonomischen Bedeutung ein Abgabentypus eigener Art (Isensee, in: Die Rolle des Beitrags in der sozialen Sicherung, hrsg v. H. F. Zacher, Berlin 1980, S 487); sie sind weder Steuern noch Beiträge im Sinne der Abgabenordnung (BVerfGE 14, 312, 317). Der abgabenrechtliche Grundsatz, daß zu Beiträgen nur herangezogen werden darf, wer von ihnen einen besonderen wirtschaftlichen Vorteil hat, ist deshalb für das Sozialversicherungsrecht nicht verbindlich (BVerfGE 11, 105, 117; 14, 312, 318; BSG SozR 4100 § 186a Nr 9 S 24; BSG SozR 2200 § 385 Nr 7 S 24 mwN). Das gleiche gilt für den Grundsatz der Gleichwertigkeit von Leistung (Beitrag) und Gegenleistung (Äquivalenzprinzip), obwohl er auch in der Sozialversicherung nicht völlig außer Betracht bleiben darf (BVerfGE 48, 227, 235 f; BSG SozR 2200 § 385 Nr 7 S 24). Kennzeichnend für sie ist vielmehr der soziale Ausgleich unter den zu einer Solidargemeinschaft zusammengeschlossenen Versicherten; für ihn hat der Staat nach dem Sozialstaatsprinzip (Art 20 Abs 1 GG) zu sorgen (BVerfGE 14, 312, 317 mwN; BSG SozR 4100 § 186b AFG Nr 1 S 3 und Urteil vom 18. Mai 1983 - 12 RK 28/82 -, USK 8390). Danach ist es für weite Bereiche der Sozialversicherung unerheblich, ob und inwieweit ein Beitragspflichtiger aufgrund der von ihm getragenen Beiträge selbst Leistungen beanspruchen kann (vgl BVerfGE 11, 105, 117; BSG SozR 2200 § 385 Nr 7).
Die Belastung mit Beiträgen zur Rentenversicherung verletzt den Kläger auch nicht in seinen Grundrechten. Nach der Rechtsprechung des BVerfG (BVerfGE 4, 7, 17) steht die Eigentumsgarantie des Art 14 Abs 1 GG nach dessen Satz 2 unter dem Vorbehalt gesetzmäßiger Abgaben und daher der Auferlegung von Geldlasten nicht entgegen. Art 14 GG schützt die Mitglieder der Sozialversicherung lediglich gegen rechtswidrige, namentlich kompetenzwidrige und deshalb unzulässige Beitragserhebung (vgl Isensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, Berlin 1973, S 68).
Im Gegensatz zu den Ausführungen des Klägers ist der Gesetzgeber auch nicht schlechthin gehindert, der Rentenversicherung "Fremdlasten" aufzuerlegen. Nach dem Solidarprinzip der Sozialversicherung ist die Auferlegung solcher Ausgleichslasten nicht an sich schon ein verfassungswidriges Sonderopfer. Nicht die natürliche Homogenität der Versicherten bestimmt den Rahmen des zulässigen Ausgleichs, sondern grundsätzlich der sozialpolitische Wille des Gesetzgebers. Deshalb liegt es bei Einführung einer Pflichtversicherung in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, den Mitgliederkreis so abzugrenzen, wie es ihm für eine leistungsfähige Solidargemeinschaft erforderlich erscheint (BVerfGE 44, 70, 90).
Im übrigen zeigt die Leistungs- und Beitragsregelung der Rentenversicherung, daß im Katalog der Rentenversicherungsaufgaben keine im strengen Sinne versicherungsfremden Leistungen enthalten sind (vgl BVerfGE 64, 87, 103 und Krause aaO S 155 ff). So hat das BVerfG hinsichtlich der Kriegsfolgelasten entschieden, daß kein ungeschriebener Verfassungsrechtssatz dem Bund verbietet, den öffentlich-rechtlichen Körperschaften Kriegsfolgelasten aufzuerlegen. Die Versichertengemeinschaft muß ferner die Lasten mittragen, die durch eine großzügige Ausgestaltung der Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen im Rentenrecht entstanden sind; dabei ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, daß Versicherte die Nachentrichtungsmöglichkeiten nur insoweit nutzen, als sie sich hiervon einen Vorteil versprechen (BVerfGE 36, 237, 243 f). Ebensowenig wie Regelungen zum Ausgleich von Kriegsfolgen (Ersatzzeiten, Fremdrenten) können Rentenansprüche, die auf Ausfall- und Zurechnungszeiten beruhen, als versicherungsfremde Lasten angesehen werden. Dies gilt auch für die vom Kläger angegriffene "Bildungsförderung" durch Ausfallzeiten (§ 36 Abs 1 S 1 Nr 4 AVG), aber auch für berufsfördernde Maßnahmen der Rehabilitation (§ 14a Abs 1 AVG), die jeweils nur bestimmten Versicherten zugute kommen.
Weder der Beitragssatz von 18 vH noch seine Erhöhung auf 18,5 vH haben eine "erdrosselnde" Wirkung (vgl BVerfGE 31, 8, 23 mwN). Die Bemessung der Beiträge nach einem Vomhundertsatz des Arbeitsentgeltes berücksichtigt die persönliche Leistungsfähigkeit der Beitragszahler; der Besserverdienende wird in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise verstärkt herangezogen. Im übrigen ist, wie dargelegt, für den Umfang der Beitragsbelastung grundsätzlich nicht der Leistungsbedarf - des einzelnen oder seiner Gruppe - maßgeblich (BSGE 37, 127, 129), sondern die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Beitragspflichtigen, die sich bei abhängig Beschäftigten in der Höhe des Arbeitsverdienstes ausdrückt. Nach dem Solidaritätsprinzip hat jeder, der auf dem Arbeitsmarkt Einkommen erzielt, mit diesem Einkommen zur Finanzierung der sozialen Sicherung beizutragen, und zwar grundsätzlich unabhängig davon, welche Leistungen er im Versicherungsfall aus diesem Sicherungssystem erhält (BSG SozR 2200 § 385 Nr 7).
Auch die weiteren, dem Steuerrecht entnommenen Einwendungen des Klägers gehen - gemessen an Art 14 GG - fehl. Ob und inwieweit die steuerrechtliche Behandlung des Sozialversicherungsbeitrages als Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs 1 Nr 2, Abs 2 EStG) die Rechte des Klägers als Steuerbürger verletzt, ist nicht von den Sozialgerichten zu entscheiden (§ 51 SGG). Die allgemeinen Angriffe des Klägers gegen die Abgabenlast im Sozial- und Steuerrecht lassen eine verfassungsrechtlich unzulässige Beeinträchtigung seiner Rechte durch § 112 AVG nicht erkennen. Das gleiche gilt für die Besteuerung laufender Rentenzahlungen mit dem Ertragsanteil (§ 22 Nr 1 Buchst a EStG). Wenn schon die unmittelbare steuerliche Belastung der Rentner aus der Sicht des Art 14 GG keinen Bedenken begegnet, kann eine daraus folgende mittelbare Belastung der Beitragszahler im Rahmen des Umlageverfahrens nicht unzulässig sein. Der Umfang der Besteuerung ist außerdem so maßvoll, daß - im Gegensatz zur Auffassung des Klägers - verfassungsrechtliche Bedenken umgekehrt gerade gegen die steuerrechtliche Privilegierung der Rentner erhoben werden könnten (vgl BVerfGE 54, 11).
Durch die streitige Beitragsvorschrift wird ferner das Rechtsstaatsprinzip (Art 20 Abs 3 GG) nicht verletzt. Das im Rechtsstaatsgebot enthaltene Prinzip des Vertrauensschutzes gilt zwar - soweit dies nicht bereits beim Eigentumsrecht zu prüfen ist (vgl BVerfGE 64, 87, 104; 51, 356, 362 mwN) - auch für Fälle, in denen eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte für die Zukunft einwirkt und dadurch die betroffenen Rechtspositionen nachträglich entwertet ("unechte Rückwirkung", vgl BVerfG aa0). § 112 Abs 1 AVG, der in Verbindung mit Art 2 § 29b AnVNG den zZt auf den Kläger anwendbaren Beitragssatz und damit die Höhe seiner Beiträge regelt, sagt jedoch über die mit den Beiträgen erworbenen Leistungsanwartschaften nichts aus; diese sind nicht in § 112 AVG, sondern in §§ 30 ff AVG geregelt, auch wenn das Bruttoarbeitsentgelt als Bemessungsgrundlage der Beiträge (§ 112 Abs 3 Buchst a AVG) zugleich in die für den Versicherten maßgebende Rentenbemessungsgrundlage eingeht (§ 32 Abs 1 AVG). § 112 Abs 1 AVG kann deshalb auf diese Leistungsanwartschaften weder für die Gegenwart noch für die Zukunft einwirken, diese also auch nicht "entwerten". Eine gegenwärtig wirksame Sicherung gegen eine mögliche Enttäuschung des Klägers, was Grund und Höhe seiner künftigen Leistungsansprüche betrifft, ist der Verfassung nicht zu entnehmen. Keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet es daher, wenn der Kläger Beiträge nach dem derzeit gültigen Beitragssatz allein mit der "Aussicht" auf eine angemessene Altersversorgung zu tragen hat. Weder hat er einen "garantierten" Anspruch auf Zahlung einer Rente in bestimmter Höhe bei künftigem Eintritt eines Versicherungsfalles noch steht ihm ein Leistungsverweigerungs- oder Zurückbehaltungsrecht wegen Fehlens der von ihm geforderten Garantie zu. Eine konkrete Verletzung der Lohnersatzfunktion der Rente - als einer in die Zeit der geminderten Erwerbsfähigkeit bzw des Alters hinreichenden Ersatzleistung für den Ausfall des Arbeitsentgelts -, die als Ausfluß der Berufsfreiheit (Art 12 Abs 1 GG) verfassungsfest sein könnte (vgl Scholz, Sozialstaat zwischen Wachstums- und Rezessionsgesellschaft, Heidelberg/Karlsruhe 1981, S 42 ff), ist nicht ersichtlich. Eine rein "abstrakte" Gefährdung aufgrund der allgemeinen Entwicklung der Rentenfinanzierung fällt nicht in den Schutzbereich des GG; anderenfalls gäbe es keinen verfassungsrechtlich zulässigen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers zur Anpassung von Rentenansprüchen an veränderte wirtschaftliche Bedingungen.
Gegen die Garantie eines - den allgemeinen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen entzogenen, lediglich versicherungsmathematisch ermittelten und nach privatversicherungsrechtlichem Muster im Wege des sog Kapitaldeckungsverfahrens finanzierten - Rentenanspruchs sprechen auch gewichtige ordnungspolitische Gesichtspunkte (vgl Borgwardt, BB 1985, 1075). Die Verfassung kann den Sozialversicherten nicht gewährleisten, was sie den privatrechtlichen Vorsorgeformen vorenthält (vgl Isensee, Die Rolle des Beitrags ..., S 493 f; Borgwardt aa0). Das Begehren des Klägers auf "Aussetzung" der Beitragsentrichtung bis zur Einlösung einer - seiner Ansicht nach verfassungsrechtlich geschützten - Renten-"Garantie" findet daher im GG keine Stütze.
Unbegründet ist seine Revision auch insoweit, als er eine zu geringe Höhe des Bundeszuschusses nach § 116 AVG rügt. Dessen Höhe wird vom "einfachen" Gesetzgeber bestimmt und ist - jedenfalls bisher - im GG nicht "festgeschrieben". Nach § 116 AVG leistet der Bund einen Zuschuß "zu den Ausgaben der Rentenversicherung der Angestellten, die nicht Leistungen der Alterssicherung sind", womit aber eine Verpflichtung, alle Ausgaben dieser Art zu bezuschussen, nicht verbunden ist (vgl Zweng/Scheerer/ Buschmann, Handbuch der Rentenversicherung, 2. Aufl, 14. Lfg, § 1389 RVO).
Der allgemeine Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG) wird - entgegen der Ansicht des Klägers - durch die von ihm zu tragenden Beiträge nicht verletzt. Daß er durch die Einbeziehung in eine Zwangsversicherung Beiträge entrichten muß, die, wie er meint, in keinem Verhältnis zu den "Gegenleistungen" stehen, die er in Zukunft zu erwarten hat, enthält keine willkürliche Ungleichbehandlung. Wie jeder andere Versicherte hat er eine Anwartschaft auf die gesetzlichen Leistungen der Rentenversicherung bei Eintritt eines Versicherungsfalles.
Verfassungsverstöße ergeben sich auch nicht aus sonstigen Bestimmungen und Grundsätzen des GG. Ein Verstoß gegen Art 20 Abs 1 GG (Sozialstaatsgebot) liegt nicht vor, da das Sozialstaatsprinzip keinen Anspruch auf Regelung eines Lebensverhältnisses in einem für den Betroffenen günstigen Sinn begründet (vgl BVerfGE 27, 253, 283; Scholz aaO S 34 f). Wie der Staat seine Verpflichtung erfüllt, für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen, liegt grundsätzlich in seinem Gestaltungsermessen.
Die Menschenwürde (Art 1 Abs 1 GG) und die allgemeine Handlungsfreiheit (Art 2 Abs 1 GG) sind durch die vom Kläger gerügte Beitragsregelung nicht beeinträchtigt. Da Art 14 GG mit dem "Eigentum" die Gesamtheit der vermögenswerten Rechte schützt, tritt der Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit in Art 2 Abs 1 GG hinter den besonderen Freiheitsverbürgungen zurück (vgl BVerfGE 6, 32, 37 f). Ein Verstoß gegen Art 2 Abs 1 GG ist danach stets zu verneinen, wenn die fragliche Norm - wie vorliegend - Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung ist (s auch BVerfGE 24, 220, 235 mwN). Die in Art 12 GG geschützte Berufsfreiheit wird durch eine Pflichtversicherung mit Zwangsbeiträgen nicht berührt (vgl BSG SozR 5800 § 4 Nr 2; BVerfGE 34, 62, 70); die sozialversicherungsrechtliche Beitragspflicht ist eine Berufsausübungsregelung, die die Freiheit der Berufswahl nicht beeinträchtigt. Die Angriffe des Klägers gegen eine vermeintlich fehlende Legitimation des Deutschen Bundestages zum Erlaß der von ihm beanstandeten Vorschriften entbehren einer rechtlichen Grundlage (vgl Art 41 GG).
Abschließend ist hiernach festzustellen, daß Vorschriften des GG, insbesondere die Eigentumsgarantie, der Gleichheitssatz und das Rechtsstaatsprinzip, das Begehren des Klägers nicht rechtfertigen. Das GG fordert nicht, wie der Kläger anzunehmen scheint, daß in der gesetzlichen Rentenversicherung den von den Versicherten zu tragenden Beiträgen im eigentlichen Sinne "beitragsgerechte" Leistungen oder Leistungsanwartschaften entsprechen müssen. Anders als die nach versicherungsmathematischen Regeln kalkulierten Beiträge der Privatversicherung werden die Beiträge zur Sozialversicherung - auch die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung trotz grundsätzlicher "Beitragsbezogenheit" (richtiger: Lohnbezogenheit) ihrer Geldleistungen - nicht streng nach dem Versicherungsrisiko der einzelnen Versicherten bemessen. Kennzeichnend für die Sozialversicherung ist vielmehr eine Bemessung der Beiträge nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Versicherten. Andererseits werden von ihr auch Leistungen gewährt, die nicht oder nicht allein auf Beiträgen der jeweiligen Leistungsempfänger beruhen, sondern durch Beiträge anderer Versicherter (mit-)finanziert werden müssen, im Sinne des Klägers also "versicherungsfremd" sind (sozialer Ausgleich). Verschieden hohen, nach dem jeweiligen Einkommen der Versicherten bemessenen Beiträgen können daher auch Sozialleistungen gegenüberstehen, die nach einheitlichen Grundsätzen und in einem für alle Versicherten gleichen Umfang gewährt werden, was vor allem für Sachleistungen der Krankenversicherung, aber auch für medizinische Rehabilitationsleistungen der Rentenversicherung zutrifft. Versicherten mit vergleichsweise hoher Beitragsbelastung können aus den entrichteten Beiträgen sogar relativ niedrige Leistungsanwartschaften erwachsen, wie dies namentlich für unverheiratete, gut verdienende Versicherte gilt, für die weder Familienhilfeleistungen der Krankenversicherung noch Hinterbliebenenrenten der Rentenversicherung in Betracht kommen. Dieses Ungleichgewicht von Beiträgen und Leistungen der Sozialversicherung ist indessen nicht verfassungswidrig, sondern gehört gerade zum Wesen der deutschen Sozialversicherung mit dem ihr eigentümlichen sozialen Lastenausgleich.
Keine Grundlage im Verfassungsrecht hat auch das weitere, im Laufe des Revisionsverfahrens sogar in den Vordergrund getretene Verlangen des Klägers, er dürfe nur insoweit mit Beiträgen belastet werden, als gesichert sei, daß ihm bei Eintritt eines eigenen Versicherungsfalles seinen Beiträgen entsprechende Leistungen gewährt würden. Um diesem Verlangen gerecht zu werden, müßte entweder das derzeitige Beitragsniveau schon jetzt einem in Zukunft etwa zu erwartenden niedrigeren Leistungsniveau angepaßt, dh gesenkt werden, oder es müßte das gegenwärtig geltende Leistungsrecht unverändert auch für künftige Leistungsansprüche der derzeitigen Beitragszahler anwendbar bleiben. Weder das eine noch das andere ist verfassungsrechtlich geboten.
Inwieweit Eingriffe in das geltende Leistungsrecht der Rentenversicherung verfassungsrechtlich zulässig sind, insbesondere für diejenigen, die unter diesem Recht Beiträge entrichtet haben und weiterhin entrichten, und inwieweit solche Eingriffe, soweit zulässig, sich zum Ausgleich von Leistungen und Beiträgen in Zukunft als notwendig erweisen werden, ist eine offene Frage, die sich derzeit nicht mit Sicherheit beantworten läßt. Schon aus diesem Grund kann dem Verlangen des Klägers, die von ihm befürchteten künftigen Eingriffe bereits jetzt bei seinen Beiträgen zu berücksichtigen, nicht entsprochen werden.
Seinem Anliegen könnte allerdings auch dadurch Rechnung getragen werden, daß Eingriffe in das geltende Leistungsrecht für die derzeitigen Beitragszahler - als verfassungsrechtlich unzulässig - überhaupt zu unterbleiben hätten. Auch ein solches Verbot läßt sich indessen aus dem GG nicht ableiten.
Da das jeweilige Leistungsvolumen der Rentenversicherung nach dem für sie maßgebenden Finanzierungssystem (das im Zuge der Rentenreform des Jahres 1957 schrittweise auf ein nunmehr fast reines Umlageverfahren umgestellt worden ist) aus dem aktuellen Beitragsaufkommen gedeckt werden muß, seine Deckung aber entscheidend von dem jeweiligen Verhältnis von Beitragszahlern und Leistungsempfängern abhängt, müssen bei einer wesentlichen Änderung dieses Verhältnisses Anpassungen auch im Leistungsrecht, was Voraussetzungen, Dauer und Höhe der Leistungen betrifft, zulässig sein. Sie können jedenfalls nicht völlig ausgeschlossen sein, solange bereits erworbene Leistungsanwartschaften, mindestens soweit diese auf eigenen Beiträgen beruhen, unangetastet bleiben und im übrigen angemessene Übergangsregelungen vorgesehen werden. Unter diesen Voraussetzungen müssen Anpassungen auch des Leistungsrechts zulässig sein, vor allem dann, wenn einer steigenden Zahl von Leistungsempfängern ein abnehmender Kreis von Beitragszahlern gegenübersteht, wie dies für die Rentenversicherung in absehbarer Zeit zu erwarten ist. Wenn in solchen Fällen die zusätzlichen Lasten der Versicherung nicht allein den dann im Arbeitsleben stehenden Beitragszahlern - durch Erhöhung des Beitragssatzes - aufgebürdet werden, sondern dazu - durch Einschränkungen im Leistungsrecht - auch die dann in das Rentenalter hineingewachsenen, gegenwärtig noch beitragszahlenden Versicherten herangezogen werden, so ist dies kein verfassungswidriger Eingriff in Grundrechte der betroffenen Versicherten, sondern die notwendige Folge der - auch die Versichertengenerationen umspannenden - Solidarhaftung der gesamten Versichertengemeinschaft.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen