Entscheidungsstichwort (Thema)
Versorgungsbedarf der Rehabilitanden. zur Ermächtigung eines Berufsförderungswerkes an der kassenärztlichen Versorgung
Orientierungssatz
Die Ermächtigung zur Teilnahme an der kassen- und vertragsärztlichen Versorgung für ein Berufsförderungswerk, dessen Medizinischer Dienst satzungsgemäß die rehabilitationsspezifische Behandlung der Rehabilitanden durchzuführen hat, ist von einem Versorgungsbedarf und der daraus begründeten Notwendigkeit zur Beseitigung der Versorgungslücke abhängig.
Normenkette
ZO-Ärzte § 31 Abs 1 Buchst b; RVO § 368c Abs 2 Nr 12
Verfahrensgang
SG Dortmund (Entscheidung vom 31.03.1987; Aktenzeichen S 22 Ka 96/86) |
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist es streitig, ob der dem Kläger zugehörige medizinische Dienst zur Teilnahme an der kassen- und vertragsärztlichen Versorgung der von ihm betreuten Rehabilitanden zu ermächtigen ist.
Der Kläger betreibt eine gemeinnützige außerbetriebliche Bildungseinrichtung der beruflichen Rehabilitation Erwachsener. Zur rehabilitationsspezifischen Betreuung der durchschnittlich ca 850 Rehabilitanden verfügt diese über einen medizinischen Dienst, bestehend aus zwei hauptamtlich beschäftigten Ärzten für Innere Medizin sowie medizinischem Fachpersonal (Krankenschwestern, Laborassistentinnen, Masseuren/medizinischen Bademeistern, Krankengymnasten).
Der Kläger beantragte erfolglos die Ermächtigung zur Teilnahme an der kassen- und vertragsärztlichen Versorgung (Bescheid der Beklagten vom 28. August 1985 idF des Widerspruchsbescheides vom 7. Mai 1986).
Das Sozialgericht (SG) hat die auf Ermächtigung des medizinischen Dienstes des Klägers gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 31. März 1987). Zur Begründung hat das SG ausgeführt: Die Ermächtigung zur Teilnahme an der kassen- und vertragsärztlichen Versorgung setze voraus, daß diese notwendig ist, um einen bestimmten Personenkreis ärztlich versorgen zu können. Es sei jedoch gerichtsbekannt, daß im Raum D. - dem Sitz der Klägerin - das Angebot an ärztlichen Leistungen aller Art durch niedergelassene Ärzte ausreichend und die ambulante ärztliche Versorgung der von dem Kläger betreuten Rehabilitanden auch ohne Ermächtigung des medizinischen Dienstes gewährleistet sei. Die Sicherstellung einer effektiven beruflichen Rehabilitation rechtfertige es nicht, den Versorgungsbedarf außer acht zu lassen.
Mit der - vom SG zugelassenen - Revision, der die Beklagte zugestimmt hat, rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Das SG habe die gesetzlichen Voraussetzungen der Ermächtigung in § 31 Abs 1 Buchst b der Zulassungsordnung für Kassenärzte vom 28. Mai 1957 (BGBl I S 572, 608) idF der Verordnung vom 14. Dezember 1983 (BGBl I S 1431) - ZO-Ärzte - verkannt, indem es auf den fehlenden Versorgungsbedarf abgestellt habe. Werde die Ermächtigung lediglich für die kassen- und vertragsärztliche Versorgung eines bestimmten Personenkreises iS von § 31 Abs 1 Buchst b ZO-Ärzte - hier der Rehabilitanden - beantragt, so komme es nicht darauf an, ob die ärztliche Versorgung allgemein durch niedergelassene Ärzte ausreichend gesichert sei. Vielmehr sei der besondere Versorgungsbedarf der Rehabilitanden zu berücksichtigen, der darin liege, den Rehabilitanden durch Bereitstellung des medizinischen Dienstes auch für interkurrente Behandlung und Verordnung von Medikamenten unmittelbar auf den Rehabilitationszweck bezogene Leistungen zur Verfügung stellen zu können. Dabei sei zu berücksichtigen, daß der erfolgreiche Abschluß der 18 bis 21-monatigen Umschulung wesentlich davon abhänge, die Ausfallzeiten der Rehabilitanden gering zu halten. Müßten für interkurrente Behandlungen extern niedergelassene Ärzte in Anspruch genommen werden, so erhöhe sich die Ausfallzeit. Da extern niedergelassene Ärzte mit der besonderen Situation der Rehabilitanden nicht vertraut seien, komme es häufiger zu unsachgerechten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und einer erhöhten Gefahr für den Rehabilitanden, den Anschluß an das Lehrgangspensum zu verlieren und damit die Rehabilitationsmaßnahme nicht fortsetzen zu können. Diese Gesichtspunkte müßten bei der Ermessensausübung über die Ermächtigung des medizinischen Dienstes zur Teilnahme an der kassen- und vertragsärztlichen Versorgung berücksichtigt werden.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 31.03.1987 und die angefochtenen Bescheide aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Medizinischen Dienst des Berufsförderungswerkes Dortmund die Ermächtigung zur Teilnahme an der kassen-/vertragsärztlichen Versorgung der Rehabilitanden im Berufsförderungswerk Dortmund zu erteilen, hilfsweise, nach der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Die Beklagte und die Beigeladenen zu 1. bis 5. beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Die Beklagte und die Beigeladenen halten das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Sprungrevision des Klägers ist nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Die begehrte Ermächtigung zur Teilnahme des medizinischen Dienstes des Klägers an der kassenärztlichen Versorgung hat die Beklagte rechtmäßig abgelehnt. Ohne Rechtsfehler hat sie ihre Entscheidung damit begründet, für die Rehabilitanden des Klägers sei keine zusätzliche Bereitstellung ambulanter ärztlicher Leistungen notwendig.
Gemäß § 368c Abs 2 Ziff 12 der Reichsversicherungsordnung -RVO- iVm § 31 Abs 1 ZO-Ärzte können die Kassenärztlichen Vereinigungen über den Kreis der zugelassenen und beteiligten Ärzte hinaus weitere Ärzte oder ärztlich geleitete Einrichtungen zur Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung ermächtigen, sofern dies notwendig ist, um a) eine bestehende oder unmittelbar drohende Unterversorgung abzuwenden oder b) einen begrenzten Personenkreis zu versorgen, beispielsweise Insassen eines Lagers, Beschäftigte eines abgelegenen oder vorübergehenden Betriebes.
Die Vorschrift ermöglicht es den Kassenärztlichen Vereinigungen, die kassenärztliche Versorgung durch Ermächtigungen ergänzend zu der Zulassung von Ärzten und der Beteiligung von Krankenhausärzten zu sichern. Die Ermächtigung ist ein Mittel der Kassenärztlichen Vereinigungen, ihrem Auftrag zur Sicherstellung der kassenärztlichen Versorgung (§ 368n Abs 1 RVO) zu entsprechen. Sie ist jedoch nur ein nachrangiges Mittel und berechtigt nur insoweit zur Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung, als diese nicht durch zugelassene und beteiligte Ärzte gewährleistet ist (zur Nachrangigkeit der Ermächtigung sowie der Beteiligung im System der kassenärztlichen Versorgung s BSG 55, 212 = SozR 5520 § 31 ZO-Ärzte Nr 2; BSG SozR 2200 § 368a RVO Nr 7).
Die Nachrangigkeit der Beteiligung und der Ermächtigung im System der kassenärztlichen Teilhaberechte drückt sich dadurch aus, daß diese zulässigerweise (BVerfGE 16, 286, 293) an engere gesetzliche Voraussetzungen gebunden sind. Während die Zulassung als Kassenarzt (§ 368c Abs 2 Nr 10 RVO iVm §§ 17 ff ZO-Ärzte) im wesentlichen von der persönlichen Eignung des Arztes abhängig ist, werden Krankenhausärzte an der kassenärztlichen Versorgung nur beteiligt und Ärzte oder ärztlich geleitete Einrichtungen nur ermächtigt, wenn dafür ein besonderer Bedarf vorliegt, weil die Versicherten durch die niedergelassenen Kassenärzte nicht ausreichend versorgt werden können und damit Versorgungslücken bestehen, die sich nur durch die Beteiligung eines Krankenhausarztes oder die Ermächtigung eines Arztes oder einer ärztlich geleiteten Einrichtung schließen lassen (zur Beteiligung vgl BSGE 21, 230, 231; BSGE 48, 56 = SozR 2200 § 368a RVO Nr 5; zur Ermächtigung vgl BSGE 55, 212 = SozR 5520 § 31 ZO-Ärzte Nr 2).
Entgegen der Ansicht der Revision beschränkt sich die Bedürfnisprüfung nicht auf den Ermächtigungstatbestand des § 31 Abs 1 Buchst a ZO-Ärzte (Unterversorgung), sondern gilt gleichermaßen für alle Tatbestände der Ermächtigung, mithin auch für den streitigen Ermächtigungstatbestand des § 31 Abs 1 Buchst b ZO-Ärzte. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift, die für beide in der Vorschrift genannten Tatbestände "Unterversorgung" und "Versorgung eines besonderen begrenzten Personenkreises" eine Notwendigkeit zur Erweiterung der bestehenden Teilhaberechte an der kassenärztlichen Versorgung fordert. Die Erweiterung um ermächtigte Ärzte oder ärztlich geleitete Einrichtungen ist aber nur dann notwendig, wenn die kassenärztliche Versorgung - auch für den in § 31 Abs 1 Buchst b ZO-Ärzte genannten Personenkreis - nicht ausreichend gesichert ist.
Im örtlichen Bereich des Klägers besteht nach dem Urteil des SG keine Versorgungslücke, die die begehrte Ermächtigung rechtfertigen könnte. Für den Senat bindend (§ 163 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) hat das SG vielmehr festgestellt, daß der Personenkreis, für dessen ambulante Behandlung die Ermächtigung begehrt wird, durch die im Raum D. niedergelassenen Ärzte ausreichend versorgt werden könne, ein zusätzlicher Versorgungsbedarf daher nicht bestehe.
Die Erteilung der Ermächtigung ist auch nicht deshalb gerechtfertigt, weil - wie die Revision meint - besondere rehabilitationsspezifische Gründe diese Ermächtigung des medizinischen Dienstes zur Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung der Rehabilitanden wünschenswert erscheinen ließen. Nach Auffassung des Klägers würde die interne umfassende ärztliche Versorgung der Rehabilitanden dem Rehabilitationszweck förderlich sein. Der Kläger verweist dazu auf die Gefahr, daß die Rehabilitanden durch den Besuch externer Ärzte unnötigen Zeitverlust hinnehmen müßten und unsachgerechte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen dieser Ärzte den Rehabilitationserfolg gefährdeten. Dieser Argumentation vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Unabhängig davon, daß der Senat einem Erfahrungssatz über die Ausstellung unsachgerechter Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für Rehabilitanden durch (externe) niedergelassene Kassenärzte nicht beitreten kann, verkennt der Kläger offenbar, daß die Ermächtigung des medizinischen Dienstes zur Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung das Recht des einzelnen Rehabilitanden auf freie Arztwahl (§ 368d Abs 1 RVO) nicht beseitigen würde. Selbst wenn der medizinische Dienst zur Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung der Rehabilitanden ermächtigt würde, so könnte der Kläger die Rehabilitanden nicht zur ausschließlichen Benutzung des medizinischen Dienstes verpflichten. Der störungsfreie und Erfolg versprechende Verlauf der Rehabilitationsmaßnahme bliebe auch in diesem Fall im wesentlichen von der subjektiven Bereitschaft des Rehabilitanden und nicht von der Bereitstellung einer besonderen kassenärztlichen Versorgung abhängig.
Soweit der Kläger mit der Revision auf die vom Bundesrechnungshof gerügte Kostensituation bei der Behandlung interkurrenter Erkrankungen während der Rehabilitationsmaßnahme hinweist, ist dies nicht durch die Ermächtigung des medizinischen Dienstes zur Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung zu beseitigen. Auch und gerade bei der Behandlung interkurrenter Erkrankungen, die im zeitlichen Zusammenhang mit der Rehabilitationsmaßnahme auftreten, ist der Rehabilitand nicht auf die Inanspruchnahme des internen medizinischen Dienstes zu verweisen, sondern verbleibt ihm das Recht auf freie Arztwahl gemäß § 368d Abs 1 RVO.
Ist somit zu Recht die Ermächtigung zur Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung versagt worden, so ist der medizinische Dienst des Klägers gleichermaßen nicht zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung berechtigt (§ 525c Abs 1 RVO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen