Entscheidungsstichwort (Thema)
Unfallversicherung. übergangsrecht. Versicherungsfall im Oktober 1990. Unternehmenssitz im Beitrittsgebiet. 1. Wohnsitz in den alten Bundesländern. Verletztenrente. Verletztengeld. Pflegegeld. Leistungshöhe. Benachteiligung. Verfassungsmäßigkeit. Gleichheitssatz
Orientierungssatz
1. Zur rechtmäßigen Anwendung der Übergangsvorschriften §§ 1152 Abs 2 S 1 Nr 2, 1151 Abs 1 S 2 RVO auf einen im Beitrittsgebiet versicherten Unternehmer mit 1. Wohnsitz in den alten Bundesländern, der im Oktober 1990 verunglückte.
2. Die Übergangsvorschriften §§ 1150ff RVO verstoßen nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG.
Normenkette
GG Art 3 Abs. 1; RVO § 1150 Abs. 2 S. 1, § 1151 Abs. 1 S. 2, § 1152 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, §§ 581, 571, 561 Abs. 3, § 558 Abs. 3 S. 1, § 1148; SGB IV § 9; RAnglG § 12 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Streitig ist, ob dem Kläger höhere Entschädigungsleistungen wegen eines Arbeitsunfalls (Verletztengeld, Verletztenrente und Pflegegeld) zustehen.
Der im Jahre 1937 geborene Kläger, der in D. (Hessen) wohnt, eröffnete zum 1. Juni 1990 in A. (Sachsen-Anhalt) einen Neu- und Gebrauchtwagenhandel. Am 27. Oktober 1990 erlitt er auf der Fahrt von D. nach A. zu Kundenbesuchen in der Nähe von G. einen Verkehrsunfall, bei dem er schwer verletzt wurde.
Mit Abhilfebescheid vom 3. Dezember 1992 stellte die Beklagte fest, bei dem Ereignis vom 27. Oktober 1990 habe es sich um einen Arbeitsunfall gehandelt, da der Kläger unter Berücksichtigung der zum Unfallzeitpunkt anzuwendenden Vorschriften der damaligen DDR zum Kreis der versicherten Personen gehört und sich auf einem versicherten Weg befunden habe. Sie gewährte ihm vom 1. Januar bis 12. Juni 1991 Verletztengeld (Bescheid vom 4. Oktober 1993) und für die Zeit danach Verletztenrente auf Dauer nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 100 vH (Bescheid vom 8. September 1993) sowie Pflegegeld nach Kategorie A 1 (Bescheid vom 8. September 1993), wobei sie für das Verletztengeld und die Verletztenrente von dem damals im Beitrittsgebiet geltenden Höchstsatz des Jahresarbeitsverdienstes (JAV) und für das Pflegegeld von dem seinerzeit im Beitrittsgebiet geltenden Höchstbetrag ausging. Sie paßte für die Folgezeit alle Leistungen nach dem Rentenangleichungsgesetz (RAnglG-DDR) iVm der jeweiligen Rentenanpassungsverordnung (RAV) an.
Der hiergegen vom Kläger wegen der Höhe des der Berechnung zugrunde gelegten JAV und der Höhe des Pflegegeldes erhobene Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 16. März 1994), da alle streitigen Leistungen nach den für Arbeitsunfälle im Beitrittsgebiet geltenden Rechtsvorschriften ordnungsgemäß festgesetzt worden seien.
Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 13. November 1998), das Landessozialgericht (LSG) die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 21. April 1999). Die Beklagte habe den Unfall zu Recht nach den Bestimmungen des Beitrittsgebiets als Arbeitsunfall anerkannt. Dies habe zur Folge, daß es sich um einen im Rahmen des § 1150 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) übergeleiteten Arbeitsunfall handele. Folgerichtig habe sich das dem Kläger gewährte Pflegegeld nach den in den neuen Bundesländern geltenden reduzierten Sätzen zu richten; Wohnsitz und Ort der Pflege seien für die Höhe dieser Leistung unbeachtlich. Auch für das Verletztengeld und die Verletztenrente habe die Beklagte zu Recht den nach § 1152 Abs 2 Nr 2 RVO höchstzulässigen JAV zugrunde gelegt. Der Unfall des Klägers könne zur Begründung höherer Leistungen auch nicht als Arbeitsunfall nach dem Fremdrentengesetz (FRG) anerkannt werden, weil das FRG auf nach dem 18. Mai 1990 in der ehemaligen DDR eingetretene Arbeitsunfälle nicht mehr anzuwenden sei. Es begegne im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes ≪GG≫) keinen Bedenken, daß die Leistungsansprüche des Klägers geringer seien als die eines in gleicher Weise in den alten Bundesländern wohnhaften, dort tätigen und verunglückten Unternehmers.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts, insbesondere des Art 3 Abs 1 GG. Zur Bestimmung der Leistungsfähigkeit müsse auf den Wohnsitz und nicht auf den Sitz des Unternehmens abgestellt werden; die niedrigeren Leistungen in der ehemaligen DDR seien mit dem dortigen niedrigeren Lohn- und Kostenniveau zu begründen, was jedoch auf ihn - den Kläger -, der in den alten Bundesländern wohne, nicht zutreffe. Es bestehe kein Unterschied zwischen ihm und einem Unternehmer, der in den alten Bundesländern wohne, dort aber auch tätig sei. Außerdem müsse ggf eine "Anerkennung als FRG-Fall" geprüft werden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 21. April 1999 aufzuheben, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 13. November 1998 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 8. September 1993 und vom 4. Oktober 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. März 1994 zu verurteilen, Verletztengeld und Verletztenrente unter Zugrundelegung eines Jahresarbeitsverdienstes von 108.000,00 DM sowie Pflegegeld unter Zugrundelegung des in den alten Bundesländern geltenden Höchstsatzes zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil nach § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das LSG hat zutreffend entschieden, daß der Kläger weder Anspruch auf Gewährung von höherem Verletztengeld bzw höherer Verletztenrente unter Berücksichtigung eines höheren JAV noch auf höheres Pflegegeld hat.
Der Anspruch des Klägers richtet sich noch nach den Vorschriften der RVO, denn der Unfall ereignete sich am 27. Oktober 1990 und damit vor Inkrafttreten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) am 1. Januar 1997 (Art 36 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes, § 215 SGB VII).
Die Vorschriften der RVO sind hier allerdings nicht unmittelbar anwendbar. Gemäß §§ 1, 3, 9 und 11 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) iVm Art II § 1 Nr 4 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch richtet sich das anzuwendende Recht bei selbständig Tätigen nach dem Beschäftigungsort, dh nach dem Ort, an dem die Beschäftigung tatsächlich ausgeübt wird (§ 9 Abs 1 SGB IV) bzw eine feste Arbeitsstelle errichtet ist (§ 9 Abs 2 SGB IV). Eine Ausstrahlung gemäß dem auch im Verhältnis des Beitrittsgebietes zu den alten Bundesländern anwendbaren § 4 SGB IV kommt mangels Vorliegens bzw Fortbestehens eines Beschäftigungsverhältnisses in den alten Bundesländern nicht in Betracht (vgl Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl, Stand: 1. Januar 1996, Vor § 1148 RVO Anm 2).
Der Beschäftigungsort im og Sinne liegt hier in A. (Sachsen-Anhalt), also im Beitrittsgebiet. Nach den nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffenen und daher für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) hat der Kläger eine selbständige Tätigkeit im Beitrittsgebiet ausgeübt, wobei Sitz seines Unternehmens A. war. Das im Beitrittsgebiet nach dem 2. Oktober 1990 als Übergangsrecht im wesentlichen bis zum 31. Dezember 1991 geltende Recht auf dem Sachgebiet der gesetzlichen Unfallversicherung war zunächst im Einigungsvertrag (EinigVtr) geregelt (Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet I Abschnitt III, Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet I Abschnitt III iVm Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet F Abschnitt III EinigVtr). Die endgültige Regelung war einem noch zu erlassenden besonderen Bundesgesetz vorbehalten (Art 30 Abs 5 EinigVtr), das als Rentenüberleitungsgesetz (RÜG) mit Wirkung im wesentlichen vom 1. Januar 1992 die §§ 1148 ff RVO geschaffen hat (BSGE 80, 119, 120 = SozR 3-1300 § 48 Nr 61). Da es sich bei dem Unfall des Klägers um ein Ereignis mit Anknüpfungspunkt im Beitrittsgebiet handelte, ist die RVO daher nur nach Maßgabe dieser Vorschriften anzuwenden.
Nach § 1148 RVO gelten die Vorschriften des Ersten bis Vierten Teils der RVO im Beitrittsgebiet, soweit sich ua aus den §§ 1149 ff RVO und aus dem EinigVtr nichts Abweichendes ergibt. Unfälle und Krankheiten, die vor dem 1. Januar 1992 eingetreten sind und die nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten der Sozialversicherung waren, gelten danach als Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten im Sinne des Dritten Buches der RVO, § 1150 Abs 2 Satz 1 RVO. Für die sich hieraus ergebenden Leistungen enthalten die §§ 1149 ff RVO jedoch besondere Regelungen.
Der Kläger stand - wie die Beklagte anerkannt hat - bei seinem Verkehrsunfall nach den hier anzuwendenden Vorschriften des Beitrittsgebiets, die bis zum 31. Dezember 1991 fortgalten, als Gewerbetreibender gemäß § 19 Abs 1 der Verordnung über die Sozialversicherung bei der Staatlichen Versicherung der Deutschen Demokratischen Republik vom 9. Dezember 1977 (GBl I 1978 S 1) unter dem Schutz der Unfallversicherung. Der Unfall gilt daher nach der Fiktion des § 1150 Abs 2 RVO als Arbeitsunfall iS des Dritten Buches der RVO. Nach den zum Zeitpunkt des Unfalls im Gebiet der alten Bundesländer geltenden Vorschriften hätte für den Kläger kein Unfallversicherungsschutz bestanden.
Die Rechtsgrundlage für die von der Beklagten dem Grunde nach anerkannte Verletztenrente ab 13. Juni 1991 findet sich in § 1150 Abs 2 Satz 1, § 1152 Abs 2 Satz 1 Nr 2, §§ 581, 571 RVO iVm Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet I Abschnitt III Nr 1 Buchst f und Art 30 Abs 5 EinigVtr. Die Berechnung des Verletztengeldes richtet sich nach § 1150 Abs 2 Satz 1, § 1152 Abs 2 Satz 1 Nr 2, § 561 Abs 3 RVO iVm Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet I Abschnitt III Nr 1 Buchst b und Art 30 Abs 5 EinigVtr. Gemäß § 1152 Abs 2 Satz 1 Nr 2 RVO ist als Berechnungsgrundlage für die ab 1. Juli 1990 zu zahlenden Renten bzw für das Verletztengeld das Zwölffache der Berechnungsgrundlage nach § 12 Abs 1 RAnglG-DDR als JAV anzusetzen. Diesen Betrag (32.400,00 DM) hat die Beklagte ihrer Berechnung auch rechtlich zutreffend zugrunde gelegt und die Leistungen später folgerichtig gemäß den einzelnen RAVen dynamisiert.
Das Pflegegeld hat die Beklagte ebenfalls zutreffend gemäß § 1151 Abs 1 Satz 2, § 558 Abs 3 Satz 1 RVO iVm Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet I Abschnitt III Nr 1 Buchst b und Art 30 Abs 5 EinigVtr festgesetzt. Es beträgt für die dort genannten Arbeitsunfälle vom 1. Januar 1991 an (Art 42 Abs 4 RÜG) zwischen 207,00 und 829,00 DM. Die Beklagte hat dem Kläger stets den Höchstbetrag gewährt, so daß der Rahmen ausgeschöpft ist. Entsprechend der Anpassung der Unfallrenten im Beitrittsgebiet hat sie die Leistung auch vom 1. Juli 1991 an erhöht.
Die Anwendung der genannten Vorschriften wird nicht durch § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 2 RVO ausgeschlossen, denn der Unfall des Klägers vom 27. Oktober 1990 wird nicht vom FRG erfaßt. Ob dessen tatbestandliche Voraussetzungen hier erfüllt wären, kann offen bleiben, denn nach Art 24 § 1 Abs 1 des Gesetzes zu dem Vertrag vom 18. Mai 1990 über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik (WWSUVtrG) vom 25. Juni 1990 ist das Fremdrentenrecht auf Arbeitsunfälle, die nach dem 18. Mai 1990 im Zuständigkeitsbereich eines Trägers der gesetzlichen Unfallversicherung im Beitrittsgebiet eingetreten sind, nicht anzuwenden. Da diese Voraussetzungen auf den Unfall des Klägers vom 27. Oktober 1990 mit Anknüpfungspunkt im Beitrittsgebiet zutreffen, kommt die Anwendung des FRG insoweit nicht in Betracht.
Die genannten durch das RÜG in die RVO eingefügten Regelungen verstoßen nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG. Die gegenüber den Leistungen mit Anknüpfungspunkt in den alten Bundesländern geringere Höhe des anzusetzenden JAV mit der Folge niedrigerer Verletztenrenten und Verletztengelder sowie das niedrigere Pflegegeld finden ihre Rechtfertigung darin, daß sie auf Rechtsnormen beruhen, welche im Zuge der Wiedervereinigung zur Überführung des Rechts der ehemaligen DDR in das Rechts- und Sozialsystem der Bundesrepublik geschaffen werden mußten. Dabei hatte der Gesetzgeber bei der Frage, wie er Ansprüche mit Anknüpfungspunkt im Beitrittsgebiet überführen sollte, eine weitgehende Gestaltungsfreiheit. Denn er befand sich bei der Herstellung der deutschen Rechtseinheit in einer bislang nie dagewesenen Ausnahmesituation, die anders nicht zu bewältigen gewesen wäre (vgl hierzu BSGE 79, 23, 24 ff = SozR 3-8110 Kap VIII J III Nr 1). Bei der verfassungsrechtlichen Prüfung der von ihm gefundenen Lösung kommt es - wie auch sonst bei der verfassungsrechtlichen Überprüfung von Gesetzen - nicht darauf an, ob er innerhalb seiner Gestaltungsfreiheit die gerechteste und zweckmäßigste Regelung getroffen hat (BVerfGE 23, 12, 23). Der allgemeine Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen dieser und einer anderen Gruppe keine Unterschiede von solcher Art und Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (stellvertretend BVerfGE 55, 72, 88 mwN; 91, 346, 363). Ein Verstoß hiergegen wäre nur dann anzunehmen, wenn es der Gesetzgeber versäumt hätte, tatsächliche Gleichheiten oder Ungleichheiten der zu ordnenden Lebensverhältnisse zu berücksichtigen, die so bedeutsam wären, daß sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise beachtet werden müßten. Im vorliegenden Fall gibt es für die vom Gesetzgeber gewählte Lösung indes sachgerechte und hinreichend gewichtige Gründe (vgl BVerfGE 88, 87, 96; 92, 262, 275). Die bereits festgestellten Unfallrenten aus dem Beitrittsgebiet waren über das Wirksamwerden des Beitritts hinaus möglichst nahtlos weiterzuzahlen und entsprechend den geänderten Bedingungen anzupassen. Angesichts dieser Situation hielt sich der Gesetzgeber bei der Art und Weise, wie er die Verhältnisse im EinigVtr regelte - mit Stichtagsregelungen und Differenzierungen bei den Berechnungsgrundlagen - in den Grenzen der ihm zukommenden weiten Gestaltungsfreiheit (vgl BSGE 79, 23 = SozR 3-8110 Kap VIII J III Nr 1). Deren Einhaltung kann gerichtlich nur daraufhin überprüft werden, ob die Staatsorgane der Bundesrepublik Deutschland das Ziel "klar verfehlt haben" (BVerfGE 94, 297, 312; BSGE 79, 23, 25 = SozR 3 aaO). Das ist hier jedoch nicht der Fall. Der Gesetzgeber beabsichtigte, alle erforderlichen Maßnahmen einzuleiten, um das Unfallversicherungsrecht der ehemaligen DDR an das der Bundesrepublik Deutschland anzugleichen, Art 23 Abs 1 WWSUVtr und Art 30 Abs 5 Satz 3 EinigVtr. Diesem Ziel sollten das RÜG und damit die §§ 1148 ff RVO durch Übernahme aller vor dem 1. Januar 1992 eingetretenen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten aus der Sozialversicherung des Beitrittsgebietes dienen. Unfallrenten und Pflegegelder im Beitrittsgebiet sollten entsprechend der Anpassung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung im Beitrittsgebiet ebenfalls angepaßt werden, wobei bestimmte Grundsätze (Versicherungsfallprinzip, Gleichbehandlung, Vertrauensschutz, Verwaltungspraktikabilität) beachtet werden sollten (vgl BT-Drucks 12/405 S III und S 116). Dabei war der Gesetzgeber nicht verpflichtet, die überzuführenden Leistungen sofort dem Niveau der alten Bundesländer anzupassen, zumal auch die im Beitrittsgebiet und im Alt-Bundesgebiet zu leistenden Beiträge nicht miteinander vergleichbar waren (siehe hierzu zB die Beitragsbemessungsgrenze für die Unfallversicherung in §§ 46, 42 des Gesetzes über die Sozialversicherung vom 28. Juni 1990 ≪GBl I S 486≫).
Diese Ziele wurden bei der Schaffung des RÜG unter Beachtung der genannten Grundsätze berücksichtigt. Die Vorschriften führten zur Übernahme aller bis zum 31. Dezember 1991 im Beitrittsgebiet eingetretenen Versicherungsfälle (Vertrauensschutz) mittels praktikabler Stichtagsregelungen (Verwaltungspraktikabilität) und unter Berücksichtigung des Versicherungsfallprinzips, dh des im Zeitpunkt des Versicherungsfalles maßgeblichen Rechts. Durch Stichtagsregelungen wie diese kommt es regelmäßig zu von den Betroffenen hinzunehmenden Härten. Bei der Übernahme der Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten aus dem Beitrittsgebiet waren auch Typisierungen und Pauschalierungen erforderlich, was auf dem Gebiet der Sozialversicherung indes ebenfalls grundsätzlich unbedenklich ist (BVerfGE 17, 1, 23; BVerfG SozR 5050 § 22 Nr 16). Dabei in Einzelfällen entstehende Härten sind bei einer generalisierenden Regelung unvermeidlich und grundsätzlich hinzunehmen (BVerfGE 13, 21, 29; BVerfG SozR 5050 § 22 Nr 16).
Bei der zu regelnden Übernahme der Leistungen aus versicherten Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten aus dem Beitrittsgebiet hat der Gesetzgeber auf den Beschäftigungs- bzw Tätigkeitsort als Anknüpfungspunkt für das anzuwendende Recht abgestellt und konnte auch von dem Regelfall des Wohnsitzes des Versicherten am Beschäftigungs- bzw Tätigkeitsort ausgehen. Dieser Anknüpfungspunkt betraf außerdem nicht nur die Leistungs-, sondern auch die Beitragsseite, war mithin auch aus dieser Überlegung heraus sachgerecht. Auf eine Fallgestaltung wie die hier vorliegende mußte der Gesetzgeber nicht durch Schaffung von entsprechenden Ausnahmeregelungen eingehen, denn es handelte sich um eine ausgesprochene Ausnahmesituation. Eine gleichheitswidrige Benachteiligung des Klägers entsteht hieraus nicht, da nicht allein niedrigere Lebenshaltungskosten zu geringeren Leistungen als bei einem Arbeitsunfall mit Anknüpfungspunkt in den alten Bundesländern führten, sondern auch der in der Regel geringere Verdienst (bei Arbeitnehmern) bzw hier die insbesondere für selbständige Versicherte bedeutsame geringere Beitragsbemessungsgrundlage. Mithin sind sachliche Gründe ersichtlich, die eine Differenzierung zwischen Leistungen aus der Unfallversicherung mit Anknüpfungspunkt je nach Beschäftigungsort bzw Tätigkeitsort rechtfertigen, wobei der Gesetzgeber spezielle Problembereiche noch gesondert geregelt hat, wie etwa die Anhebung des in den neuen Bundesländern zunächst im Verhältnis zu den Leistungen im Alt-Bundesgebiet sehr geringen Pflegegeldes durch § 1151 Abs 1 Satz 2 RVO bereits ab 1. Januar 1991.
Eine sachwidrige Ungleichbehandlung besteht auch nicht gegenüber Versicherten mit nach dem 31. Dezember 1991 eingetretenen Arbeitsunfällen (§ 1150 Abs 1 RVO), auf welche die Regelungen der RVO direkt anwendbar sind, da es sich hier um eine Stichtagsregelung im Interesse einer Vereinheitlichung handelt. Durch solche Stichtagsregelungen zwangsläufig entstehende Härten müssen regelmäßig hingenommen werden. Dem Gesetzgeber ist es durch Art 3 Abs 1 GG grundsätzlich nicht verwehrt, zur Regelung bestimmter Lebenssachverhalte Stichtage einzuführen. Die Wahl des Zeitpunkts muß sich allerdings am gegebenen Sachverhalt orientieren, darf also nicht willkürlich sein (vgl BVerfGE 87, 1, 43 mwN; BVerfG SozR 3-5070 § 12a Nr 1). Dies ist hier indes der Fall, denn zum 1. Januar 1992, dem Inkrafttreten des RÜG (Art 42 Abs 1 RÜG), sollte die RVO im gesamten Bundesgebiet uneingeschränkt auf alle nach diesem Zeitpunkt eintretenden unfallversicherungsrechtlich relevanten Ereignisse Anwendung finden (§ 1148 RVO; BT-Drucks 12/405 S III); es ist nicht ersichtlich, daß dies sachwidrig wäre oder daß allein ein anderer Zeitpunkt für diese zur Schaffung der Rechtseinheit notwendige Maßnahme allein in Betracht gekommen wäre.
Die Revision des Klägers war nach alledem zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 514054 |
AuS 2000, 64 |