Beteiligte
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 27. August 1999 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte nach den Vorschriften über berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation zur Förderung einer von der Klägerin absolvierten Bildungsmaßnahme zur Heilpädagogin verpflichtet ist.
Die im Jahre 1961 geborene Klägerin absolvierte von 1981 bis 1985 eine Ausbildung zur Erzieherin und war anschließend in diesem Beruf tätig. Im November 1989 beantragte sie die Gewährung berufsfördernder Leistungen zur Rehabilitation und führte zur Begründung ua an, daß sie sich durch die Anforderungen des Berufes der Erzieherin psychisch extrem überfordert fühle. Die Arbeit mit Kindern mache ihr nicht nur keine Freude mehr – sie mache sie auf Dauer „kaputt”. Nachdem sie an einer Maßnahme der Arbeitserprobung und Berufsfindung teilgenommen hatte, begann sie eine von der beklagten Bundesanstalt für Arbeit mit Rehabilitationsleistungen geförderte Maßnahme der beruflichen Umschulung zur Industriekauffrau. Diese Maßnahme brach sie im Februar 1992 aus gesundheitlichen Gründen ab.
Vom 5. August 1992 bis 25. Januar 1994 nahm die Klägerin erfolgreich an einer Ausbildung zur „Staatlich anerkannten Heilpädagogin” an der Hedwig-Heyl-Schule, Fachschule für Heilpädagogik, Frankfurt am Main, teil. Die Beklagte lehnte eine Förderung der Umschulung zur Heilpädagogin ab, da die Klägerin nach den eingeholten ärztlichen bzw psychologischen Gutachten den Leistungsanforderungen der Umschulung und der anschließenden Tätigkeit in dem Beruf nicht in ausreichendem Maße gewachsen sei (Bescheid vom 21. August 1992; Widerspruchsbescheid vom 2. März 1993).
Das Sozialgericht hat die auf Gewährung von berufsfördernden Leistungen zur Rehabilitation gerichtete Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat Auskünfte vom Berufsverband der Heilpädagogen (BHP) eV sowie dem Deutschen Berufsverband der Sozialarbeiter/Sozialarbeiterinnen, Sozialpädagogen/Sozialpädagoginnen, Heilpädagogen/Heilpädagoginnen (DBSH) eV und ein psychiatrisches Sachverständigengutachten (D.) mit testpsychologischem Zusatzgutachten (Dipl.-Psychologe U.) eingeholt. Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, es sei Ziel der Rehabilitation, die volle Erwerbsfähigkeit zu erreichen. Der Behinderte könne deshalb nicht verlangen, zu einem Beruf umgeschult zu werden, in dem er nur in einem Teil des Berufsfeldes einsatzfähig sei, wenn für andere Berufe eine solche Einschränkung nicht bestehe. Die volle Erwerbsfähigkeit im Beruf als Heilpädagogin bestehe für die Klägerin nicht. Nach den von den Berufsverbänden eingeholten Auskünften sei es nicht auszuschließen, daß die Klägerin in „integrativen Einrichtungen” (zB Kindertagesstätten, Schulen oder Kinder- bzw Jugendheimen) auf Arbeitsbedingungen treffe, durch die sie sich zur Aufgabe des Berufes als Erzieherin gezwungen gesehen habe. In der Heilpädagogik werde ebenfalls eine Betreuung in Großgruppen durchgeführt. Auch wenn heilpädagogisch zu betreuende Kinder sich in diesen Großgruppen in der Minderheit befänden, müsse davon ausgegangen werden, daß die Klägerin angesichts der bei schwerstbehinderten Kindern und Jugendlichen anzutreffenden Probleme einer Belastung ausgesetzt würde, die derjenigen vergleichbar sei, wie sie sie während der Erziehertätigkeit erlebt habe. Der Sachverstände D. habe zwar in seinem Gutachten ausgeführt, die Umschulung zur Heilpädagogin sei aufgrund der damaligen Lebenssituation und der starken beruflichen Motivation der Klägerin geeignet gewesen, deren Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben zu erhalten und sie wieder auf Dauer beruflich einzugliedern. Zugleich habe der Sachverständige jedoch auch eingeräumt, daß nicht sicher beurteilt werden könne, ob die Klägerin den Anforderungen der heilpädagogischen Betreuung von Kindern gewachsen sei, weil Ergebnisse einer Belastungserprobung nicht vorlägen bzw eine Belastung in Kleinkindergruppen nicht stattgefunden habe. Der Förderungsanspruch scheitere darüber hinaus auch daran, daß die Maßnahme nicht iS des § 56 Abs 1 Satz 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) erforderlich gewesen sei, um die Erwerbsfähigkeit zu erhalten, zu bessern oder herzustellen. Die Klägerin könne im Beruf der Erzieherin weiterhin wettbewerbsfähig arbeiten. Denn für Tätigkeiten im Berufsfeld der Erzieherin sei die Klägerin nicht auf die mit besonderem Streß verbundene Arbeit mit Kindern beschränkt, der Auslöser ihrer Beschwerden sein solle. Das Berufsfeld der Erzieherin umfasse nämlich außerhalb dieses Bereiches zahlreiche berufliche Möglichkeiten, wie sie etwa in dem „Grundwerk ausbildungs- und berufskundliche Informationen” (gabi Erzieher/in zugehörige Berufe) beschrieben seien.
Zur Begründung ihrer – vom LSG zugelassenen – Revision trägt die Klägerin vor, daß dem grundsätzlichen Anliegen des Gesetzgebers auf dauerhafte Eingliederung in der Tat eine hohe Rangstelle zukomme. Eine Förderung solle danach richtigerweise nicht stattfinden, wenn lediglich die gute Möglichkeit bestehe, daß im neu erlernten Beruf die die Umschulung auslösende Behinderung nicht zum Tragen komme. Andererseits dürfe eine Umschulung nicht schon dann verwehrt werden, wenn lediglich nicht ausgeschlossen werden könne, daß die die Umschulung auslösende Behinderung sich auf dem angestrebten Berufsfeld negativ auswirken könne. Denn diese Sichtweise führe zu einer übermäßigen Einschränkung der verfassungsrechtlich zugesicherten Berufsfreiheit (Art 12 Grundgesetz ≪GG≫). Nach den vom LSG festgestellten Tatsachen liege der Fall so, daß gesundheitliche Bedenken gegen die Ausbildung zur Heilpädagogin nicht beständen. Lediglich die restriktive Anwendung von § 56 AFG iVm § 11 des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation (RehaAnglG) habe das LSG rechtlich zu dem Schluß kommen lassen, daß eine Förderung derzeit nicht in Betracht komme, weil nicht auszuschließen sei, daß die Klägerin auch in gewissen Teilarbeitsgebieten wieder mit Kindern in einer Großgruppe konfrontiert werden könne. Eine solche restriktiv einschränkende Sichtweise verstoße jedoch gegen das Grundanliegen des Gesetzgebers, Behinderte beruflich neu zu integrieren. Der Gesetzgeber selbst unterstelle die Unschädlichkeit einer gewissen und wohl auch nirgends auszuschließenden Restgefährdung.
Mit der Feststellung, sie – die Klägerin – habe auch im Beruf der Erzieherin weiterhin wettbewerbsfähig arbeiten können, habe das LSG ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Hätte das LSG seinen Gedanken, daß es im Beruf der Erzieherin auch außerhalb des Bereichs der Arbeit mit Kindern ein ausreichendes Einsatzgebiet gebe, ordnungsgemäß in den Prozeß eingeführt, so hätte sie entgegenhalten können, daß dies unzutreffend sei. Der Beruf der Erzieherin sei geradezu auf die Arbeit mit Kindern ausbildungsmäßig zugeschnitten und habe früher auch „Kindergärtnerin” geheißen. Soweit das LSG darauf verweise, daß auch Einsatzgebiete in der Arbeit mit Jugendlichen bis zur Volljährigkeit möglich seien, hätte sie vortragen können, daß hierfür eine zusätzliche berufliche Qualifikation erforderlich sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 27. August 1999 und das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 12. April 1996, den Bescheid der Beklagten vom 21. August 1992 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. März 1993 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation durch Förderung der Umschulung zur Heilpädagogin in der Zeit vom 5. August 1992 bis 25. Januar 1994 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II
Die zulässige Revision der Klägerin ist nicht begründet. Das Urteil des LSG beruht nicht auf einer Gesetzesverletzung.
Ein Anspruch auf berufsfördernde und ergänzende Leistungen zur Rehabilitation bestehen nach § 56 Abs 1 Satz 1 AFG (in der hier maßgebenden Fassung durch das RehaAnglG vom 7. August 1974, BGBl I 1881) für Hilfen, die erforderlich sind, um die Erwerbsfähigkeit der körperlich, geistig oder seelisch Behinderten entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu bessern, herzustellen oder wiederherzustellen und die Behinderten möglichst auf Dauer beruflich einzugliedern. Nach Satz 2 der Vorschrift sind dabei Eignung, Neigung und bisherige Tätigkeit angemessen zu berücksichtigen. Eine inhaltlich übereinstimmende Regelung enthalten die für alle Rehabilitationsträger geltenden Sätze 1 und 2 des § 11 Abs 1 RehaAnglG.
Das LSG hat einen Anspruch auf berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation mit der Begründung verneint, die Klägerin habe ungeachtet ihrer Behinderung weiterhin in ihrem erlernten Beruf als Erzieherin arbeiten können, da sie nach ihrem Gesundheitszustand in der Lage gewesen sei, Jugendliche bis zur Volljährigkeit in den unterschiedlichsten Einrichtungen zu betreuen. Ob dieser Begründung des LSG, gegen die die Klägerin ua einwendet, das LSG habe sie damit überrascht und folglich ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, zu folgen ist, läßt der Senat offen. Denn die Klage auf Förderung der durchgeführten Weiterbildung ist jedenfalls deshalb unbegründet, weil es an der Eignung des von der Klägerin erlernten Berufs der Heilpädagogin iS des § 56 Abs 1 AFG, § 11 Abs 1 RehaAnglG zur Erreichung des angestrebten Rehabilitationsziels der dauerhaften Eingliederung fehlt.
Aus den vorgenannten Vorschriften ergibt sich die Zielsetzung der beruflichen Rehabilitation, die berufliche Eingliederung des Behinderten in größtmöglichem Umfang und auf Dauer zu sichern (BSG SozR 2200 § 1237a Nr 6; SozR 4100 § 56 Nr 8). Dies hat zur Folge, daß nur solche Berufe zu fördern sind, in denen sich die Behinderung voraussichtlich nicht mehr auswirken wird. Der Behinderte soll durch die geförderte Bildungsmaßnahme in die Lage versetzt werden, die erlernten Kenntnisse und Fertigkeiten auf dem gesamten Berufsfeld uneingeschränkt zu verwerten, das durch die Bildungsmaßnahme eröffnet wird. Leistungen der beruflichen Rehabilitation können deshalb – wie das BSG zu § 11 RehaAnglG entschieden hat – grundsätzlich nur gewährt werden, wenn der Behinderte die Ausbildung für einen Beruf anstrebt, in dem eine gesundheitliche Gefährdung möglichst vollständig und auf Dauer vermieden wird (BSG SozR 3-4100 § 556 Nr 2; Urteil vom 28. September 1999 - B 2 U 36/98 R - zur Veröffentlichung vorgesehen). Denn nur dann ist er auf dem Arbeitsmarkt in ausreichendem Maße wettbewerbsfähig. Dieser Rechtsprechung ist als überzeugend zu folgen, weil sie sicherstellt, das Rehabilitationsziel möglichst dauerhaft zu erreichen.
Nach den insoweit nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffenen und daher für den Senat bindenden (§ 163 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) Feststellungen des Berufungsurteils ist die Klägerin nur zu einem Teil des Berufsfeldes der Heilpädagogin einsatzfähig. Denn zum Berufsfeld des Heilpädagogen gehört der Umgang mit Kindern, und zwar auch in Gruppen. Das ausgeschlossene Tätigkeitsfeld ist – wie den Feststellungen des LSG entnommen werden kann – auch nicht derart unbedeutend, daß es bei der Gesamtbetrachtung zu vernachlässigen wäre. Die Umschulung zur Heilpädagogin ist deshalb nicht geeignet, die wettbewerbsfähige Wiedereingliederung in das Berufsleben zu ermöglichen. Eine andere Beurteilung der Förderungsfähigkeit kann sich nur dann ergeben, wenn für die Klägerin überhaupt kein Berufsfeld vorhanden wäre, auf dem sie ohne gesundheitliche Gefährdung tätig werden könnte; nur in einem derartigen Fall wäre eine Bildungsmaßnahme geeignet, die zu einem möglichst geringen gesundheitlichen Risiko bei der Ausübung der angestrebten Tätigkeit führt (BSG SozR 3-2200 § 556 Nr 2; Urteil vom 28. September 1999 - B 2 U 36/98 R - zur Veröffentlichung vorgesehen). Eine Gestaltung, bei der ein berufliches Risiko in Kauf genommen werden müßte, liegt hier jedoch nicht vor, weil die Belastungssituation „Betreuung von Kindern in Großgruppen” nur in vergleichsweise wenigen Berufen auftreten kann.
Der Einwand der Revision, die Klägerin habe das Maßnahmeziel mit Erfolg erreicht und sei auch in dem Beruf der Heilpädagogin erfolgreich und gesundheitlich unbeschadet tätig, führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Denn damit wird die umfassende Zielsetzung des Rehabilitationsrechts nicht erfaßt. Dieser Zielsetzung wird nicht schon dadurch genügt, daß der Behinderte infolge der geförderten Bildungsmaßnahme eine gesundheitsverträgliche Beschäftigung findet und ausübt. Allein die Ausübung einer Beschäftigung im geförderten Beruf besagt nicht, daß der Behinderte auf der Grundlage des erlernten Berufes dauerhaft und in ausreichendem Maße auf dem Arbeitsmarkt wettbewerbsfähig ist. Denn der Behinderte muß gegenüber anderen Bewerbern auf dem Arbeitsmarkt eine Einschränkung bei der Auswahl der in Betracht kommenden Stellen insoweit hinnehmen, als die Tätigkeit nach ihrer konkreten Gestaltung eine erneute gesundheitliche Beeinträchtigung herbeiführen würde.
Die geschilderten Anforderungen an die Eignung von beruflichen Rehabilitationsmaßnahmen führen entgegen der Auffassung der Revision nicht zu einer übermäßigen Einschränkung der verfassungsrechtlich zugesicherten Berufsfreiheit. Insoweit ist darauf hinzuweisen, daß ein Behinderter Ansprüche auf Förderungsleistungen der beruflichen Rehabilitation nur im gesetzlichen Umfang erwirbt und er sich nicht zur Erweiterung dieser Ansprüche auf das Grundrecht des Art 12 GG berufen kann, denn dieses Grundrecht schützt die Berufsfreiheit gegenüber staatlichen Eingriffen und begründet allein keine Leistungsansprüche (BSGE 69, 128, 130 = SozR 3-4100 § 56 Nr 3). Zu den Voraussetzungen für berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation gehört die Eignung der Maßnahme zur Erreichung des angestrebten Ziels. Die besondere Bedeutung des Berufswunsches bei der Auswahl der Maßnahme kommt deshalb von vornherein nur zum Tragen, wenn der Behinderte einen die Eingliederung gewährleistenden Beruf wählt, für den er uneingeschränkt geeignet ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
AuA 2000, 385 |
SGb 2000, 414 |
br 2001, 151 |
SozSi 2001, 319 |