Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 14. November 1972 aufgehoben; der Rechtsstreit wird zur erneuten Vorhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf die Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit nach § 46 des Reichsknappschaftsgesetzes (EKG) hat.
Der im Jahre 1923 geborene Kläger, der die mehr als zehn Jahre lang ausgeübte Tätigkeit als angestellter Fahrhauer in einem knappschaftlichen Betrieb am 30. Juni 1970 aus gesundheitlichen Gründen aufgeben mußte, beantragte am 16. Dezember 1969 die Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit. Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 11. November 1970 ab, weil der Kläger nach den eingeholten medizinischen Gutachten als technischer Angestellter über Tage noch einige Verweisungstätigkeiten verrichten könne und daher weder vermindert bergmännisch berufsfähig noch berufsunfähig oder erwerbsunfähig sei. Der Widerspruch des Klägers hatte keinen Erfolg.
Nachdem das Sozialgericht (SG) ein weiteres medizinisches Gutachten eingeholt hatte, erklärte sich die Beklagte im Termin vom 27. April 1972 in einem Teilvergleich bereit, dem Kläger Bergmannsrente für die Zeit vom 1. Juni 1971 an zu gewähren. Das SG hat die Beklagte mit Urteil vom 27. April 1972 unter Aufhebung der Bescheide vom 11. November 1970 und 14. Juni 1971 vorurteilt, dem Kläger Rente wegen Berufsunfähigkeit von der Antragsstellung an nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten mit Urteil vom 14. November 1972 zurückgewiesen. Es hat angenommen, der Kläger sei aus gesundheitlichen Gründen nur noch in der Lage, leichte Büroarbeiten in witterungsgeschützter, staubarmer und von chemischen Ausdünstungen freier Umgebung zu verrichten. Deshalb scheide die Tätigkeit eines Platz- oder Holzmeisters in Übertagebetrieb aus. Auf die Tätigkeit eines Wiegemeisters könne der Kläger nicht verwiesen werden, weil bereits in Jahre 1966 bei weiter anhaltend sinkender Tendenz in Bereich des Unternehmensverbandes Ruhrbergbau insgesamt nur noch 41 Arbeitsplätze vorhanden gewesen seien. Die tariflich nicht erfaßten Tätigkeiten – etwa in der Staubkarteiführung, in der Arbeiterannahme, in Fehlschichtenbüro, im Büro des Sicherheitsbeauftragten, in der Wohnungsverwaltung oder in der Hebestelle (Wirtschaftsbüro) – kämen für eine Verweisung nicht in Betracht, denn derartige Arbeitsplätze ständen ehemaligen Aufsichtspersonen praktisch allenfalls nur im eigenen Beschäftigungsbetrieb und auch nur unter dem Gesichtspunkt betrieblicher Fürsorge zur Verfügung. Auf diese Tätigkeiten könne daher ein Fahrhauer nur verwiesen werden, wenn er einen entsprechenden Arbeitsplatz innehabe. Das gelte insbesondere dann, wenn er – wie der Kläger – zuletzt bei einer Unternehmerfirma beschäftigt gewesen sei. Tätigkeiten eines technischen Angestellten der Gruppe 2 über Tage, zu deren Verrichtung die Kenntnisse und Fertigkeiten des Klägers ausreichten, könne er aus gesundheitlichen Gründen nicht verrichten. Zu den übrigen Tätigkeiten fehle ihm die erforderliche Berufsausbildung. Im übrigen handele es sich auch nicht um leichte Büroarbeit, wie sie dem Kläger gesundheitlich allein noch zumutbar sei. Die Tätigkeiten eines technischen Angestellten der Gehaltsgruppe 1 über Tage könne der Kläger zwar noch verrichten. Eine Verweisung auf diese Tätigkeiten verbiete sich jedoch schon in der geringen Zahl vorhandener Arbeitsplätze, die im Bereich des Ruhrbergbaus im Januar 1972 nur noch 40 betragen habe.
Im übrigen seien diese einfachen und vorwiegend mechanischen Tätigkeiten, die sich nicht aus dem Kreis der ungelernten Tätigkeiten herausheben, einem Fahrhauer sozial nicht zumutbar. Das gelte auch für die Tätigkeiten eines kaufmännischen Angestellten der Gehaltsgruppe 1. Für die Ausübung der Tätigkeit eines kaufmännischen Angestellten der Gruppe 2 fehlten dem Kläger die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten. Da der Kläger allenfalls Kenntnisse und Fähigkeiten besitze, die ihn zur Verrichtung einfacher, ihm im Rahmen des § 46 Abs. 2 RKG wegen des damit verbundenen sozialen Abstiegs nicht zumutbarer Angestelltentätigkeiten befähigten, biete sich auch keine Möglichkeit, ihn auf Angestelltentätigkeiten außerhalb des Bergbaus zu verweisen. Der Kläger sei daher berufsunfähig.
Die Beklagte hat dieses Urteil mit der – vom LSG zugelassenen – Revision angefochten. Sie ist der Ansicht, der Kläger könne noch auf die Tätigkeiten der Gruppe K 2 des Manteltarifvertrages für die Angestellten des rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbaus verwiesen werden. Insbesondere habe er sich als Fahrhauer solche Kenntnisse und Fähigkeiten angeeignet, die ihn in die Lage versetzten, in der Schichtenzettelkontrolle zu arbeiten sowie im Büro des Sicherheits- oder des Staubbeauftragten statistische Arbeiten zu verrichten und bei der Überwachung der eingesetzten und in Reserve befindlichen Maschinen als Karteiführer mitzuwirken. Solche Tätigkeiten, die einem Fahrhauer sozial zumutbar seien, gebe es in ausreichender Anzahl.
Die Beklagte beantragt,
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil im Ergebnis und in der Begründung für richtig und ist der Ansicht, die Revision der Beklagten sei unbegründet.
II
Die zulässige Revision der Beklagten hat insofern Erfolg, als das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen wird. Die festgestellten Tatsachen reichen zur abschließenden Entscheidung nicht aus, denn sie ermöglichen nicht die Beurteilung, ob der Kläger berufsunfähig ist.
Nach § 46 Abs. 2 RKG kann ein Versicherter nur auf solche Tätigkeiten verwiesen werden, die er gesundheitlich zu verrichten in der Lage ist und zu deren Ausübung er die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten mitbringt. Nach den von der Beklagten nicht angegriffenen Tatsachenfeststellungen des LSG, an die der Senat nach § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gebunden ist, kann der Kläger aus gesundheitlichen Gründen nur noch leichte Büroarbeiten in witterungsgeschützter, staubarmer und von chemischen Ausdünstungen freier Umgebung verrichten.
Deshalb hat das LSG es mit Recht abgelehnt, den Kläger auf die seinen Kenntnissen und Fähigkeiten entsprechenden Aufsichtstätigkeiten von Arbeiten im Bereich des Platzbetriebes oder für das Weitergeben von Grubenholzbestellungen, das Übernehmen und Weiterleiten von Grubenholz nach über Tage oder auf Arbeiten in einem Laboratorium zu verweisen. Insbesondere scheidet daher die Tätigkeit eines Vorarbeiters oder Aufsehers im bergbaulichen Übertagebetrieb, als Hängebank- oder Brückenaufseher, als Platz- oder Holzmeister für eine Verweisung aus. Wegen der beim Kläger nicht vorhandenen Kenntnisse und Fähigkeiten kann er auch nicht auf die Arbeiten der Gruppe 3 (43) der kaufmännischen Angestellten nach der Anlage A zum Manteltarifvertrag für die Angestellten des rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbaus in der ab 1. Februar 1967 gemäß Tarifvertrag vom 20. Januar 1967 geltenden Fassung verwiesen werden (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 28. Februar 1974 – 5 RKn 38/72 –). In diesem und in einem weiteren Urteil vom 27. März 1974 (5 RKn 27/73) hat der Senat auch entschieden, daß einem ehemaligen Fahrhauer die Arbeiten der Gruppe 1 (41) der kaufmännischen Angestellten sozial nicht zumutbar sind. Zu dieser Gruppe zählen Bürohilfskräfte, die überwiegend schematische Arbeiten verrichten, für die eine kaufmännische Berufsausbildung nicht erforderlich ist, wie z. B. einfache Abschreibearbeiten oder Abheften von Schriftgut. Es handelt sich hiernach um Tätigkeiten, deren Wert in einem bergbaulichen Betrieb deutlich geringer ist als derjenige eines Fahrhauers, also eines technischen Mitarbeiters, der aus dem Beruf des Hauers hervorgegangen ist und diesen infolge zusätzlich erworbener Kenntnisse und Fähigkeiten in der betrieblichen Bedeutung überragt.
Zumutbar sind einem Fahrhauer dagegen, wie auch das LSG anzunehmen scheint, die Arbeiten eines kaufmännischen Angestellten der Gruppe 2 (42 des Manteltarifvertrages). In diese Gruppe sind tariflich die Angestellten eingeordnet, die gleichförmig wiederkehrende Büroarbeiten verrichten, welche Kenntnisse und Fähigkeiten erfordern, wie sie im allgemeinen durch eine Ausbildung als Anlernling in einem anerkannten kaufmännischen Anlernberuf vermittelt werden. Nach der ausdrücklichen Bestimmung in der Anlage A des Manteltarifvertrages können diese Kenntnisse auch durch eine andere gleichwertige Ausbildung von in der Regel mindestens drei Jahren erworben sein. Dauer und Umfang der für einen Angestellten dieser Gruppe erforderlichen Berufsausbildung bzw. langjährigen Berufserfahrung belegen, daß es sich um Arbeiten handelt, die in ihrer Bedeutung für den Betrieb immerhin so erhebliches Gewicht haben, daß sie einem aus dem Hauerberuf zum Fahrhauer aufgestiegenen Bergmann ohne wesentliche Beeinträchtigung der erreichten sozialen Stellung zugemutet werden können. Allerdings kommen für den Kläger, der gesundheitlich zur Verrichtung solcher Tätigkeiten imstande ist, nur solche Arbeiten infrage, für die er die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten mitbringt. Das trifft insbesondere auf die unter diese Gruppe fallenden Tätigkeiten im Sicherheitsbüro, in der Dienststelle des Staubbeauftragten, in der Schichtenzettelkontrolle, im Fehlschichtenbüro, in Maschinen- und Materialbestellwesen sowie in der Maschinenkartei zu. Diese Tätigkeiten können im allgemeinen nur Angestellte verrichten, die gründliche Kenntnisse und Erfahrungen über Arbeitsbedingungen und Arbeitsablauf in einem bergbaulichen Betrieb haben. Solche Kenntnisse wird ein Fahrhauer in der Regel aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit in ausreichendem Maße gewonnen haben. Andererseits erfordern die genannten Tätigkeiten keine ausgeprägten kaufmännischen Kenntnisse und Fähigkeiten. Das LSG meint allerdings, auf diese zumutbaren Tätigkeiten könne der Kläger gleichwohl nur vorwiesen werden, wenn er einen solchen Arbeitsplatz tatsächlich innehabe. Diese Auffassung begründet das LSG damit, daß nach den Ergebnissen der von ihm in anderen Rechtsstreiten erhobenen Beweise derartige Arbeitsplätze nur praktisch ehemaligen Aufsichtspersonen „in eigenen Betrieb” unter dem Gesichtspunkt betrieblicher Fürsorge zur Verfügung ständen. Es trifft zu, daß nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. Sozialrecht Nr. 22 zu § 46 RKG) Arbeitsplätze, die speziell zu dem Zweck geschaffen worden sind, Angehörige des eigenen Unternehmens unterzubringen, die für ihren eigentlichen Beruf untauglich geworden sind, für eine „hypothetische und generelle Verweisung” im Rahmen des § 46 RKG auszuscheiden haben, weil sie dem Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt nicht zugänglich sind. Entgegen der Annahme des LSG handelt es sich bei den genannten Tätigkeiten nicht um zum Zwecke der Unterbringung untauglicher Betriebsangehöriger eigens geschaffene Arbeitsplätze, sondern um in einem bergbaulichen Betrieb notwendig anfallende vollwertige Bürotätigkeiten. Eine Verweisung auf sie ist daher sehr wohl möglich (vgl. auch Urteil des erkennenden Senats vom 28. Februar 1974 – 5 RKn 38/72 –). Es kann auch nicht gebilligt werden, daß das LSG für den Kläger zwar eine Vielzahl verschiedenartiger Tätigkeiten vom Staubkarteiführer bis zum Wiegemeister für zumutbar hält, jedoch nahezu jede einzelne dieser Tätigkeiten aus dem Verweisungsfeld mit der Begründung ausscheidet, sie sei nicht in nennenswerter Zahl vorhanden. Ob Arbeitsplätze in praktisch nicht nur bedeutungsloser Zahl zur Verfügung stehen, kann naturgemäß nur unter Berücksichtigung aller dem Kläger zumutbaren Tätigkeiten entschieden werden, wobei die gegebenenfalls nur geringe Zahl der für die infrage stehenden Tätigkeiten befähigten Interessenten nicht unberücksichtigt bleiben darf.
Bei der Frage, in welcher Anzahl zumutbare Arbeiten zur Verfügung stehen, können auch die Tätigkeiten eines technischen Angestellten der Gruppe 1 (11) der Anlage A zum Manteltarifvortrag nicht außer Betracht bleiben. Nach den Feststellungen des LSG reichen sowohl die gesundheitlichen Fähigkeiten als auch die Kenntnisse und Fertigkeiten des Klägers aus, um solche Tätigkeiten zu verrichten. Es kann – entgegen der Ansicht des LSG – nicht ohne nähere Prüfung davon ausgegangen werden, daß diese Tätigkeiten für einen ehemaligen Fahrhauer sozial unzumutbar sind. Es ist zwar richtig, daß nach der knappen Tätigkeitsbeschreibung im Manteltarifvertrag zur Ausübung einer solchen Arbeit „im allgemeinen” keine besondere berufliche Ausbildung erforderlich ist. Abgesehen davon, daß die Bedeutung des Berufs im Betrieb nicht nur von der Ausbildung abhängt, ist nicht zu übersehen, daß jedenfalls einzelne dieser Tätigkeiten immerhin eine Anlernung voraussetzen können, also möglicherweise Kenntnisse und Fertigkeiten verlangen, wie sie ein Fahrhauer aufgrund seiner Berufsausübung erworben haben mag. Hinzu kommt die tariflich relativ hohe Einstufung dieser Tätigkeiten; sie werden z. B. vom 1. August 1973 an mit einem Mindestendgehalt von dem vollendeten 18. Lebensjahr an von 1.308,– DM entlohnt, also mit einem Gehalt, das deutlich höher liegt als das eines kaufmännischen Angestellten in einem anerkannten kaufmännischen Anlernberuf nach der Gruppe 2 (42) der Anlage A des Manteltarifvertrages (Mindestendgehalt 1.265,– LM). Die tarifliche Einstufung deutet daher möglicherweise auf ein erhebliches betriebliches Gewicht zumindest einzelner dieser Tätigkeiten hin. Es kann daher nicht genügen, die Unzumutbarkeit dieser Arbeiten auf die knappen Anhaltspunkte zu stützen, mit der in der Anlage A des Manteltarifvertrages das Tätigkeitsfeld dieser Angestellten umrissen wird.
Was die rechtlich mögliche Verweisung des Klägers auf Tätigkeiten außerhalb des Bergbaus betrifft, so reichen die Feststellungen des LSG ebenfalls nicht aus, um eine abschließende Entscheidung zu treffen. Da es an einer Feststellung fehlt, welche Tätigkeiten außerhalb des Bergbaus der Kläger gesundheitlich und von den Kenntnissen und Fertigkeiten her verrichten kann, läßt sich auch die Frage nicht beurteilen, ob die infrage kommenden Arbeiten mit einem unzumutbaren sozialen Abstieg verbunden sind oder nicht.
Da der erkennende Senat die fehlenden Feststellungen nicht nachholen kann, hat er das angefochtene Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen. Die Entscheidung über die Erstattung außergerichtlicher Kosten bleibt der abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Unterschriften
Schröder, Rauscher, May
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 18.07.1974 durch Schuppelius Reg.-Hauptsekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen