Leitsatz (amtlich)

Konnte die geschiedene Ehefrau eines Versicherten während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes vor dessen Tode ihren angemessenen Unterhalt aus der Grund- und Ausgleichsrente nach dem BVG bestreiten, so hatte sie keinen Unterhaltsanspruch nach dem EheG, so daß ihr die Rente nach RVO § 1265 S 1 nicht zusteht.

 

Normenkette

RVO § 1265 S. 1 Alt. 1 Fassung: 1957-02-23; EheG § 58 Abs. 1 Fassung: 1946-02-20

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 29. Januar 1974 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin aus der Versicherung ihres geschiedenen Ehemannes eine Hinterbliebenenrente nach § 1265 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zusteht.

Die Ehe der Klägerin mit dem Versicherten Werner S wurde mit Urteil des Oberlandesgerichts Hamm vom 16. August 1946 aus dem Verschulden des Versicherten rechtskräftig geschieden. Der Versicherte war während dieser Ehe als Angestellter, und zwar zuletzt vor der Scheidung als Dolmetscher bei der französischen Besatzungsmacht beschäftigt. Er heiratete am 4. Januar 1947 die Beigeladene. Die Klägerin hat nicht wiedergeheiratet. Der Versicherte ist am 25. April 1969 gestorben.

Der Versicherte bezog seit dem 1. Februar 1968 die Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit, die zuletzt 684,70 DM betrug. Die Klägerin bezog im Zeitpunkt des Todes des Versicherten wegen einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 80 v.H. eine Versorgungsgrundrente von monatlich 200,- DM, eine Ausgleichsrente von ebenfalls 200,- DM, ein Wohngeld von monatlich 29,- DM und einen Zuschuß des Sozialamtes von monatlich 44,25 DM. Die Beklagte gewährte der Beigeladenen mit Bescheid vom 9. Juli 1969 die Witwenrente für die Zeit vom 1. Mai 1969 an.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 28. Juni 1971 den Antrag der Klägerin vom 9. Dezember 1970 auf Gewährung einer Hinterbliebenenrente ab, weil die Voraussetzungen des § 1265 RVO nicht vorlägen.

Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 18. Januar 1973 die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 29. Januar 1974 die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Das LSG ist davon ausgegangen, daß der Versicherte der Klägerin weder tatsächlich Unterhalt geleistet habe noch aus einem Unterhaltstitel oder aus einem sonstigen Grunde zur Unterhaltsleistung verpflichtet gewesen sei. Auch nach dem Ehegesetz (EheG) habe ein Unterhaltsanspruch der Klägerin nicht bestanden. Der nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessene Unterhaltsbedarf der Klägerin habe etwa 300,- bis 350,- DM monatlich betragen. Diesen Lebensbedarf habe die Klägerin durch die Versorgungsrente von insgesamt monatlich 400,- DM sicherstellen können. Wenn auch nach § 138 Abs. 1 Nr. 5 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) und § 76 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) Grundrenten nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) nicht als Einkommen anzurechnen seien, so könne die Grundrente doch für die Befriedigung des Unterhaltsbedarfs nicht unberücksichtigt bleiben.

Die Klägerin hat dieses Urteil mit der - vom LSG zugelassenen - Revision angefochten. Sie ist der Ansicht, ihr stehe nach § 1265 RVO eine Hinterbliebenenrente zu, denn sie habe zur Zeit des Todes des Versicherten gegen diesen einen Unterhaltsanspruch nach dem EheG gehabt. Bei der Frage ob der Unterhaltsbedarf durch eigenes Einkommen gedeckt sei, müsse die vom Versorgungsamt gezahlte Grundrente unberücksichtigt bleiben. Diese Grundrente sei nicht zur Sicherung des allgemeinen Lebensunterhalts bestimmt, sondern diene dem Ersatz von Mehraufwendungen, die ein Beschädigter im allgemeinen habe, und dem Ausgleich immaterieller Schäden, zu denen auch die Beeinträchtigung des allgemeinen Lebensgefühls zähle. Es verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 des Grundgesetzes (GG), wenn man bei der Anwendung des § 1265 RVO im Gegensatz zu § 138 Abs. 3 Nr. 5 AFG und § 76 BSHG die Grundrente anrechne. Ohne Berücksichtigung der Grundrente sei der Unterhaltsbedarf durch das übrige eigene Einkommen nicht gedeckt gewesen, so daß die Klägerin gegen ihren früheren Ehemann einen Unterhaltsanspruch nach dem EheG gehabt habe.

Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung der Urteile des Sozialgerichts Dortmund vom 18. Januar 1973 und des Berufungsgerichts sowie in Abänderung des angefochtenen Bescheides vom 28. Juni 1971 die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres geschiedenen Ehemannes zu gewähren;

hilfsweise, die Sache unter Aufhebung des Berufungsurteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis und in der Begründung für richtig und ist der Ansicht, die Revision der Klägerin sei unbegründet. Zusätzlich trägt sie noch vor, die Klägerin habe selbst dann keinen Unterhaltsanspruch nach dem EheG gegen ihren geschiedenen Ehemann gehabt, wenn man die Grundrente unberücksichtigt lasse und davon ausgehe, daß sie als Einkommen lediglich eine Ausgleichsrente in Höhe von 200,- DM monatlich gehabt habe. Auch dieser Betrag habe ausgereicht, um ihren angemessenen Unterhalt zu bestreiten.

Die Beigeladene ist im Revisionsverfahren nicht von einem beim Bundessozialgericht (BSG) nach § 166 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zugelassenen Prozeßbevollmächtigten vertreten.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Klägerin hat keinen Erfolg. Das LSG hat mit Recht die Berufung der Klägerin gegen das die Klage abweisende Urteil des SG zurückgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine Rente aus der Versicherung ihres geschiedenen Ehemannes nach § 1265 RVO.

Nach § 1265 Abs. 1 Satz 1 RVO wird einer geschiedenen Ehefrau des Versicherten nach dessen Tode nur dann Rente gewährt, wenn ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des EheG oder aus sonstigen Gründen zu leisten hatte oder wenn er im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat. Nach den unangefochtenen und damit für den Senat gemäß § 163 SGG bindenden Feststellungen des LSG hat der Versicherte im letzten Jahr vor seinem Tode der Klägerin keinen Unterhalt geleistet; es hat auch kein Unterhaltstitel oder ein sonstiger - vom EheG unabhängiger - Grund für eine Unterhaltsverpflichtung vorgelegen. In Betracht käme daher allenfalls eine Unterhaltsverpflichtung nach § 58 EheG.

Nach dieser Vorschrift muß der schuldig geschiedene Ehemann den nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Unterhalt gewähren, soweit die Einkünfte aus dem Vermögen der Frau und die Erträgnisse einer Erwerbstätigkeit nicht ausreichen. Unterhaltsberechtigt ist also nur, wer unterhaltsbedürftig ist, d.h. wer außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Dieser allgemeine Grundsatz im Unterhaltsrecht gilt auch für das Verhältnis der geschiedenen Ehegatten zueinander (vgl. Brühl, Unterhaltsrecht, 1. Teil, 3. Aufl. 1973, Randziffer 521 S. 342). Die Beantwortung der Frage, ob die Einkünfte der geschiedenen Ehefrau zur Deckung des angemessenen Unterhalts ausreichen, setzt voraus, daß zunächst die Höhe des angemessenen Unterhalts festgestellt wird.

Dabei sind - wie aus § 58 Abs. 1 des EheG hervorgeht - die Lebensverhältnisse der Ehegatten zur Zeit der Scheidung bestimmend. Es sind danach die gemeinsamen Lebensverhältnisse während der bestehenden Ehe zu berücksichtigen, die sich aus den Einkommensverhältnissen und der gesellschaftlichen Stellung beider Ehegatten ergeben. Da der Versicherte während bestehender Ehe mittlerer kaufmännischer Angestellter und die Klägerin nicht berufstätig war, so ergibt sich unter Berücksichtigung der seit der Scheidung eingetretenen Veränderungen der allgemeinen Preis- und Lohnverhältnisse ein auf die Zeit des Todes des Versicherten projizierter ehelicher Lebensstandard, der von einem monatlichen Einkommen von höchstens 800,- DM bestimmt worden wäre. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG beträgt der angemessene Unterhalt der geschiedenen Frau 1/3 bis 3/7 des Gesamtnettoeinkommens (vgl. Sozialrecht Nr. 64 zu § 1265 RVO und die dort zitierten Entscheidungen). Der angemessene Unterhalt der Klägerin wäre also im Jahre 1969 auch dann nicht höher als monatlich 400,- DM gewesen, wenn man mit Rücksicht auf den durch ihre Kriegsbeschädigung möglicherweise bedingten Mehrbedarf von der oberen Grenze des durch die Rechtsprechung gesetzten Rahmens von 1/3 bis 3/7 ausginge. Von der Klägerin wird auch nicht in Zweifel gezogen, daß ihr Lebensbedarf mit 400,- DM monatlich ausreichend bemessen gewesen wäre.

Dieser angemessene Unterhalt der Klägerin war durch die vom Versorgungsamt gezahlte Ausgleichsrente und die Grundrente in Höhe von insgesamt 400,- DM monatlich voll gedeckt. Entgegen der Ansicht der Klägerin kann die Grundrente bei der Frage nicht unberücksichtigt bleiben, ob der angemessene Unterhaltsbedarf der geschiedenen Ehefrau durch eigenes Einkommen gesichert ist. Es ist zwar richtig, daß die Grundrente nicht dem Zweck dient, den normalen Unterhaltsbedarf des Beschädigten zu decken. Die Grundrente stellt die Entschädigung für Beeinträchtigung der körperlichen Integrität dar und soll die Mehraufwendungen ausgleichen, die der Beschädigte infolge der Schädigung gegenüber einem gesunden Menschen hat (vgl. Bundestagsdrucksache I/1333, Begründung zum Entwurf des BVG allgemeiner Teil III und zu den §§ 28 bis 33 sowie Bundesratsdrucksache 192/59, Begründung zum 1. Kriegsopferversorgungsneuregelungsgesetz - KOVNG - unter A 1 zu Art. I). Unabhängig von dieser Zweckbestimmung der Grundrente kann jedoch nicht unberücksichtigt bleiben, daß dem Beschädigten auch die Grundrente zur Deckung seines Lebensbedarfs zur Verfügung steht. Ob der Beschädigte im Einzelfall schädigungsbedingte Mehraufwendungen hat oder nicht, ist bei der Bemessung des angemessenen Lebensbedarfs zu berücksichtigen. Das ändert aber nichts daran, daß auch die Grundrente geeignet ist, diesen - möglicherweise erhöhten - Lebensbedarf zu decken. Das wird auch durch die Vorschriften des § 138 Abs. 3 Nr. 5 AFG, § 76 BSHG nicht ausgeschlossen, die für bestimmte Zwecke die Anrechnung der Grundrente ausschließen. Diese Vorschriften behandeln die Frage, ob die gegenwärtige Grundrente einer von der Bedürftigkeit abhängigen Sozialleistung entgegensteht, und tragen dem in der zitierten Begründung zum 1. KOVNG zum Ausdruck gekommenen Ziel des Gesetzgebers Rechnung, daß die Grundrente von einer Gewährung einer anderen Sozialleistung unberührt bleibt; sie soll ohne Rücksicht auf sonstiges Einkommen gewährt und bei der Bemessung anderer Leistungen unberücksichtigt gelassen werden. Im Rahmen des § 1265 RVO handelt es sich aber hiervon abweichend um die bürgerlich-rechtliche Vorfrage, ob die frühere Grundrente Einfluß auf den in der Vergangenheit liegenden Unterhaltsanspruch hatte, nicht also um die Anrechnung der gegenwärtigen Grundrente auf die Hinterbliebenenrente. Deshalb wird durch die Berücksichtigung der Grundrente auch nicht der Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG verletzt. Zwar sind nicht alle Sozialleistungen, die dem Berechtigten gewährt werden, als Einkommen zu behandeln, das seine Bedürftigkeit verringert. Leistungen, die kraft Gesetzes der Unterhaltspflicht im Rang nachgehen und deren Erbringung den Übergang des Unterhaltsanspruchs auf den Leistungsträger bzw. den Staat zur Folge haben, sind von der Anrechnung ausgeschlossen (vgl. Brühl aaO. S. 351, Randziffer 539; Das Bürgerliche Gesetzbuch, Kommentar der Reichsgerichtsräte und Bundesrichter, 10. und 11. Aufl. 1968, IV. Band, 3. Teil, Anm. 42 zu § 58 EheG). Von diesen Ausnahmefällen abgesehen sind aber alle Einkünfte bei der Frage der Unterhaltsbedürftigkeit zu berücksichtigen, die geeignet sind, den Unterhalt zu befriedigen. Dabei ist unbeachtlich, welcher Art die Einkünfte sind und welche konkrete Zweckbestimmung die Leistung hat (vgl. Brühl aaO.). Auch das BSG hat bereits entschieden, daß Versorgungsrentenbezüge einschließlich der Grundrente zur Bestreitung des Lebensunterhalts dienen (vgl. SozR Nr. 10 zu § 1266 RVO). Ist danach die Grundrente geeignet, die Unterhaltsbedürfnisse zu befriedigen, so kann sie ungeachtet ihrer Zweckbestimmung bei der Frage nicht außer acht gelassen werden, ob die geschiedene Ehefrau den Unterhaltsbedarf aus ihren eigenen Einkünften befriedigen kann. Bei Berücksichtigung der Grund- und Ausgleichsrente in Höhe von monatlich 400,- DM stand der Klägerin ein ausreichendes Einkommen zur Verfügung, um den angemessenen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Sie hatte daher keinen Anspruch auf Unterhalt gegen ihren geschiedenen Ehemann nach dem EheG.

Die Anwendung des § 1265 Abs. 1 Satz 2 RVO scheidet im vorliegenden Fall schon deshalb aus, weil eine Witwenrente zu zahlen ist.

Der Senat hat die danach unbegründete Revision der Klägerin zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1646511

BSGE, 225

Dieser Inhalt ist unter anderem im SGB Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?