Entscheidungsstichwort (Thema)

Prognose nicht entscheidend. Witwerrente. überwiegender Familienunterhalt

 

Leitsatz (redaktionell)

Wegen der Unterhaltsersatzfunktion stellt es RVO § 1266 - ähnlich wie RVO § 1265 - auf die letzte dauerhafte Unterhaltssituation vor dem Tode des Versicherten ab, weil der Gesetzgeber davon ausgeht, daß diese Unterhaltsleistung ohne den Tod des Versicherten fortbestanden hätte. Dabei kommt es nicht auf eine in die Zukunft gerichtete Prognose an, sondern lediglich auf die Feststellung des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes, dessen Fortbestehen der Gesetzgeber vermutet. Selbst wenn sich im Einzelfall die Unterhaltslage des Witwers durch den Tod der Ehefrau nicht verschlechtert, führt das zu keiner Versagung der Witwerrente, wenn die verstorbene Ehefrau vorher den Unterhalt der Familie überwiegend bestritten hat.

 

Orientierungssatz

Ein Ehrensold rechnet zwar zu den Unterhaltsleistungen im bürgerlich-rechtlichen Sinne, da OrdenG § 11 nur im Verhältnis von öffentlich-rechtlichen Leistungen anwendbar ist. Ist jedoch die Gewährung einer öffentlich-rechtlichen Leistung, die Witwerrente, davon abhängig, ob der Ehrensold im Rahmen des RVO § 1266 als zum Unterhalt gehörend anzurechnen ist, muß nach dem Sinn und Zweck des OrdenG § 11 Abs 3 der Ehrensold unberücksichtigt bleiben, weil anderenfalls - was diese Vorschrift vermeiden will - der Erfolg eintreten würde, daß der von der öffentlichen Hand gewährte Ehrensold im Ergebnis praktisch durch Wegfall einer anderen öffentlich-rechtlichen Leistung entfallen würde, was durch diese Vorschrift letztlich verhindert werden soll.

 

Normenkette

RVO § 1266 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; OrdenG § 11 Abs. 3

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 09.02.1976; Aktenzeichen L 9 J 904/75-3)

SG Heilbronn (Entscheidung vom 03.06.1975; Aktenzeichen S 10 J 1591/72)

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 9. Februar 1976 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob dem im Jahre 1894 geborenen Kläger nach seiner am 9. Februar 1972 verstorbenen Ehefrau ab 1. März 1972 eine Witwerrente zusteht.

Der Kläger und seine Ehefrau hatten ihre Landwirtschaft ihrem Sohn übergeben. Aufgrund des Übergabevertrages vom 20. Mai 1965 hatte der Sohn ihnen freie Kost und Unterkunft und ein Taschengeld in Höhe von 100,- DM monatlich zu gewähren. Der Kläger bezog vor dem Tode seiner Ehefrau ein Altersgeld für Landwirte in Höhe von 175,- DM und erhielt als Träger einer badischen Tapferkeitsauszeichnung aus dem 1. Weltkrieg einen monatlichen Ehrensold von 25,- DM. Die Ehefrau bezog vor ihrem Tode ein Altersruhegeld aus der Arbeiterrentenversicherung in Höhe von 191,10 DM.

Den Antrag auf Witwerrente vom 14. Februar 1972 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 26. Juni 1972 ab. Auf die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Heilbronn die Beklagte unter Aufhebung des angefochtenen Bescheids verurteilt, dem Kläger ab 1. März 1972 Witwerrente zu gewähren. Die dagegen eingelegte Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg mit Urteil vom 9. Februar 1976 zurückgewiesen. Das LSG ist der Ansicht, daß der Bezug des Ehrensoldes bei der Prüfung der Frage, wer den Unterhalt der aus dem Kläger und seiner Ehefrau bestehenden Familie überwiegend bestritten hat, unberücksichtigt bleiben müsse. Es sei davon auszugehen, daß die Eheleute die Rentenbezüge in Höhe von 376,10 DM (191,10 DM + 175,- DM) im wesentlichen für ihren sonstigen Familienunterhalt aufgewendet hätten. Wenn sie auch keine Miete zu zahlen und freie Verpflegung gehabt hätten, so könne unter Berücksichtigung des allgemeinen Lebensstandards und der heutigen Lebensbedürfnisse angenommen werden, daß das Ehepaar die niedrigen Altersrenten für den weiterreichenden Lebensbedarf aufgewendet haben. Einer Beweisaufnahme darüber, welche konkreten Beträge von jedem der Eheleute monatlich für den Familienunterhalt ausgegeben worden seien, bedürfe es bei den geringen Einkünften der Eheleute nicht. Es genüge, daß unter Berücksichtigung der Lebensbedürfnisse der Beteiligten Einkünfte dieser Größenordnung typischerweise für den Familienunterhalt verbraucht würden. Freie Kost und Unterkunft sei vom Sohn als Gegenleistung für die ihm aufgrund des Übergabevertrages übergebenen Vermögensobjekte gewährt worden. Hierbei handele es sich zwar um ein mittelbares, aber doch eigenes Unterhaltsaufkommen des Klägers und seiner Ehefrau, welches den Eheleuten zu gleichen Teilen zuzurechnen sei. Es könne dem Kläger auch dann nicht mit einer höheren Quote zugerechnet werden, wenn der Wert seiner übergebenen Vermögensobjekte (möglicherweise) größer als der Wert der Objekte seiner Ehefrau gewesen sei, denn die den Unterhalt vermittelnden früheren Rechtsgeschäfte könnten zu keiner genau entsprechenden Richtschnur für die Beurteilung des quotenmäßigen Unterhaltsanteils gemacht werden. Selbst wenn man dem aber nicht beipflichten würde, könne das im vorliegenden Falle zu keinem anderen Ergebnis führen, denn die Ehefrau des Klägers habe seit der Eheschließung im Jahre 1920 ihre Arbeitskraft in das Familienunternehmen gesteckt. Der Wert von freier Kost und Unterkunft könne daher nicht überwiegend als Unterhaltsleistung des Ehemannes angesehen werden. Da das Renteneinkommen der Ehefrau größer als das des Ehemannes gewesen sei, habe diese den Unterhalt der Familie überwiegend bestritten, so daß der Anspruch auf Witwerrente gegeben sei. Gegen das Urteil hat das LSG die Revision zugelassen.

Mit der Revision trägt die Beklagte vor, es könne nicht davon ausgegangen werden, daß das Unterhaltsaufkommen in bezug auf Kost, Unterhalt und Taschengeld von 100,- DM den Eheleuten zu gleichen Teilen zuzurechnen sei. Der Wert, der den Eheleuten vor dem Tode der Ehefrau zum Lebensunterhalt zur Verfügung stehenden Leistungen des Sohnes habe einschließlich des Taschengeldes 550,- DM betragen, für jeden Ehepartner also 225,- DM. Da das Taschengeld auch nach dem Tode der Ehefrau in voller Höhe von 100,- DM weitergezahlt werden müsse, stehe dem Kläger nach dem Tode der Ehefrau 275,- DM monatlich zur Verfügung. Die Unterhaltslage des Klägers habe sich somit durch den Tod seiner Ehefrau nicht verschlechtert. Mit dem Sinn und Zweck der in § 1266 Reichsversicherungsordnung (RVO) getroffenen Regelung sei es aber nicht zu vereinbaren, wenn neben der weiterlaufenden Nutzung aus einem dem Sohn übergebenen Vermögenswert auch noch Witwerrente zu zahlen wäre. Außerdem sei die Unterstellung des LSG zu berücksichtigen, daß der Wert der vom Kläger an den Sohn übertragenen Vermögenswerte (möglicherweise) größer als der von der Ehefrau übertragenen Objekte gewesen sei. Werterhaltende Arbeiten an diesen Objekten seien während der Ehe von beiden Ehepartnern geleistet worden. Deshalb hätte das LSG dies nicht nur bei der verstorbenen Ehefrau berücksichtigen dürfen. Außerdem sei zu erwägen, ob dem Kläger nicht folgerichtig sogar ein Anteil an der Rente der Frau zugerechnet werden müsse, weil diese zum Teil auf freiwilligen Beiträgen beruhe, die mindestens teilweise vom Kläger miterbracht worden seien.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 9. Februar 1976 und das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 3. Juni 1975 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger ist in dem Verfahren vor dem Bundessozialgericht (BSG) nicht vertreten.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet. Mit Recht haben die Vordergerichte dem Kläger eine Witwerrente zugesprochen.

Nach § 1266 Abs 1 RVO erhält ein Ehemann nach dem Tode seiner versicherten Ehefrau Witwerrente, wenn die Verstorbene den Unterhalt ihrer Familie überwiegend bestritten hat. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG ist der letzte wirtschaftliche Dauerzustand vor dem Tode der Ehefrau der Zeitraum, der für die Prüfung dieser Voraussetzung maßgebend ist (vgl zB SozR Nr 3 zu § 1266 RVO und das Urteil des erkennenden Senats vom 28. Juli 1977 - 5 RJ 18/76 -). Wegen der Unterhaltsersatzfunktion stellt es § 1266 RVO - ähnlich wie § 1265 RVO - auf die letzte dauerhafte Unterhaltssituation vor dem Tode des Versicherten ab, weil der Gesetzgeber davon ausgeht, daß diese Unterhaltsleistung ohne den Tod des Versicherten fortbestanden hätte. Dabei kommt es nicht auf eine in die Zukunft gerichtete Prognose an, sondern lediglich auf die Feststellung des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes, dessen Fortbestehen der Gesetzgeber vermutet. Selbst wenn sich im Einzelfall die Unterhaltslage des Witwers durch den Tod der Ehefrau nicht verschlechtert, führt das zu keiner Versagung der Witwerrente, wenn die verstorbene Ehefrau vorher den Unterhalt der Familie überwiegend bestritten hat.

Der Sohn der Eheleute hatte seinen Eltern als Gesamtberechtigten aufgrund des Übergabevertrages freie Wohnung, freie Verpflegung und ein Taschengeld von monatlich 100,- DM zu erbringen. Mit Recht ist das LSG davon ausgegangen, daß die den Eheleuten auf diese Weise zugekommenen Leistungen hinsichtlich der zum Unterhalt der aus Ehemann und Ehefrau bestehenden Familie als von den Eheleuten zu gleichen Teilen erbracht zu werten sind. Es kommt hierbei nicht darauf an, ob der Wert der vom Kläger an den Sohn übertragenen Vermögensobjekte größer war als der Wert der von der Ehefrau übertragenen Objekte oder nicht. Für die Frage, wer den Unterhalt der Familie überwiegend bestritten hat, ist in diesem Zusammenhang nur bedeutsam, daß die verstorbene Ehefrau die gleichen Ansprüche an den Sohn hatte wie der Ehemann. Deshalb kann im Hinblick auf die Leistung des Sohnes an die Eheleute nicht davon ausgegangen werden, daß hiervon auf den Ehemann ein größerer Anteil als auf die Ehefrau entfallen ist. Das gilt auch für das vom Sohn an die Eltern zu zahlende Taschengeld in Höhe von 100,- DM monatlich.

Auch bei dem von dem Kläger bezogenen Ehrensold in Höhe von 25,- DM monatlich muß davon ausgegangen werden, daß er zum Unterhalt der Familie mitverwendet worden ist, denn der Ehrensold kann bei der Verpflichtung zum Familienunterhalt nach den §§ 1360 und 1360 a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nicht unberücksichtigt bleiben. Die in § 11 Abs 3 des Gesetzes über Titel, Orden und Ehrenzeichen vom 26. Juli 1957 (OrdenG) getroffene Regelung, wonach der Ehrensold auf andere Bezüge nicht angerechnet wird und bei der Festsetzung von Unterstützungen jeder Art außer Ansatz bleibt, bezieht sich nur auf öffentlich-rechtliche Leistungen. Hinsichtlich dieser Leistungen ordnet allerdings § 11 Abs 3 OrdenG an, daß der Ehrensold generell für alle Bezüge und Unterstützungen jeder Art, also auch bei Kann-Leistungen, unberücksichtigt bleiben soll und geht damit über andere Regelungen (zB § 138 Abs 3 Arbeitsförderungsgesetz - AFG - und § 76 Bundessozialhilfegesetz - BSHG -) hinaus, wo eine Nichtberücksichtigung bestimmter Einkommensarten nur bei der Festsetzung einzelner öffentlich-rechtlicher Leistungen angeordnet worden ist. Bei der Erstreckung auf alle öffentlich-rechtliche Ansprüche und Unterstützungen jeder Art in § 11 Abs 3 OrdenG dürfte auch mitberücksichtigt worden sein, daß der Ehrensold nur 25,- DM monatlich beträgt. Im vorliegenden Fall ist die öffentlich-rechtliche Leistung der Witwerrente von einer bürgerlich-rechtlich zu beurteilenden Vorfrage (überwiegender Beitrag zum Familienunterhalt) abhängig gemacht worden, so daß der Ehrensold, wenn auch nur indirekt, ursächlich für die Minderung einer öffentlich-rechtlichen Leistung werden könnte, und zwar nicht nur ursächlich in dem Sinne, daß der Ehrensold auf die öffentlich-rechtliche Leistung anzurechnen wäre, sondern ursächlich in dem Sinne, daß die in der Regel das Vielfache des Ehrensoldes betragende Witwerrente ganz entfällt. Damit würde nicht nur der finanzielle Vorteil des Ehrensoldes entfallen, sondern er würde seinem Empfänger sogar noch finanzielle Nachteile bringen. Dieses Ergebnis läßt sich aber nach Ansicht des erkennenden Senats nicht mit dem Sinn und Zweck des § 11 Abs 3 OrdenG vereinbaren, denn wenn der Gesetzgeber schon die Anrechnung des Ehrensoldes bei öffentlich-rechtlichen Leistungen jeder Art vermeiden will, dann darf der Ehrensold noch viel weniger zum Wegfall anderer höherer öffentlich-rechtlicher Leistungen führen. Sonst würde ein Erfolg eintreten, der letztlich gerade durch § 11 Abs 3 OrdenG verhindert werden soll.

Wenn somit das LSG zu dem Ergebnis gekommen ist, daß die Ehefrau den Unterhalt der Familie überwiegend bestritten hat, weil ihr zum sonstigen Unterhalt der Familie verwendetes Renteneinkommen in Höhe von 191,10 DM höher als das ebenfalls zum sonstigen Unterhalt verwendete Renteneinkommen des Ehemannes in Höhe von 175,- DM war, so ist dieses Ergebnis nicht zu beanstanden. Ein Renteneinkommen ist immer von der Person zum Familienunterhalt als erbracht anzusehen, der den Anspruch auf diese Rente hatte. Erwägungen darüber, wer die Beiträge zur Rentenversicherung erbracht hat, sind in diesem Zusammenhang unerheblich.

Das LSG hat also zu Recht die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückgewiesen, so daß auch die Revision der Beklagten gegen das Urteil des LSG zurückgewiesen werden mußte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1651463

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