Leitsatz (amtlich)
Der Anspruch eines Unfallversicherungsträgers auf Erstattung einer zwecks Befriedigung des Ersatzanspruchs einer KK erbrachten Leistung unterliegt der Verjährung nach RVO § 29 Abs 3.
Leitsatz (redaktionell)
1. Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch des Unfallversicherungsträgers gegenüber der KK wegen der zu Unrecht erfüllten Ersatzforderung nach RVO § 1509 Abs 1 aF (RVO § 1504 Abs 1 nF) verjährt in 4 Jahren; die Verjährung beginnt mit dem Zeitpunkt der rechtsirrtümlichen Befriedigung des Ersatzanspruchs der KK.
Die Zahlungsaufforderungen, die ein Versicherungsträger gegenüber dem nach seiner Ansicht zahlungspflichtigen Versicherungsträger erhebt, unterbrechen die Verjährung nicht.
2. Stellt sich nachträglich heraus, daß kein Arbeitsunfall vorgelegen hat, so kann der Unfallversicherungsträger nach den Grundsätzen des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruches von der Krankenkasse die aufgrund des RVO § 1509 Abs 1 aF, (RVO § 1504 Abs 1 nF) geleisteten Zahlungen zurückfordern; Grundlage der Rückforderung sind weder RVO § 1509a noch die ungerechtfertigte Bereicherung.
Orientierungssatz
Fordert ein Unfallversicherungsträger von einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung die Rückgewähr einer zwecks Befriedigung eines Ersatzanspruchs erbrachten Leistung, die er in der rechtsirrtümlichen Annahme, daß die Voraussetzungen des RVO § 1509 Abs 1 aF erfüllt seien, getätigt hat, so hat die KK die Leistung der BG nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts ("öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch") zu erstatten.
Normenkette
RVO § 29 Abs. 3 Fassung: 1924-12-15, § 1504 Abs. 1 Fassung: 1963-04-30, § 1509 Abs. 1 Fassung: 1925-07-14, Abs. 3 Fassung: 1925-07-14, § 1509a; BGB § 812
Tenor
Die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 16. Mai 1967 und des Sozialgerichts Hannover vom 27. April 1965 werden aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Gründe
I
Der Rechtsstreit wird darum geführt, ob die Beklagte eine von der Klägerin erbrachte Ersatzleistung zu erstatten hat.
Die Beklagte zeigte mit Schreiben vom 19. Oktober 1956 der Klägerin an, daß ihr Versicherter F W infolge eines Arbeitsunfalls seit dem 13. Oktober 1956 behandlungsbedürftig und arbeitsunfähig sei. Das Unternehmen erstattete am 22. November 1956 Unfallanzeige. Die Klägerin ersetzte der Beklagten am 9. August 1957 für die von dieser in der Zeit vom 27. November bis 30. Dezember 1956 aufgewendeten Kosten für ambulante Behandlung und Krankengeld den Betrag von 220,- DM.
Als die Beklagte am Ende des Jahres 1958 an die Klägerin herantrat, weil ihr Versicherter ein Heilmittel benötige, kam die Klägerin aufgrund der von ihr eingeleiteten Ermittlungen zu dem Ergebnis, daß die im Jahre 1956 behandelte Erkrankung nicht die Folge eines Arbeitsunfalls sei. Dies wird von der Beklagten nicht in Abrede gestellt.
Mit Schreiben vom 22. Mai 1959 forderte die Klägerin die Beklagte auf, ihr den zu Unrecht überwiesenen Betrag von 220,- DM zu erstatten. In der Folgezeit kam es zwischen ihnen zu einem ausgedehnten Schriftwechsel. Die Beklagte ist der Ansicht, daß die Klägerin die nach § 1509 a Abs. 2 geltende Frist des § 1509 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung (in der bis zum Inkrafttreten des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes geltenden Fassung - RVO aF) nicht eingehalten habe und im übrigen der Anspruch nach § 29 Abs. 3 RVO verjährt sei.
Schließlich hat die Klägerin am 2. Juni 1962 beim Sozialgericht (SG) Hannover Klage erhoben. Das SG hat am 27. April 1965 die Beklagte verurteilt, den irrtümlich ersetzten Betrag von 220,- DM an die Klägerin zurückzuzahlen; die Berufung hat es zugelassen.
Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen hat durch Urteil vom 16. Mai 1967 die Berufung der Beklagten gegen die Entscheidung des Erstgerichts zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt:
Übereinstimmung bestehe zwischen den Beteiligten darin, daß die Erkrankung des Versicherten W nicht die Folge eines Arbeitsunfalls sei. Deshalb habe der Beklagten kein Anspruch auf Ersatz der ihrem Versicherten gewährten Leistungen gegen die Klägerin zugestanden. Die Klägerin habe somit an die Beklagte ohne Rechtsgrund geleistet. Ihr Anspruch auf Rückgewähr stütze sich allerdings nicht auf § 1509 a RVO aF, weil der Sachverhalt dieser Vorschrift nicht gegeben sei, sondern auf den für das bürgerliche Recht in den §§ 812 ff des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ausgesprochenen und im öffentlichen Recht auch ohne eine ausdrückliche Normierung anerkannten Grundsatz, daß Leistungen, die eines rechtlichen Grundes entbehrten, zu erstatten seien. Insoweit bestehe für die Klägerin nicht die - von ihr nicht eingehaltene - Anzeigefrist des § 1509 Abs. 3 RVO aF. Entgegen der Meinung der Beklagten komme ihr die Verjährungsvorschrift des § 29 Abs. 3 RVO nicht zugute, denn es handele sich nicht um einen Anspruch auf Leistungen im Sinne dieser Vorschrift und es liege auch kein Ersatzanspruch vor, welcher die Natur des Leistungsanspruchs des Versicherten teile. Für den im vorliegenden Fall erhobenen Anspruch auf Rückgewähr einer Ersatzleistung gelte vielmehr die allgemeine Verjährungsfrist von 30 Jahren.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt und es im wesentlichen wie folgt begründet:
Der Anspruch der Klägerin sei nach § 1509 a Abs. 2 i.V.m. § 1509 Abs. 3 RVO aF ausgeschlossen, denn unter dem Begriff: Aufwendungen und Leistungen im Sinne jener Vorschrift könne auch die Erstattung an einen Träger der Krankenversicherung verstanden werden. Überdies sei der Anspruch in entsprechender Anwendung des § 223 Abs. 1 RVO verjährt, denn es wäre sonst nicht verständlich, daß nach dieser Vorschrift eine Krankenkasse zwar ihrem Versicherten und - nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG 24, 260) - auch einer ersatzberechtigten Krankenkasse nach Ablauf von 2 Jahren die Einrede der Verjährung entgegenhalten könne, für ihren Ersatzanspruch gegenüber einem Träger der Unfallversicherung aber die 4-jährige Verjährungsvorschrift des § 29 Abs. 3 RVO gelten solle. Auf jeden Fall sei die allgemeine Verjährungsvorschrift des § 29 Abs. 3 RVO, welche sich nicht nur auf Leistungen der Versicherungsträger an Versicherte, sondern auch auf Ansprüche der Versicherungsträger untereinander beziehe, anzuwenden.
Die Klägerin hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beklagte beantragt,
die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
II
Die Revision ist begründet, da die Beklagte sich zu Recht auf die Verjährung des von der Klägerin erhobenen Anspruchs beruft.
Zutreffend ist das LSG allerdings davon ausgegangen, daß der Anspruch der Klägerin sich nicht auf § 1509 a RVO aF gründet, somit - entgegen der Ansicht der Beklagten - die nach Absatz 2 dieser Vorschrift geltende Ausschlußvorschrift des § 1509 Abs. 3 RVO aF dem Klagebegehren nicht entgegensteht. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Ersatzanspruch nach § 1509 a RVO aF, weil sie dem Versicherten keine Leistungen im Sinne dieser Vorschrift gewährt hat. Sie fordert vielmehr die Rückgewähr einer zwecks Befriedigung eines Ersatzanspruchs erbrachten Leistung, die sie - wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist - in der rechtsirrtümlichen Annahme, daß die Voraussetzungen des § 1509 Abs. 1 RVO aF erfüllt seien, getätigt hat. Der Erstattungsanspruch der Klägerin ist in der RVO, insbesondere in deren 5. Buch, allerdings nicht geregelt. Dies hat aber nicht zur Folge, daß es an einer Rechtsgrundlage für das Klagebegehren fehlt. Die Klägerin macht einen auf den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts beruhenden öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch geltend, für den die bürgerlich-rechtlichen Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung auch nicht sinngemäß als Regelung eines allgemeinen Rechtsgedankens gelten. Dieses Rechtsinstitut findet nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats auch im Recht der Sozialversicherung Anwendung (BSG 16, 151, 156 ff; 16, 222, 225; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Stand 15.8.1969, Band III, S. 966 m ff). An der Durchsetzung dieses Anspruchs besteht nach der Rechtsprechung des Senats auch ein überwiegendes öffentliches Interessen, wenn er von einem Träger der Sozialversicherung gegen eine andere öffentlich-rechtliche Körperschaft erhoben wird (BSG 23, 213, 218). Er steht nicht etwa nur einem Träger der gesetzlichen Unfallversicherung gegen einen Träger der gesetzlichen Krankenversicherung zu; auch eine Krankenkasse kann den von ihr geleisteten Ersatz zurückfordern, wenn sich nachträglich herausstellt, daß die Krankheit, wegen der der Träger der Unfallversicherung einem Versicherten Leistungen gewährt und die Krankenkasse Ersatz geleistet hat, doch die Folge eines Arbeitsunfalls ist (Brackmann, aaO, S. 966 n mit Nachweisen). Dem von der Klägerin geltend gemachten Anspruch steht auch nicht die Vorschrift des § 1510 RVO entgegen, welche den Träger der Unfallversicherung zur Ersatzleistung an die Krankenkasse selbst dann verpflichtet, wenn die Krankenkasse dem Verletzten Leistungen bewilligt hat, obwohl kein Arbeitsunfall vorliegt. Die Klägerin hat die Beklagte nicht mit der Durchführung eines Heilverfahrens nach dieser Vorschrift beauftragt, sondern nur fremde Aufwendungen ersetzt.
Die Beklagte macht indessen mit Recht die Verjährung des Anspruchs geltend. Erstattungsansprüche sind die Kehrseite von Ansprüchen auf die entsprechende Leistung. Aus dieser engen Beziehung zwischen Leistungs- und Erstattungsanspruch hat bereits das Reichsversicherungsamt (RVA) gefolgert, daß der Erstattungsanspruch derselben Verjährungsfrist unterliegt (GE Nr. 4822, AN 1934, IV 379; GE 5028, AN 1936, IV 325; GE 5275, AN 1939 IV 131; GE 5377, AN 1940 II 249). Dieser Rechtsprechung ist das BSG gefolgt (BSG 20, 262; 24, 260, 261 ff), allerdings nicht - wegen der besonderen dort gegebenen Rechtslage - für das Gebiet der Kriegsopferversorgung (SozR Nr. 2 zu § 21 BVG). Der von der Beklagten seinerzeit geltend gemachte, von der Klägerin irrtümlich befriedigte Ersatzanspruch nach § 1509 Abs. 1 RVO aF verjährt gemäß § 29 Abs. 3 RVO in 4 Jahren. Zu den Leistungen im Sinne dieser Vorschrift zählen auch die im 5. Buch der RVO geregelten Ersatzansprüche (RVA, ArbVers 1938, 279; EuM 42, 412; OVA Würzburg, Breithaupt 1938, 76, 81; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., Stand März 1969, Anm. 10 q zu § 1504 RVO, S. 1369; Brackmann, aaO, S. 965; Bossmann, Die Beziehungen zwischen Krankenversicherung und Unfallversicherung, 1964, S. 112). Bei der nach der Rechtsprechung des BSG (BSG 24, 260) im Verhältnis zwischen Krankenkassen entsprechend anzuwendenden Vorschrift des § 223 RVO handelt es sich um eine im 2. Buch der RVO befindliche Sondervorschrift, welche lediglich für Ansprüche aus dem Gebiet der gesetzlichen Krankenversicherung der allgemeinen - im 1. Buch enthaltenen - Verjährungsvorschrift des § 29 RVO vorgeht. Der Auffassung des Berufungsgerichts, daß der Anspruch der Klägerin erst in 30 Jahren verjähre, kann deshalb nicht gefolgt werden. Sie könnte sich allerdings auf die Rechtsprechung des RVA stützen (Breithaupt 1932, 611). Dieses hat jedoch unzutreffenderweise angenommen, daß es sich in einem solchen Fall um einen Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung handele (ebenso Podzun/Adolph, Zusammenarbeit, Ersatzansprüche und Streitverfahren zwischen Krankenkassen und Berufsgenossenschaften, 1963, S. 97; Bossmann, aaO, S. 110).
Die Verjährung hat mit dem Zeitpunkt der - rechtsirrtümlichen - Befriedigung des Ersatzanspruchs der Beklagten begonnen; die 4-jährige Verjährungsfrist des § 29 Abs. 3 RVO war somit im Zeitpunkt der Klageerhebung bereits abgelaufen. Die von der Klägerin an die Beklagte mehrfach gerichteten Aufforderungen zur Zahlung des strittigen Betrages und der daraus sich entwickelnde, sich über Jahre hinziehende Schriftwechsel sind nicht als Rechtsverfolgungshandlungen im Sinne der - entsprechend anzuwendenden - Vorschrift des § 209 BGB anzusehen (RVA, GE Nr. 1511, AN 1910, 644, 647; GE Nr. 2361, AN 1917, 514, 515 ff; GE Nr. 4822, aaO, S.380). Die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts lassen auch nicht den Schluß zu, daß die Geltendmachung der Verjährung seitens der Beklagten gegen Treu und Glauben verstößt.
Deshalb war unter Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen die Klage abzuweisen.
Eine Kostenentscheidung war in dieser Streitsache nicht zu treffen (§ 193 Abs, 4 SGG).
Fundstellen