Leitsatz (amtlich)
Ein Unterhaltsvergleich geschiedener Ehegatten (EheG § 72), der den Versicherten zur Zahlung eines monatlichen Unterhaltsbetrags von weniger als 25 % des zeitlich und örtlich notwendigen Unterhaltsmindestbedarfs der Unterhaltsberechtigten verpflichtet, ist nicht geeignet, einen Anspruch auf Hinterbliebenenrente nach RVO § 1265 (AVG § 42) in der durch das RRG geschaffenen Fassung auszulösen, wenn er den uneingeschränkten Verzicht auf Abänderung (ZPO § 323) enthält.
Normenkette
RVO § 1265 S. 2 Fassung: 1972-10-16; EheG § 72 Fassung: 1946-02-20; ZPO § 323 Fassung: 1950-09-12
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 15. März 1973 geändert.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 7. September 1971 wird in vollem Umfang zurückgewiesen.
Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten noch darüber, ob der Klägerin Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen geschiedenen Mannes (Versicherten) nach Satz 2 des § 1265 Reichsversicherungsordnung (RVO) in der Fassung des Rentenreformgesetzes (RRG) vom 16. Oktober 1972 (BGBl I 1965) zusteht.
Die Ehe der 1902 geborenen Klägerin mit dem am 21. November 1970 gestorbenen Versicherten wurde im Dezember 1952 aus dessen Verschulden geschieden. 1961 schlossen die geschiedenen Eheleute, die beide nicht wieder geheiratet haben, einen gerichtlichen Unterhaltsvergleich. Darin verpflichtete sich der Versicherte, der Klägerin ab 1. April 1961 eine monatliche Unterhaltsrente von 20,- DM zu zahlen. Für die Zukunft verzichteten die Klägerin und der Versicherte auf eine Abänderung dieser Rente. Sie wurde aufgrund eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses ab Juli 1963 aus dem Altersruhegeld des Versicherten gezahlt. Die Klägerin erhält seit 1966 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Ihr Antrag auf Rente nach § 1265 RVO (Hinterbliebenenrente) wurde mit Bescheid vom 15. Februar 1971 abgelehnt. Das Sozialgericht (SG) Augsburg hat die hiergegen erhobene Klage mit Urteil vom 7. September 1971 abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) die Beklagte verurteilt, der Klägerin ab 1. Januar 1973 Hinterbliebenenrente zu gewähren; im übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 15. März 1973). In den Entscheidungsgründen seines Urteils hat das LSG ausgeführt: Der Klägerin habe nach § 1265 RVO in seiner bis zum 31. Dezember 1972 gültig gewesenen Fassung kein Anspruch auf Hinterbliebenenrente zugestanden. Ein solcher Anspruch sei aber nach der neuen, durch das RRG geschaffenen Fassung des zweiten Satzes dieser Vorschrift entstanden. Eine Unterhaltsverpflichtung des Versicherten habe wegen des Renteneinkommens der Klägerin nicht bestanden. Auch habe die Klägerin im Zeitpunkt der Scheidung das 45. Lebensjahr vollendet gehabt. Schließlich sei sie erwerbsunfähig und auch älter als 60 Jahre. Ihr stehe deshalb ab 1. Januar 1973 Hinterbliebenenrente zu.
Mit der zugelassenen Revision macht die Beklagte geltend, das LSG habe § 1265 Satz 2 RVO idF des RRG unzutreffend angewandt. Eine Hinterbliebenenrente sei hier schon wegen des Unterhaltsvergleichs nicht zu gewähren. Dieser Vergleich enthalte einen Unterhaltsverzicht; die Klägerin habe Unterhalt in einer i.S. des § 1265 RVO relevanten Höhe weder erhalten noch je erhalten können. Eine Hinterbliebenenrente stehe ihr deshalb auch nach der Neufassung dieser Vorschrift nicht zu.
Die Beklagte beantragt (sinngemäß),
das Urteil des LSG zu ändern und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG in vollem Umfang zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet.
Nach § 1265 Satz 1 RVO wird nach dem Tode des Versicherten seiner geschiedenen Frau Rente gewährt, wenn ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des Ehegesetzes - EheG - (1. Alternative) oder aus sonstigen Gründen (2. Alternative) zu leisten hatte oder wenn er ihr im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat (3. Alternative). Satz 2 dieser Vorschrift bestimmt in seiner durch das RRG geschaffenen Fassung, daß Satz 1 auch dann Anwendung findet, wenn eine Witwenrente nicht zu gewähren ist und eine Unterhaltsverpflichtung wegen der Vermögens- oder Erwerbsverhältnisse des Versicherten oder wegen der Erträgnisse der früheren Ehefrau aus einer Erwerbstätigkeit nicht bestanden hat, die frühere Ehefrau außerdem im Zeitpunkt der Scheidung mindestens ein waisenrentenberechtigtes Kind zu erziehen oder das 45. Lebensjahr vollendet hatte und solange sie berufsunfähig oder erwerbsunfähig ist oder mindestens ein waisenrentenberechtigtes Kind erzieht oder wenn sie das 60. Lebensjahr vollendet hat.
Entgegen der Auffassung des LSG sind diese Voraussetzungen hier nicht alle erfüllt. Die 1902 geborene Klägerin ist zwar erwerbsunfähig und hat das 60. Lebensjahr bereits vollendet. Auch war sie zur Zeit der Scheidung, also 1952, schon älter als 45 Jahre. Schließlich ist eine Witwenrente nicht zu gewähren, weil der Versicherte nicht wieder geheiratet hat. Die Unterhaltsverpflichtung des Versicherten war jedoch weder wegen seiner Vermögens- oder Erwerbsverhältnisse noch wegen der Erträgnisse der Klägerin aus einer Erwerbstätigkeit entfallen. Sie hat vielmehr - wie die Beklagte zutreffend geltend macht - schon wegen des von den geschiedenen Eheleuten nach der Scheidung geschlossenen Unterhaltsvergleichs nicht bestanden. Der Betrag von 20,- DM, zu dessen monatlicher Zahlung sich der allein schuldig geschiedene und deshalb nach § 58 EheG der Klägerin gegenüber grundsätzlich unterhaltspflichtige Versicherte in diesem nach § 72 EheG zulässigen Unterhaltsvergleich verpflichtet hatte, war zur Zeit des im November 1970 eingetretenen Todes, also während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes vor dem Tode des Versicherten (BSG SozR Nr. 22, 34, 46 zu § 1265 RVO) geringer als 25 % des damals notwendigen Unterhaltsmindestbedarfs der Klägerin. Im Jahre 1970 lag bereits der Durchschnittssatz der Sozialhilfe bei 101,- DM monatlich (vgl. Statistisches Jahrbuch für die BRD 1972 S. 562). Auch war schon für das Jahr 1960 - also für einen wirtschaftlich wesentlich günstigeren Zeitraum als den hier in Betracht kommenden des Jahres 1970 - der Betrag von monatlich 20,- DM geringer als 25 % des notwendigen Unterhalts (BSG SozR Nr. 41 zu § 1265 RVO). Ein solcher Betrag kann nicht als "Unterhalt" i. S. des § 1265 RVO gewertet werden, der den Hinterbliebenenrentenanspruch auslöst. Der Hinterbliebenenrente kommt nämlich Unterhaltsersatzfunktion zu. Ein Unterhaltsanspruch oder ein tatsächlich geleisteter Unterhalt von weniger als 25 % des zeitlich und örtlich notwendigen Unterhaltsmindestbedarfs des Unterhaltsberechtigten kann deshalb nicht ins Gewicht fallen (BSG SozR Nr. 26, 41, 45, 49, 61 zu § 1265 RVO). Der Unterhaltsvergleich enthielt somit seitens der Klägerin einen endgültigen Verzicht auf einen Unterhaltsbetrag, der gem. § 1265 RVO geeignet wäre, eine Hinterbliebenenrente auszulösen. Eine Abänderung des Unterhaltsvergleichs (§ 323 der Zivilprozeßordnung - ZPO -) war aber nicht möglich, weil die geschiedenen Eheleute darauf uneingeschränkt verzichtet hatten. Infolge des in dem Unterhaltsvergleich enthaltenen Verzichts auf Unterhalt i.S. des § 1265 RVO war der Versicherte zur Zeit seines Todes der Klägerin gegenüber weder nach den Vorschriften des EheG noch aus einem sonstigen Grund (Unterhaltsvergleich) zur Unterhaltsleistung verpflichtet. Seine Vermögens- und Erwerbsverhältnisse hatten mithin für dieses Nichtbestehen einer Unterhaltsverpflichtung ebensowenig ursächliche Bedeutung wie die von der Klägerin bezogene Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Entgegen der in dem angefochtenen Urteil vertretenen Auffassung ergibt sich deshalb der von der Klägerin geltend gemachte Hinterbliebenenrentenanspruch auch nicht aus § 1265 Satz 2 RVO in seiner durch das RRG geschaffenen Fassung. Das LSG hat auch zutreffend entschieden, daß der Klägerin ein solcher Anspruch nach der bis zum 31. Dezember 1972 gültig gewesenen Fassung des § 1265 RVO nicht zustand. Auf die nur von der Beklagten eingelegten Revision muß deshalb in Änderung des zweitinstanzlichen Urteils die Berufung gegen das klagabweisende Urteil des SG in vollem Umfang zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen