Leitsatz (amtlich)
Alle aus eigener Versicherung bezogenen Sozialversicherungsrenten gehören gleich dem Krankengeld zu den Erträgnissen aus einer Erwerbstätigkeit iS des RVO § 1265 S 2 Nr 1.
Normenkette
RVO § 1265 S. 2 Nr. 1 Fassung: 1972-10-16; EheG § 58 Abs. 1 Hs. 2 Fassung: 1946-02-20
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 25. September 1974 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Unter den Beteiligten ist lediglich noch streitig, ob der inzwischen verstorbenen Mutter der Klägerin aus der Versicherung ihres geschiedenen Mannes vom 1. Januar 1973 an eine Hinterbliebenenrente nach § 1265 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zustand.
Die Ehe der Eltern der Klägerin wurde am 5. Dezember 1949 aus der Alleinschuld des Mannes geschieden. Dieser hatte damals als Arbeiter einen Wochenlohn von ca. 30,- DM. Beide Eheleute waren je zur Hälfte Eigentümer eines aus drei kleinen Zimmern, Küche und Nebengelaß bestehenden Hausgrundstücks, das 1958 in das Alleineigentum der Mutter der Klägerin übergegangen ist und in der Folgezeit von der Klägerin und ihrer Mutter bewohnt wurde. Deren geschiedener Mann heiratete am 4. März 1950 abermals und zahlte ihr von diesem Zeitpunkt an keinerlei Unterhalt mehr. Er bezog ab 1. Dezember 1959 Altersruhegeld, das 1970 monatlich 416,40 DM betrug. Er starb am 30. April 1970. Seine zweite Ehefrau war bereits am 8. Februar 1969 gestorben. Die am 25. Februar 1895 geborene Mutter der Klägerin erhielt vom 5. April 1954 an Invalidenrente. Diese wurde am 1. Februar 1960 in Altersruhegeld umgewandelt und betrug 1970 212,20 DM monatlich.
Am 6. August 1970 beantragte die Mutter der Klägerin Hinterbliebenenrente nach § 1265 Satz 2 RVO. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 18. Oktober 1971 ab, weil die Mutter der Klägerin bei Berücksichtigung ihres Altersruhegeldes und der Nutzungen aus dem Grundstück zur Zeit des Todes ihres geschiedenen Mannes nicht unterhaltsbedürftig gewesen sei; dieser habe ihr im übrigen auch Unterhalt zahlen können. Auf die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Lüneburg durch Urteil vom 12. Juli 1973 den Bescheid teilweise aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Mutter der Klägerin ab 1. Januar 1973 Hinterbliebenenrente zu zahlen. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat nur die Beklagte Berufung eingelegt. Während des Berufungsverfahrens ist die Mutter der Klägerin am 27. Juli 1974 gestorben. Als ihre Rechtsnachfolgerin hat die Klägerin den Rechtsstreit aufgenommen. Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen hat durch Urteil vom 25. September 1974 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. In den Entscheidungsgründen, auf die Bezug genommen wird, hat das LSG ausgeführt: Falls das von der Mutter der Klägerin bezogene Altersruhegeld nach § 1265 Satz 2 Nr. 1 RVO i.d.F. des Rentenreformgesetzes (RRG) außer Betracht bleiben müsse, habe eine Unterhaltsverpflichtung des geschiedenen Mannes bestanden. Selbst wenn nach dessen früherem Berufsstand und unter Berücksichtigung seiner tatsächlichen Erwerbseinkünfte zur Zeit des Scheidungsrechtsstreits von recht bescheidenen und einfachen wirtschaftlichen Verhältnissen der geschiedenen Eheleute während bestehender Ehe ausgegangen werden müsse, seien die Einkünfte der Mutter der Klägerin aus dem Hausgrundstück offensichtlich so gering gewesen, daß sie nicht zur Deckung ihres angemessenen Lebensunterhalts ausgereicht hätten. Nach den Richtlinien des Landgerichts Düsseldorf sei der angemessene Unterhalt einer geschiedenen Frau bei einfachen Verhältnissen ab 1. Januar 1969 mit 230,- DM monatlich anzusetzen. Unter Berücksichtigung der inzwischen eingetretenen weiteren Teuerung seien für das hier maßgebende Jahr 1970 insoweit 250,- bis 260,- DM monatlich als angemessen anzusehen. Ähnliche Ergebnisse würden sich bei der Anwendung anderer Methoden der Unterhaltsbemessung ergeben. Es bedürfe deshalb keiner weiteren Begründung, daß die Einkünfte der Mutter der Klägerin aus dem Hausgrundstück zur Zeit des Todes ihres geschiedenen Mannes bei weitem nicht ausgereicht hätten, um ihren angemessenen Lebensunterhalt zu bestreiten. Da alle übrigen Voraussetzungen für eine Rentengewährung unzweifelhaft vorlägen, sei allein entscheidend, ob ihre Altersruhegeldbezüge als Erträgnisse aus einer Erwerbstätigkeit gemäß § 1265 Satz 2 Nr. 1 RVO anzusehen seien. Das sei im Ergebnis zu bejahen. Begrifflich könnten Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung allerdings nicht als mittelbare Erträgnisse einer Erwerbstätigkeit angesehen werden, weil sie keine Gegenleistung für eine Erwerbstätigkeit seien. Gegen die Annahme, sie seien mittelbare Erträgnisse aus einer Erwerbstätigkeit, lasse sich einwenden, daß sie nur zum Teil auf wegen einer Erwerbstätigkeit entrichteten Beiträgen beruhen. Den Einkünften aus Vermögen könnten sie nicht zugerechnet werden, weil es an einem Stammkapital fehle. Zutreffender erscheine es, die Renten als Einkünfte eigener Art anzusehen. Angesichts dieser Unklarheiten sei der in der Rechtsprechung bereits vertretenen Ansicht beizutreten, daß Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung, die - wie im vorliegenden Fall - nach Grund und Höhe in einem engen Zusammenhang mit einer zuvor ausgeübten Erwerbstätigkeit stehen, ebenso wie die Krankengeldbezüge aus der gesetzlichen Krankenversicherung als Erträgnisse aus einer Erwerbstätigkeit im Sinne des § 1265 Satz 2 Nr. 1 RVO anzusehen seien. Deshalb habe die Mutter der Klägerin für die Zeit vom 1. Januar 1973 bis zu ihrem Tod einen Anspruch auf die Gewährung der Hinterbliebenenrente gehabt. Dieser könne von der Klägerin nach Aufnahme des Rechtsstreits geltend gemacht werden.
Mit der - zugelassenen - Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 1265 Satz 2 RVO. Sie weist darauf hin, daß sich die Rente nur zum Teil auf eigene Beitragsleistungen des Versicherten stützt und meint, die Rente sei eine durch den Versicherungsfall ausgelöste ratenweise Ausschüttung des dem einzelnen Versicherten zustehenden Anteils an dem von der Gesamtheit der Versicherten angesparten Vermögen.
Die Beklagte beantragt,
die vorinstanzlichen Urteile aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt, daß der Senat durch Urteil gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheidet.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.
Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, daß der Prüfung des geltend gemachten Rentenanspruchs für die Zeit ab 1. Januar 1973 § 1265 RVO in seiner durch das RRG vom 16. Oktober 1972 (BGBl I S. 1965) geschaffenen Fassung zugrunde zu legen ist (Art. 2 § 19 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - ArVNG - i.d.F. des Art. 2 § 1 Nr. 5 RRG). Danach steht einer geschiedenen Frau Hinterbliebenenrente zu, wenn ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des Ehegesetzes - EheG - (1. Alternative) oder aus sonstigen Gründen (2. Alternative) zu leisten hatte oder wenn er ihr im letzten Jahr vor seinem Tod Unterhalt geleistet hat (3. Alternative). Sofern keine Witwenrente zu gewähren ist, steht ihr Rente auch dann zu (4. Alternative), wenn eine Unterhaltsverpflichtung wegen der Vermögens- oder Erwerbsverhältnisse des Versicherten oder wegen der Erträgnisse der früheren Ehefrau aus einer Erwerbstätigkeit nicht bestanden hat und wenn die frühere Ehefrau im Zeitpunkt der Scheidung mindestens ein waisenrentenberechtigtes Kind zu erziehen oder das 45. Lebensjahr vollendet hatte und solange sie berufs- oder erwerbsunfähig ist oder mindestens ein waisenrentenberechtigtes Kind erzieht oder wenn sie das 60. Lebensjahr vollendet hat (§ 1265 Satz 2 RVO).
Da die Mutter der Klägerin 1895 geboren war, hatte sie im Zeitpunkt der Scheidung (5. Dezember 1949) ihr 45. Lebensjahr bereits vollendet. Ihr 60. Lebensjahr hatte sie 1955 vollendet. Auch hatte ihr geschiedener Mann ihr nach den Feststellungen des LSG weder aus sonstigen Gründen Unterhalt zu leisten, noch hat er ihr im letzten Jahr vor seinem Tod Unterhalt tatsächlich geleistet. Eine Witwenrente schließlich ist nicht zu gewähren, denn die zweite Ehefrau des Versicherten ist schon vor ihm gestorben. Der noch streitige Rentenanspruch hängt mithin nur davon ab, ob der Versicherte der Mutter der Klägerin zur Zeit seines Todes, d.h. während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes vor seinem Tode (BSGE 14, 255 = SozR Nr. 8 zu § 1265 RVO; SozR Nrn. 22, 32 aaO), Unterhalt nach den Vorschriften des EheG zu leisten hatte (1. Alternative), und zwar unabhängig von seinem Leistungsvermögen (§ 59 EheG) und unabhängig auch von den der Mutter der Klägerin zugeflossenen Erträgnissen aus einer Erwerbstätigkeit (§ 1265 Satz 2 Nr. 1 RVO).
Nach den Vorschriften des EheG (§ 58) stand der Mutter der Klägerin als schuldlos geschiedener Frau der nach den zur Zeit der Scheidung gegeben gewesenen Lebensverhältnissen der geschiedenen Eheleute angemessene Unterhalt zu (BSG SozR Nr. 16 zu § 1265 RVO). Da sie während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes vor dem Tod ihres geschiedenen Mannes außer ihrem Altersruhegeld keinerlei Einkünfte hatte und der Mietwert ihres kleinen Hausgrundstücks den gesamten Umständen nach wegen seiner Geringfügigkeit offensichtlich nicht ins Gewicht fiel, wäre bei Außerachtlassung des Altersruhegeldes zur Deckung ihres angemessenen Unterhalts ein von ihrem geschiedenen Mann aufzubringender Betrag erforderlich gewesen. Zutreffend hat deshalb das LSG angenommen, daß die Mutter der Klägerin vom 1. Januar 1973 an Anspruch auf Hinterbliebenenrente hatte, falls ihr Altersruhegeld den Erträgnissen aus einer Erwerbstätigkeit zuzurechnen ist und deshalb bei der Feststellung ihres Unterhaltsanspruchs nach § 1265 Satz 2 Nr. 1 RVO außer Betracht zu bleiben hat.
Allerdings ist es richtig, daß das der Mutter der Klägerin zur Zeit des Todes ihres geschiedenen Mannes gewährte Altersruhegeld ebenso wie auch jede andere aus eigener Versicherung bezogene Sozialversicherungsrente nur zum Teil auf Beiträgen beruht, die vom Versicherten selbst wegen einer von ihm ausgeübten Erwerbstätigkeit entrichtet worden sind. Ebenso wie beim Krankengeld besteht aber auch bei jeder solchen Rente eine enge Verknüpfung mit dem durch eine Erwerbstätigkeit erzielten Regellohn. Denn ihre Grundlagen sind diese Erwerbstätigkeit und die aufgrund derselben und dem mit ihr erzielten Arbeitseinkommen abgeführten Sozialversicherungsbeiträge. Wegen dieser engen Verknüpfung mit einer Erwerbstätigkeit und der ihnen innewohnenden Lohnersatzfunktion müssen ebenso wie das Krankengeld (BSG in SozR Nr. 57 zu § 1265 RVO) auch alle derartigen aus eigener Versicherung bezogenen Sozialversicherungsrenten zu den Erträgnissen aus einer Erwerbstätigkeit i.S. des § 58 Abs. 1 Halbsatz 2 EheG und des § 1265 Satz 2 Nr. 1 RVO gerechnet werden (BSG Urteil vom 30. August 1973 - 5 RKn 32/71 -). Sie sollen die aufgrund des eingetretenen Versicherungsfalles ausgefallenen Erträgnisse einer solchen Tätigkeit ersetzen, treten also an die Stelle dieser Erträgnisse.
Der von der Revision vertretenen Auffassung, die Rente aus der Rentenversicherung sei eine ratenweise Ausschüttung des dem einzelnen Versicherten zustehenden Anteils an dem von der Gesamtheit der Versicherten angesparten Vermögen, vermag sich der erkennende Senat nicht anzuschließen. Dabei wird zunächst übersehen, daß es sich bei den für die Auszahlung der Renten in Betracht kommenden Haushaltsmittel der Versicherungsträger schon im Hinblick auf die darin enthaltenen Arbeitgeberanteile und öffentlichen Zuschüsse nicht um ein "Vermögen" handelt, das von der Gesamtheit der Versicherten "angespart worden ist". Auch stehen dem einzelnen Versicherten hinsichtlich dieser Haushaltsmittel keinerlei Verfügungsrechte zu. Die Renten aus der Sozialversicherung können deshalb auch nicht als Einkünfte aus einem Vermögen angesehen werden, weil derartige Einkünfte das Ergebnis einer Vermögensverwertung darstellen und damit ein der Verfügungsgewalt ihres Empfängers unterworfenes Stammkapital voraussetzen. Der Rentenempfänger verfügt jedoch über kein derartiges Stammkapital.
Nach alledem ist das angefochtene Urteil des LSG nicht zu beanstanden. Die Revision der Beklagten ist mithin unbegründet und muß deshalb nach § 170 Abs. 1 Satz 1 SGG zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen