Entscheidungsstichwort (Thema)
Kostenerstattung im Vorverfahren. Bescheide Gegenstand eines früheren Verfahrens. Ursächlichkeit des Widerspruchs für die Aufhebung des Verwaltungsakts. keine Anwendung des § 91 Abs 1 S 1 ZPO. Selbstvertretung des Rechtsanwalts
Orientierungssatz
1. Sind Bescheide bereits Gegenstand eines früheren Gerichtsverfahrens gewesen, so ist über die Kosten der Widersprüche gegen diese Bescheide in der Kostenentscheidung für jenes Verfahren mitentschieden worden. Eine gesonderte Erstattung der Kosten nach § 63 SGB 10 kommt nicht in Betracht, auch soweit der Kläger durch die Rechtsbehelfsbelehrung zur Einlegung von Widersprüchen veranlasst worden sein sollte.
2. Kosten des Vorverfahrens sind nur zu erstatten, wenn der Widerspruch ursächlich für die Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsaktes ist (vgl BSG vom 21.7.1992 - 4 RA 20/91 = SozR 3-1300 § 63 Nr 3).
3. Die Regelung des § 91 Abs 1 S 1 ZPO gilt für die Kostenentscheidung im sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren nicht.
4. Der Rechtsanwalt, der sich im Vorverfahren selbst vertritt, hat Anspruch auf die Kostenerstattung nach § 63 SGB 10, wenn die Voraussetzungen für die Kostenerstattung wegen Hinzuziehung eines Rechtsanwalts überhaupt vorliegen (vgl BVerwG vom 16.10.1980 - 8 C 10/80 = BVerwGE 61, 100). Vertritt ein Rechtsanwalt sich selbst, so bleiben für die Entscheidung, ob die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war, seine Rechtskenntnisse unberücksichtigt. Maßgebend ist, ob ein vernünftiger Bürger ohne spezielle Kenntnisse einen Bevollmächtigten hinzugezogen hätte.
Normenkette
SGB X § 63 Abs. 2; SGG § 96; ZPO § 91 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Vorverfahrenskosten.
Der Kläger ist Rechtsanwalt und bei der beklagten Krankenkasse freiwillig versichert. Einen Bescheid, mit dem die Beklagte im Jahre 1989 ihre Beiträge erhöhte, focht der Kläger an. Sein Widerspruch blieb erfolglos. Das Sozialgericht (SG) gab der Klage statt (SG Detmold S 17 ≪10≫ KR 160/89). Die Beklagte nahm die Berufung (Landessozialgericht ≪LSG≫ Nordrhein-Westfalen L 16 KR 34/92) im Jahr 1993 zurück und erstattete dem Kläger überzahlte Beiträge sowie Verfahrenskosten.
Während des damaligen Widerspruchs-, Klage- und Berufungsverfahrens richtete die Beklagte 29 weitere Schreiben an den Kläger, die dieser jeweils mit dem Widerspruch anfocht. Diese Schreiben betrafen folgende Sachverhalte: 1. Zwei Schreiben vom 28. Februar 1990 und 19. Dezember 1991 waren Beitrags-einstufungen für die Zeit vom 1. Januar 1990 bis 31. Dezember 1990 bzw 1. Januar 1992 bis 31. Dezember 1992. 2. Zwei Schreiben betrafen eine letzte Aufforderung vor Beendigung der Mitgliedschaft (Schreiben vom 1. September 1989) und die Feststellung der Beendigung der Mitgliedschaft zum 15. September 1989 wegen eines Beitragsrückstandes (Schreiben vom 28. September 1989). Später hob die Beklagte den Ausschluss auf, weil die rückständigen Beiträge bezahlt seien (Schreiben vom 13. November 1989). 3. 25 weitere Schreiben, die zwischen dem 20. Juni 1989 und dem 17. Februar 1993 ergingen, waren jeweils als "Beitragsbescheid" bezeichnet. In ihnen wurden die geschuldeten Beiträge, die gezahlten Beiträge und die rückständigen Beiträge angegeben. Wegen des Beitragsrückstands wurde die Vollstreckung angedroht. Die Schreiben enthielten jeweils eine Rechtsmittelbelehrung, wonach der Widerspruch zulässig war.
Der Kläger stellte unter dem 16. August 1993 der Beklagten unter Angabe seiner Widersprüche gegen die 29 Schreiben insgesamt 2.277,20 DM Gebühren nach § 11 der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO) zuzüglich 15 vH Auslagenpauschale nach § 26 BRAGO in Rechnung. Die Beklagte lehnte die Erstattung der Kosten ab (Bescheid vom 25. August 1993 und Widerspruchsbescheid vom 21. August 1995). Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 11. Oktober 1995). Das LSG hat die Berufung zunächst als unzulässig verworfen. Nach Aufhebung dieser Entscheidung und Zurückverweisung durch das Bundessozialgericht (BSG) hat es in der Sache entschieden und die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 19. Oktober 2000). Der Kläger habe keinen Anspruch auf Kostenerstattung. Die Bescheide vom 28. Februar 1990 und 19. Dezember 1991 (oben 1.) seien Gegenstand des von 1990 bis 1993 anhängigen Klage- und Berufungsverfahrens gewesen. Die Kosten für die Anfechtung dieser Bescheide seien mit der Kostenerstattung für jenes Verfahren abgegolten. Der Widerspruch gegen das Schreiben vom 1. September 1989 (oben 2.) sei nicht statthaft gewesen. Mit diesem Schreiben habe die Beklagte nur den gesetzlich notwendigen Hinweis auf die Folgen einer unterbliebenen Beitragszahlung gegeben. Der Widerspruch gegen das Schreiben vom 28. September 1989 über das Ende der Mitgliedschaft (oben 2.) sei nicht iS von § 63 Abs 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren (SGB X) erfolgreich gewesen. Die Feststellung des Endes der Mitgliedschaft sei aufgehoben worden, weil der Kläger seine Beiträge gezahlt habe. Die Widersprüche gegen die restlichen 25 "Beitragsbescheide" (oben 3.) seien ebenfalls nicht iS des § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X erfolgreich gewesen. Die "Beitragsbescheide" der Beklagten hätten keine neue Regelung der Beitragshöhe enthalten, sondern lediglich Soll und Haben saldiert und damit klargestellt, wegen welcher Beträge sie die Vollstreckung anzuordnen beabsichtige. Handele es sich bei den Beitragsbescheiden um Verwaltungsakte, so habe der Widerspruch keinen Erfolg gehabt. Erfolg als Ursache des Widerspruchs könne nur angenommen werden, wenn die Kasse die Möglichkeit der Vollstreckung preisgegeben hätte oder ihrer verlustig gegangen wäre.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers. Er rügt die Verletzung von § 63 SGB X. Die Widersprüche seien erfolgreich gewesen. Es sei ohne Bedeutung, ob der Bescheid rechtmäßig oder unrechtmäßig ergangen sei, ob ein Kausalzusammenhang zwischen dem Widerspruch und der Aufhebung bestanden habe und aus welchen Gründen Widerspruch eingelegt worden sei. Es müsse auch hier der Grundsatz gelten, dass der Verlierer die Kosten trage. Jeder belastende Verwaltungsakt könne mit dem Widerspruch angegriffen werden. Es sei unerheblich, ob sich Bescheide teilweise überdeckt hätten oder welche Auswirkungen das frühere Gerichtsverfahren gehabt habe. Dieses habe sich nur mit den Beiträgen für Januar und Februar 1989 befasst. Die Beklagte habe das ebenso gesehen; anderenfalls hätte sie nicht jeden folgenden Bescheid mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen. Die Widersprüche hätten sich immer gegen die Beitragshöhe gerichtet. Aussetzungsanträge seien jeweils zusätzlich zu den Widersprüchen gestellt worden. Durch die Widersprüche seien in jedem einzelnen Fall erstattungsfähige Kosten entstanden.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des LSG vom 19. Oktober 2000 und das Urteil des SG vom 11. Oktober 1995 aufzuheben sowie die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25. August 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. August 1995 zu verurteilen, ihm 2.277,20 DM nebst 12,25 vH Zinsen vom 31. August 1993 bis zum 30. Dezember 1994 und 4 vH Zinsen seit dem 31. Dezember 1994 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist teilweise unbegründet (unter 1. und 2.), teilweise begründet (unter 3.).
1. Zu Recht hat das LSG die Berufung gegen das klageabweisende Urteil des SG zurückgewiesen, soweit die Beklagte die Erstattung von Vorverfahrenskosten für die Widersprüche gegen die im Tatbestand unter 1. genannten Bescheide vom 28. Februar 1990 (Widerspruch vom 16. März 1990) und 19. Dezember 1991 (Widerspruch vom 23. Dezember 1991) abgelehnt hat. Diese Bescheide sind nach den Feststellungen des LSG nach § 96 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Gegenstand des früheren Rechtsstreits vor dem SG und des anschließenden Berufungsverfahrens vor dem LSG gewesen. Die Ansicht des Klägers, in jenem Rechtsstreit sei allein der Bescheid vom 23. März 1989 angefochten gewesen, ist unzutreffend. Im Widerspruchsbescheid, der über den Widerspruch gegen den Bescheid vom 23. März 1989 befand, hatte die Beklagte auch über den Bescheid vom 26. Januar 1989 entschieden, mit dem die Beitragshöhe ab 1. Januar 1989 festgesetzt worden war. Die Annahme des LSG, dass im Rechtsstreit auch dieser Bescheid angefochten gewesen sei, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Das Gleiche gilt für die Entscheidung des LSG, dass dann die weiteren Beitragsgrundbescheide, also auch die Bescheide vom 28. Februar 1990 und 19. Dezember 1991 Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden seien. Sind diese Bescheide aber bereits Gegenstand des früheren Gerichtsverfahrens gewesen, so ist über die Kosten der Widersprüche gegen diese Bescheide in der Kostenentscheidung für jenes Verfahren mitentschieden worden. Eine gesonderte Erstattung der Kosten nach § 63 SGB X kommt nicht in Betracht, auch soweit der Kläger durch die Rechtsbehelfsbelehrung zur Einlegung von Widersprüchen veranlaßt worden sein sollte.
2. Kosten für die Anfechtung der Mitteilung vom 1. September 1989 (Tatbestand unter 2.) über die bevorstehende Beendigung der Mitgliedschaft (Widerspruch vom 13. September 1989) sind nicht zu erstatten. Diese Mitteilung war mit dem Widerspruch nicht anfechtbar, wie das LSG zu Recht entschieden hat. Kosten für die Anfechtung der Feststellung über die zum 15. September 1989 beendete Mitgliedschaft des Klägers (Schreiben vom 28. September 1989, Widerspruch vom 7. Oktober 1989, Tatbestand unter 2.) sind nicht zu erstatten, weil der Widerspruch nicht iS des § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X erfolgreich war. Der Bescheid ist nicht wegen des Widerspruchs, sondern unabhängig davon wegen der Beitragszahlung durch den Kläger aufgehoben worden. Nach der Rechtsprechung des BSG sind Kosten des Vorverfahrens nur zu erstatten, wenn der Widerspruch ursächlich für die Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsaktes ist (SozR 3-1300 § 63 Nr 3). Darauf hat der Senat schon in der zurückverweisenden Entscheidung hingewiesen und daran hält er fest. Die Revision macht insoweit ohne Erfolg geltend, erfolgreich sei ein Widerspruch schon dann, wenn der zugrundeliegende Bescheid aufgehoben werde, ohne dass es auf eine mögliche Kausalität zwischen Widerspruch und Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsaktes ankomme. Die Regelung des § 91 Abs 1 Satz 1 ZPO, auf die sich die Revision beruft, gilt für die Kostenentscheidung im sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren nicht.
3. Erfolgreich ist die Revision, soweit mit ihr die Erstattung von Vorverfahrenskosten für die im Tatbestand unter 3. genannten Widersprüche geltend gemacht wird. Das LSG hat zwar zu Recht angenommen, dass auch hinsichtlich dieser Bescheide die Widersprüche nicht erfolgreich iS des § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X waren. Es hat aber andererseits die Gründe genannt, die es gleichwohl rechtfertigen, der Beklagten die Kosten dieser Widerspruchsverfahren aufzuerlegen. Die Beklagte hat durch die Bezeichnung dieser Schreiben jeweils als Beitragsbescheid den Eindruck erweckt, es werde jeweils der Beitrag für den betreffenden Monat neu festgesetzt. Ein Hinweis auf den eingeschränkten Regelungsgehalt - lediglich Abrechnung der bereits gezahlten Beiträge - der Schreiben fehlte. Mit der Rechtsmittelbelehrung hat die Beklagte den Eindruck erweckt, die Bescheide seien mit dem Widerspruch anzufechten, und zwar auch hinsichtlich der Höhe der festgesetzten Beiträge. Die Beklagte hat auch während des gesamten früheren Rechtsstreits nicht darauf hingewiesen, dass die mit den Abrechnungsbescheiden geforderten Beiträge in den Schreiben nicht neu festgesetzt wurden, obwohl dies jedenfalls nach Einlegen der Widersprüche nahe gelegen hätte. Das LSG hat demnach zu Recht angenommen, die Einlegung der Widersprüche sei durch das Verhalten der Beklagten verursacht worden.
Der Senat folgt dem LSG nicht darin, dass der Kläger gleichwohl keine Kostenerstattung verlangen könne, weil die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten nicht notwendig gewesen sei und der Kläger als Rechtsanwalt dann auch in eigener Sache keine Kosten verlangen könne. Der Rechtsanwalt, der sich wie hier der Kläger im Vorverfahren selbst vertritt, hat Anspruch auf die Kostenerstattung nach § 63 SGB X, wenn die Voraussetzungen für die Kostenerstattung wegen Hinzuziehung eines Rechtsanwalts überhaupt vorliegen. Das Bundesverwaltungsgericht hat dies für die entsprechende Vorschrift in § 80 des Verwaltungsverfahrensgesetzes bereits entschieden (BVerwGE 61, 100). Davon ist auch der Senat in seiner zurückverweisenden Entscheidung ausgegangen. Bei der gegenteiligen Rechtsansicht - grundsätzlich kein Kostenerstattungsanspruch des sich selbst vertretenden Rechtsanwalts - wäre der Rechtsstreit schon damals entscheidungsreif im Sinne einer Zurückweisung der Revision gewesen. Vertritt ein Rechtsanwalt sich selbst, so bleiben für die Entscheidung, ob die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war, seine besonderen Rechtskenntnisse unberücksichtigt. Maßgebend ist, ob ein vernünftiger Bürger ohne spezielle Rechtskenntnisse einen Bevollmächtigten hinzugezogen hätte. Dieses trifft für die Widersprüche gegen die 25 als Beitragsbescheide bezeichneten Schreiben zu.
Der Kläger hat zutreffend die Kosten des Vorverfahrens für jeden einzelnen Widerspruch gesondert geltend gemacht. Unzutreffend ist jedoch, dass er die Gebühren nach dem Gegenstandswert (§ 11 BRAGO) berechnet hat. Für das Vorverfahren sind im sozialgerichtlichen Verfahren die Gebühren nach § 116 BRAGO zu bemessen, wobei ein Gebührenrahmen von 2/3 der in § 116 genannten Beträge zu Grunde zu legen ist (vgl BSG SozR 1300 § 63 Nr 2). Der Senat konnte gleichwohl in der Sache entscheiden, denn die Beklagte ist durch die Berechnung des Klägers nicht beschwert. Die Rahmengebühr nach § 116 Abs 1 Nr 1 BRAGO betrug bis zum 31. August 1990 50 DM bis 590 DM, seit dem 1. September 1990 80 DM bis 1.060 DM (§ 116 Abs 1 Nr 1 BRAGO idF durch das Gesetz zur Änderung der Gebührenordnung für Rechtsanwälte vom 20. August 1990). Die untere Grenze des geminderten Gebührenrahmens betrug bis zum 31. August 1990 33,33 DM, seit dem 1. September 1990 53,33 DM. Die vom Kläger geltend gemachten Kosten von 40 DM (15 x), 55 DM (7 x) und 70 DM (3 x) liegen immer an der unteren Grenze des geminderten Gebührenrahmens und unterschreiten diesen sogar für die Zeit ab der Erhöhung September 1990 teilweise. Unter Berücksichtigung der zusätzlich nach § 26 BRAGO geltend gemachten Kosten beträgt die Forderung des Klägers für die im Tatbestand unter 3. genannten Bescheide 1.374,60 DM.
Der vom Kläger geltend gemachte Zinsanspruch ist nicht begründet. Der Erstattungsanspruch für die Kosten des Vorverfahrens ist nicht zu verzinsen (BSG SozR 1300 § 63 Nr 9 und Urteil vom 24. Juli 1986 - 7 RAr 86/84 - USK 86 242). Diesen Entscheidungen schließt sich der Senat nach eigener Prüfung an.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Da der Kläger in etwa zur Hälfte obsiegt hat, erschien es angemessen, ihm die Hälfte der außergerichtlichen Kosten zuzusprechen.
Fundstellen
Haufe-Index 679320 |
AGS 2002, 151 |