Entscheidungsstichwort (Thema)

Unvereinbarkeit der Doppelzulassung als Arzt und Zahnarzt

 

Orientierungssatz

1. Die Kassenzahnärztliche Tätigkeit stellt nicht die Ausübung eines "Berufs" iS des GG Art 12 Abs 1 dar, sondern bedeutet die Erfüllung einer besonderen öffentlichen Aufgabe im Rahmen des zahnärztlichen Berufs.

2. Die Entziehung der Kassenzahnärztlichen Zulassung steht jedenfalls dann nicht im Widerspruch zu der Eigentumsverbürgung des GG Art 14 Abs 1, wenn die Zulassung nur vorläufigen, widerruflichen Charakter hatte.

 

Normenkette

GG Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1; ZÄZO BE § 41 Abs. 3

 

Verfahrensgang

LSG Berlin (Entscheidung vom 07.01.1955)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 7. Januar 1955 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander Kosten des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I

Der Kläger ist seit 1943 als Arzt und seit 1946 als Zahnarzt approbiert. Nach kurzer Tätigkeit als Volontär-Assistent an der Universität E ließ er sich als Arzt und Zahnarzt in B nieder. Seit Januar 1947 hat er in dieser doppelten Eigenschaft Versicherte und deren Angehörige für die Versicherungsanstalt B (VAB.) behandelt.

Mit Schreiben vom 7. November 1950 setzte die Vereinigung der Sozialversicherungszahnärzte von B im Hinblick auf das Verbot der Doppelzulassung in § 15 Abs. 4 der Zulassungsordnung für Sozialversicherungszahnärzte und Sozialversicherungsdentisten in B (Anl. 1 zum Gesamtvertrag zwischen der VAB. und den Sektorenverbänden der Zahnärzte in Groß-Berlin vom 9. November 1949) dem Kläger eine Frist bis zum 1. Dezember 1950 zur Erklärung darüber, für welches Tätigkeitsgebiet er sich entscheide. Der Kläger gab weder auf dieses noch auf ein späteres Mahnschreiben vom 8. September 1951 die gewünschte Erklärung ab. Auf Antrag der Vereinigung der Sozialversicherungszahnärzte von Berlin hat der beklagte Zulassungsausschuß durch Beschluß vom 15. Mai 1952 die Zulassung des Klägers zur kassenzahnärztlichen Tätigkeit nach § 41 Abs. 3 der Zulassungsordnung für Zahnärzte und Dentisten ( ZulOZ ) vom 30. März/8. Mai 1951 (BerlGVOBl. 1951 S. 351) mit Wirkung vom 30. Juni 1952 für beendet erklärt.

Die gegen diesen Beschluß beim Verwaltungsgericht Berlin erhobene Klage wurde durch Urteil vom 6. September 1952 abgewiesen. Auch die Berufung des Klägers an das Oberverwaltungsgericht Berlin, die nach Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auf das Landessozialgericht (LSG.) Berlin übergegangen war, blieb erfolglos. Das LSG. hat in seinem Urteil vom 7. Januar 1955 die Klage für zulässig erachtet; ein Beschwerdeverfahren beim Sozialversicherungsamt Berlin vor Klageerhebung sei nicht notwendig gewesen. Die Parteifähigkeit des beklagten Zulassungsausschusses im Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit folge aus § 70 Nr. 3 SGG in Verbindung mit preußischem Verwaltungsgewohnheitsrecht, wonach die Behörden im verwaltungsgerichtlichen Verfahren parteifähig seien; dieses Gewohnheitsrecht sei in Berlin nach dem Zusammenbruch im Jahre 1945 in Geltung geblieben.

In sachlich-rechtlicher Hinsicht ist das LSG. davon ausgegangen, daß die ZulOZ zu Recht vom beklagten Zulassungsausschuß auf den vorliegenden Sachverhalt angewandt worden sei. Die ZulOZ sei - dem § 6 Abs. 3 des Vereinigungsgesetzes vom 20. Januar 1950 (BerlGVOBl. S. 38) entsprechend - von der Aufsichtsbehörde, d. h. dem Senator für Arbeit im Einvernehmen mit dem Senator für Gesundheitswesen genehmigt und ordnungsgemäß verkündet worden. Sie verstoße nicht gegen Art. 12 des Bonner Grundgesetzes (GG). Die Entziehung der kassenzahnärztlichen Zulassung nehme dem Kläger auch keine wohlerworbenen Rechte, da der Kläger erstmals im Januar 1947 als Kassenarzt und Kassenzahnarzt "vorläufig" auf Grund der Anordnung des Magistrats Berlin vom 15. Juli 1945 (BerlGVOBl. S. 61) tätig geworden sei. Mit der völligen Umgestaltung der staatlichen und auch der sozialversicherungsmäßigen Verhältnisse im Jahre 1945 seien die bestehenden Zulassungen erloschen und erst wieder nach Maßgabe zunächst der zwischen der VAB. und den zahnärztlichen Sektorenverbänden vereinbarten Zulassungsordnung vom 9. November 1949 (ZulO 1949), später der ZulOZ neu begründet worden.

Mit der - vom LSG. zugelassenen - Revision hat der Kläger beantragt,

das Urteil des LSG. abzuändern und den Beschluß

des beklagten Zulassungsausschusses vom 15. Mai 1952 aufzuheben.

Er ist der Auffassung, daß der angefochtene Beschluß des beklagten Zulassungsausschusses rechtswidrig sei, weil die ZulOZ gegen Art. 12 und 14 GG verstoße.

Der beklagte Zulassungsausschuß hat um

Zurückweisung der Revision

gebeten.

II

1.) Die Zulässigkeit der Klage unterliegt nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. BSG. 2 S. 201 (203) keinen Bedenken; die Streitfrage, ob der Klage ein Vorverfahren vor dem Sozialversicherungsamt in Berlin voranzugehen hatte, hat unter der Herrschaft des SGG ihre Bedeutung verloren. Es ist ferner davon auszugehen, daß der beklagte Zulassungsausschuß im Verfahren vor den Berliner Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und dem Bundessozialgericht (BSG.) parteifähig ist, weil nach der für das Revisionsgericht bindenden Feststellung des Berufungsgerichts eine Berliner Vorschrift im Sinne des § 70 Nr. 3 SGG besteht, im übrigen aber auch der Übergangscharakter des Rechtsstreits die Fortgeltung der vor den allgemeinen Verwaltungsgerichten gegebenen Parteifähigkeit erfordert (vgl. BSG. 2 S. 203 ff).

2.) Die Revision ist nicht begründet.

Die ZulOZ regelt die Zulassung in Westberlin für Sozialversicherungszahnärzte und -dentisten in fast wörtlicher Übereinstimmung mit der Zulassungsordnung für Sozialversicherungsärzte in Berlin ( ZulOÄ ) vom 3. September 1951 (BerlGVBl. S. 632); insbesondere lauten die im Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin mitverkündeten Genehmigungsvermerke des Senators für Arbeit - bis auf das Datum - gleich. Deshalb gilt für die ZulOZ hinsichtlich der Voraussetzungen und Grenzen des Prüfungsrechts des Revisionsgerichts das gleiche wie für die ZulOÄ (vgl. BSG. 2 S. 210 ff.). Auch sie ist somit als Rechtsverordnung des Landes Berlin einschließlich des Genehmigungsvermerks des Senators für Arbeit irrevisibles Recht. Die Feststellung des Berufungsgerichts, daß sie in Berlin in Kraft getreten ist, bindet das BSG.

Dem Senat war jedoch nicht verwehrt zu prüfen, ob die ZulOZ nicht inhaltlich gegen revisibles Recht, insbesondere gegen die - auch in West-Berlin geltenden (BSG. 2 S. 213 ff.) - Grundrechte des GG verstößt. Soweit die Revision das in der ZulOZ geregelte System der beschränkten Zulassung zur zahnärztlichen Versorgung der Versicherten als im Widerspruch zu Art. 12 GG stehend ansieht, kann sie aus den gleichen Gründen keinen Erfolg haben, die den Senat zur Bejahung der Verfassungsmäßigkeit der ZulOÄ geführt haben (vgl. BSG. 2 S. 214 ff.). Auch die kassenzahnärztliche Tätigkeit stellt nicht Ausübung eines "Berufs" im Sinne des Art. 12 Abs. 1 GG dar, sondern bedeutet die Erfüllung einer besonderen öffentlichen Aufgabe im Rahmen des zahnärztlichen Berufs. Die ZulOZ verstößt daher nicht gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit.

Der Revision kann auch darin nicht gefolgt werden, daß die Entziehung der kassenzahnärztlichen Zulassung im vorliegenden Fall in Widerspruch zu der Eigentumsverbürgung des Art. 14 GG steht. Es kann in diesem Zusammenhang unerörtert bleiben, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die Entziehung einer vorbehaltlos ausgesprochenen Zulassung eine Enteignung im Sinne des Art. 14 Abs. 3 GG darstellen würde. Im Streitfall kommt Art. 14 GG schon deshalb nicht zur Anwendung, weil die fragliche Zulassung nur vorläufigen, widerruflichen Charakter hatte.

Als sich der Kläger als Arzt und Zahnarzt in Berlin niederließ, fand die Anordnung des Magistrats Berlin vom 15. Juli 1945 (Berl. VOBl. S. 61) auf ihn Anwendung, wodurch "alle im Besitz einer rechtsgültigen Approbation befindlichen Ärzte und Zahnärzte ... vorläufig verpflichtet" wurden, "vorbehaltlich einer kommenden grundsätzlichen Regelung, für die Versicherungsanstalt Berlin tätig zu sein". Es kann dahingestellt bleiben, ob diese allen Ärzten und Zahnärzten auferlegte Verpflichtung überhaupt als Zulassung im eigentlichen Sinne angesehen werden kann (vgl. hierzu BSG. 2 S. 220). Jedenfalls begründete diese Verpflichtung für den Kläger nur einen vorläufigen Rechtsstand, dessen Überführung in ein geordnetes Zulassungsverhältnis späterer Regelung vorbehalten blieb. Erstmals erfolgte eine solche Regelung in dem Gesamtvertrag zwischen der VAB. und den zahnärztlichen Sektorenverbänden vom 9. November 1949 und der als Anlage zu diesem Vertrag vereinbarten Zulassungsordnung für Sozialversicherungszahnärzte und Sozialversicherungsdentisten in Berlin ( vereinb . ZulOZ ). Es bedarf hier keiner Prüfung, ob dieser Gesamtvertrag eine über die Verpflichtung der Vertragsparteien hinausgehende - normative - Bedeutung hatte. Für die hier zu entscheidende Frage, welche Rechte der Kläger allenfalls aus dem Gesamtvertrag herleiten kann, ist ausschlaggebend, daß schon die vereinb . ZulO (§§ 15 Abs. 4, 17 Nr. 2) die Unvereinbarkeit der Doppelzulassung als Arzt und Zahnarzt aussprach. Der Kläger war bei Inkrafttreten der vereinb . ZulO als Sozialversicherungszahnarzt nur mit der Maßgabe übernommen worden (§ 2 Abs. 3 des Gesamtvertrages; § 15 Abs. 4 Satz 1 vereinb . ZulO), daß er innerhalb eines Monats nach Inkrafttreten der vereinb . ZulO der Zahnärztlichen Vereinigung zu erklären hatte, für welches Tätigkeitsgebiet er sich entscheide (§ 15 Abs. 4 Satz 2 vereinb . ZulOZ ), und daß bei nicht fristgemäßer Abgabe der Erklärung der Zulassungsausschuß über die weitere Zulassung bestimmen würde (§ 15 Abs. 4 Satz 3 vereinb . ZulOZ ). Die Übernahme als Sozialversicherungszahnarzt nach dem Gesamtvertrag ist durch § 41 Abs. 1 der ZulOZ nachträglich sanktioniert worden. Diese Bestätigung der Übernahme änderte aber nichts an der Vorläufigkeit und Widerruflichkeit der Zulassung; denn in § 41 Abs. 3 ZulOZ ist die für den Fall der doppelten Zulassung in § 15 Abs. 4 vereinb . ZulOZ getroffene Regelung übernommen worden. Die Entscheidung des beklagten Zulassungsausschusses entsprach somit dem Vorbehalt, der bereits bei der Übernahme des Klägers als Sozialversicherungszahnarzt im Jahre 1949 zum Ausdruck gekommen war. Bei einer solchen Sachlage stellt die Entziehung der zweiten Zulassung keinen Eingriff in das "Eigentum" i. S. des Art. 14 Abs. 1 GG dar (vgl. BSG. 2 S. 220 ff.); schon aus diesem Grunde ist sie keine Enteignung im Sinne des Art. 14 Abs. 3 GG.

Die Auslegung des § 41 Abs. 3 ZulOZ selbst betrifft irrevisibles Recht und ist somit der Nachprüfung des Revisionsgerichts entzogen (§ 162 Abs. 2 SGG).

Nach alledem ist der Revision der Erfolg zu versagen.

Für die Kostenentscheidung gilt § 193 Abs. 1 und 4 SGG (vgl. Sozialrecht SGG § 193 Da 1 Nr. 2).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2290863

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