Orientierungssatz
Bemessung der Gebühr eines Rechtsbeistandes im isolierten Vorverfahren: *
Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist die im Vorverfahren zu erstattende Gebühr entsprechend dem Sinn und Zweck der §§ 116, 118 BRAGebO einem Gebührenrahmen von 25 DM bis 305 DM zu entnehmen (vgl BSG 22.3.1984 11 RA 58/83 = SozR 1300 § 63 Nr 4). Im Einzelfall ist die Höhe der Rahmengebühr nach § 12 BRAGebO zu ermitteln.
Normenkette
SGB 10 § 63 Abs. 1-2; BRAGebO § 12 Abs. 1, § 116 Abs. 1, § 118
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 04.03.1985; Aktenzeichen L 2 Vsb 3/85) |
SG Lübeck (Entscheidung vom 05.11.1984; Aktenzeichen S 11 Vsb 58/84) |
Tatbestand
Der Kläger war bis in das Jahr 1984 hinein als selbständiger Kaufmann erwerbstätig. Er begehrte die Anerkennung als Schwerbehinderter nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG). Mit der Durchführung des Antragsverfahrens nach diesem Gesetz beauftragte er einen Rechtsbeistand. Das Versorgungsamt versagte jedoch die Schwerbehinderteneigenschaft, indem es nur Behinderungen mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 40 vH feststellte (Bescheid vom 21. September 1982). Dem durch den Bevollmächtigten eingelegten Widerspruch des Klägers half das Versorgungsamt nach weiteren Ermittlungen des Sachverhalts ab, indem es anstelle des ersten Bescheides Behinderungen mit einer Gesamt-MdE von 60 vH feststellte und damit die Eigenschaft als Schwerbehinderter anerkannte. Zugleich entschied es, daß die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten notwendig gewesen sei, und erklärte sich bereit, dem Kläger die notwendigen Vorverfahrenskosten zu erstatten (Bescheid vom 2. November 1983). Der bevollmächtigte Rechtsbeistand setzte daraufhin seine Gebühr nach § 116 der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (BRAGO) auf 220,- DM zuzüglich 15 % als Pauschale nach § 26 BRAGO und 14 % Mehrwertsteuer fest. Als er den Betrag von 288,42 DM vom Beklagten forderte, setzte dieser den Erstattungsbetrag auf insgesamt 107,13 DM fest: Angesichts der Bedeutung der Angelegenheit, des Umfangs und der Schwierigkeit der Tätigkeit des Bevollmächtigten sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Berechtigten müsse vorliegend von einem sogenannten Normalfall ohne Besonderheiten ausgegangen werden. Demnach sei die sogenannte Mittelgebühr nach § 116 Abs 1 BRAGO anzusetzen, die wegen der im Vorverfahren nicht angefallenen Besprechungs- und Beweisaufnahmegebühr um zwei Drittel zu kürzen sei (angefochtener Bescheid vom 18. November 1983 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Februar 1984).
Das Sozialgericht (SG) hat den Beklagten verurteilt, dem Kläger 216,32 DM zu erstatten. Als Gebühr des Rechtsbeistandes hat es die Mittelgebühr aus dem Rahmen von 25,- DM bis 305,- DM in Höhe von 165,- DM festgesetzt (Urteil vom 5. November 1984). Die Berufung des Beklagten hat vor dem Landessozialgericht (LSG) keinen Erfolg gehabt (Urteil vom 4. März 1985): Zutreffend habe das SG im Anschluß an das Bundessozialgericht (BSG) ausgeführt, daß Verfahren nach dem SchwbG für den Behinderten in der Regel von mittlerer Bedeutung seien. Dies treffe auch auf den Fall des Klägers zu. Die Vorteile, die die Anerkennung als Schwerbehinderter mit sich gebracht hätten, seien für ihn einmal Steuererleichterungen für die Zeit von 1982 bis 1984 gewesen. Hinzu sei die Möglichkeit gekommen, vorzeitiges Altersruhegeld zu beziehen. Auch für die Frage nach dem Verbleiben oder Ausscheiden aus dem Berufsleben mit allen damit verbundenen persönlichen Konsequenzen sei die Anerkennung als Schwerbehinderter von großer Wichtigkeit gewesen. Der Umfang der von seinem Rechtsbeistand ausgeübten Tätigkeit sei dagegen gering gewesen. Die Widerspruchsbegründung habe sich auf den Hinweis beschränkt, daß bestimmte weitere Gesundheitsstörungen zu berücksichtigen seien und dazu von den Hausärzten weitere Auskünfte beigezogen werden könnten. Rechtsausführungen habe der Rechtsbeistand nicht gemacht. Immerhin seien aber seine Anregungen doch insofern bedeutsam gewesen, als der Beklagte gerade aufgrund des dann beigezogenen hausärztlichen Berichts die Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft vorgenommen habe. Hinsichtlich der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Klägers seien keine Besonderheiten hervorgetreten.
Mit der - vom LSG wegen der gleichartigen Problematik zu einem damals noch beim BSG anhängig gewesenen Rechtsstreit (Urteil des Senats vom 23. Oktober 1985 - 9a RVs 5/83 -) zugelassenen - Revision rügt der Beklagte die Verletzung des § 63 des Sozialgesetzbuchs, 10. Buch, Verwaltungsverfahren (SGB 10) und des § 12 BRAGO. SG und LSG hätten die Voraussetzungen eines Vorverfahrens als Normalfall verkannt, der die Festsetzung der sogenannten Mittelgebühr von 165,- DM rechtfertige. Billig sei hier nur eine Gebühr von 110,- DM. Die Feststellung des LSG, Schwerbehindertensachen käme allgemein eine mittlere Bedeutung zu, entspreche nicht den wirklichen Verhältnissen.
Der Beklagte beantragt, die angefochtenen Urteile insoweit aufzuheben, wie er zur Zahlung von mehr als 144,21 DM verurteilt worden sei.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Er hält das Urteil des LSG für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Das LSG hat richtig erkannt, daß die in diesem Rechtsstreit vor allem umstrittene Höhe der Gebühr des Rechtsbeistandes für die Rechtsverfolgung im Vorverfahren vom SG zutreffend festgesetzt worden ist. Nach ihr richtet sich anteilmäßig auch die Höhe der zu erstattenden Auslagenpauschale und der Mehrwertsteuer. Der Beklagte hat dem Kläger unstreitig nach § 63 Abs 1 und 2 SGB 10 die Gebühren und Auslagen des im Vorverfahren bevollmächtigten Rechtsbeistandes zu erstatten.
Auch für die Gebührenrechnung der Rechtsbeistände ist die Höhe des Erstattungsbetrages nach den Vorschriften der BRAGO festzulegen (Art IX Abs 1 Satz 1 des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung kostenrechtlicher Vorschriften - BGBl III, Gliederungs-Nr 369-1 - idF des Art 2 Abs 1 des 5. Gesetzes zur Änderung der BRAGO vom 18. August 1980 - BGBl I 1503 -). Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist die im Vorverfahren zu erstattende Gebühr entsprechend dem Sinn und Zweck der §§ 116, 118 BRAGO einem Gebührenrahmen von 25,- DM bis 305,- DM zu entnehmen (BSG SozR 1300 § 63 Nrn 2, 3 und 4). Im Einzelfall ist die Höhe der Rahmengebühr nach § 12 BRAGO zu ermitteln. Verfehlen sowohl der Rechtsbeistand als auch die erstattungspflichtige Verwaltungsbehörde die danach angemessene, nicht unbillige Gebühr (vgl § 315 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -), dann hat das angerufene Gericht die Festsetzung vorzunehmen. Das trifft hier jedenfalls zu. Im vorliegenden Falle sind die Beteiligten jedenfalls um mehr als 20 vH von der angemessenen Gebühr abgewichen. Deshalb mußte das SG die Gebührenfestsetzung vornehmen. Es hat zu Recht die sogenannte Mittelgebühr mit 165,- DM angesetzt. Denn es handelt sich um einen typischen Normalfall, der nach allen maßgebenden Kriterien des § 12 Abs 1 Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung durchschnittlichen Verhältnissen entspricht (vgl Frauenholz in Riedel/Sußbauer, Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung, 5. Aufl, 1985, RdNr 13 zu § 12). Das gilt besonders für "die Bedeutung der Angelegenheit" und "die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit". Gemessen an den im Sozialrecht anfallenden Angelegenheiten, insbesondere im Rentenversicherungs- und Unfallversicherungsrecht, sind die durch die Erhöhung der MdE zu erlangenden Vorteile im allgemeinen zwar gering. Im vorliegenden Fall ging es aber nicht nur um die Erhöhung der MdE, sondern um die Schwerbehinderteneigenschaft, die im Arbeits-, Dienst- und Rentenversicherungsrecht beachtliche Vorteile bringt. Die Bedeutung der Angelegenheit für den Behinderten ist schon durch das Verfahrensrecht anerkannt, in dem die Berufung für zulässig erklärt wurde, wenn von der MdE die Schwerbehinderteneigenschaft abhängt (§ 3 Abs 6 Satz 3 SchwbG, § 145 Nr 4 und § 148 Nr 3 SGG). Eher überdurchschnittlich ist die Schwierigkeit der Tätigkeit zu bewerten. Denn der Vertreter des Klägers war genötigt, die Verwaltung, die immerhin von Amts wegen alle für den Kläger günstigen Tatsachen zu erforschen hatte, auf weitere beachtliche Gesichtspunkte hinzuweisen. Dafür waren Spezialkenntnisse im Schwerbehindertenrecht erforderlich. Ferner war der Vertreter des Klägers genötigt, sich mit der Lebens- und Leidensgeschichte des Klägers auseinanderzusetzen.
Die Revision war deshalb zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen