Entscheidungsstichwort (Thema)
Kosten des Vorverfahrens. unbillige Bestimmung der Gebühr. angemessene Gebühr. durchschnittliche Verhältnisse
Orientierungssatz
1. Die im Vorverfahren zu erstattende Gebühr des Rechtsanwalts ist nach dem Sinn und Zweck der §§ 116, 118 BRAGebO einem Gebührenrahmen von 25 DM bis 305 DM zu entnehmen (ständige Rechtsprechung des BSG; vgl zuletzt Urteil vom 15.5.1985 7 RAr 116/83).
2. Zur Festsetzung der aus diesem Bezugsrahmen zu erstattenden Aufwendungen des Vorverfahrens, wenn die von dem Rechtsanwalt nach § 12 BRAGebO bestimmte Gebühr unbillig erscheint.
Normenkette
SGB 10 § 63 Abs 1 Fassung: 1980-08-18; SGB 10 § 63 Abs 2 Fassung: 1980-08-18; BRAGebO § 116 Abs 1 Nr 1, § 118 Abs 1, § 12 Abs 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der beigeladene Rechtsanwalt beantragte für den Kläger als dessen Bevollmächtigter die Feststellung von Behinderungen nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG). Gegen den ersten Bescheid des Versorgungsamts (VersorgA), der wegen eines herabgesetzten Sehvermögens bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 60 vH nur die Voraussetzungen für einen Schwerbehindertenausweis ohne Freifahrtberechtigung und für eine Rundfunkgebührenbefreiung (Merkmal RF) zuerkannte (Bescheid vom 30. September 1981), legte der Beigeladene Widerspruch ein. Dem half das VersorgA im vollen Umfange ab, indem es insgesamt drei Behinderungen des Klägers bei einer MdE von 100 vH und für seinen Schwerbehindertenausweis die Vergünstigungsmerkmale RF, G (Freifahrtberechtigung) und B (Notwendigkeit ständiger Begleitung) feststellte (Abhilfebescheid vom 6. Januar 1982). Zugleich entschied das VersorgA, daß es dem Kläger die Hälfte der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen des Vorverfahrens erstatten werde; notwendig sei es gewesen, einen Bevollmächtigten hinzuzuziehen.
Der Kläger beantragte daraufhin, die zu erstattende Hälfte der Kosten des Vorverfahrens auf 149,45 DM festzusetzen, wobei er die volle Gebühr unter Hinweis auf § 116 der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (BRAGO) auf 230,-- DM bestimmte und als Nebenkosten 15 vH für Postgebühren und 13 vH für Mehrwertsteuer verlangte. Mit den angefochtenen Bescheiden setzte das VersorgA die zu erstattenden Kosten auf insgesamt 39,81 DM fest. Dazu entnahm es die volle Gebühr aus der Mittelgebühr nach § 116 Abs 1 Nr 1 BRAGO (245,-- DM), die es um zwei Drittel auf 81,87 DM kürzte; danach bestimmte es die Gebühr nach § 118 Abs 1 BRAGO als den Mittelwert des darin genannten Rahmens: 7,5/10 von 81,67 DM = 61,25 DM. Zusammen mit dem Postgebührenpauschsatz nach § 26 BRAGO in Höhe von 9,20 DM und 13 vH Mehrwertsteuer in Höhe von 9,16 DM berechnete es die gesamten notwendigen Aufwendungen mit 79,61 DM, von denen dem Kläger die Hälfte zu erstatten war (Bescheid vom 17. Februar 1982, Abhilfebescheid vom 23. März 1982, Widerspruchsbescheid vom 14. Juni 1982).
Vor dem Sozialgericht (SG) haben der Kläger und der Beigeladene vollen Erfolg gehabt (Urteil vom 8. September 1982). Das Landessozialgericht (LSG) dagegen hat den Beklagten auf dessen zugelassene Berufung verurteilt, dem Kläger nur 104,60 DM zu erstatten; im übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 7. Februar 1983): Bei Anwendung des § 118 Abs 1 BRAGO im sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren sei unter der vollen Gebühr die pauschale Rahmengebühr des § 116 Abs 1 Nr 1 BRAGO zu verstehen, die nur einmal anfalle. Der beigeladene Rechtsanwalt habe der Angelegenheit des Klägers mit dem Gebührenansatz von 230,-- DM nach § 116 Abs 1 Nr 1 BRAGO eine fast mittelschwere Bedeutung zugelegt. Das lasse sich mit einer objektiven Einschätzung nach § 12 Abs 1 BRAGO vereinbaren. Demzufolge sei diese volle Gebühr auch nach § 118 Abs 1 BRAGO auf eine etwas unter der Mittelgebühr liegende Gebühr, also auf 7/10 der vollen Gebühr zu verringern: 161,-- DM. Zusammen mit der Pauschalgebühr nach § 26 BRAGO (24,15 DM) und der Mehrwertsteuer (24,06 DM) beliefen sich die gesamten notwendigen Aufwendungen des Klägers auf 209,21 DM, wovon ihm die Hälfte zu erstatten sei.
Dagegen haben alle drei Beteiligten die - vom LSG zugelassene - Revision eingelegt.
Der Beklagte meint, die Angelegenheit des Klägers sei ein Normalfall, wie schon das VersorgA entschieden habe. Nach den §§ 116, 118 BRAGO habe er deshalb die hier zugrunde zu legende Gebühr mit 61,25 DM zu Recht bestimmt.
Er beantragt, die angefochtenen Urteile aufzuheben und die Klage abzuweisen sowie die Revisionen des Klägers und des Beigeladenen zurückzuweisen.
Der Kläger und der Beigeladene beantragen, unter Zurückweisung der Revision des Beklagten das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG in vollem Umfange zurückzuweisen.
Sie halten zwar die Ausführungen des LSG zur vollen Gebühr in Höhe von 230,-- DM für zutreffend, nicht dagegen die nach den §§ 12, 118 BRAGO vorgenommene Kürzung.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revisionen des Klägers und des Beigeladenen hatten zum Teil Erfolg. Der vom Beklagten dem Kläger zu erstattende Betrag war auf 107,24 DM festzusetzen. Dagegen mußte die Revision des Beklagten zurückgewiesen werden.
Der Beklagte hat dem Kläger unstreitig nach § 63 Abs 1 und 2 des Sozialgesetzbuches, 10. Buch, Verwaltungsverfahren (SGB 10) die Gebühren und Auslagen des im Vorverfahren bevollmächtigten Rechtsanwaltes zu erstatten.
Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 7. Dezember 1983 (9a RVs 5/82 in SozR 1300 § 63 Nr 2) entschieden und näher ausgeführt hat, ist die im Vorverfahren zu erstattende Gebühr des Rechtsanwalts nach dem Sinn und Zweck der §§ 116, 118 BRAGO einem Gebührenrahmen von 25,-- DM bis 305,-- DM zu entnehmen; dem haben sich inzwischen der 11. und der 7. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) angeschlossen (SozR 1300 § 63 Nrn 3 und 4 sowie Urteil vom 15. Mai 1985 - 7 RAr 116/83 -). Denn nach § 63 SGB 10 sind nur die Kosten des Vorverfahrens, nicht aber die des Verwaltungsverfahrens insgesamt zu erstatten (Kosten des vorangehenden Verwaltungsverfahrens hat die Verwaltungsbehörde grundsätzlich nicht zu erstatten, vgl BSG SozR 1300 § 63 Nr 1). Dieser Vorverfahrensgebührenrahmen erreicht ungefähr die Höhe von zwei Drittel des für das gerichtliche Verfahren vor dem SG und ebenfalls für das vollständige Verwaltungsverfahren (Vorverfahren und das diesem vorangehende Verwaltungsverfahren) geltenden Gebührensatzes (BSG SozR 1300 § 63 Nr 4).
Aus dem Betragsrahmen von 25,-- DM bis 305,-- DM sind die dem Kläger von dem Beklagten allein zu erstattenden Aufwendungen des Vorverfahrens nach § 12 BRAGO zu ermitteln. Abs 1 Satz 1 dieser Vorschrift räumt bei Rahmengebühren vor allem dem Rechtsanwalt das Recht ein, die Gebühr im Einzelfall nach billigem Ermessen zu bestimmen unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Bedeutung der Angelegenheit, des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers. Ist die Gebühr jedoch - wie hier - von einem Dritten zu ersetzen, so ist nach Satz 2 aa0 die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist. Maßstab ist die angemessene, nicht unbillige Gebühr (vgl § 315 des Bürgerlichen Gesetzbuches -BGB-). Der Beklagte ist zu Recht davon ausgegangen, daß die von dem beigeladenen Rechtsanwalt bestimmte Gebühr von 230,-- DM unbillig gewesen ist.
Sie weicht ganz erheblich, jedenfalls um mehr als 20 vH von der nach Auffassung des Gerichts billigen Gebühr ab, so daß auch in diesem Rechtsstreit nicht die Frage entschieden werden muß, ob dem Rechtsanwalt innerhalb der Grenze einer bestimmten, unerheblichen Abweichung von der billigen Gebühr ein Bestimmungsermessen zusteht. Damit hatte nunmehr der Beklagte das Recht, die angemessene Gebühr unter Berücksichtigung der in § 12 Abs 1 Satz 1 BRAGO genannten Kriterien festzusetzen, ohne daß ihm dabei ein Handlungsermessen eingeräumt war. Indessen verfehlte auch er das nicht unbillige Ergebnis ganz erheblich. Die von ihm festgesetzte Gebühr von 61,25 DM entspricht nicht den vom Senat - zeitlich erst später - festgelegten rechtlichen Maßstäben und ist deshalb viel zu niedrig. Aber es ist nach § 12 Abs 1 Satz 1 BRAGO nicht zu beanstanden, daß der Beklagte die Angelegenheit des Klägers als einen typischen Normalfall beurteilt hat, eine Sache, die nach allen maßgebenden Kriterien durchschnittlichen Verhältnissen entspricht. Damit stimmen auch die tatsächlichen Feststellungen des LSG über den Umfang und die Schwierigkeit der Tätigkeit des Beigeladenen sowie die Bedeutung der Angelegenheit für den Kläger überein. Sie rechtfertigen unter zusätzlicher Berücksichtigung der allgemeinen Betriebskosten einer Rechtsanwaltspraxis ohne Abstriche die Mittelgebühr, die für durchschnittliche Vorverfahren auch der vorliegenden Art (Schwerbehindertensachen) gilt (BSG SozR 1300 § 63 Nr 4). Der Senat sieht entgegen der Meinung des LSG auch im Gebührenansatz des Beigeladenen (230,-- DM) keinen berechtigten Grund, die Sache ein Zwanzigstel unter dem Mittelwert des dem Gesetz entnommenen Gebührenrahmens einzuordnen. Zulässige und begründete Revisionsgründe gegen die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts sind nicht vorgebracht worden.
Demzufolge ist die umstrittene Gebühr aus der Mittelgebühr von 165,-- DM zzgl 15 % als Pauschale nach § 26 BRAGO = 24,80 DM und 13 % Mehrwertsteuer = 24,68 DM, zusammen 214,48 DM zu errechnen. Nach der bindenden Feststellung des Beklagten ist davon die Hälfte dem Kläger zu erstatten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen