Beteiligte
Klägerin und Revisionsklägerin |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I.
In dem Rechtsstreit um Hinterbliebenenentschädigung ist umstritten, ob der Tod des Ehemannes der Klägerin, K. B. - , durch einen Arbeitsunfall eingetreten ist.
Am 20. Oktober 1986 hatte sich K. B. von seiner Wohnung aus zu Fuß auf den Weg zum "Alten Pfarrhaus" in T. begeben. Dabei wurde er kurz nach 19.15 Uhr von einem Personenkraftwagen angefahren und so schwer verletzt, daß er noch an der Unfallstelle verstarb. Im "Alten Pfarrhaus" sollte um 19.30 Uhr eine feierliche Veranstaltung der evangelischen Kirchengemeinde T. (Kirchengemeinde) stattfinden, zu der alle Helfer beim Pfarrhausumbau, Frauen und Männer, eingeladen waren. Die Kirchengemeinde hatte seit November 1985 an ihrem "Alten Pfarrhaus" Um- und Ausbauarbeiten mit etwa 150 freiwilligen und im wesentlichen ohne Bezahlung tätigen Helfern aus der Kirchengemeinde durchgeführt. Sie richtete damit u.a. Räume für Jugendliche und einen Veranstaltungssaal ein. K. B. gehörte zu diesen Helfern; er hatte an dem Bauvorhaben 190 Arbeitsstunden geleistet. Im Hinblick darauf sah der Veranstaltungsplan für diesen Abend vor:
Begrüßung, Abendessen, Ehrung der besonders verdienten Helfer, Grußwort vom Dekan, Rückblick auf die Bauarbeiten mit Dias, Möglichkeiten zum Gespräch, Abschluß mit Andacht und Gebet.
Die Kirchengemeinde hatte K. B. zu den besonders verdienten Helfern gezählt und vorgesehen, ihm im Rahmen dieser Veranstaltung eine Ehrenurkunde zum Dank und in Anerkennung seiner hilfreichen Mitarbeit beim Umbau des "Alten Pfarrhauses" zu überreichen.
Die Beklagte lehnte es ab, der Klägerin Hinterbliebenenentschädigung zu gewähren (Bescheid vom 17. September 1987). Die Teilnahme an der Feier sei keine versicherte Tätigkeit mehr gewesen. Die Feier könne nicht als Richtfest angesehen werden und auch nicht als eine für K. B. unter Versicherungsschutz stehende betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung, weil der Verunglückte nicht zur Belegschaft der Kirchengemeinde gehört habe.
Während das Sozialgericht (SG) Ulm die Beklagte verurteilt hat, der Klägerin nach dem Tod ihres Ehemannes die Leistungen aus der Unfallversicherung zu bewilligen (Urteil vom 18. August 1988), hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg dieses Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 11. Januar 1990). Auf dem unfallbringenden Weg habe K. B. nicht unter dem Unfallversicherungsschutz des § 550 Abs. 1 i.V.m. § 539 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) gestanden. Bei den Um- und Ausbauarbeiten habe er zwar wie ein Bauarbeiter gearbeitet und dürfte deshalb versichert gewesen sein. Aber das gelte nicht mehr für die Teilnahme an der Veranstaltung am 20. Oktober 1986. Diese habe wohl in einem inneren Zusammenhang mit den vorangegangenen Bauarbeiten gestanden, jedoch seien Feiern zum Abschluß von Bauarbeiten nicht mehr unfallversichert, weil dabei keine Bauarbeiten mehr verrichtet würden. Einzige Ausnahme davon sei das typische Richtfest, bei dem die Zimmerleute nach altem handwerklichem Brauch den Dachstuhl aufrichteten, einen Richtkranz anbrächten und den Richtspruch aufsagten. Die Veranstaltung vom 20. Oktober 1986 sei aber kein solches Richtfest gewesen und könne auch versicherungsmäßig nicht wie ein Richtfest gewertet werden.
Mit der - vom Bundessozialgericht (BSG) zugelassenen - Revision rügt die Klägerin die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das LSG hätte von seinem Rechtsstandpunkt aus die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft nach § 75 Abs. 2 Alternative 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) notwendig beiladen müssen, weil dieser Versicherungsträger bei der Ablehnung des Anspruchs als leistungspflichtig in Betracht komme. Abgesehen davon sei aber der Klageanspruch nach § 589 Abs. 1, § 550 Abs. 1, § 539 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 RVO begründet. Zwischen den von der Kirchengemeinde unternommenen Bauarbeiten und der Dankveranstaltung am 20. Oktober 1986 habe ein enger innerer Zusammenhang bestanden, der durch die besondere Danksagung und Ehrung als immaterielle Entlohnung für die Bauarbeiten gekennzeichnet sei. Auf dem Wege dorthin habe ihr Ehemann nach § 550 Abs. 1, § 539 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 RVO unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen, hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet.
Der Klägerin stehen die Witwenleistungen nach § 589 Abs. 1, §§ 590, 591 RVO zu, weil ihr Ehemann K. B. den Tod durch einen Arbeitsunfall erlitten hat (§ 550 Abs. 1, § 539 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 RVO), den die Beklagte entschädigen muß (§ 646 Abs. 1, Anlage 1, S. auch Richtlinien für die Beurteilung der unfallversicherungsrechtlichen Zuständigkeit bei nicht gewerbsmäßigen Bauarbeiten in HVGBG RdSchr VB 59/67 sowie BSGE 38, 6, 7). Das hat das SG zutreffend erkannt.
An dieser Entscheidung des Rechtsstreits in der Sache ist der Senat nicht durch die Verfahrensrüge gehindert, das LSG habe § 75 Abs. 2 Alternative 2 SGG verletzt. Ihr mußte der Erfolg versagt bleiben, denn das angefochtene Urteil kann nicht darauf beruhen. Das steht im Revisionsverfahren abschließend fest. Ein solcher Verfahrensfehler könnte im Revisionsverfahren nicht mehr fortwirken, weil die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil ausreichen, abschließend festzustellen, daß der Anspruch gegen die Beklagte nicht i.S. des § 75 Abs. 2 Alternative 2 SGG abgelehnt werden darf (BSG SozR 1500 § 75 Nr. 74).
Nach § 550 Abs. 1 i.V.m. § 548 Abs. 1 RVO gilt als Arbeitsunfall auch ein Unfall, den ein Versicherter auf einem mit einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten zusammenhängenden Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit erleidet. K. B. war zur Zeit des Unfalls zwar nicht aufgrund eines zur Kirchengemeinde bestehenden Arbeits-, Dienst- oder Lehrverhältnisses nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO gegen Arbeitsunfall versichert; jedoch stand er aufgrund des § 539 Abs. 2 RVO unter Unfallversicherungsschutz. Danach sind gegen Arbeitsunfall auch Personen versichert, die wie ein nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO Versicherter - wenn auch nur vorübergehend - tätig werden.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. BSGE 5, 168, 174; 31, 275, 277; SozR 2200 § 539 Nr. 119) ist Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 2 RVO gegeben, wenn es sich um eine dem in Betracht kommenden Unternehmen dienende Tätigkeit handelt, die dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers entspricht und sonst ihrer Art nach von Personen verrichtet werden könnte, die in einem dem allgemeinen Arbeitsmarkt zuzurechnenden Beschäftigungsverhältnis stehen; sie muß ferner unter solchen Umständen geleistet werden, daß sie einer Tätigkeit aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses ähnlich ist (Urteil des Senats vom 26. April 1990 - 2 RU 39/89 - in HV-Info 1990, 1349). Das LSG hat eingeräumt, daß K. B. bei seinen während 190 Arbeitsstunden verrichteten Bauarbeiten demgemäß unter dem Versicherungsschutz des § 539 Abs. 2 RVO gestanden haben könnte. Das LSG geht sogar davon aus, daß die Veranstaltung am 20. Oktober 1986 in einem inneren Zusammenhang mit den vorangegangenen Bauarbeiten gestanden hat, hält es jedoch für entscheidend, daß für diese Veranstaltung Bauarbeiten nicht auf dem Programm gestanden haben. In dieser einengenden Betrachtungsweise und einschränkenden Wertung vermag der Senat dem LSG nicht zu folgen.
Ein Arbeitsunfall setzt in der Regel voraus, daß das Verhalten, bei dem sich der Unfall ereignet, einerseits zur versicherten Tätigkeit zu rechnen ist (Wertung), und daß diese Tätigkeit andererseits den Unfall herbeigeführt hat (haftungsbegründende Kausalität). Zunächst muß also eine sachliche Verbindung mit dem Gegenstand der Versicherung bestehen, der innere Zusammenhang, der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Wie bei allen anderen Zurechnungsentscheidungen sind auch für die Beurteilung des Versicherungsschutzes nach § 539 Abs. 2 RVO alle Umstände des Einzelfalls und das sich daraus ergebende Gesamtbild in Betracht zu ziehen (s das Urteil des Senats vom 24. Januar 1991 - 2 RU 44/90 -). Ebenso wie die konkrete Ausgestaltung des Beschäftigungsverhältnisses gibt auch unter dem Gesichtspunkt des § 539 Abs. 2 RVO die Organisation des Unternehmens einerseits und die Einordnung der Gesamttätigkeit des in diesem Unternehmen wie ein Beschäftigter Tätigen andererseits den Ausschlag, ob seine unfallbringende Tätigkeit wesentlich dem versicherten Bereich zugeordnet werden muß (s BSG SozR 2200 § 548 Nr. 78). Die Prüfung reicht nicht aus, ob die einzelne Verrichtung losgelöst von den tragenden Umständen dem Unternehmen nützlich ist oder nicht. Entscheidend ist vielmehr, daß auch die Handlungstendenz des zu Beurteilenden insgesamt auf die Belange des Unternehmens gerichtet ist. Diese für den Versicherungsschutz notwendige Handlungstendenz kommt in dem von der Rechtsprechung gebrauchten Begriff der dem Unternehmen "dienlichen" oder "dienenden" oder "zu dienen bestimmten" Tätigkeit zum Ausdruck (vgl. BSG SozR 2200 § 548 Nr. 96 m.w.N.). Im vorliegenden Fall braucht man dementsprechend nur die Organisation des bei der Beklagten versicherten Unternehmens, die erkennbaren Belange der Kirchengemeinde als Unternehmerin und die Handlungstendenz des K. B. zusammenhängend zu bewerten, um aus den folgenden Gründen seinen Versicherungsschutz auf dem Wege zur Dankveranstaltung zu bejahen.
Ausschlaggebend ist schon die konkrete, vom LSG festgestellte Organisation der umfangreichen Bauarbeiten am "Alten Pfarrhaus", die die Kirchengemeinde als Unternehmerin nicht gewerbsmäßiger Bauarbeiten in sogenannter Regiearbeit durchführen ließ. Die Kirchengemeinde setzte dafür nach Plan vornehmlich Helfer aus der Gemeinde ein, die ohne Bezahlung arbeiteten. Wenn auch ohne finanzielles Entgelt, sollten diese Helfer nach der Planung der Kirchengemeinde aber nicht ohne ein immaterielles Entgelt in Gestalt einer förmlichen Dankabstattung und Anerkennung in feierlichem, kirchlich geprägtem Rahmen bleiben. K. B. sollte sogar als "verdienter Helfer" eine vorbereitete Dankesurkunde erhalten. Wer hierin, wie das LSG, diese innere Beziehung zu den zuvor durchgeführten Bauarbeiten erkennt, muß im nächsten Wertungsschritt auch berücksichtigen, daß in der gesetzlichen Unfallversicherung seit jeher nicht nur für die Ausführung der Betriebstätigkeit, sondern auch für die mit der persönlichen Lohnzahlung verbundenen Tätigkeiten Versicherungsschutz angenommen wurde. Diesen vorgegebenen, grundlegenden Versicherungsschutz hat der Gesetzgeber des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes (UVNG) mit der Fassung des § 548 Abs. 1 Satz 2 RVO den besonderen Verhältnissen angepaßt, die dadurch entstanden sind, daß die Arbeitgeber dazu übergegangen sind, Lohn und Gehalt bargeldlos auf entsprechend eingerichtete Konten ihrer Arbeitnehmer zu überweisen (vgl. das Urteil des Senats vom 17. Oktober 1990 - 2 RU 38/90 -zur Veröffentlichung bestimmt, auch abgedruckt in HV-Info 1990, 26, 29). Unter diesem Gesichtspunkt kommt es nicht darauf an, daß bei der Dankveranstaltung vom 20. Oktober 1986 nicht mehr die Bauarbeiten auf dem Programm standen, sondern stattdessen die Dankabstattung speziell für die ein ganzes Jahr lang zuvor verrichteten Bauarbeiten. Davon war die gesamte Veranstaltung nach dem vom LSG festgestellten Programm wesentlich geprägt. Und da K. B. wegen der vielen von ihm zuvor geleisteten Helferstunden als besonders verdienter Helfer geehrt werden sollte, sprechen auch alle vom LSG festgestellten Umstände dafür, daß er sich wesentlich deswegen auf dem Weg zu dieser Veranstaltung befand, als er verunglückte. Im Sinne des § 539 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 RVO legte K. B. somit einen Weg zurück wie ein Arbeitnehmer, der sich seinen finanziellen Lohn vom Arbeitgeber persönlich abholt. Sein tödlicher Unfall auf diesem Weg gilt als Arbeitsunfall nach § 550 Abs. 1 RVO.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen