Leitsatz (amtlich)
Der Träger der Rentenversicherung der Bundesrepublik Deutschland ist gegenüber den Waisen eines in Italien verstorbenen Versicherten italienischer Staatsangehörigkeit zur Zahlung eines Zuschlages in Höhe des Differenzbetrages zwischen der niedrigeren italienischen Waisenrente und einer fiktiven höheren deutschen Waisenrente jedenfalls dann nicht verpflichtet, wenn die Waisen ihren Wohnsitz stets in der Republik Italien gehabt haben, sie in der Bundesrepublik Deutschland weder eine Rente bezogen noch einen Rentenanspruch erworben haben und mit den vom Versicherten in der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegten Versicherungszeiten die Wartezeit für die Waisenrente nicht erfüllt ist (Abgrenzung zu EuGH 1980-07-09 807/79 = EuGHE 1980, 2205 = SozR 6050 Art 78 Nr 2).
Normenkette
RVO §§ 1263, 1267 Abs. 1; EWGV 1408/71 Art. 78 Abs. 2 S. 1 Buchst. b Nr. i Fassung: 1971-06-14, Art. 79 Fassung: 1971-06-14
Verfahrensgang
SG Augsburg (Entscheidung vom 09.12.1981; Aktenzeichen S 12 Ar - It 354/81) |
Tatbestand
Streitig sind Ansprüche auf Rentenleistungen für Halbwaisen.
Die in den Jahren 1970, 1971 und 1973 geborenen und in Italien lebenden Kläger sind die Kinder des am 10. Februar 1979 in Italien verstorbenen Sabato G. (im folgenden: Versicherter). Dieser legte in der Bundesrepublik Deutschland eine Versicherungszeit von 54 Monaten zurück. Seinen Rentenantrag vom 9. Dezember 1969 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 7. Oktober 1971 wegen Nichterfüllung der Wartezeit ab. In der Folgezeit entrichtete der Versicherte in Italien für 57 Monate Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung.
Nach seinem Tode bewilligte die Beklagte der Mutter der Kläger Witwenrente (Bescheid vom 9. Oktober 1980). Den Antrag der Kläger auf Gewährung von Waisenrente lehnte sie ab, weil wegen des ständigen Wohnsitzes der Kläger in Italien der dortige Versicherungsträger für die Gewährung der Waisenrente zuständig sei (Bescheid vom 13. Oktober 1980). Der Widerspruch der Kläger blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 30. April 1981).
Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) Augsburg die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide vom 13. Oktober 1980 und 30. April 1981 verurteilt, den Klägern Halbwaisenrente dem Grunde nach zu gewähren (Urteil vom 9. Dezember 1981). Zur Begründung hat es ausgeführt:
Den Klägern stehe ebenso wie ihrer Mutter ein Anspruch auf Hinterbliebenenrente zu. Die hierfür erforderlichen Voraussetzungen des § 1263 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) seien erfüllt. Der Versicherte habe unter Anrechnung seiner italienischen Versicherungszeiten die 60-monatige Wartezeit für eine Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU-Rente) erfüllt. Die Rentenansprüche der Kläger würden durch die Regelung des Art 78 Abs 2 Buchst b) Ziffer i) der Verordnung Nr 1408/71 des Rates zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, vom 14. Juni 1971 (EG-VO 1408/71) nicht verdrängt. EG-Regeln hätten nicht die Aufgabe, gesetzlich niedergelegte nationale Anspruchsgrundlagen durch eigene EG-Sozialrechte zu ersetzen. Daher sei Art 78 Abs 2 EG-VO 1408/71 eher Maßstab dafür, welche Leistungsträger in welcher Höhe die Leistungspflicht treffe. Demzufolge müßten sich die Kläger das anrechnen lassen, was ihnen der italienische Versicherungsträger nach seinen nationalen Vorschriften an Leistungen zu erbringen habe. Solange dieser Betrag nicht feststehe, könne es noch nicht zu einer Rentenauszahlung kommen. Dem Anspruch der Kläger stehe ferner nicht entgegen, daß sie zu keiner Zeit in der Bundesrepublik Deutschland gewohnt hätten und nicht bereits dort in den Genuß von Halbwaisenrente gekommen seien. Zwar gewähre Art 78 EG-VO 1408/71 umziehenden Waisen eine Art Bestandsschutz auf das, was bereits zuvor schon einmal an sie ausbezahlt worden sei. Das hindere aber nicht die Entstehung gleicher Ansprüche für Waisen, die stets in Italien gelebt hätten und noch nicht in den Genuß deutscher Rentenzahlungen gekommen seien. Eine Beschränkung deutscher Leistungen allein auf umziehende Waisen sei auch nicht dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 9. Juli 1980 (Rechtssache - RS - 807/79; Fall "G.") zu entnehmen. Der EuGH sei bei dem feststehenden Rechtssatz geblieben, daß EG-Regelungen nicht nationale Ansprüche beseitigen könnten, selbst wenn diese erst mittels der EG-Regelung erworben worden seien. Schließlich brauchten sich die Kläger nicht deswegen allein mit der Regelung des Art 78 EG-VO 1408/71 zu begnügen, weil es erst durch Zusammenrechnung der italienischen und der deutschen Versicherungszeiten zur Erfüllung der Wartezeit von 60 Monaten gekommen und damit ein originärer deutscher Anspruch nicht vorhanden sei. Zur Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 1263 RVO dürfe angesichts der darin enthaltenen Bezugnahme auf § 1246 RVO die Zusammenrechnungsvorschrift des Art 45 Abs 1 EG-VO 1408/71 herangezogen werden, auch wenn sie sich unmittelbar nur auf Invalidenrente beziehe.
Mit der vom SG zugelassenen und mit Zustimmung der Kläger eingelegten Sprungrevision rügt die Beklagte eine fehlerhafte Anwendung des Art 78 Abs 2 Buchst b) Ziffer i) EG-VO 1408/71. Tenor und Gründe des angefochtenen Urteils stünden zueinander in Widerspruch. Entgegen dem Urteilstenor habe nach den Gründen des Urteils das SG sie (die Beklagte) lediglich verpflichten wollen, den Klägern den Betrag der Differenz zwischen der italienischen Leistung und der fiktiven deutschen Leistung zu zahlen. Eine entsprechende Verurteilung dem Grunde nach sei jedoch nicht möglich, weil im Einzelfall die vom italienischen Versicherungsträger zu erbringende Leistung höher sein könne als die entsprechende deutsche Leistung und dann ein Differenzbetrag überhaupt nicht in Betracht kommen könne. Nach Art 78 EG-VO 1408/71 in seiner Auslegung durch die Rechtsprechung des EuGH begründe die Verlegung des Wohnsitzes von einem in einen anderen Mitgliedstaat die Leistungsverpflichtung des Trägers des neuen Wohnstaates. Diese lasse jedoch den Anspruch auf höhere Leistungen nach dem Recht des früheren Wohnstaates nicht untergehen. Sei der vom neuen Wohnstaat zu erbringende Betrag niedriger als der Betrag der allein nach dem Recht des früheren Wohnstaates zustehenden Leistung, so habe der Träger des letzteren Staates zu seinen Lasten einen Zuschlag in Höhe des Unterschiedes zwischen den beiden Beträgen zu zahlen. Demnach sei für die Gewährung der Waisenrente grundsätzlich derjenige Staat zuständig, in dem die Waise wohne. Dies werde durch die Entstehungsgeschichte des Art 78 EG-VO 1408/71 bestätigt. Die "Wohnsitzregelung" bei den Waisenrenten sei nach einem Urteil des EuGH mit dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG-Vertrag) vereinbar. Angesichts des Charakters der deutschen Waisenrente als einer überwiegend unabhängig von der Dauer der Versicherungszeit gewährten Familienunterstützung sei eine gegenüber der Versicherten- und Hinterbliebenenrente unterschiedliche Behandlung sachlich gerechtfertigt. Das SG habe sich in Verkennung dieser Erwägungen auf den Wortlaut des § 1263 Abs 2 RVO gestützt und dabei übersehen, daß auch nach anderen Vorschriften beim Vorliegen bestimmter Tatbestände eine Witwe selbst dann keine Hinterbliebenenrente erhalte, wenn der verstorbene Versicherte Rente bezogen habe. Die Auffassung des SG, bei Art 78 EG-VO 1408/71 handele es sich "eher" um einen "Verteilungsmaßstab", und die Kläger müßten sich die vom italienischen Versicherungsträger zu erbringenden Leistungen anrechnen lassen, sei mangels Begründung nicht nachvollziehbar. Art 78 EG-VO 1408/71 sei eine Kollisionsnorm. Das habe der EuGH in der Sache "G." bestätigt. Der diesem Urteil zugrundeliegende Sachverhalt sei jedoch mit dem hier gegebenen Tatbestand nicht zu vergleichen. In dem damals entschiedenen Fall hätten die Waisen vor der Verlegung ihres Wohnsitzes in einen anderen Mitgliedstaat bereits Hinterbliebenenrenten bezogen. Nur in einem solchen Fall solle der Berechtigte durch den Wohnsitzwechsel nicht eine finanzielle Einbuße erleiden und deswegen der frühere Mitgliedstaat einen Zuschlag zur Leistung des Wohnsitzstaates gewähren. Nicht aber solle sich der Anspruch unabhängig vom Wohnsitz nach denjenigen nationalen Rechtsvorschriften richten, die die günstigste, dh höchste Leistung gewährten. Im übrigen sei nach Auffassung des EuGH bei Berechnung des Differenzbetrages auf die fiktive Leistung abzustellen, die sich aus der Anwendung allein der innerstaatlichen Rechtsvorschriften ergebe. Da der Versicherte in der Bundesrepublik Deutschland eine Versicherungszeit von nur 57 (richtig: 54) Monaten zurückgelegt habe, hätten die Kläger auch dann keinen Waisenrentenanspruch, wenn sie zur Zeit des Todes des Versicherten in der Bundesrepublik gelebt und vor einem Wohnsitzwechsel aufgrund einer Zusammenrechnung der deutschen und der italienischen Versicherungszeiten Waisenrente bezogen hätten. Dem Grundsatz, daß aufgrund der im EWG-Vertrag verbürgten Freizügigkeit Arbeitnehmer durch einen Wohnsitzwechsel keinen Nachteil erleiden sollten, sei bei Waisen dadurch Rechnung getragen, daß der Wohnsitzstaat bei Feststellung seiner Leistung sämtliche nach nationalen Vorschriften anrechenbaren Zeiten berücksichtigen müsse. Sie (die Beklagte) habe im vorliegenden Fall auch aus Gründen der Praktikabilität Leistungen nicht zu erbringen. Der seinem Wortlaut nach eindeutige Art 78 Abs 2 EG-VO 1408/71 lasse keinen Raum für eine andersartige Interpretation.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 9. Dezember 1981 aufzuheben und die Klage abzuweisen;
hilfsweise,
das Verfahren auszusetzen und den Rechtsstreit dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorzulegen.
Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Sie tragen vor, das angefochtene Urteil weise keinen Widerspruch zwischen Tenor und Entscheidungsgründen auf. Auch wenn sich durch Anrechnung der italienischen auf die deutsche Waisenrente im Einzelfall ein Nullbetrag ergeben könne, könne doch zur Leistung der deutschen Rente lediglich dem Grunde nach verurteilt werden. Entgegen der Ansicht der Beklagten gebe es seit Erlaß des G. -Urteils des EuGH nicht mehr das Prinzip, daß für die Gewährung von Waisenrenten nur ein Mitgliedstaat zuständig sei. Vielmehr ergebe sich aus Art 78 Abs 2 Buchst b EG-VO 1408/71, daß bei Waisen von Wanderarbeitnehmern der Leistungsträger des Wohnsitzstaates neu zuständig werde und daneben der Leistungsträger eines früheren Wohnsitzstaates zuständig bleibe, soweit nach dem für ihn geltenden Recht ein Leistungsanspruch bestehe und höher sei als der Anspruch gegen den Leistungsträger des Wohnsitzstaates. In der vom EuGH entschiedenen Sache G. habe allerdings der Versicherte mit seinen Kindern in Deutschland gewohnt und mehr als 60 Monate deutscher Versicherungszeit zurückgelegt; er sei hier gestorben, und die Waisen seien in einen anderen EG-Mitgliedstaat verzogen. Demgegenüber weise der vorliegende Fall die Besonderheiten auf, daß eine Versicherungszeit von 60 oder mehr Monaten nur durch Zusammenrechnung von Versicherungszeiten in mehreren EG-Mitgliedstaaten nachgewiesen werden könne und daß die Waisen auch schon vor dem Tode des Versicherten in einem anderen EG-Mitgliedstaat gewohnt hätten. Indes müßten bei allen in Betracht kommenden Fallgruppen und Differenzierungen wegen eines durchgängig einschlägigen Prinzips die normative Behandlung die gleiche sein und die Unterschiede der Fallgestaltung als für die Rechtsfolge des Waisenrentenanspruchs irrelevant angesehen werden. Aus den allgemeinen Erwägungen des G.-Urteils gehe hervor, daß der EuGH auch bei der vorliegenden Fallkonstellation von einem Recht auf Auszahlung des Differenzbetrages ausgehe. Die Waisenrente solle Ersatz für den vor dem Tode des Versicherten bestehenden Unterhaltsanspruch sein. Dieser bestehe unabhängig davon, in welchem Mitgliedstaat die Waisen ihren Wohnsitz hätten. Es sei kein Grund für eine Differenzierung dahingehend ersichtlich, daß Ersatz für den Unterhaltsanspruch nur an Waisen mit Wohnsitz in dem Beschäftigungsstaat geleistet werden solle. Insofern seien der Gestaltungsfreiheit durch den Schutz des Vertrauens in einem vom Wohnort unabhängigen Fortbestand des vom Versicherten abgeleiteten Versicherungsanspruchs und durch das auch für Familienangehörige geltende Recht der Freizügigkeit Grenzen gesetzt. Im übrigen habe das SG zu Recht ausgesprochen, daß für die Erfüllung der Wartezeit deutsche und italienische Versicherungszeiten berücksichtigt werden müßten.
Entscheidungsgründe
Die durch Zulassung statthafte Sprungrevision der Beklagten ist zulässig und im Sinne einer Zurückverweisung des Rechtsstreits an das SG begründet.
Im Streit ist ein Anspruch der Kläger auf Gewährung einer Halbwaisenrente oder eines Zuschlages zu einer italienischen Hinterbliebenenrente. Ein solcher Zuschlag steht den Klägern nicht zu. Ob sie Halbwaisenrente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung beanspruchen können, vermag der Senat mangels hierfür ausreichender tatsächlicher Feststellungen nicht abschließend zu entscheiden.
Rechtsgrundlage des Anspruchs auf Gewährung einer Halbwaisenrente ist § 1267 Abs 1 RVO. Danach erhalten nach dem Tode des Versicherten seine Kinder bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres und unter bestimmten Voraussetzungen über diesen Zeitpunkt hinaus Waisenrente. Allgemeine Voraussetzung hierfür ist, daß dem Versicherten zur Zeit seines Todes Versichertenrente zustand oder zu diesem Zeitpunkt die Wartezeit für die Rente wegen Berufsunfähigkeit von ihm erfüllt ist oder nach § 1252 RVO als erfüllt gilt (§ 1263 Abs 2 RVO). Die Wartezeit für die Rente wegen Berufsunfähigkeit ist erfüllt, wenn vor Eintritt der Berufsunfähigkeit eine Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten zurückgelegt ist (§ 1246 Abs 3 RVO).
Die Voraussetzungen allein dieser Vorschriften sind gegeben. Insbesondere ist die Wartezeit von 60 Kalendermonaten erfüllt. Zwar hat der Versicherte in der gesetzlichen Rentenversicherung der Bundesrepublik Deutschland eine Versicherungszeit von lediglich 54 Monaten zurückgelegt und deswegen die Beklagte zutreffend mit Bescheid vom 7. Oktober 1971 die Bewilligung einer Versichertenrente abgelehnt. Indes sind in die Wartezeit für die Waisenrente die vom Versicherten nachträglich in Italien zurückgelegten Beitragszeiten von 57 Monaten einzubeziehen. Das ergibt sich aus Art 79 Abs 1 Satz 2 Buchst a) iVm Art 72 EG-VO 1408/71. Die Leistungen nach den Art 77 und 78 EG-VO 1408/71 und damit auch Waisenrenten aus der gesetzlichen Rentenversicherung werden gemäß den nach diesen Artikeln bestimmten Rechtsvorschriften von dem Träger, der diese Rechtsvorschriften anzuwenden hat, zu seinen Lasten gewährt, als hätten für den Rentner oder den verstorbenen Arbeitnehmer ausschließlich die Rechtsvorschriften des zuständigen Staates gegolten (Art 79 Abs 1 Satz 1 EG-VO 1408/71). Dabei gilt jedoch, daß dann, wenn nach diesen Rechtsvorschriften ua der Erwerb des Leistungsanspruchs von der Dauer der Versicherungs-, Beschäftigungs- oder Wohnzeiten abhängt, diese Dauer gegebenenfalls unter Berücksichtigung des Art 45 bzw des Art 72 EG-VO 1408/71 ermittelt wird (Art 79 Abs 1 Satz 2 Buchst a EG-VO 1408/71). Nach Art 72 EG-VO 1408/71 berücksichtigt der zuständige Träger eines Mitgliedstaates, nach dessen Rechtsvorschriften der Erwerb des Leistungsanspruchs von der Zurücklegung von Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten abhängig ist, soweit erforderlich auch Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten in einem anderen Mitgliedstaat, als handele es sich um Zeiten, die nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften zurückgelegt sind. Demnach wäre - die Leistungszuständigkeit der Beklagten unterstellt - die Wartezeit für eine von ihr zu gewährende Waisenrente unter Einschluß der vom Versicherten in Italien zurückgelegten Beitragszeiten zu errechnen und aufgrund dessen erfüllt.
Gleichwohl kommt die Gewährung der von den Klägern beanspruchten Halbwaisenrente nur unter der Voraussetzung in Betracht, daß hierfür die Leistungszuständigkeit eines Trägers der Bundesrepublik Deutschland besteht. Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, läßt sich auf der Grundlage des insoweit maßgebenden Art 78 Abs 2 Satz 1 Buchst b) EG-VO 1408/71 gegenwärtig nicht entscheiden. Nach dieser Vorschrift werden die Leistungen für Waisen ohne Rücksicht darauf, in welchem Mitgliedstaat die Waisen oder die natürliche oder juristische Person, die ihren Unterhalt bestreitet, wohnen, für Waisen eines verstorbenen Arbeitnehmers, für den die Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten gegolten haben, (i) nach den Rechtsvorschriften des Staates gewährt, in dessen Gebiet die Waisen wohnen, wenn Anspruch auf eine der in Abs 1 genannten Leistungen - gegebenenfalls unter Berücksichtigung von Art 79 Abs 1 Buchst a) EG-VO 1408/71 - nach den Rechtsvorschriften dieses Staates besteht, oder (ii) in den anderen Fällen nach den Rechtsvorschriften des Staates, die für den verstorbenen Arbeitnehmer die längste Zeit gegolten haben, wenn Anspruch auf eine der in Abs 1 genannten Leistungen nach den Rechtsvorschriften dieses Staates gegebenenfalls unter Berücksichtigung von Art 79 Abs 1 Buchst a) EG-VO 1408/71 besteht, wenn nach diesen Rechtsvorschriften kein Anspruch besteht, werden die Anspruchsvoraussetzungen in bezug auf die Rechtsvorschriften der anderen in Betracht kommenden Mitgliedstaaten in der Reihenfolge der abnehmenden Dauer der nach den Rechtsvorschriften dieser Staaten zurückgelegten Versicherungs- oder Wohnzeiten geprüft. Danach besteht für die Gewährung von Waisenrenten an die Kläger unter zwei Gesichtspunkten primär eine Leistungszuständigkeit der italienischen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung. Einmal wohnen die Kläger im Gebiet der Republik Italien (Art 78 Abs 2 Satz 1 Buchst b) Ziffer i) EG-VO 1408/71). Zum anderen haben die dortigen Rechtsvorschriften für den verstorbenen Versicherten die längste Zeit gegolten (Art 78 Abs 2 Satz 1 Buchst b) Ziffer ii) Halbsatz 1 EG-VO 1408/71); er hat in Italien eine Versicherungszeit von 57 Monaten, in der Bundesrepublik hingegen eine solche von lediglich 54 Monaten zurückgelegt. Erst wenn trotz Erfüllung dieser Voraussetzungen einer primären Leistungszuständigkeit des italienischen Trägers der Rentenversicherung ein Anspruch auf Waisenrente nach den italienischen Rechtsvorschriften - gegebenenfalls unter Berücksichtigung des Art 79 Abs 1 Buchst a) EG-VO 1408/71 - gleichwohl nicht besteht, kommt nach dem Prinzip der "abnehmenden Versicherungsdauer" (Art 78 Abs 2 Satz 1 Buchst b Ziffer ii) Halbsatz 2 EG-VO 1408/71) eine Leistungszuständigkeit der Träger der Rentenversicherung der Bundesrepublik Deutschland in Betracht. Das setzt jedoch die Feststellung voraus, ob den Klägern in Italien Waisenrente gewährt wird. Diese Feststellung hat das SG nicht getroffen (vgl Seite 3 des angefochtenen Urteils). Sie ist nunmehr nachzuholen und zu diesem Zweck der Rechtsstreit unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das SG zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Sollten die zusätzlichen Feststellungen des SG ergeben, daß den Klägern in Italien Waisenrente gewährt wird, so steht ihnen wegen der dann vorrangigen Leistungszuständigkeit des italienischen Versicherungsträgers ein Anspruch auf Halbwaisenrente gegen die Beklagte nicht zu. Diese ist dann, selbst wenn der Betrag einer allein nach dem innerstaatlichen Recht der Bundesrepublik Deutschland errechneten Halbwaisenrente (zur Berechnung in dem Fall, daß deutsche Versicherungszeiten allein den Rentenanspruch begründen, vgl Urteil des Bundessozialgerichts -BSG- vom 6. Oktober 1982 - 4 RJ 61/81 -) den Betrag der italienischen Waisenrente übersteigen sollte, auch nicht zur Gewährung eines Zuschlages in Höhe der Differenz zwischen den beiden Rentenzahlbeträgen verpflichtet. Die Gewährung eines solchen Rentenzuschlages ist weder im innerstaatlichen Recht der Bundesrepublik Deutschland noch im Recht der EG vorgesehen. Vielmehr geht Art 78 EG-VO 1408/71 von dem Grundsatz aus, daß für die Gewährung von Leistungen an Waisen eines verstorbenen Arbeitnehmers, für den die Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten der EG gegolten haben, der Sozialleistungsträger nur eines dieser Mitgliedstaaten zuständig sein soll. Dieser Grundsatz gilt allerdings nicht ausnahmslos. In seinem "G."-Urteil vom 9. Juli 1980 (EuGHE 1980, 2205, 2218 f = SozR 6050 Art 78 Nr 2 S 3 f) hat der EuGH in Übereinstimmung mit vorhergegangenen Entscheidungen ("T."- Urteil vom 13. Juli 1976, EuGHE 1976, 1243, 1251 = SozR 6040 Art 42 Nr 2 S 6; "R."-Urteil vom 6. März 1979, EuGHE 1979, 831, 844 f = SozR 6050 Art 79 Nr 2 S 6 f; "L."-Urteil vom 12. Juni 1980, EuGHE 1980, 1915, 1925 f = SozR 6050 Art 77 Nr 2 S 3 f) ausgesprochen, es würde dem Ziel des Art 51 des EWG-Vertrages widersprechen, wenn Wanderarbeitnehmer infolge der Ausübung ihres Rechts auf Freizügigkeit Rechte oder Vergünstigungen der sozialen Sicherheit einbüßten, die sie nach den Rechtsvorschriften eines einzelnen Mitgliedstaates bereits erworben hätten (vgl auch BSGE 43, 105, 106 = SozR 6050 Art 48 Nr 2 S 4; BSGE 49, 210, 214 = SozR 6050 Art 79 Nr 3 S 11). Die Verordnungen über die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer hätten kein gemeinsames System der sozialen Sicherheit geschaffen, sondern eigene Systeme bestehen lassen, welche eigene Forderungen gegen eigene Träger gewährten, gegen die dem Leistungsberechtigten unmittelbare Ansprüche entweder allein nach nationalem Recht oder erforderlichenfalls nach durch Gemeinschaftsrecht ergänztem nationalen Recht zustehen. Vorbehaltlich ausdrücklich vorgesehener vertragskonformer Ausnahmen seien gemeinschaftsrechtliche Antikumulierungsvorschriften so anzuwenden, daß sie dem Wanderarbeitnehmer oder den ihm gegenüber Berechtigten nicht einen Teil der Leistungen nach dem Recht eines Mitgliedstaates aberkennten oder nicht eine Verringerung der nach diesem Recht gewährten Leistungen zur Folge hätten. Die EG-VO 1408/71 gehe nämlich bei der Feststellung der Vorschriften über die Koordinierung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften von dem Grundsatz aus, daß diese Vorschriften den Arbeitnehmern, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, alle ihnen in den einzelnen Mitgliedstaaten zustehenden Leistungen bis zur Obergrenze des höchsten Einzelbetrages dieser Leistungen sichern sollten. Demgemäß sei Art 78 Abs 2 Satz 1 Buchst b) Ziffer i) EG-VO 1408/71 dahingehend auszulegen, daß der Anspruch auf Leistungen zu Lasten des Staates, in dessen Gebiet die Waise wohne, der die Leistungen gewährt werden, den allein nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaates bestehenden Anspruch nicht zum Erlöschen bringe. Sei der tatsächliche Betrag der Leistungen in dem Wohnsitz-Mitgliedstaat niedriger als der allein nach den Rechtsvorschriften des anderen Mitgliedstaates vorgesehene Betrag der Leistungen, so habe die Waise zu Lasten des zuständigen Trägers dieses Staates einen Anspruch auf einen Zuschlag zu den Leistungen in Höhe des Unterschiedes zwischen den beiden Beträgen.
Aus diesen Entscheidungen und insbesondere aus dem "G."-Urteil des EuGH können jedoch die Kläger angesichts der speziellen Gestaltung des vorliegenden Sachverhaltes nichts zu ihren Gunsten herleiten. Die vom EuGH entschiedenen Fälle sind maßgebend dadurch geprägt worden, daß ein Wanderarbeitnehmer für seine Kinder bzw die Waisen eines verstorbenen Wanderarbeitnehmers während ihres Aufenthaltes in einem Mitgliedstaat Leistungen der sozialen Sicherheit nach den dort geltenden Rechtsvorschriften tatsächlich bezogen, sodann ihren Wohnsitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt haben und nunmehr nach den Vorschriften dieses zweiten Mitgliedstaates eine im Vergleich zu vorher niedrigere Leistung beziehen. In diesen Fällen soll durch die Gewährung eines Zuschlages seitens des Trägers des ersten Mitgliedstaates der in diesem Staat bereits erreichte Besitzstand gewahrt werden. Die Kläger des vorliegenden Verfahrens haben jedoch einen solchen Besitzstand nach den Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland nicht erworben. Ihnen ist nach dem hier geltenden Recht eine Waisenrente niemals bewilligt und gezahlt worden. Allerdings hat über die vom EuGH entschiedenen Fälle hinausgehend der 4. Senat des BSG - wenn auch unter Äußerung erheblicher und vom erkennenden Senat geteilter Bedenken - in seinem Vorlagebeschluß an den EuGH vom 6. Oktober 1982 - 4 RJ 21/82 - die Frage aufgeworfen, ob einer Waise italienischer Staatsangehörigkeit, die immer in Italien gewohnt hat, vom deutschen Rentenversicherungsträger ein Zuschlag zu ihrer vom italienischen Rentenversicherungsträger gewährten Waisenrente auch dann zu zahlen sei, wenn der verstorbene Vater Beiträge zur deutschen und zur italienischen Rentenversicherung entrichtet hatte, aber schon allein mit den deutschen Beiträgen der Anspruch für die Gewährung einer Waisenrente nach den innerdeutschen Rechtsvorschriften erfüllt war. Indes ist auch mit einer solchen Fallgestaltung der vorliegende Sachverhalt nicht vergleichbar. In dem vom 4. Senat des BSG zu entscheidenden Fall d'A. hat der Vater des einen Zuschlag zu seiner italienischen Waisenrente beanspruchenden Klägers vor seiner Rückkehr nach Italien in der Bundesrepublik Deutschland eine Versicherungszeit von 83 Monaten zurückgelegt. Damit ist allein nach innerstaatlichem deutschen Recht die Wartezeit für eine Hinterbliebenenrente erfüllt (§ 1263 Abs 2 iVm § 1246 Abs 3 RVO) und insofern schon während des Aufenthaltes des Versicherten in der Bundesrepublik Deutschland eine Anwartschaft entstanden. Im vorliegenden Fall gilt dies nicht. Der Vater der Kläger hat in der Zeit bis zu seiner Rückkehr nach Italien in der Bundesrepublik Deutschland eine Versicherungszeit von lediglich 54 Monaten zurückgelegt. Damit ist noch nicht einmal die Wartezeit für die Waisenrente erfüllt und selbst insofern eine eventuell bestandsgeschützte Rechtsposition der Kläger nicht entstanden. Sie können daher selbst unter der Voraussetzung, daß ihnen eine italienische Waisenrente bewilligt worden und sie niedriger sein sollte als eine rechnerisch ermittelte Halbwaisenrente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung, einen Rentenzuschlag in Höhe des Differenzbetrages von der Beklagten unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt verlangen.
Der Senat kann dies abschließend entscheiden. Er ist nicht zur Anrufung des EuGH gemäß Art 177 Abs 3 des EWG-Vertrages verpflichtet. Eine solche Verpflichtung besteht ua dann nicht, wenn bereits eine gesicherte Rechtsprechung des EuGH vorliegt, durch die die betreffende Frage des Gemeinschaftsrechts gelöst ist, gleich in welcher Art von Verfahren sich diese Rechtsprechung gebildet hat und selbst dann, wenn die strittigen Fragen nicht vollkommen identisch sind (so neuerdings Urteil des EuGH vom 6. Oktober 1982 - Rs 283/81 - = DVBl 1983, 267, 268). Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Den vom Senat herangezogenen Urteilen des EuGH läßt sich mit einer ernsthafte Zweifel ausschließenden Sicherheit entnehmen, daß die Gewährung eines Zuschlages aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung zu einer im Betrag niedrigeren italienischen Waisenrente jedenfalls dann nicht in Betracht kommt, wenn nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland weder eine Waisenrente gewährt worden noch auch nur durch Erfüllung der Wartezeit eine entsprechende Anwartschaft entstanden ist.
Über die Kosten des Revisionsverfahrens wird das SG in seinem den Rechtsstreit abschließenden Urteil zu entscheiden haben.
Fundstellen
BSGE, 126 |
Breith. 1984, 54 |