Leitsatz (amtlich)
Eine Heiratsabfindung nach BVG § 44 Abs 1 nF steht der Witwe nur bei ihrer ersten Wiederverheiratung zu.
Normenkette
BVG § 44 Abs. 1 Fassung: 1956-06-06
Tenor
Die Sprungrevision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 25. Oktober 1961 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I.
Die Klägerin war in erster Ehe mit Rudolf M verheiratet. Dieser ist als Soldat verschollen; durch Beschluß des Amtsgerichts Hamburg vom 26. Januar 1948 wurde er für tot erklärt; als Zeitpunkt seines Todes wurde der 24. Oktober 1944 festgestellt, Am 14. Mai 1949 schloß die Klägerin eine neue Ehe mit Robert B; diese Ehe wurde 1954 aus alleinigem Verschulden des Ehemannes geschieden. Auf Antrag der Klägerin vom 10. März 1956 gewährte das Versorgungsamt (VersorgA) Hamburg der Klägerin durch Bescheid vom 8. Februar 1958 ab 1. April 1956 Witwenbeihilfe und - nach Inkrafttreten des Ersten Neuordnungsgesetzes vom 27. Juni 1960 - durch Bescheid vom 13. September 1960 ab 1. Juni 1960 Witwenrente nach ihrem ersten Ehemann Rudolf M.
Am 24. Juni 1960 schloß die Klägerin mit Helmut J. ihre dritte Ehe. Die Zahlung der Witwenrente wurde daraufhin mit Ende Juni 1960 eingestellt. Am 12. September 1960 beantragte die Klägerin eine Heiratsabfindung. Das VersorgA Hamburg lehnte diesen Antrag durch Bescheid vom 23. März 1961 ab. Das Landesversorgungsamt (LVersorgA) Hamburg wies den Widerspruch der Klägerin durch Bescheid vom 4. Mai 1961 zurück. Das Sozialgericht (SG) Hamburg wies die Klage durch Urteil vom 25. Oktober 1961 ab: In § 44 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) sei zwar bestimmt, daß die Witwe im Falle der Wiederverheiratung an Stelle des Anspruchs auf Rente eine Abfindung erhalte, die Voraussetzungen dieser Vorschrift seien jedoch nicht gegeben. Aus dem Zusammenhang und der Reihenfolge der Vorschriften des BVG über die Hinterbliebenenversorgung ergebe sich, daß der Gesetzgeber mit den Worten "im Falle der Wiederverheiratung" eine Beziehung zu der Ehe mit dem an den Folgen einer Schädigung Verstorbenen habe schaffen wollen. Nur die Heirat, die der Ehe der Witwe mit dem an den Folgen einer Schädigung Verstorbenen unmittelbar folge, könne daher als "Wiederverheiratung" im Sinne des § 44 Abs. 1 BVG angesehen werden. Diese Wiederverheiratung sei gleichbedeutend mit dem Begriff "neue Ehe" im Sinne des § 44 Abs. 2 BVG; als solche sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nur die erste Ehe nach dem Tode des Beschädigten anzusehen (Urteil vom 28. April 1960 - 8 RV 1341/58 -). Eine weitere Eheschließung sei keine "Wiederverheiratung" im Sinne des § 44 Abs. 1 BVG. Der Umstand, daß in § 44 Abs. 2 BVG die wiederaufgelebte Rente als Witwenrente bezeichnet werde, stehe dem nicht entgegen. Wenn den Beziehern einer "wiederaufgelebten" Witwenrente ebenfalls ein Anspruch auf Heiratsabfindung habe zustehen sollen, so hätte das im Gesetz ausdrücklich bestimmt werden müssen. Die "wieder aufgelebte" Witwenrente könne auch deshalb nicht der ursprünglich gewährten Witwenrente gleichgesetzt werden, weil an ihre Gewährung besondere Bedingungen geknüpft seien; die "wiederaufgelebte" Witwenrente sei gegenüber der ursprünglichen Witwenrente wesensverschieden.
Das SG ließ gegen dieses Urteil die Berufung nach § 150 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zu.
Das Urteil wurde der Klägerin am 8. Dezember 1961 zugestellt. Die Klägerin legte am 8. Januar 1962 Sprungrevision ein; sie fügte die schriftliche Erklärung der Einwilligung der Beklagten bei.
Sie beantragte,
das Urteil des SG Hamburg vom 25. Oktober 1961 sowie die Bescheide der Versorgungsbehörde Hamburg vom 23. März 1961 und 4. Mai 1961 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr eine Heiratsabfindung zu gewähren.
Die Klägerin begründete die Revision - nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist - am 3. März 1962; sie rügte, das SG habe § 44 BVG verletzt. Die Auffassung des SG, daß nur die erste Ehe nach dem Tode des gefallenen Ehemannes den Anspruch auf Heiratsabfindung auslösen könne, lasse sich weder aus dem Wortlaut noch aus dem Sinn und Zweck des § 44 BVG herleiten. Entscheidend sei, daß die Klägerin vor ihrer dritten Eheschließung einen Rentenanspruch gehabt habe; mit dieser Eheschließung habe sie ihren Rentenanspruch aufgegeben; es sei kein Grund ersichtlich, sie anders zu behandeln als die Bezieherin einer ursprünglichen Witwenrente, die sich erstmals wiederverheiratet habe; sie gebe wie diese einen Rentenanspruch auf und entlaste dadurch den Fiskus. Der Hinweis auf das Urteil des BSG vom 28. April 1960 - 8 RV 1341/58 - gehe fehl, dieses Urteil befasse sich nur mit dem Rechtszustand vor dem Inkrafttreten des Ersten Neuordnungsgesetzes und berücksichtige nicht, daß der Rentenanspruch nunmehr unter bestimmten Voraussetzungen auch nach Auflösung der zweiten Ehe wieder auflebe.
Die Beklagte beantragte,
die Revision zurückzuweisen.
II.
Die Voraussetzungen, unter denen die Revision unter Übergehung des Berufungsverfahrens unmittelbar beim BSG eingelegt werden kann (Sprungrevision), sind erfüllt (§ 161 Abs. 1 SGG).
Die Revision ist zulässig (§ 164 SGG), sie ist jedoch nicht begründet.
Streitig ist, ob die Klägerin auf Grund ihrer dritten Eheschließung vom 24. Juni 1960 einen Anspruch auf Heiratsabfindung nach § 44 Abs. 1 BVG nF (in der Fassung des Ersten Neuordnungsgesetzes vom 27. Juni 1960 - BGBl. I 433) hat. Nach dieser Vorschrift erhält die Witwe im Falle der Wiederverheiratung an Stelle des Anspruchs auf Rente eine Abfindung in Höhe des Fünfzigfachen der monatlichen Grundrente. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt davon ab, ob der in § 44 Abs. 1 BVG normierte Anspruch auf Heiratsabfindung nicht nur bei der ersten Wiederverheiratung, sondern auch bei einer erneuten (zweiten) Wiederverheiratung gegeben ist; für die Klägerin ist die Eheschließung am 26. Juni 1960 die zweite Wiederverheiratung nach dem (schädigungsbedingten) Tod ihres ersten Ehemannes, sie ist damals schon "wiederverheiratet" gewesen; ihre zweite Ehe ist aus alleinigem Verschulden des Ehemannes geschieden worden. Mit Recht hat das SG verneint, daß der Klägerin nach Eingehung ihrer dritten Ehe ein Anspruch auf Heiratsabfindung zustehe.
Ein Anspruch auf Heiratsabfindung im Falle der erneuten Wiederverheiratung der Kriegerwitwe ist - ebenso wie nach den bisherigen Vorschriften des BVG - auch nach dem Inkrafttreten des Ersten Neuordnungsgesetzes vom 27. Juni 1960 nicht gegeben. Nach § 44 BVG in der Fassung vor dem Ersten Neuordnungsgesetz -aF- hat die Witwe (des an einer Schädigung Verstorbenen) im Falle der "Wiederverheiratung" an Stelle des Anspruchs auf Rente eine Heiratsabfindung erhalten (§ 44 Abs. 1 BVG aF); im Falle der Auflösung der "neuen Ehe" hat die bis zu ihrer Wiederverheiratung rentenberechtigte Ehefrau unter bestimmten Voraussetzungen Witwenversorgung im Wege einer Beihilfe erhalten (§ 44 Abs. 3 und 4 BVG aF). Das BSG hat bereits entschieden, daß unter "Wiederverheiratung" und "neuer Ehe" im Sinne des § 44 BVG aF immer nur die erste Ehe nach dem Tode des an einer Schädigung Verstorbenen gemeint ist, weil eine Fortsetzung der "Versorgungskette", immer wieder im Hinblick auf den an Schädigungsfolgen Verstorbenen, auch über eine dritte und noch weitere Ehe hinaus, mit dem Sinn und Zweck der Vorschriften über die Hinterbliebenenversorgung nicht mehr vereinbar sei (Urteil des 8. Senats vom 28. 6. 1960, BSG 12, 127 - mit weiteren Hinweisen; vgl. ferner Urteil des 7. Senats vom 16. 11. 1961 - SozR Nr. 5 § 44 BVG). Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an. Das am 1. Juni 1960 in Kraft getretene Erste Neuordnungsgesetz vom 27. Juni 1960 (BGBl. I 453) rechtfertigt keine andere Beurteilung. Wenn es in § 44 Abs. 1 BVG nF heißt, "Im Falle der Wiederverheiratung erhält die Witwe an Stelle des Anspruchs auf Rente eine Abfindung ....", so bezieht sich auch diese Formulierung nur auf die erste Wiederverheiratung der Witwe nach dem Tode ihres an einer Schädigung verstorbenen Ehemannes; insoweit stimmt diese Vorschrift wörtlich mit dem § 44 BVG aF überein, nach dem auch nur die erste Wiederverheiratung den Anspruch auf Heiratsabfindung ausgelöst hat. Nach § 44 BVG aF ist das schon deshalb nicht zweifelhaft gewesen, weil nach altem Recht der Rentenanspruch, der nach dem auch insoweit unveränderten Wortlaut dieser Vorschrift allein abfindungsfähig ist ("an Stelle des Anspruchs auf Rente"), grundsätzlich nur bis zur ersten Wiederverheiratung bestanden hat; ist diese Ehe aufgelöst worden, so ist - mit Ausnahme des Falles, daß diese zweite Ehe für nichtig erklärt worden ist (§ 44 Abs. 2 BVG nF) - lediglich der Bezug einer Beihilfe in Betracht gekommen. Bei erneuter (zweiter) Wiederverheiratung, also bei Abschluß einer dritten Ehe, hat somit in der Regel schon wegen Fehlens eines Rentenanspruchs ein Anspruch auf Heiratsabfindung nicht bestanden. Im Gegensatz zu dieser früheren Regelung ist nun zwar in § 44 Abs. 2 BVG nF allgemein bestimmt, daß der Anspruch auf Witwenrente wieder auflebt, wenn die neue Ehe ohne alleiniges oder überwiegendes Verschulden der Witwe aufgelöst oder für nichtig erklärt wird; damit hat auch die Witwe, die sich wiederverheiratet hat, einen Rentenanspruch erlangt. Entgegen der Ansicht der Revision kann jedoch aus dieser Neuregelung nicht geschlossen werden, daß nunmehr nach § 44 Abs. 1 BVG nF auch nach Abschluß einer dritten Ehe ein Anspruch auf Heiratsabfindung besteht, daß also auch die "wiederaufgelebte Witwenrente", die nach Auflösung der zweiten Ehe bezogen worden ist, abfindungsfähig ist (so auch Wilke, Bundesversorgungsgesetz, Handkomm. 1960, zu § 44, 3; Thannheiser-Wende-Zech, Handb. des Bundesversorgungsrechts, Bd 1, 3. Aufl., Erl. zu § 44 BVG; VerwV Nr. 3 zu § 44 BVG nF; aA Spallek, Soziale Sicherheit 1961 S. 148). Mit Recht hat das SG ausgeführt, daß der Gesetzgeber es im Gesetz hätte zum Ausdruck bringen müssen, wenn er mit dieser Neuregelung über das Wiederaufleben der Witwenrente auch die Ausdehnung des Abfindungsanspruchs auf den Fall einer erneuten Wiederverheiratung beabsichtigt hätte. Das ist nicht geschehen, denn die Formulierung in § 44 Abs. 1 BVG nF ist, wie bereits dargelegt, insoweit wörtlich aus § 44 BVG aF übernommen worden; sie läßt die Ausdehnung des Abfindungsanspruchs auf den Fall der zweiten Wiederverheiratung nicht zu. Dafür spricht auch, daß es in § 44 Abs. 1 BVG nF .... die Witwe heißt ("..... erhält die Witwe ....."). Da mit "die" Witwe im BVG immer nur die Ehefrau bezeichnet wird, die unmittelbar durch den Tod ihres Ehemannes versorgungsberechtigte Witwe geworden ist (vgl. §§ 38, Abs. 1, 40, 41 Abs. 3, 48 Abs. 1 BVG), kann für § 44 Abs. 1 BVG nF nichts anderes gelten. Ist aber nur für diese Witwe der Anspruch auf Heiratsabfindung vorgesehen, dann besteht er nur bei der ersten Wiederverheiratung; nach der zweiten Eheschließung ist die frühere Ehefrau eines Versorgungsberechtigten nicht mehr dessen Witwe und damit auch nicht mehr "die" Witwe, sondern "eine" Witwe; so wird sie auch im Gesetz bezeichnet (vgl. § 44 Abs. 6 BVG). Im übrigen ergibt sich auch aus den Gründen, die dafür maßgebend gewesen sind, daß nach Auflösung der zweiten Ehe anstatt der bisher vorgesehenen Beihilfe nun wieder die Witwenrente gewährt wurde, kein Anhaltspunkt dafür, daß damit zugleich der Abfindungsanspruch auf den Fall einer zweiten Wiederverheiratung hat ausgedehnt werden sollen.
Nach der Begründung zu § 44 Abs. 1 BVG nF (BT-Drucks. 1239, 3. WP, S. 28 f - § 42 des Entwurfs -) hat lediglich für den Fall der Auflösung der zweiten Ehe, der nach altem Recht verschiedene Folgen gehabt hat, in Angleichung an die Regelung in der Sozialversicherung eine einheitliche Rechtsfolge geschaffen werden sollen (vgl. §§ 1291 Abs. 2, 1302 RVO - Fassung des ArVNG - und hierzu Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1961 Bd. III J. 722, das auch für die Sozialversicherung im Falle der "erneuten Wiederverheiratung" den Anspruch auf Abfindung der "wiederaufgelebten Witwenrente" verneint). Die Neuregelung des Versorgungsrechts läßt jedenfalls nicht erkennen, daß es der zum Ausdruck gebrachte Wille des Gesetzes ist, jeden durch erneute Eheschließung "aufgegebenen" Witwenrentenanspruch abzufinden. Die "wiederaufgelebte Witwenrente" ist nicht die gleiche Versorgungsleistung wie die ursprüngliche - abfindungsfähige - Witwenrente. Das ergibt sich vor allem daraus, daß auf sie - wie schon auf die Beihilfe alten Rechts - die infolge Auflösung oder Nichtigerklärung der zweiten Ehe erworbenen Versorgungs-, Renten- und Unterhaltsansprüche in voller Höhe auf Grund- und Ausgleichsrente anzurechnen sind (§ 44 Abs. 5 BVG nF). Der Grundsatz der "Unantastbarkeit der Grundrente" ist also - anders als bei der bis zur ersten Wiederverheiratung gezahlten (echten) Witwenrente - für die "wiederaufgelebte Rente" nicht gewahrt. Das Gesetz hat damit dem Umstand Rechnung getragen, daß für die Witwe eines Versorgungsberechtigten, die sich wiederverheiratet hat, aus der Auflösung der zweiten Ehe möglicherweise auf vertraglicher oder gesetzlicher Grundlage "neue" Ansprüche entstanden sind, die ihre weitere Versorgung als Kriegerwitwe ganz oder zum Teil entbehrlich machen. Damit ist es aber auch gerechtfertigt, eine Witwe, die - nach dem Tode des (ersten) beschädigten Ehemannes - eine zweite Ehe eingegangen ist und nach Auflösung dieser zweiten Ehe eine "wiederaufgelebte" Witwenrente bezieht, für die Frage der Heiratsabfindung bei Abschluß einer dritten Ehe anders zu behandeln als die Witwe des Beschädigten, die erstmals eine neue Ehe eingeht, auch wenn im Einzelfall - weil keine Ansprüche auf anzurechnende Leistungen nach § 44 Abs. 5 BVG nF bestanden haben - die "wiederaufgelebte Rente" die volle Grundrente umfaßt und damit der ursprünglichen Witwenrente entsprochen hat. Wenn aber bei der "wiederaufgelebten" Rente eine Grundrente gesetzlich überhaupt nicht "gewährleistet" ist, die Heiratsabfindung jedoch in § 44 Abs. 1 BVG ausdrücklich auf den normalen Grundrentenbetrag abgestellt ist, so spricht auch das gegen die Annahme, daß die "wiederaufgelebte" Rente bei erneuter Eheschließung abzufinden ist. Insoweit hat das Gesetz eine inzwischen wiederverheiratet gewesene Witwe nicht in den "früheren Rechtsstatus der Kriegerwitwe" zurückversetzt.
Die Klägerin hat danach keinen Anspruch auf Heiratsabfindung nach § 44 Abs. 1 BVG nF. Das SG hat daher zu Recht die Klage abgewiesen, die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Die Revision gegen das Urteil des SG ist unbegründet und zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen