Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Voraussetzung für Kostenerstattungsanspruch. Leistungseinschränkung. implantatgestützter Zahnersatz. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Der Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs 3 SGB 5 setzt voraus, daß der Versicherte durch die Ablehnung der Krankenkasse veranlaßt wird, sich die Behandlung auf eigene Kosten zu beschaffen. Wurde die Behandlung ohne Einschaltung der Kasse begonnen, so scheidet eine Erstattung auch für nachfolgende Leistungen aus, wenn sich die Ablehnung auf den weiteren Behandlungsverlauf nicht mehr auswirken konnte.
2. Zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Leistungseinschränkungen bei implantatgestütztem Zahnersatz.
Normenkette
SGB V § 13 Abs. 3 Fassung: 1992-12-21, § 28 Abs. 2 S. 9 Fassung: 1997-06-23, § 30 Abs. 1 S. 5 Fassung: 1999-12-22; GG Art. 3 Abs. 1; ZÄVersorgRL Kap B Abschn. VII Nr. 29, Abschn. 7 Nr. 29; SGB V § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 2; ZErsRL Abschn. VI Nr. 38 Buchst. b, Abschn. 6 Nr. 38 Buchst. b
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beklagte wendet sich gegen ihre Verurteilung zur Gewährung eines Zuschusses zu den Kosten eines auf Implantaten befestigten Zahnersatzes (sogenannte Suprakonstruktion).
Bei der 1939 geborenen Klägerin besteht eine fortgeschrittene Atrophie des Alveolarfortsatzes im Unterkiefer; eine Versorgung des zahnlosen Kiefers mit einer herausnehmbaren Totalprothese hat sich als nicht durchführbar erwiesen. Die Klägerin ließ sich deshalb im März 1997 vier Implantate in den Unterkiefer einsetzen, auf denen im September/Oktober 1997 eine Unterkieferprothese befestigt wurde. Nach Einbringung der Implantate beantragte sie zunächst mündlich und sodann im Mai 1997 schriftlich die Zahlung eines Zuschusses zu den Kosten der Zahnbehandlung. Dies lehnte die Beklagte ab, da implantologische Leistungen nicht Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung seien und die Klägerin auch nicht unter die zum 1. Juli 1997 eingeführten Ausnahmeindikationen falle (Bescheide vom 25. März, 29. Mai und 25. September 1997, Widerspruchsbescheid vom 11. Dezember 1997). Das Sozialgericht (SG) Hannover hat die Beklagte dem Grunde nach verurteilt, der Klägerin die Kosten der Suprakonstruktion in Höhe des gesetzlichen Zuschusses zu erstatten, der für Zahnersatz bei regulären Kieferverhältnissen zu gewähren wäre; im übrigen, dh hinsichtlich der Aufwendungen für die Implantate, hat es die Klage abgewiesen (Urteil vom 28. April 1999). Die allein von der Beklagten eingelegte Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen mit Urteil vom 22. März 2000 zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, ein Versicherter habe bei verfassungskonformer Auslegung des § 28 Abs 2 Satz 9 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in der Fassung des Zweiten GKV-Neuordnungsgesetzes (2. GKV-NOG) vom 23. Juni 1997 (BGBl I 1520) Anspruch auf eine implantologische Versorgung, wenn es wegen der Kieferverhältnisse keine alternative Behandlungsmöglichkeit, insbesondere mittels herkömmlichen Zahnersatzes, gebe. Zwar seien implantologische Leistungen einschließlich der Suprakonstruktion von der vertragszahnärztlichen Versorgung grundsätzlich ausgeschlossen. Es liege auch keine der vom Bundesausschuß der Zahnärzte und Krankenkassen in den Richtlinien für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung (Zahnbehandlungs-RL) festgelegten Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle vor. Insofern enthalte § 28 Abs 2 Satz 9 SGB V jedoch hinsichtlich der für "normalen" Zahnersatz nicht geeigneten Kieferverhältnisse eine planwidrige Lücke, die unter Beachtung des allgemeinen Gleichheitssatzes zu schließen sei. Die Gleichbehandlung der Versicherten, bei denen die Eingliederung von Implantaten lediglich eine optimale, nicht aber die einzige Möglichkeit zur Erlangung von Zahnersatz darstelle, und der Versicherten, die keine Behandlungsalternative hätten, sei nicht gerechtfertigt. Sinn und Zweck der Regelung stünden einer verfassungskonformen Auslegung nicht entgegen, da der Gesetzgeber lediglich eine dem Wirtschaftlichkeitsgebot widersprechende Überversorgung habe verhindern wollen.
Mit der Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 28 Abs 2 Satz 9 SGB V. Sie bestreitet das Vorliegen einer Regelungslücke und weist darauf hin, daß der Gesetzgeber sich bei den parlamentarischen Beratungen des 2. GKV-NOG ausdrücklich gegen eine Einbeziehung der Atrophien in die Leistungspflicht der Krankenversicherung ausgesprochen habe. Im übrigen bestehe schon deshalb kein Anspruch, weil die Klägerin den Leistungsantrag nicht rechtzeitig gestellt und damit den vorgeschriebenen Beschaffungsweg nicht eingehalten habe.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 22. März 2000 und des Sozialgerichts Hannover vom 28. April 1999 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das Berufungsurteil für zutreffend. Soweit es um die im Berufungs- und Revisionsverfahren allein noch streitige Suprakonstruktion gehe, sei der Leistungsantrag rechtzeitig vor Behandlungsbeginn gestellt worden, so daß der Anspruch hieran nicht scheitern könne. Eine frühere Antragstellung sei von der Beklagten dadurch verhindert worden, daß sie Anfragen hinsichtlich eines Zuschusses verneint und förmliche Anträge nicht entgegengenommen habe.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten hat Erfolg.
Gegenstand des Rechtsstreits ist allein noch der beantragte Zuschuß zu den Kosten der im September/Oktober 1997 bei der Klägerin eingegliederten Unterkieferprothese (Suprakonstruktion). Über die implantologischen Vorleistungen ist dagegen nicht mehr zu entscheiden, nachdem das SG die Klage insoweit abgewiesen und die Klägerin kein Rechtsmittel eingelegt hat. Einen Zuschuß zu den Aufwendungen für die Suprakonstruktion kann die Klägerin entgegen der Ansicht der Vorinstanzen nicht verlangen.
Als Rechtsgrundlage eines darauf gerichteten Anspruchs kommt nur § 13 Abs 3 SGB V in Betracht, nachdem die Klägerin sich die in Rede stehende Behandlung auf einem anderen als dem gesetzlich vorgesehenen Weg selbst beschafft hat. § 30 SGB V, der die Modalitäten der Versorgung mit Zahnersatz regelt, ist seit seinem Inkrafttreten mehrfach geändert worden. Da es für die Leistungspflicht der Krankenkasse auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Behandlung ankommt und diese im Oktober 1997 abgeschlossen wurde, ist hier die Fassung des Gesundheitsstrukturgesetzes (GSG) vom 21. Dezember 1992 (BGBl I 2266) maßgebend, die bis zum 3. Januar 1998 (Zeitpunkt der Veröffentlichung der durch das 2. GKV-NOG eingeführten Festzuschüsse im Bundesanzeiger, vgl Art 19 Abs 4 2. GKV-NOG) gegolten hat. Zahnersatz wurde danach entgegen der irreführenden Überschrift ("Kostenerstattung bei Zahnersatz") und ungeachtet der vom Versicherten zu leistenden Eigenbeteiligung von den Krankenkassen als Sachleistung gewährt. Die Behandlung war Bestandteil der vertragszahnärztlichen Versorgung (§ 73 Abs 2 Nr 2, § 88 Abs 3 SGB V), und der gesetzliche Zuschuß war nicht an den Versicherten oder den Zahnarzt, sondern gemäß § 30 Abs 3 SGB V zugunsten des Versicherten an die Kassenzahnärztliche Vereinigung (KZÄV) zu zahlen. Insoweit enthielt das Gesetz eine Klarstellung gegenüber der ursprünglichen, auf dem Gesundheitsreformgesetz vom 20. Dezember 1988 (BGBl I 2477) beruhenden Fassung des § 30 SGB V, die teilweise als Abkehr vom Sachleistungsgrundsatz gedeutet worden war (siehe dazu: BSG SozR 3-2500 § 30 Nr 3 S 7 mwN; BSG SozR 3-2500 § 30 Nr 8 S 33; vgl auch Schmidt in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Stand: September 2000, § 30 SGB V RdNr 38). Im Behandlungszeitpunkt kam daher eine Kostenerstattung auch bei Zahnersatz grundsätzlich nur nach Maßgabe der in § 13 Abs 2 und Abs 3 SGB V ausdrücklich normierten Durchbrechungen des Sachleistungsprinzips in Betracht.
§ 13 Abs 2 SGB V idF des 2. GKV-NOG ist nicht einschlägig. Denn von der durch diese Bestimmung eröffneten Möglichkeit, anstelle von Sach- oder Dienstleistungen Kostenerstattung zu wählen, hat die Klägerin keinen Gebrauch gemacht. Das Wahlrecht konnte nur in der Weise ausgeübt werden, daß sich der Versicherte gegenüber der Krankenkasse durch eine das Versicherungsverhältnis gestaltende Erklärung generell und für die gesamte Krankenbehandlung einheitlich auf das Kostenerstattungsverfahren anstelle des Sachleistungsgrundsatzes festlegte. Eine auf einzelne Behandlungen oder gar Teile einer Behandlung beschränkte Wahlmöglichkeit, wie sie der Senat für die frühere, von 1993 bis 1997 geltende Gesetzesfassung zugelassen hatte (vgl die Nachweise im Urteil vom 25. September 2000 - B 1 KR 5/99 R - SozR 3-2500 § 13 Nr 22 S 103), bestand dagegen nicht mehr. Ab dem 1. Juli 1997 galt ua § 13 Abs 2 Satz 5 SGB V, der den Krankenkassen die Möglichkeit eröffnete, in der Satzung zu bestimmen, daß die Versicherten an ihre Wahl der Kostenerstattung für einen in der Satzung festgelegten Zeitraum gebunden sind. Eine solche Bindung ist nur denkbar, wenn die Wahl einheitlich für alle von der Kasse geschuldeten Leistungen zu erfolgen hat. Die Aufnahme einer entsprechenden Satzungsbestimmung war den Krankenkassen in der ursprünglichen Fassung des § 13 Abs 2 Satz 5 SGB V zwar noch freigestellt; zwingend vorgeschrieben wurde sie erst durch das GKV-Solidaritätsstärkungsgesetz vom 19. Dezember 1998 und damit nach der hier streitigen Zeit (siehe jetzt: § 13 Abs 2 Satz 6 SGB V). Der Wortlaut der Vorschrift sowohl in der alten als auch in der neuen Fassung ("... daß die Versicherten an ihre Wahl der Kostenerstattung für einen in der Satzung festgelegten Zeitraum gebunden sind") wie auch die Begründung zum 2. GKV-NOG (BT-Drucks 13/6087 S 14) zeigen jedoch, daß der Gesetzgeber als selbstverständlich von einer allgemeinen, nicht nur auf den einzelnen Behandlungsfall bezogenen Festlegung ausging und lediglich eine Handhabe dafür schaffen wollte, die Bindung an die getroffene Wahl für einen bestimmten Zeitraum festzuschreiben.
Die Voraussetzungen für eine Kostenerstattung nach § 13 Abs 3 SGB V sind nicht erfüllt. Ein auf diese Vorschrift gestützter Anspruch scheitert schon daran, daß die Klägerin die streitige Behandlung begonnen hat, ohne sich vorher mit der Krankenkasse ins Benehmen zu setzen und ihr die Gewährung als Sachleistung zu ermöglichen. § 13 Abs 3 SGB V gewährt einen Kostenerstattungsanspruch für den Ausnahmefall, daß eine von der Krankenkasse geschuldete notwendige Behandlung infolge eines Mangels im Leistungssystem der Krankenversicherung als Dienst- oder Sachleistung nicht oder nicht in der gebotenen Zeit zur Verfügung gestellt werden kann. Die Kosten müssen dadurch entstanden sein, daß die Krankenkasse entweder eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder daß sie die Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. An dem erforderlichen Kausalzusammenhang fehlt es regelmäßig, wenn die Kasse vor Inanspruchnahme der Behandlung mit dem Leistungsbegehren gar nicht befaßt wurde, obwohl dies möglich gewesen wäre (ständige Rechtsprechung, vgl BSG SozR 3-2500 § 13 Nr 15 S 74 mwN; Senatsurteil vom 25. September 2000 - B 1 KR 5/99 R - SozR 3-2500 § 13 Nr 22 S 105 f). So liegt der Fall hier. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LSG hat die Klägerin einen Antrag auf Kostenübernahme erst nach dem Einsetzen der Implantate im März 1997 gestellt. Das erstinstanzliche Gericht hat daher zu Recht eine Kostenerstattung für die eigentliche Implantatbehandlung bereits wegen des fehlenden Kausalzusammenhanges verneint. Soweit es für die Suprakonstruktion etwas anderes angenommen hat, weil diese erst nach der Ablehnung des Leistungsbegehrens durch die Beklagte eingegliedert wurde, kann ihm nicht gefolgt werden.
Bei laufenden oder sich über einen längeren Zeitraum erstreckenden Leistungen wird allerdings die ablehnende Entscheidung der Krankenkasse im allgemeinen als Zäsur gesehen und die Kostenerstattung nur für diejenigen Leistungen ausgeschlossen, die bis zum Zeitpunkt der Entscheidung auf eigene Rechnung beschafft wurden; für spätere Leistungen wird der erforderliche Kausalzusammenhang dagegen bejaht (vgl etwa BSG SozR 3-2500 § 13 Nr 22 S 106; Urteile des LSG Berlin vom 22. September 1998 - L 9 Kr 30/98; Urteil des LSG Niedersachsen vom 20. Januar 1999 - L 4 KR 171/98). Das kann indes nur gelten, wenn die nachträglich getroffene Entscheidung der Krankenkasse noch geeignet war, das weitere Leistungsgeschehen zu beeinflussen. War mit dem eigenmächtigen Beginn der Behandlung das weitere Vorgehen bereits endgültig festgelegt, fehlt der erforderliche Ursachenzusammenhang zwischen der Ablehnung der Kasse und der Kostenbelastung des Versicherten auch für den Teil der Behandlung, der zeitlich nach dem ablehnenden Bescheid liegt (Senatsurteil vom 24. September 1996 - 1 RK 33/95 - BSGE 79, 125, 128 = SozR 3-2500 § 13 Nr 11 S 53; Urteil des LSG Berlin vom 22. Oktober 1997 - L 9 Kr 40/95; vgl ferner Urteil des BSG vom 24. Februar 2000 - B 2 U 12/99 R - SozR 3-2200 § 567 Nr 3: keine Kostenerstattung für eine selbstbeschaffte berufliche Rehabilitationsmaßnahme, wenn der Unfallversicherungsträger hiervon erst nach Beginn der Maßnahme erfährt). Nach diesen rechtlichen Maßstäben stellt sich die Versorgung mit implantatgestütztem Zahnersatz als einheitlicher Behandlungsvorgang dar, der sich hinsichtlich der Leistungsbewilligung nicht aufspalten läßt. Die operative Einpflanzung der Implantate in den Kiefer hat den einzigen Sinn, eine Stütze für den späteren Zahnersatz zu schaffen; sind die Implantate vorhanden, ist die Versorgung mit einer Suprakonstruktion unerläßlich. Ein Versicherter, der sich, ohne die Krankenkasse zu kontaktieren, Implantate einsetzen läßt, ist daher regelmäßig entschlossen, die Behandlung unabhängig von der Entscheidung der Kasse zu Ende zu führen. Für die Entstehung weiterer Kosten durch die Anfertigung und die Eingliederung der implantatgestützten Prothese ist die nachträglich getroffene Entscheidung nicht mehr kausal.
Unabhängig von der verspäteten Antragstellung kann die Klägerin auch deshalb keine Kostenerstattung verlangen, weil die Beklagte die beanspruchten Leistungen zu Recht abgelehnt hat. Das im Zeitpunkt der prothetischen Versorgung im Oktober 1997 geltende Recht bot für die Gewährung implantologischer Leistungen bei Kieferatrophie keine Handhabe; die Bereitstellung oder Bezuschussung solcher Leistungen durch die Krankenkasse war entgegen der Auffassung des LSG auch nicht verfassungsrechtlich geboten.
Nach § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB V umfaßt der Anspruch des Versicherten auf zahnärztliche Behandlung die Versorgung mit Zahnersatz. Ob dazu auch implantatgetragener Zahnersatz gehört, war zunächst unklar und im Gesetz nicht geregelt (vgl zum früheren Rechtszustand aus Sicht des Leistungserbringungsrechts: Urteil des 6. Senats des BSG vom 3. Dezember 1997 - 6 RKa 40/96 - SozR 3-5555 § 12 Nr 5 S 25 ff = USK 97149; zur Praxis der Krankenkassen: BT-Drucks 13/4615 S 9). Durch das Beitragsentlastungsgesetz (BeitrEntlG) vom 1. November 1996 (BGBl I 1631) hat der Gesetzgeber mit Wirkung ab 1. Januar 1997 bestimmt, daß implantologische Leistungen einschließlich der Suprakonstruktion nicht zur zahnärztlichen Behandlung gehören und von den Krankenkassen auch nicht bezuschußt werden dürfen (§ 28 Abs 2 Satz 8 SGB V idF des BeitrEntlG). Hiervon wurden in der Folge Ausnahmen zugelassen: Seit 1. Juli 1997 wird - bei Beibehaltung der Ausschlußregelung im übrigen - eine Implantatversorgung von der Krankenkasse als Sachleistung gewährt, wenn seltene vom Bundesausschuß der Zahnärzte und Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 Abs 1 SGB V festzulegende Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle vorliegen, in denen der implantatgestützte Zahnersatz Bestandteil einer medizinischen Gesamtbehandlung ist (§ 28 Abs 2 Satz 9 SGB V idF des 2. GKV-NOG). Seit 1. Januar 2000 schließlich besteht in weiteren vom Bundesausschuß der Zahnärzte und Krankenkassen festzulegenden Ausnahmefällen ein nach Maßgabe des § 30 SGB V an eine Eigenbeteiligung geknüpfter Anspruch auf Gewährung der zur implantologischen Versorgung gehörenden Suprakonstruktion, der jedoch die notwendigen Vorleistungen wie Implantate, Implantataufbauten und implantatbedingte Verbindungselemente nicht umfaßt (§ 30 Abs 1 Satz 5 SGB V idF des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000 ≪GKVRefG 2000≫ vom 22. Dezember 1999 - BGBl I 2626). Die zuletzt genannte Regelung findet hier keine Anwendung, da es für den Kostenerstattungsanspruch auf die Sach- und Rechtslage zur Zeit der Behandlung ankommt und diese bereits im Jahr 1997 stattgefunden hat (zum maßgebenden Zeitpunkt bei Erstattungsbegehren wegen selbstbeschaffter Leistungen: Senatsurteil vom 10. Februar 1993 - 1 RK 31/92 - SozR 3-2200 § 182 Nr 15 S 67; siehe auch Beschluß vom 8. Februar 2000 - B 1 KR 18/99 B - SozR 3-2500 § 135 Nr 12).
Nach der Rechtslage bei Abschluß der Behandlung im Oktober 1997 durfte die Krankenkasse eine Implantatversorgung nur unter den engen Voraussetzungen der Ausnahmeregelung in § 28 Abs 2 Satz 9 SGB V gewähren. Eine der dazu vom Bundesausschuß der Zahnärzte und Krankenkassen in den Richtlinien für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung (Zahnbehandlungs-RL idF vom 24. Juli 1998 - BAnz Nr 177) festgelegten Indikationen (größerer Kiefer- oder Gesichtsdefekt, extreme Mundtrockenheit, genetische Nichtanlage von Zähnen, muskuläre Fehlfunktionen; vgl Abschnitt B VII Nr 29 Zahnbehandlungs-RL) hat bei der Klägerin nicht vorgelegen. Kieferdefekte im Sinne der genannten Bestimmung sind nach ausdrücklicher Klarstellung nur solche Veränderungen, die ihre Ursache in einer Operation wegen eines Tumors, einer Zyste oder einer Osteopathie, in einer Entzündung des Kiefers, einer angeborenen Fehlbildung oder in einem Unfall haben. Bei der allmählichen Rückbildung des zahnlosen Kieferknochens im Sinne einer Atrophie handelt es sich dagegen um einen natürlichen Vorgang bei jedem Zahnverlust (vgl stellvertretend Schimming/Schmelzeisen, Klinikarzt 2000, Jg 29, 188). Daß die Atrophie nicht zu den Ausnahmeindikationen gehören sollte, zeigt sich auch daran, daß der Bundesausschuß anläßlich der Neufassung der Zahnbehandlungs-RL an den Gesetzgeber appelliert hat, den Anwendungsbereich des § 28 Abs 2 Satz 9 SGB V auf die Versorgung mit Implantaten zu beschränken und alle Arten von Zahnersatz unabhängig von der Frage der implantologischen Versorgung in die Regelung des § 30 SGB V einzubeziehen, weil andernfalls Patienten mit schweren und schwersten Kieferatrophien nicht einmal Anspruch auf den Zuschuß zum Zahnersatz nach § 30 SGB V hätten (Erklärung des Bundesausschusses der Zahnärzte und Krankenkassen zur Versorgung mit Implantaten und Zahnersatz vom 24. Juli 1998). Im Lichte dieser Erklärung kann Abschnitt B VII Nr 29 Zahnbehandlungs-RL nur dahingehend verstanden werden, daß darin Kieferatrophien nicht erfaßt sind.
Die Nichtberücksichtigung der Atrophiefälle in den Zahnbehandlungs-RL steht mit der Ermächtigung in § 28 Abs 2 Satz 9 SGB V in Einklang. Danach soll eine implantologische Versorgung von den Krankenkassen nur bei seltenen Ausnahmeindikationen in besonders schweren Fällen bezahlt werden, wenn sie im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung erfolgt. Das Letztere schließt von vornherein Fallgestaltungen aus, in denen das Ziel der implantologischen Behandlung nicht über die reine Versorgung mit Zahnersatz zur Wiederherstellung der Kaufähigkeit hinausreicht. Da der Anspruch auf seltene Ausnahmeindikationen beschränkt bleiben soll, kann er im übrigen nicht schon in all denjenigen Fällen bestehen, in denen Implantate medizinisch geboten sind; vielmehr müssen weitere Umstände hinzukommen, die eine außergewöhnliche Situation begründen. Das ist bei Kieferatrophien schon deshalb nicht der Fall, weil sie bei jedem größeren Zahnverlust auftreten, also in der Praxis außerordentlich häufig sind. Für die einschränkende Auslegung sprechen neben dem Wortlaut die in der Gesetzesbegründung herangezogenen Fallbeispiele (Tumoroperationen bzw Schädel- und Gesichtstraumata) sowie die Begründung für die spätere Erweiterung des Leistungskatalogs bei Zahnersatz um den Anspruch auf implantatgestützte Suprakonstruktionen in § 30 Abs 1 Satz 5 SGB V, für die gerade das Beispiel des atrophierten zahnlosen Kiefers ins Feld geführt wurde (BT-Drucks 14/1245 S 65). Dazu hätte kein Anlaß bestanden, wenn diese Indikation von § 28 Abs 2 Satz 9 SGB V aus Sicht des Gesetzgebers bereits erfaßt worden wäre. Schließlich ist aktenkundig, daß im Gesetzgebungsverfahren zum 2. GKV-NOG Abgrenzungsprobleme für den Fall befürchtet wurden, daß die Atrophiefälle in die Ausnahmeregelung aufgenommen würden (vgl die Erklärung des Vertreters des BMG vor dem Arbeitsausschuß "Zahnersatz-Richtlinien" des Bundesausschusses der Zahnärzte und Krankenkassen vom 27. März 1998). Das wiederum läßt darauf schließen, daß deren Ausschluß bewußt in Kauf genommen wurde.
Angesichts all dessen ist für die Annahme einer durch Analogie zu schließenden Regelungslücke kein Raum. Daß der Gesetzgeber bei der Fassung der Ausnahmevorschrift gerade die Kieferatrophie als den Hauptanwendungsfall einer implantologischen Versorgung übersehen haben könnte, ist angesichts der zuvor wiedergegebenen Äußerungen auszuschließen. Zwar wurde der Ausschluß implantologischer Leistungen in der Begründung zum BeitrEntlG noch damit gerechtfertigt, daß es für diese Leistungen alternative Behandlungsmöglichkeiten gebe, die in der Regel wesentlich wirtschaftlicher seien (BT-Drucks 13/4615 S 9). Der Gesetzgeber hat aber bereits im Zusammenhang mit den Rechtsänderungen zum 1. Juli 1997 seine Aussage selbst korrigiert, indem dort davon die Rede ist, daß der Versicherte in zwingend notwendigen Ausnahmefällen mit Implantaten versorgt werden soll (BT-Drucks 13/7264 S 59). Darin liegt das Eingeständnis, daß Alternativen zu Implantaten nicht in allen Fällen zur Verfügung stehen. Gleichzeitig weist der vom 1. Juli 1997 an geltende Gesetzestext so unmißverständlich auf den Ausnahmecharakter der Leistungspflicht für Implantate hin, daß kein Spielraum für eine Auslegung bleibt, nach der auch die häufigen Fälle der mit konventionellem Zahnersatz nicht befriedigend zu versorgenden Kieferatrophien zu den "zwingend notwendigen Ausnahmefällen" zu rechnen sind.
Die Nichteinbeziehung der Kieferatrophien in die Ausnahmeregelung des § 28 Abs 2 Satz 9 SGB V verletzt kein Verfassungsrecht.
Welche Behandlungsmaßnahmen in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung einbezogen und welche davon ausgenommen und damit der Eigenverantwortung des Versicherten (vgl § 2 Abs 1 Satz 1 SGB V) zugeordnet werden, unterliegt aus verfassungsrechtlicher Sicht einem weiten gesetzgeberischen Ermessen, denn ein Gebot zu Sozialversicherungsleistungen in einem bestimmten sachlichen Umfang läßt sich dem Grundgesetz nicht entnehmen (BSGE 76, 40, 42 f = SozR 3-2500 § 30 Nr 5 S 14; BSGE 86, 54, 65 = SozR 3-2500 § 135 Nr 14 S 71 jeweils mwN aus der Rechtsprechung des BVerfG). Alleiniger verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab ist das Gebot des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art 3 Abs 1 GG), Gleiches gleich und Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung verwehrt; da der Gleichheitssatz in erster Linie eine ungerechtfertigte Verschiedenbehandlung von Personen verhindern will, unterliegt der Gesetzgeber aber bei einer Ungleichbehandlung von Personengruppen regelmäßig einer strengen Bindung. Dennoch kann er grundsätzlich frei entscheiden, auf welche Elemente der zu ordnenden Lebenssachverhalte er seine Unterscheidung stützen will. Eine Grenze ist dann erreicht, wenn sich für seine Ungleichbehandlung kein in angemessenem Verhältnis zu dem Grad der Ungleichbehandlung stehender Rechtfertigungsgrund finden läßt (stellvertretend: BVerfGE 102, 68, 87 = SozR 3-2500 § 5 Nr 42 S 184 mwN).
Im Vergleich zu den Versicherten mit einem Anspruch nach § 28 Abs 2 Satz 9 SGB V wird die Klägerin insofern benachteiligt, als sie die Kosten für die implantologische Versorgung einschließlich der Suprakonstruktion selbst tragen muß, obwohl für beide Versichertengruppen konventioneller Zahnersatz nicht möglich ist. Die unterschiedliche Behandlung rechtfertigt sich jedoch dadurch, daß die Implantatversorgung jeweils verschiedenen Zwecken dient. Bei den vom Gesetz als besonders schwer eingestuften, in Abschnitt B VII Nr 29 Zahnbehandlungs-RL näher konkretisierten Fällen reicht das Behandlungsziel, wie auch die in der Gesetzesbegründung angeführten Beispiele (Resektion/Teilresektion am Kieferknochen bzw Schädel- und Gesichtstraumata bei nicht rekonstruierbaren Kieferabschnitten, vgl BT-Drucks 13/7264 S 59 zu § 28 SGB V) zeigen, über eine reine Versorgung mit Zahnersatz hinaus. Dieses Abgrenzungskonzept, das im Gesetz durch den Begriff der Gesamtbehandlung ausgedrückt ist und das - allerdings mit der Wendung "kombinierte Behandlungsmaßnahmen" - bereits bei der seit dem 1. Januar 1993 angeordneten Beschränkung von kieferorthopädischen Leistungen angesprochen wird (nunmehr § 28 Abs 2 Satz 6 und 7 SGB V, dazu Urteil vom 9. Dezember 1997 - 1 RK 11/97 - BSGE 81, 245, 249 = SozR 3-2500 § 28 Nr 3 S 11), hat der Senat zwar in einer späteren Entscheidung durch die Gesetzesentwicklung insoweit als überholt angesehen, als daraus stillschweigende Ausnahmen von Leistungsverboten abgeleitet worden waren (Urteil vom 6. Oktober 1999 - B 1 KR 9/99 R - BSGE 85, 66, 68 ff = SozR 3-2500 § 30 Nr 10 S 38 ff). Damit ist dem Gesetzgeber jedoch nicht das Recht abgesprochen worden, diesen Gesichtspunkt heranzuziehen, um Ausnahmeindikationen zur Abmilderung von Leistungsausschlüssen zu definieren. Vielmehr hat der Senat die Verfassungsmäßigkeit des fraglichen Abgrenzungskriteriums ausdrücklich bestätigt, weil es ein sachliches Merkmal für die Unterscheidung von Versicherten mit einem besonderen Behandlungsbedarf darstellt. Im selben Zusammenhang hat er auch schon darauf hingewiesen, daß das Krankenversicherungsrecht auf einem abschließenden Leistungskatalog beruht und es für die Leistungspflicht nicht darauf ankommt, ob eine ausgeschlossene Maßnahme den Erfolg einer anderen ermöglicht, die zum Leistungsumfang gehört (vgl nochmals BSGE 81, 245, 249 = SozR 3-2500 § 28 Nr 3 S 11). Beide Gesichtspunkte gelten auch hier, so daß weder wegen der getroffenen Unterscheidung noch wegen des Zusammenhangs der ausgeschlossenen Implantate mit dem darauf zu befestigenden Zahnersatz durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken erhoben werden können.
Eine weitere Benachteiligung sieht die Klägerin darin, daß andere Versicherte, deren Kieferverhältnisse die Benutzung einer konventionellen schleimhautgetragenen Prothese noch zulassen oder die anstelle selbstbeschaffter Implantate noch über eigene zur Verankerung von Kronen und Brücken geeignete Zähne bzw Zahnstifte verfügen, den gesetzlich vorgesehenen Zuschuß zum Zahnersatz erhalten, während sie nicht nur für die Implantate, sondern auch für die Kosten der Suprakonstruktion in vollem Umfang selbst aufkommen muß. Diese Schlechterstellung hat der Gesetzgeber später für Behandlungsfälle ab dem 1. Januar 2000 abgemildert, indem er für Ausnahmefälle, zu denen nach Abschnitt VI Nr 38 der Zahnersatz-RL des Bundesausschusses der Zahnärzte und Krankenkassen der atrophierte zahnlose Kiefer gehört, einen Anspruch auf Bezuschussung der Suprakonstruktion vorgesehen hat (§ 30 Abs 1 Satz 5 SGB V). Auch die hier noch anzuwendende Regelung des 2. GKV-NOG, die einen solchen Zuschuß nicht vorsah, war indessen mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar. Der Gesetzgeber ist auch dann, wenn er eine medizinische Behandlung (hier: Zahnersatz) grundsätzlich als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung zur Verfügung stellt, nicht gehindert, bestimmte technisch besonders aufwendige oder teuere Maßnahmen von der Leistungspflicht auszunehmen, wenn ihm dies wegen der zu erwartenden Kosten oder Risiken, wegen des im Normalfall geringen zusätzlichen Nutzens oder aus anderen nachvollziehbaren Gründen geboten erscheint. Insoweit ist zu beachten, daß die Suprakonstruktion auf der einen und herkömmlicher Zahnersatz in der Form einer schleimhautgetragenen Prothese oder einer Brücke auf der anderen Seite zwar jede auf ihre Weise dieselbe Funktion erfüllen, im übrigen aber erhebliche Unterschiede aufweisen, die auch eine abweichende rechtliche Behandlung rechtfertigen können. Der wesentliche Unterschied liegt in der technischen Ausführung. Die Suprakonstruktion bildet funktionell eine untrennbare Einheit mit den Implantaten, auf denen sie befestigt wird. Ihre Lebensdauer hängt von der Verankerung, der Verträglichkeit und der Haltbarkeit der Implantate ab. Des weiteren handelt es sich bei der Behandlung mit implantatgestütztem Zahnersatz um eine relativ neue Methode, für die Langzeitstudien über Haltbarkeit und Funktion erst Ende der neunziger Jahre vorgelegt worden sind (vgl Priest, Single-tooth implants and their role in preserving remaining teeth - A 10-year survival study, International Journal of Maxillofacial Implants 1999, Jg 14 Heft 2, 181 ff; McMillan/Allen/Bin Ismail, A retrospective multicenter evaluation of single tooth implant experience at three centers in the United Kingdom, Journal of Prothetic Dentistry 1998, Jg 79, 410 ff; vgl auch die Untersuchung der vorliegenden klinischen Studien zu Einzelzahn-Implantaten von Creugers/Kreulen/Snoek/de Kanter, A systematic review of single-tooth restorations supported by implants, J Dent 2000, Jg 28 Heft 4, 209 ff; für die Haltbarkeit von festsitzendem Zahnersatz vgl die Studie der Universität Köln, ZM 2000 Nr 22, S 26). Damit ergeben sich Unterschiede, die es im Hinblick auf das Ziel einer wirtschaftlichen und zweckmäßigen, auf das Notwendige beschränkten zahnmedizinischen Versorgung rechtfertigen, implantierten Zahnersatz insgesamt aus der Leistungspflicht der Krankenversicherung auszuschließen.
Da die angefochtenen Bescheide somit rechtmäßig sind, waren die angefochtenen Urteile aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
MedR 2002, 532 |
NZS 2002, 312 |
SozR 3-2500 § 28, Nr. 6 |
AuS 2001, 59 |