Entscheidungsstichwort (Thema)
Versicherungspflicht eines Landwirts in der Krankenversicherung der Landwirte, der gleichzeitig Beamter ist
Leitsatz (amtlich)
Ein landwirtschaftlicher Unternehmer iS des GAL unterliegt der Versicherungspflicht nach dem KVLG, auch wenn er außerdem als Beamter - mit oder ohne zusätzlichen privaten Krankenversicherungsschutz - tätig ist. Diese Regelung verletzt nicht GG Art 3 Abs 1.
Leitsatz (redaktionell)
Die Versicherungspflicht der Landwirte und ihre Ausnahmen in der Krankenversicherung der Landwirte sind allein und erschöpfend in dem KVLG geregelt. Die RVO §§ 169, 173a bis 173d sind daneben nicht anwendbar.
Normenkette
KVLG § 2 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1972-08-10; RVO § 169 Abs. 1 Fassung: 1945-03-17; GG Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23; RVO §§ 173a, 173b, 173c, 173d
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 9. April 1975 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Umstritten ist, ob der Kläger, der einen landwirtschaftlichen Betrieb von 9 ha Größe bewirtschaftet, der Versicherungspflicht nach dem Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte (KVLG) vom 10. August 1972 unterliegt.
Der Kläger war als Angestellter der Deutschen Bundespost bis 30. Juni 1973 Pflichtmitglied der Bundespost-Betriebskrankenkasse; diese Mitgliedschaft endete, als er ab 1. Juli 1973 von der Bundespost als Beamter übernommen wurde. Seitdem ist er Mitglied der Postbeamten-Krankenkasse (PBKK).
Die Beklagte teilte dem Kläger durch Bescheid vom 12. Juli 1973 mit, daß er ab 1. Juli 1973 nach dem KVLG versicherungspflichtig sei. Der Kläger beantragte daraufhin die Befreiung von der Versicherungspflicht. Diesen Antrag lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 8. August 1973). Der gegen beide Bescheide eingelegte Widerspruch des Klägers wurde durch Bescheid vom 13. November 1973 zurückgewiesen.
Auf die Klage hob das Sozialgericht (SG) die Bescheide auf und stellte fest, daß der Kläger versicherungsfrei sei. Das Landessozialgericht (LSG) hob das Urteil auf und wies die Klage ab. Der Kläger sei landwirtschaftlicher Unternehmer im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 KVLG und deshalb in der landwirtschaftlichen Krankenversicherung versichert. Die Versicherungsfreiheit als Beamter nach § 169 der Reichsversicherungsordnung (RVO) gelte für ihn nur in dieser Eigenschaft; sie schließe seine Versicherungspflicht als landwirtschaftlicher Unternehmer nicht aus. § 3 KVLG komme ebensowenig in Betracht wie § 94 dieses Gesetzes. Mit der zugelassenen Revision beantragt der Kläger (sinngemäß),
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen.
Er rügt eine Verletzung der §§ 169, 173 ff RVO i. V. m. § 94 KVLG und von Art. 3 des Grundgesetzes (GG). Als Beamter und zudem Mitglied der PBKK sei er ausreichend gegen Krankheit geschützt; die ihm aufgezwungene Pflichtversicherung nach dem KVLG verstoße gegen den Sinn und Zweck dieses Gesetzes sowie das Verbot der Doppel- und Überversicherung; sie sei unangemessen sowie unverhältnismäßig und mißachte die freie Willensbestimmung.
Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Das LSG hat zu Recht Versicherungspflicht des Klägers ab 1. Juli 1973 nach dem KVLG bejaht. Der Kläger ist landwirtschaftlicher Unternehmer im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 KVLG; sein Unternehmen bildet eine auf Bodenbewirtschaftung beruhende Existenzgrundlage im Sinne von § 1 Abs. 4 des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte (GAL). Von der somit nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 KVLG gegebenen Versicherungspflicht kann der Kläger nach keiner Vorschrift der RVO oder des KVLG freigestellt werden.
Die vom Kläger als verletzt gerügten §§ 169, 173 ff RVO sind in der landwirtschaftlichen Krankenversicherung nicht anwendbar. Wie der Senat schon im Urteil vom 5. Februar 1976 (11 RK 2/75, Soz. Sicherheit 1976, 120) dargelegt hat, stellt die Krankenversicherung der Landwirte nach Zielsetzung und Ausgestaltung ein von der Krankenversicherung nach dem 2. Buch der RVO verschiedenes Ordnungssystem dar; ihre Grundkonzeption und Einzelvorschriften weichen in wesentlichen Punkten von den Regelungen der RVO ab. Insbesondere sind die Versicherungspflicht und ihre Ausnahmen allein und erschöpfend im KVLG geregelt; eine Anwendung von Vorschriften der RVO ist daneben nicht möglich.
Davon abgesehen entnimmt der Kläger den §§ 169, 173 ff RVO Grundgedanken, die darin nicht enthalten sind. Die Versicherungsfreiheit nach § 169 RVO beschränkt sich auf die Beamtentätigkeit; sie erstreckt sich nicht auf andere Beschäftigungen und Tätigkeiten (BSG, zuletzt SozR 2200 § 169 Nr. 1). Ebensowenig lassen die §§ 173 a - d RVO die Pflichtversicherung allgemein entfallen, wenn privater Krankenversicherungsschutz besteht; nur in dort genannten Sonderfällen ist eine Befreiung auf Antrag zugelassen.
Die Freistellungsvorschriften des KVLG (§§ 3, 4, 94) sind im Tatbestand nicht erfüllt.
Nach § 3 Satz 1 KVLG ist nach diesem Gesetz nicht versichert, wer nach anderen Vorschriften für den Fall der Krankheit versicherungspflichtig ist. Dies traf beim Kläger nur so lange zu, als er noch Angestellter und als solcher Pflichtmitglied der Bundespost-Betriebskrankenkasse war, also bis 30. Juni 1973. Seitdem ist der Kläger nicht mehr nach anderen Gesetzen versicherungspflichtig. Die PBKK, der er aus eigenem Entschluß beitrat, ist eine private Versicherung (BSG 20, 159).
§ 3 Satz 1 KVLG ist auch nicht entsprechend anwendbar auf Beamte, gleichgültig, ob sie zusätzlich privatversichert sind oder nicht. § 3 KVLG ist nicht Ausdruck eines allgemeinen Grundsatzes dahingehend, daß die Krankenversicherung nach dem KVLG bei anderweit ausreichendem Krankenversicherungsschutz entfallen soll; er regelt lediglich das Zusammentreffen von Versicherungspflichten dergestalt, daß im Falle des Satzes 1 die landwirtschaftliche Krankenversicherung, in den Fällen des Satzes 2 die andere Pflichtversicherung zurücktritt (entfällt). Die Sicherung eines Beamten durch Beihilfen kann hierbei nicht einer Pflichtversicherung gleichgestellt werden; sie unterscheidet sich nach Art und Umfang von ihr wesentlich (keine Sachleistungen, kein voller Kostenersatz). Davon abgesehen regeln bereits die Beihilfevorschriften (vgl. § 3 Abs. 3 und 4 der Fassung vom 11. Februar 1975, Gem. MinBl 1975 S. 105) die "Konkurrenz" mit Leistungen der Pflichtversicherung. Danach sind Sachleistungen einer gesetzlichen Krankenversicherung nicht und andere Aufwendungen nur insoweit beihilfefähig, als sie über die aus der Pflichtversicherung zustehenden Leistungen hinausgehen. Die Sicherung durch Beihilfen tritt also insoweit zurück; dies entspricht dem Grundgedanken der Beihilfe; sie ist Ausfluß der Fürsorgepflicht des Dienstherrn und darum nur eine ergänzende Hilfe. Dem steht nicht entgegen, daß Beamte, die "wegen des Betriebs einer Nebenerwerbslandwirtschaft" Pflichtmitglieder der landwirtschaftlichen Krankenversicherung sind, in der Praxis dennoch eine Beihilfe zum Gesamtbetrag ihrer Aufwendungen erhalten, wenn sie die Leistungen aus der Pflichtversicherung nicht in Anspruch nehmen (vgl. Schreiben des Bundesministers des Innern vom 22. Februar 1973, abgedruckt bei Köhnen-Schröder-Kusemann, Beihilfevorschriften, 13. Erg., A II, Erl. zu Nr. 3, S. A 87).
Die Befreiungsmöglichkeit nach § 94 KVLG kam, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, für den Kläger schon deshalb nicht in Betracht, weil er beim Inkrafttreten des KVLG (1. Oktober 1972) Pflichtmitglied der Bundespost-Betriebskrankenkasse gewesen ist und deshalb keinen Befreiungsantrag gestellt hat. Die Übergangsvorschrift des § 94 KVLG sollte denen, die bei Inkrafttreten dieses Gesetzes bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen versichert waren, die Befreiungsmöglichkeit geben; sie ist eine nur für begrenzte Zeit in Betracht kommende Ausnahme von dem Grundsatz der Zwangsmitgliedschaft bei der landwirtschaftlichen Krankenversicherung. Die Vorschrift gilt nicht für Personen, die (wie der Kläger) erst später, z. B. ab 1. Juli 1973 in der Krankenversicherung der Landwirte versicherungspflichtig werden. Im übrigen traf die Versicherungspflicht beim Kläger auch nicht auf einen schon bestehenden privaten Krankenversicherungsschutz wie in den Fällen des § 94 KVLG.
Die Einbeziehung des Klägers in die landwirtschaftliche Krankenversicherung verletzt schließlich nicht Art. 3 Abs. 1 GG. Es erscheint nicht willkürlich, daß der Gesetzgeber dieser Versicherungspflicht auch landwirtschaftliche Unternehmer unterwirft, die zugleich Beamte mit oder ohne zusätzlichen privaten Krankenversicherungsschutz sind. Als tragenden Grund für die Beschränkung der Versicherungsfreiheit nach § 169 RVO auf die eigentliche Beamtentätigkeit hat der 3. Senat (SozR 2200 aaO) bereits den Grundsatz der Solidarität aller abhängig Beschäftigten herausgestellt; sie verlangt, die Ausnahmen von der Versicherungspflicht eng zu begrenzen und die Versicherungspflicht nicht vom jeweiligen individuellen Schutzbedürfnis abhängig zu machen. Dies muß erst recht in der landwirtschaftlichen Krankenversicherung gelten, die unter dem Gesichtspunkt des Solidarausgleichs eher noch strengere Maßstäbe fordert (so schon Urteil des Senats vom 5. Februar 1976). Davon abgesehen ist bereits darauf hingewiesen worden, daß die Leistungen für Beamte und für landwirtschaftliche Unternehmer in Art und Umfang verschieden sind; insbesondere bietet die landwirtschaftliche Krankenversicherung in Form der Betriebs- und der Haushaltshilfe spezifische Leistungen für einen landwirtschaftlichen Unternehmer, die bei der Beihilfegewährung nicht berücksichtigt werden. Daß die Beihilfe gegenüber Leistungen der Pflichtversicherung grundsätzlich zurücktritt, ist ebenfalls schon dargelegt. Es fehlt hiernach nicht an einleuchtenden Gründen für die Versicherungspflicht nach dem KVLG.
Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind demnach rechtmäßig; die Revision des Klägers muß deshalb als unbegründet zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen