Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Ausschluß des Versorgungsanspruchs

 

Leitsatz (amtlich)

Hat die Verwaltung einem Ausländer Versorgung wegen eines Anspruches gegen einen anderen Staat nach § 7 Abs 2 BVG versagt und erläßt sie während des Revisionsverfahrens eine ablehnende Entscheidung nach § 8 BVG, so gilt dieser Verwaltungsakt als mit der Klage beim Sozialgericht angefochten.

 

Orientierungssatz

Besitzt ein Ungar, nachdem er aus seinem Heimatstaat geflüchtet ist, nach ungarischem Recht keinen Versorgungsanspruch mehr gegen seinen Heimatstaat, ist § 7 Abs 2 BVG nicht anwendbar.

 

Normenkette

BVG § 7 Abs 2 Fassung: 1964-02-21, § 8 Fassung: 1966-12-28; SGG § 96 Abs 1 Fassung: 1953-09-03, § 171 Abs 2 Fassung: 1953-09-03

 

Verfahrensgang

LSG für das Saarland (Entscheidung vom 24.06.1980; Aktenzeichen L 2/4 V 52/78)

SG für das Saarland (Entscheidung vom 17.10.1978; Aktenzeichen S 18 V 50/76)

 

Tatbestand

Der Kläger beantragte 1974 Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) wegen Kriegsverletzungsfolgen. Er stammt aus Ungarn, hat sein Heimatland nach dem 2. Weltkrieg verlassen, lebt in Frankreich und ist französischer Staatsangehöriger geworden. Während des Krieges leistete er in Ungarn einen Arbeitsdienst, der für ungarische Juden als Ersatz für einen Wehrdienst bestimmt war. Nach "endgültiger Entscheidung" des Bezirksamts Budapest vom 28. März 1951 ist er als fünfundsechzigprozentiger Kriegsinvalide anerkannt. Die Auszahlung der ihm deswegen in Ungarn zuerkannten Rente wurde zunächst vorübergehend eingestellt, weil der Kläger arbeitete und für seine Bedürfnisse selbst aufkommen konnte. Nach seinen Angaben wurde er 1943 oder 1944, als er einer ungarisch-deutschen Arbeitsdivision angehört habe, bei der Explosion des Munitionslagers "München Nr 250" verletzt.

Den in der Bundesrepublik Deutschland gestellten Versorgungsantrag lehnte die Verwaltung mit der Begründung ab, die Voraussetzungen eines militärähnlichen Dienstes im Sinn des § 3 Bundesversorgungsgesetz (BVG) seien nicht erfüllt gewesen; es sei aufgrund der ungarischen Anerkennung zu vermuten, daß er die Schädigung als Soldat der ehemaligen ungarischen Streitkräfte erlitten habe (Bescheid vom 4. Dezember 1975, Widerspruchsbescheid vom 23. Februar 1976). Das Sozialgericht (SG) wies die Klage ab (Urteil vom 17. Oktober 1978). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 24. Juni 1980). Das Berufungsgericht hält die Klage allein nach § 7 Abs 2 BVG deshalb nicht für begründet, weil der Kläger als Kriegsopfer aus derselben Ursache einen Anspruch gegen den ungarischen Staat habe und eine abweichende zwischenstaatliche Vereinbarung zwischen Deutschland und Ungarn nicht bestehe.

Dies gelte auch dann, wenn - wie beim Kläger - die Auszahlung der Rente mangels eines Bedürfnisses "provisorisch" eingestellt worden sei. Von dieser Maßnahme bleibe unberührt, daß dem Kläger an sich ein Anspruch gegen den anderen Staat eröffnet worden sei. Deshalb schließe § 7 Abs 2 BVG eine Versorgung aus.

Der Kläger hat die - vom Bundessozialgericht (BSG) zugelassene - Revision eingelegt. Er beanstandet die Anwendung des § 7 Abs 2 BVG, weil er aus politischen Gründen aus der Volksrepublik Ungarn geflüchtet sei und damit jeden Versorgungsanspruch gegen sein Heimatland verloren habe.

Der Kläger beantragt,

das Berufungsurteil aufzuheben und den Rechtsstreit

zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das

Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung (BMA) als Vertreter der zum Verfahren beigeladenen Bundesrepublik Deutschland hat erklärt, ein Versorgungsanspruch des Klägers sei nicht nach § 7 Abs 2 BVG ausgeschlossen. Er komme nach § 8 BVG aufgrund der allgemeinen Zustimmung zur Versorgung von Kriegsopfern im Ausland ohne Ost- und Südosteuropa in Betracht, falls die übrigen Voraussetzungen des § 7 Abs 1 Nr 3 BVG erfüllt seien.

Das Versorgungsamt hat nachträglich festgestellt, daß keine dieser Voraussetzungen gegeben ist (Bescheid vom 10. Juni 1981, Widerspruchsbescheid vom 11. August 1981). Der Kläger wendet sich auch gegen diese Bescheide. Er hat dagegen Klage erhoben. Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers hat Erfolg. Die Sache ist an das SG zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Das Berufungsgericht hat zu Unrecht nach § 7 Abs 2 BVG im Fall des Klägers das BVG schlechthin für unanwendbar erklärt. Nach dieser Vorschrift ist dieses deutsche Versorgungsgesetz nicht auf Kriegsopfer anzuwenden, die aus derselben Ursache einen Anspruch auf Versorgung gegen einen anderen Staat besitzen, es sei denn, daß zwischenstaatliche Vereinbarungen etwas anderes bestimmen. Der Ausschluß des Versorgungsrechts greift hier nicht ein. Dies räumt inzwischen auch die Verwaltung ein. Der Kläger ist zwar ursprünglich als Kriegsinvalide in seinem Heimatland Ungarn anerkannt worden. Aber ungeachtet dessen, daß ihm die Rente mangels eines Bedürfnisses zeitweilig nicht ausgezahlt wurde, als er noch in Ungarn lebte, hat er jedenfalls jetzt keinen Versorgungsanspruch mehr gegen den ungarischen Staat, seit er aus dessen Gebiet nach Frankreich geflüchtet ist. Nach den vom BMA eingeholten Auskünften über die Rechtslage im ungarischen Versorgungsrecht ist ein Anspruch auf Kriegsopferrente ausgeschlossen, wenn sich ein betroffener ungarischer Staatsangehöriger im Ausland in der Absicht aufhält, sich dort ständig niederzulassen. Versorgungsleistungen werden demnach an ungarische Staatsangehörige, die im Ausland leben, ausnahmsweise nur dann gewährt, wenn sie dies im dienstlichen Auftrag oder als Private legal tun, im letztgenannten Fall aber nur bis zu drei Monaten. Der Kläger "besitzt" also nach ungarischem Recht keinen Versorgungsanspruch mehr gegen seinen Heimatstaat, nachdem er aus ihm geflüchtet ist. Damit ist § 7 Abs 2 BVG nicht anwendbar.

Dieser Auslegung der genannten Vorschrift steht nicht das Urteil des erkennenden Senats vom 25. November 1976 - 9 RV 188/75 - (= SozR 3100 § 7 Nr 2) entgegen, auf das sich das LSG irrtümlich gestützt hat. In dieser Entscheidung hat zwar der Senat eine Versorgungsberechtigung gemäß § 7 Abs 1 BVG nach Abs 2 allein dadurch als ausgeschlossen beurteilt, daß ein Versorgungsanspruch gegen einen anderen Staat überhaupt eröffnet wird, und zwar auch dann, wenn dieses Recht im Einzelfall nicht verwirklicht werden kann. Aber in dem entschiedenen Fall war ein Teil der begehrten Leistungen deshalb abgelehnt worden, weil es nach den Umständen des Einzelfalles am ursächlichen Zusammenhang fehlte. Der Kläger hat hingegen seinen Versorgungsanspruch durch die Flucht aus seinem Heimatland überhaupt und insgesamt verloren.

Das Berufungsurteil war aufzuheben, damit seine Rechtskraft (§ 141 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) nicht einer nunmehr gebotenen Sachprüfung entgegensteht.

Gleiches gilt für das Urteil des SG. Falls es aufrechterhalten bliebe, würden durch die Abweisung der ersten Klage der Bescheid vom 4. Dezember 1975 und der Widerspruchsbescheid vom 23. Februar 1976 (§ 95 SGG) bestätigt und rechtsverbindlich (§ 77 SGG). Dies könnte unbedenklich eintreten, wenn sie ausdrücklich entschieden hätten, daß der Kläger nicht zum versorgungsberechtigten Personenkreis des § 7 Abs 1 BVG gehöre. Das wäre für sich gesehen zutreffend. Der Kläger ist weder Deutscher noch deutscher Volkszugehöriger mit Wohnsitz im Geltungsbereich des BVG (§ 7 Abs 1 Nr 1) oder im Bereich des ehemals deutschen Staatsgebiets östlich der Oder-Neiße-Linie oder im Ausland (Nr 2) noch ein anderes Kriegsopfer, das im Geltungsbereich des BVG wohnt oder sich dort aufhält (Nr 3). Aber ausdrücklich haben die beiden ersten Verwaltungsakte allein auf eine der Voraussetzungen für einen zur Versorgung berechtigenden Tatbestand des § 3 BVG abgestellt, möglicherweise im Zusammenhang mit § 1 Abs 1 BVG. Dies kann indes vorgreiflich sein für die allein noch offene und umstrittene Entscheidung gemäß § 8 BVG und muß daher vom SG noch in diesem Zusammenhang uneingeschränkt geprüft werden können.

Allerdings ist die gerichtliche Kontrolle nunmehr auf die Zuordnung des Klägers zum versorgungsberechtigten Personenkreis nach § 8 BVG statt nach § 7 beschränkt. Der Beklagte hat mit dem während des Revisionsverfahrens erlassenen Bescheid vom 10. Juni 1981 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11. August 1981 zwar ausdrücklich allein über die in § 7 Abs 1 Nr 3 BVG aufgeführten Tatbestände entschieden, aber dies im Hinblick auf den Anwendungsbereich des § 8 BVG getan. Das ergibt sich zwingend aus dem Verfahrensablauf, in dessen Zusammenhang allein dieser Verwaltungsakt verständlich ist. Nachdem der BMA als Vertreter der Beigeladenen die Auffassung vertreten hatte, der Kläger falle nicht unter § 7 Abs 2 BVG, hat er auf die von ihm allgemein erteilte Zustimmung zur Versorgung von im Ausland lebenden Kriegsopfern nach § 8 BVG verwiesen. Darauf bezieht sich die sodann von der Verwaltung erlassene Entscheidung, die durch jene Klärung der Rechtslage im Verwaltungsbereich veranlaßt worden war. Nach § 8 BVG kann auch in anderen als in den in § 7 bezeichneten, besonders begründeten Fällen mit Zustimmung des BMA Versorgung gewährt werden, außerhalb des Geltungsbereiches des BVG nach Maßgabe der §§ 64 bis 64 f. Nach den dazu ergangenen allgemeinen Weisungen des BMA - Abschn A Nr 6 Abs 1 Buchstaben b oder c der Regelungen für die Versorgung der Kriegsopfer im Ausland ohne Ost- und Südosteuropa - Richtlinien West 1971 - Beilage zum Bundesversorgungsblatt 1971 Nr 7/8 - kommt eine solche Versorgung in Betracht, falls die "übrigen Voraussetzungen" des § 7 Abs 1 Nr 3 BVG erfüllt sind. Dies muß noch geklärt werden.

Über diesen neuen Streitgegenstand, eine Versorgungsberechtigung nach § 8 BVG, hat nunmehr das SG zu befinden. Die nachträgliche Entscheidung der Verwaltung zu § 7 Abs 1 Nr 3 BVG, und zwar allein als Voraussetzung für eine Zuordnung nach § 8 BVG, ist im Sinne des § 96 SGG Gegenstand dieses Rechtsstreits während des Revisionsverfahrens geworden und gilt deshalb nach § 171 Abs 2 SGG als mit der Klage beim SG angefochten; die Ausnahme, daß dem Klagebegehren Genüge getan worden ist, liegt hier nicht vor. Der neue Verwaltungsakt hat die vorher zu § 7 BVG ergangenen Bescheide "ersetzt" im Sinne einer Bestätigung der Beschwer, daß der Kläger nicht zum versorgungsberechtigten Personenkreis gehören soll. Auch eine solche Bestätigung des Ergebnisses, die auf eine andere Rechtsgrundlage gestützt wird, hat nach den Grundsätzen der Prozeßökonomie, der Verfahrenskonzentration und des Sachzusammenhanges zur Folge, daß sie Gegenstand des anhängigen Rechtsstreits wird (BSG SozR 1500 § 96 Nrn 2 und 4; vgl auch BSGE 37, 93, 94 = SozR 3660 § 2 Nr 1; BSGE 45, 49, 51 f = SozR 1500 § 96 Nr 6). Damit ist eine neue selbständige Klage gegen die nachträglichen Verwaltungsentscheidungen ausgeschlossen (BSGE 47, 13, 15 = SozR 1500 § 94 Nr 2). Selbst wenn allgemein ein nachträglicher Verwaltungsakt, der dieselbe Rechtsfolge mit neuer Begründung ausspricht, nicht unter § 171 Abs 2 SGG fiele (BSG SozR Nr 3 zu § 171 SGG), müßte doch im gegenwärtigen Fall die Wirkung gemäß dieser Vorschrift eintreten; denn die Verwaltung hat über das Begehren des Klägers nunmehr unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt, und zwar nach ihrem Ermessen entschieden, und das Revisionsgericht könnte die darüber gebotene Sachprüfung nicht selbst vornehmen. Vielmehr ist es auf die Kontrolle der Rechtsanwendung beschränkt, während der zu beurteilende Sachverhalt vom Tatsachengericht festgestellt sein muß (§§ 162, 163 SGG).

Das SG hat nun im Hinblick auf die Verwaltungsrichtlinien zu § 8 BVG zu prüfen, ob einer der Tatbestände des § 7 Abs 1 Nr 3 BVG erfüllt ist, dh ob eine Schädigung im Zusammenhang mit einem Dienst im Rahmen der deutschen Wehrmacht (vgl dazu BSGE 45, 166 = SozR 3100 § 7 Nr 5; SozR 3100 § 7 Nr 6) oder mit einem militärähnlichen Dienst für eine deutsche Organisation (BSG SozR 3100 § 3 Nr 4) oder eine Schädigung durch eine unmittelbare Kriegseinwirkung (§ 5 BVG; SozR 3100 § 8 Nr 3 S 13) in einem zu jener Zeit von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebiet eingetreten ist. Falls ein solcher Tatbestand für den Kläger anzunehmen ist, steht dies zuerst einmal fest als Voraussetzung für die Zuordnung zum versorgungsberechtigten Personenkreis (§ 8 BVG). Erst in zweiter Linie ist sodann, davon getrennt, wenn auch aufeinander bezogen (BSG SozR 3100 § 7 Nr 6), zu ermitteln, ob der Kläger bleibende Folgen einer Schädigung durch einen der Tatbestände des § 1 Abs 1 oder 2 Buchstabe a iVm den §§ 2, 3 oder 5 BVG erlitten hat (BSG SozR 3100 § 8 Nr 1 S 4; 3100 § 8 Nr 3 S 9 und 12).

Falls er nicht unter eine der Voraussetzungen des § 7 Abs 1 Nr 3 BVG fällt und somit nicht aufgrund der allgemeinen ministeriellen Zustimmung nach § 8 BVG versorgungsberechtigt sein kann, muß gleichwohl eine für den Einzelfall zu treffende Ermessensentscheidung nach dieser Vorschrift nicht schlechthin ausgeschlossen sein (BSG SozR 3100 § 8 Nrn 1 und 3). Auch die Rechtsvoraussetzung dafür hat das SG zu kontrollieren.

Das SG hat über die Kosten des gesamten Verfahrens zu entscheiden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1654969

Breith. 1982, 411

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