Entscheidungsstichwort (Thema)
Waisenrentengewährung bei Verschollenheit. Todestagfeststellung
Orientierungssatz
Im Verfahren auf Gewährung von Waisenrente nach RVO § 1258 iVm RVO §§ 1259, 1260 hat das Tatsachengericht die Feststellung des - wahrscheinlichen - Todestages des Verschollenen zu treffen, da dieser Tag auch für die Entscheidung über die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des Anspruchs wesentlich ist.
Normenkette
RVO § 1258 Fassung: 1939-04-19, § 1259 Fassung: 1934-05-17, § 1260 Fassung: 1934-05-17
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 21.12.1955) |
SG Düsseldorf (Entscheidung vom 08.10.1954) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. Dezember 1955 mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Der am 4. Juli 1953 geborene Kläger beantragte am 9. Februar 1954 Waisenrente aus der Invalidenversicherung des G K, der seit Januar 1945 als Soldat vermißt ist. Durch Bescheid vom 3. März 1954 lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit der Begründung ab, der verschollene Versicherte sei zwar der Ehemann der Mutter des Klägers, aber nicht dessen Erzeuger.
Das Sozialgericht (SG.) hob den angefochtenen Bescheid auf und verurteilte die Beklagte, dem Kläger Waisenrente in gesetzlicher Höhe zu zahlen.
Gegen dieses Urteil legte die Beklagte Berufung ein. Das Landessozialgericht (LSG.) wies die Berufung - unter Berichtigung des Tenors des SG. dahingehend, daß die Waisenrente ab 1. März 1954 zu zahlen ist - zurück. Der Kläger sei zwar kein eheliches Kind des Versicherten, seine Unehelichkeit könne aber nach § 1593 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) nicht geltend gemacht werden, weil er während der Ehe seiner Mutter mit dem Versicherten geboren sei.
Gegen das ihr am 16. Mai 1956 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 30. Mai 1956 am 7. Juni 1956 Revision eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 22. Juni 1956 am 29. Juni 1956 begründet. Sie rügt mangelnde Sachaufklärung durch das LSG. Der Ehemann der Mutter des Klägers sei durch Beschluß des Amtsgerichts Neuß vom 3. September 1955 - also vor der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung - für tot erklärt worden. Dieser Beschluß sei am 31. Oktober 1955 rechtskräftig geworden. Als vermuteter Zeitpunkt des Todes sei der 31. Dezember 1945 festgestellt worden. Damit sei der im Jahre 1953 geborene Kläger nicht während der Ehe oder innerhalb von 302 Tagen nach Auflösung der Ehe geboren, weil die Ehe mit dem festgestellten - vermuteten - Todeszeitpunkt als aufgelöst gelte. Der Geltendmachung der Unehelichkeit des Klägers stehe daher § 1593 BGB nicht entgegen. Das LSG. hätte nachforschen müssen, ob der Versicherte schon für tot erklärt worden sei; es hätte sich nicht auf die Erklärung der Mutter des Klägers vom Oktober 1954, sie beabsichtige nicht, beim Amtsgericht einen Antrag auf Todeserklärung zu stellen, verlassen dürfen.
Sie beantragt,
das Urteil des LSG. Nordrhein-Westfalen vom 21. Dezember 1955 und das Urteil des SG. Düsseldorf vom 8. Oktober 1954 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger hat keinen Antrag gestellt und keine Stellung zu der Revision der Beklagten genommen.
Entscheidungsgründe
Der zulässigen Revision konnte der Erfolg nicht versagt bleiben.
Das LSG. hat es unterlassen, die in dem Verfahren auf Gewährung einer Hinterbliebenenrente nach § 1258 in Verbindung mit §§ 1259, 1260 der Reichsversicherungsordnung (RVO) a. F. erforderliche Feststellung des - wahrscheinlichen - Todestages des verschollenen Versicherten zu treffen; es hat sich vielmehr darauf beschränkt, festzustellen, daß und seit welcher Zeit der Versicherte vermißt ist. Ohne Feststellung des Todestages kann insbesondere nicht festgestellt werden, ob der Kläger noch während der mit diesem Tage - mit Wirkung für dieses Verfahren - als aufgelöst geltenden Ehe bezw. noch innerhalb von 302 Tagen nach diesem Tage oder ob er danach geboren ist. Diese Feststellung aber ist erforderlich, um entscheiden zu können, ob die vom LSG. festgestellte Unehelichkeit des Klägers nach § 1593 BGB geltend gemacht werden kann (vgl. dazu Urteil des erkennenden Senats in Sachen LVA. O ./. L vom 4.7.1957 - 4 RJ 74/56 -). Selbst nach seiner eigenen Rechtsauffassung wäre das LSG. von der Feststellung des wahrscheinlichen Todestages nach § 1260 RVO a. F. nicht entbunden gewesen, da dieser Tag auch für die Entscheidung über die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des Anspruchs erforderlich ist. Im übrigen hätte es sich bei der nach seiner Ansicht entscheidenden Frage, ob der Versicherte bereits für tot erklärt worden ist, nicht allein auf die Angaben der Mutter des Klägers, sie beabsichtige nicht, einen Antrag auf Todeserklärung ihres Ehemannes zu stellen, verlassen dürfen, zumal diese Erklärung auch schon über ein Jahr zurücklag, sondern hätte eine Auskunft bei dem zuständigen Amtsgericht einholen müssen. Hätte es eine solche Auskunft eingeholt, so hätte es noch rechtzeitig vor dem Termin Mitteilung von der Todeserklärung erhalten. Immerhin lag zwischen dem Beschluß des Amtsgerichts und der letzten mündlichen Verhandlung des LSG. eine Frist von über 3 1/2 Monaten. Wäre diese Anfrage vor Erlaß des Beschlusses bei dem Amtsgericht eingegangen, würde das LSG. zumindest schon erfahren haben, daß inzwischen - im Mai 1955 - ein entsprechender Antrag der Mutter des Klägers eingegangen war.
Da es dem Revisionsgericht versagt ist, die hiernach erforderliche Tatsachenfeststellung selbst zu treffen, mußte das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG. zurückverwiesen werden. Das LSG. wird nunmehr den - wahrscheinlichen - Todestag des Versicherten festzustellen und unter Anwendung der sich aus dem Urteil des erkennenden Senats in Sachen Landesversicherungsanstalt O ./. L - 4 RJ 74/57 - ergebenden Grundsätze über den Anspruch des Klägers erneut zu entscheiden haben.
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen