Leitsatz (amtlich)
1. Eine Streitigkeit über die Auszahlung eines nach LAG § 290 Abs 3 auf die Bundesrepublik Deutschland (Bundesausgleichsamt) übergegangenen rückständigen Rentenbetrages zwischen dieser und dem bewilligenden Rentenversicherungsträger ist eine Angelegenheit der Sozialversicherung im Sinne des SGG § 51.
2. BGB § 407 iVm BGB § 412 findet beim gesetzlichen Übergang von Ansprüchen in der Sozialversicherung entsprechende Anwendung.
Normenkette
SGG § 51 Fassung: 1953-09-03; LAG § 290 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 Fassung: 1955-07-12, § 315; BGB § 407 Fassung: 1896-08-18, § 412 Fassung: 1896-08-18
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Schleswig vom 6. Juni 1958 aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 26. Juni 1957 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
I. Der 1885 geborene Beigeladene bezog seit Februar 1949 Invalidenrente von der Beklagten. Auf Grund eines am 30. September 1954 gestellten Umrechnungsantrages wurde seine Rente nach den Vorschriften des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes vom 7. August 1953 (FremdRG) mit Bescheid vom 17. Januar 1955 vom 1. Dezember 1954 an erhöht und ihm für die Zeit seit dem 1. Februar 1949 eine Nachzahlung von 2.257,40 DM überwiesen.
Von dem zuständigen Ausgleichsamt war dem Beigeladenen auf seinen Antrag seit April 1949 Unterhaltshilfe gewährt worden, die unter Berücksichtigung der jeweils von ihm mitgeteilten Höhe seiner Invalidenrente festgesetzt worden war.
Erst im Frühjahr 1956 stellte das Ausgleichsamt durch eine Rückfrage bei der Beklagten nach der Höhe der dem Beigeladenen seit April 1953 gewährten Invalidenrente fest, daß diese die oben erwähnte Nachzahlung erhalten hatte; das Ausgleichsamt beanstandete darauf die Auszahlung, die ohne vorherige Prüfung, ob ihm ein Erstattungsanspruch zustehe, erfolgt sei, und forderte mit Schreiben vom 22. Mai 1956 von der Beklagten den Betrag von 1.598,60 DM, da der Rentenanspruch in dieser Höhe kraft Gesetzes (§ 290 Abs. 3 des Lastenausgleichsgesetzes - LAG -) übergegangen sei. Die Beklagte verweigerte die Erstattung; sie habe nach §§ 412, 407 BGB an den Beigeladenen zahlen dürfen, da ihr der Übergang der Forderung auf das Ausgleichsamt nicht bekannt gewesen sei; aus ihren Akten ergebe sich nichts darüber, daß der Beigeladene zum Kreis der Unterhaltshilfeempfänger gehöre; auch habe ihr der Beigeladene dies niemals mitgeteilt.
II. Das Sozialgericht (SG) Lübeck wies die Klage auf Zahlung eines Erstattungsbetrages von ursprünglich 1856,20 DM - durch Zahlungen des Beigeladenen ermäßigt auf 1.496,20 DM - ab. Zwar habe ein gesetzlicher Forderungsübergang nach § 290 Abs. 3 LAG stattgefunden, dies sei der Beklagten jedoch nicht bekannt gewesen. Der Rechtsgrundsatz des § 407 Abs. 1 BGB sei allgemeiner Art und auch im öffentlichen Recht anzuwenden. Die Klägerin müsse daher die erfolgte Zahlung gegen sich gelten lassen.
III. Auf die Berufung der Klägerin verurteilte das Landessozialgericht (LSG) demgegenüber die Beklagte zur Zahlung eines - durch weitere Zahlungen des Beigeladenen weiter ermäßigten - Betrages von 796,20 DM.
Das LSG teilt zwar grundsätzlich die in Literatur und Rechtsprechung (vgl. u.a. RGZ 152 S. 111) vertretene Auffassung, daß der in § 407 BGB enthaltene allgemeine Rechtsgedanke auch auf öffentlich-rechtliche Ansprüche anzuwenden sei; es will jedoch aus der abweichenden Situation (Behörden und Anstalten des öffentlichen Rechts bedienten sich stets rechtlich geschulter Personen) folgern, daß der öffentlich-rechtliche Schuldner sich auf die befreiende Wirkung einer Zahlung an den früheren Gläubiger bei Unkenntnis eines Forderungsübergangs nur berufen dürfe, wenn er keinerlei Zweifel zu haben brauche, daß ein Forderungsübergang nicht in Betracht gekommen sei. Im vorliegenden Falle habe die Beklagte jedoch sehr wohl damit rechnen müssen, daß bei dem Beigeladenen als Vertriebenen ein Forderungsübergang, insbesondere infolge Zahlungen durch die Klägerin, in Frage kommen könne. Aus den im Rentenverfahren abgegebenen eidesstattlichen Erklärungen über die Herkunft des Beigeladenen sowie aus dessen Berechtigung zum Bezug von Leistungen nach dem FremdRG hätte die Beklagte schließen müssen, daß der Versicherte zum Kreis der Unterhaltshilfeempfänger gehöre. Aus den Vordrucken der Beklagten selbst ergebe sich, daß mit Ersatzansprüchen zu rechnen gewesen sei; deshalb sei sogar eine Mitteilung über Nachzahlungen an die Klägerin vordruckmäßig vorgesehen gewesen. Wenn die Beklagte im vorliegenden Falle diese Mitteilung von der bevorstehenden Rentennachzahlung unterlassen habe, so müsse das als Verletzung der ihr - auch aus haushaltsrechtlichen Gründen - gebotenen Sorgfaltspflicht betrachtet werden; sie könne sich deshalb nicht auf ihre Unkenntnis des Ersatzanspruches berufen; ihre Zahlung an den Beigeladenen habe daher keine befreiende Wirkung gehabt. An diesem Ergebnis ändere sich auch nichts dadurch, daß die Klägerin sehr viel länger als die Beklagte Kenntnis von dem neben den Unterstützungszahlungen laufenden Bezug der Invalidenrente gehabt habe und daß sie vorsorglich ihrerseits Ersatzansprüche bei der Beklagten nicht angemeldet habe; auch wenn man der Klägerin aus ihrem Verhalten einen Vorwurf machen könne, so reiche dieses Versäumnis nicht aus, zu einem von den gesetzlichen Bestimmungen über den wirksamen Übergang einer Forderung abweichenden Ergebnis zu kommen.
Den daneben geltend gemachten Anspruch auf vierprozentige Verzinsung lehnte das LSG dagegen ab, da es eine analoge Anwendung des § 291 BGB zugunsten des Gläubigers auf eine Forderung, die kraft öffentlichen Rechts übergegangen sei, nicht für zulässig hält.
IV. Gegen das am 4. September 1958 zugestellte Urteil vom 6. Juni 1958 hat die Beklagte unter Antragstellung und gleichzeitiger Begründung am 2. Oktober 1958 die vom LSG zugelassene Revision eingelegt.
Die Beklagte rügt eine Verletzung der §§ 412, 407 BGB; sie habe das Bestehen der Ausgleichsforderung nicht gekannt und mit derartigen Leistungen auch nicht unbedingt rechnen müssen. Auf der anderen Seite handele die Klägerin, die trotz Kenntnis ihre Ansprüche lange Zeit nicht angemeldet habe, arglistig. Schließlich entfielen deren Ersatzansprüche auch deshalb, weil sie es versäumt habe, die Überzahlungen in vollem Umfange von dem Beigeladenen durch entsprechende Kürzungen der Unterhaltshilfe auszugleichen.
Die Beklagte beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils das Urteil des SG zu bestätigen, d.h. also die Berufung zurückzuweisen.
V. Die Klägerin beantragt kostenpflichtige Zurückweisung der Revision.
Zur Begründung bezieht sie sich auf das von ihr für zutreffend gehaltene angefochtene Urteil.
Der Beigeladene hat keinen besonderen Revisionsantrag gestellt. Er hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für richtig. Die Beklagte habe kaum einen Zweifel daran haben können, daß er zu dem Personenkreis der Lastenausgleichsberechtigten gehöre, was vor allem aus den eidesstattlichen Erklärungen der beiden Zeugen über seine Tätigkeit als Schneider in S. in Pommern habe geschlossen werden müssen; er habe die Nachzahlung der Beklagten gutgläubig in Empfang genommen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist form- und fristgerecht unter Antragstellung eingelegt und begründet worden. Sie ist vom LSG zugelassen und daher statthaft.
Die Revision ist auch begründet.
I. Der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit war zulässig. Bei dem streitigen Rechtsverhältnis handelt es sich um Rechtsbeziehungen, die auf der Ausübung öffentlicher Aufgaben zwischen den Beteiligten beruhen; die hier zu entscheidende öffentlich-rechtliche Streitigkeit ist auch im Sinne des § 51 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als Angelegenheit der Sozialversicherung anzusehen. Der geltend gemachte Ersatzanspruch wird von der Klägerin auf einen Rechtsübergang nach § 290 Abs. 3 Satz 1 LAG gestützt; der zweite Halbsatz dieser Vorschrift in der Fassung des Art. VII Abs. 1 des Vierten Änderungsgesetzes zum LAG vom 12. Juli 1955, der bereits rückwirkend seit dem Inkrafttreten des LAG gilt, stellt klar, daß es sich dabei insoweit um einen Übergang des Rentenanspruchs kraft Gesetzes (cessio legis) vom ursprünglich berechtigten Versicherten auf die Klägerin handelt. Die damit gegebene sozialversicherungsrechtliche Natur des strittigen Anspruchs und die dadurch begründete Zuständigkeit der Sozialgerichte wird auch nicht durch § 315 LAG wieder beseitigt. Die in dieser Bestimmung festgelegte Zuständigkeit der allgemeinen Verwaltungsgerichte für Rechtsstreitigkeiten bezieht sich nur auf Streitigkeiten, die sich bei der Durchführung der Vorschriften des dritten Teils des LAG ergeben. Dagegen ist im vorliegenden Falle die nicht im LAG geregelte Frage streitig, ob die Beklagte von der Verpflichtung zur Zahlung rückständiger Rentenbeträge aus der Versicherung des Beigeladenen durch die Zahlung an diesen auch der Klägerin gegenüber befreit worden ist.
II. Mit dem LSG ist ferner davon auszugehen, daß die Berufung zulässig war, weil es sich um eine Ersatzstreitigkeit im Sinne des § 149 Satz 1 SGG zwischen einer Körperschaft des öffentlichen Rechts (der Beklagten) und einer Behörde, als welche das Ausgleichsamt, das den Ausgleichsfond der Bundesrepublik als Sondervermögen verwaltet, anzusehen ist, mit einem die dort festgelegte Grenze von 300,- DM übersteigenden Streitwert handelt.
Die Klägerin hat eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage im Sinne des § 54 Abs. 4 SGG erhoben, mit der sie die Aufhebung des "Bescheids" vom 5. September 1956 und eine Geldleistung begehrt. Tatsächlich liegt trotz der äußeren Form eines förmlichen Bescheids jedoch kein hoheitsrechtlicher Verwaltungsakt der Beklagten vor, da zwischen der Klägerin und der Beklagten als gleichgeordneten Rechtsträgern des öffentlichen Rechts Maßnahmen hoheitlicher Regelung, wie sie ein förmlicher Bescheid darstellt, nicht möglich sind. Da beide Parteien im Rahmen eines Erstattungsverhältnisses der vorliegenden Art keine einander bindenden Entscheidungen treffen können, stellt jener "Bescheid" in Wirklichkeit nur eine Benachrichtigung darüber dar, daß die Beklagte einen Erstattungsanspruch als nicht gegeben ansehe und deshalb die verlangte Zahlung ablehne. Die Aufhebungsklage erscheint daher unzulässig und muß bereits aus diesem Grunde abgewiesen werden.
III. Die somit noch übrigbleibende reine Leistungsklage ist nicht begründet.
Mit dem LSG ist allerdings davon auszugehen, daß die Voraussetzungen des § 290 Abs. 3 LAG erfüllt waren; dem Beigeladenen, der Bezieher von Unterhaltshilfe gewesen ist, war von der Beklagten nachträglich für dieselbe Bezugszeit eine Rentenleistung bewilligt worden, die nach § 270 LAG in einem erheblichen Umfange auf die Unterhaltshilfe anzurechnen war. Für die Zeit vom 1. Februar 1949 bis zum 28. Februar 1955, für die die Nachzahlung bewilligt war und die deshalb entgegen der Ansicht des LSG der Berechnung auch nur zugrunde gelegt werden darf, ergibt sich bei zutreffender Berechnung sogar ein höherer Betrag des durch cessio legis übergegangenen Anspruchs, als die Klägerin ursprünglich selbst eingeklagt hatte. Es kann daher davon ausgegangen werden, daß von der auf die Klägerin kraft cessio legis übergegangenen Forderung in der Berufungsinstanz nach Abzug der inzwischen durch den Beigeladenen erfolgten Rückzahlung jedenfalls noch der streitige Betrag von 796,20 DM unbefriedigt war.
Da die Beklagte dem Beigeladenen die Rentennachzahlung in voller Höhe ausgezahlt hat, hängt die Entscheidung des Rechtsstreits allein von der Frage ab, ob die Klägerin die Leistung nach § 407 in Verbindung mit § 412 BGB gegen sich gelten lassen muß.
Der erkennende Senat hat in seinem Urteil vom 8. Juli 1959 (BSG 10, 160 ff.) die Auffassung vertreten, daß grundsätzlich die Vorschriften des bürgerlichen Rechts über die Abtretungen von Forderungen auch im Sozialversicherungsrecht entsprechend anzuwenden seien, weil auch dieses die - wenn auch eingeschränkte - Abtretung von Ansprüchen zulasse, ohne daß andererseits die Reichsversicherungsordnung über die Abtretung eigene Vorschriften enthalte; der Senat hat damals insbesondere die entsprechende Anwendung des § 409 BGB für zulässig erklärt, weil bei sozial versicherungsrechtlichen Ansprüchen ein gleich starkes Interesse an dem Schutz des Schuldners bei Abtretung des Anspruchs durch den Gläubiger bestehe wie im bürgerlichen Recht. Durchaus gleichliegende Gesichtspunkte sprechen auch im vorliegenden Falle für die entsprechende Anwendung des § 407 in Verbindung mit § 412 BGB, da der Schutz des Schuldners gegen eine doppelte Inanspruchnahme auch dann geboten erscheint, wenn dieser infolge Unkenntnis von einem Forderungsübergang seine Zahlung noch an den früheren Gläubiger geleistet hat. Die Beklagte hat nach den insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des LSG weder die den gesetzlichen Forderungsübergang auf die Klägerin begründeten Tatsachen noch den Übergang der Forderung selbst gekannt, so daß sie unter entsprechender Anwendung der §§ 407, 412 BGB der Klägerin gegenüber frei geworden ist, wobei unter den gegebenen Umständen eine Entscheidung der Frage dahingestellt bleiben kann, welcher Grad des Wissens um die erfolgte Rechtsänderung den Schutz des Schuldners ausschließt.
Das LSG begründet demgegenüber seine entgegengesetzte Entscheidung wesentlich damit, die Beklagte habe die ihr obliegende Sorgfaltspflicht der Klägerin gegenüber dadurch verletzt, daß sie trotz bestehender Möglichkeit, daß der Beigeladene Zahlungen aus dem Lastenausgleich erhalten habe, keine entsprechenden Ermittlungen vorgenommen habe. Es kann dahingestellt bleiben, ob der hierin enthaltene Vorwurf mangelnder Sorgfalt begründet ist und wie im Verhältnis dazu das völlig untätige Verhalten der Klägerin zu beurteilen wäre; selbst wenn der Vorwurf zuträfe, änderte dies nichts daran, daß das Gesetz die Befreiung von der Zahlungsverpflichtung allein an die Nichtkenntnis der Abtretung geknüpft und bewußt davon abgesehen hat, bei dieser Frage zusätzlich auf ein für die tatsächliche Unkenntnis ursächliches stärkeres oder geringeres Verschulden des Schuldners abzustellen. Wenn der Gesetzgeber demnach die Sorge für die Unterrichtung des Schuldners allein dem neuen Gläubiger zuweisen wollte und zugewiesen hat, so darf dieser klare Sinn jener Vorschriften durch die Berücksichtigung irgendwelcher Verschuldenserwägungen nicht zu Ungunsten des durch das Gesetz bewußt geschützten Schuldners verschoben werden.
Zu einer hiervon abweichenden Auffassung gibt auch der Umstand keinen Anlaß, daß es sich in den Fällen des § 412 BGB nicht um einen vertraglichen, sondern um einen gesetzlichen Forderungsübergang handelt, da das schutzwürdige Interesse des Schuldners in beiden Fällen das gleiche ist, noch läßt sich eine andere Ansicht schließlich damit begründen, daß Behörden und Anstalten des öffentlichen Rechts im Gegensatz zu "einem im allgemeinen rechtsunkundigen Staatsbürger" sich hinreichend geschulter Personen zur Durchführung ihrer Aufgaben bedienen; abgesehen davon, daß bereits diese verallgemeinernde Gegenüberstellung mit der Wirklichkeit vielfach nicht übereinstimmt, würde auch dadurch wieder unzulässigerweise ein dem Wesensgehalt des § 407 BGB fremder Gedanke, nämlich die Berücksichtigung des dem einzelnen Schuldner jeweils zuzumutenden Sorgfaltsausmaßes, der Entscheidung zugrunde gelegt.
Auf die Revision war die Berufung der Klägerin daher unter Aufhebung des Urteils des LSG Schleswig zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 2325747 |
BSGE, 94 |