Leitsatz (amtlich)
1. Die Arbeitslosmeldung in AVAVG § 87 Abs 2 ist grundsätzlich die gleich wie in AVAVG § 87 Abs 1 in Verbindung mit AVAVG § 85 Abs 2. Es müssen deshalb bei ihr sämtliche Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld erfüllt sein.
2. Eine im Verlaufe des sozialgerichtlichen Verfahrens abgegebene Erklärung des Versicherungsträgers, er erkenne den Anspruch an, ist nicht wirksam, wenn die rechtliche Voraussetzungen des Anspruchs fehlen.
Leitsatz (redaktionell)
Ein Prozeßvergleich ist nur zulässig, soweit die Beteiligten über den Gegenstand der Klage verfügen können. Damit wird hervorgehoben, daß nur solche Vergleiche abgeschlossen werden dürfen, die mit dem objektiven Recht in Einklang stehen und es bestätigen.
Dasselbe gilt für ein Anerkenntnis iS des SGG § 101 Abs 2.
Normenkette
AVAVG § 87 Abs. 2, 1 Fassung: 1957-04-03, § 85 Abs. 2 Fassung: 1957-04-03; SGG § 101 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 10 . Mai 1961 wird zurückgewiesen .
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten .
Von Rechts wegen .
Gründe
I .
Der Kläger , der sein Dienstverhältnis zum 30 . Juni 1958 gekündigt hatte , teilte an diesem Tage durch Postkarte dem Arbeitsamt (ArbA) mit , er sei vom 1 . Juli an arbeitslos , und bat um Auskunft , was er tun solle . Das ArbA forderte ihn durch Postkarte vom 1 . Juli auf , unverzüglich bei der Vermittlung des ArbA vorzusprechen . Die Antwort ging am 2 . Juli bei dem Kläger ein . Er war jedoch verreist , ohne das ArbA von seinem zwischenzeitlichen Aufenthalt benachrichtigt zu haben . Am 9 . Juli suchte er das ArbA auf und beantragte Arbeitslosengeld (Alg) . Durch Bescheid vom 22 . Juli 1958 bewilligte das ArbA dem Kläger vom 12 . Juli 1958 an für 234 Tage Alg unter gleichzeitiger Auferlegung einer Sperrfrist von 24 Tagen . Der Widerspruch wurde am 27 . August 1958 zurückgewiesen . Mit der Klage wandte sich der Kläger gegen die Sperrfrist und beantragte Alg für 312 Tage vom 4 . Juli 1958 an . Während des Klageverfahrens erkannte die Beklagte mit Schriftsatz vom 14 . Oktober 1958 einen Anspruch auf 312 Tage Alg an . Mit Schriftsatz vom 12 . Januar 1959 widerrief sie dieses Anerkenntnis mit der Begründung , der Kläger sei erst vom 9 . Juli 1958 an verfügbar gewesen . Der Kläger nahm das Anerkenntnis am 9 . Februar 1959 an . Das Sozialgericht (SG) hob durch Urteil vom 16 . Juni 1959 die Sperrfrist auf und stellte weiter fest , daß bezüglich der Bezugsdauer von 312 Tagen der Rechtsstreit durch das Anerkenntnis erledigt und die Beklagte verpflichtet sei , dem Kläger für 312 Tage Alg zu gewähren , nachdem der Kläger seine Klage gegen den Beginn des Alg zurückgenommen hatte .
Gegen dieses Urteil legte die Beklagte Berufung ein , soweit es sich um die Gewährung des Alg für 312 Tage handelte . Das Landessozialgericht (LSG) hob durch Urteil vom 10 . Mai 1961 das sozialgerichtliche Urteil bezüglich der Erledigung des Rechtsstreits durch das Anerkenntnis auf und wies insoweit die Klage ab . Zur Begründung führte es aus , das Anerkenntnis der Beklagten sei nicht wirksam gewesen . Denn die Wirksamkeit eines Anerkenntnisses verlange die Erfüllung aller gesetzlichen Voraussetzungen des Anspruchs . Die Voraussetzungen für einen Bezug des Alg vom 1 . Juli 1958 an hätten nicht vorgelegen , weil der Kläger für die Zeit vom 2 . bis 8 . Juli 1958 nicht verfügbar gewesen sei und deshalb keinen Anspruch auf 312 Tage Alg habe . Vertrete man aber die Auffassung , für die Wirksamkeit eines Anerkenntnisses genüge es , wenn das ArbA nach gewissenhafter Prüfung davon ausgehen könne , daß alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Anerkennung des Anspruchs gegeben waren , so sei das Anerkenntnis wirksam und könne auch nicht nach §§ 119 ff des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) angefochten werden . Die Beklagte sei aber berechtigt gewesen , das Alg wegen Fehlens der Voraussetzungen nach § 185 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) wieder zu entziehen; sie sei daher auch befugt gewesen , die Bindung des Anerkenntnisses wieder zu beseitigen . Das LSG ließ die Revision zu .
Gegen das am 16 . Juni 1961 zugestellte Urteil legte der Kläger am 30 . Juni 1961 Revision ein und begründete sie am 26 . August 1961 , nachdem ihm die Revisionsbegründungsfrist bis zum 31 . August 1961 verlängert worden war . Er trägt vor , das Anerkenntnis dürfe weder angefochten noch zurückgenommen werden . Auch könne sich die Beklagte nicht auf § 185 AVAVG beziehen , weil nach dieser Vorschrift eine Entziehung nur zulässig sei , wenn die Voraussetzungen für den Bezug von Alg dem Grunde oder der Höhe nach nicht vorgelegen hätten , nicht aber , soweit es sich um die Dauer des Anspruchs handele .
Der Kläger beantragt ,
das Urteil des LSG Hamburg vom 10 . Mai 1961 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Hamburg vom 16 . Juni 1959 zurückzuweisen .
Die Beklagte beantragt ,
die Revision zurückzuweisen .
II .
Die durch die Zulassung statthafte , auch form- und fristgerecht eingelegte Revision ist nicht begründet .
Zunächst ist bei einer zugelassenen Revision von Amts wegen zu prüfen , ob auch die Berufung zulässig war . Es könnten Bedenken gegen ihre Zulässigkeit insofern bestehen , als das LSG darüber zu entscheiden hatte , ob dem Kläger für 234 oder 312 Tage Alg zusteht; mithin könnte ein Streit auf wiederkehrende Leistungen bis zu 13 Wochen (den Unterschied zwischen 234 und 312 Tagen) vorliegen . Jedoch handelt es sich bei einem Streit um die verlängerte Bezugsdauer nicht um einen Anspruch auf 78 Tage Alg , bei dem die Berufung nach § 144 Abs . 1 Nr . 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ausgeschlossen ist , vielmehr wird hier mit der Klage und Berufung der volle Anspruch auf 312 Tage Alg geltend gemacht . Dies hat der Senat zu der ähnlichen Vorschrift des § 99 Abs . 1 Satz 3 AVAVG aF ausgesprochen (BSG 1 , 126) .
Das LSG hat mit Recht einen Anspruch des Klägers auf eine Bezugsdauer von 312 Tagen verneint , weil die Voraussetzungen dafür nach §§ 87 Abs . 2 , 85 Abs . 2 AVAVG nicht erfüllt sind .
Die Beklagte hat zwar in ihrem Schriftsatz vom 14 . Oktober 1958 an das SG diesen Anspruch anerkannt . Das Anerkenntnis ist jedoch nicht bindend . Das SGG läßt prozessual ein Anerkenntnis zu , wie sich aus § 101 Abs . 2 SGG ergibt: Das angenommene Anerkenntnis des geltend gemachten Anspruchs erledigt insoweit den Rechtsstreit in der Hauptsache . Damit ist aber noch nicht gesagt , daß im sozialgerichtlichen Verfahren Anerkenntnisse uneingeschränkt zulässig sind . Denn dies würde mit dem Wesen des öffentlich-rechtlichen Anspruchs und des sozialgerichtlichen Verfahrens nicht vereinbar sein . Im Zivilprozeß ist es den Parteien unbenommen , einen Anspruch anzuerkennen , da sie die Dispositionsbefugnis im Verfahren haben . Das Gericht prüft dann nicht nach , ob das Anerkenntnis zu Recht oder zu Unrecht abgegeben worden ist , vielmehr muß nach § 307 der Zivilprozeßordnung (ZPO) auf Antrag die anerkennende Partei dem Anerkenntnis gemäß verurteilt werden . Ausnahmen gelten nur für die Verfahrensarten , die der Parteiherrschaft entzogen sind und bei denen das Gericht von Amts wegen den Sachverhalt zu erforschen hat , zB im Eheprozeß . Hier sind gemäß § 617 ZPO die Vorschriften über die Wirkung eines Anerkenntnisses nicht anzuwenden . Bei den vor den Sozialgerichten verfolgten Ansprüchen handelt es sich um solche des öffentlichen Rechts; diese sind im Gegensatz zum Zivilprozeß der freien Dispositionsbefugnis der Beteiligten entzogen . Denn die Verwaltung ist dem Gesetz unterworfen , sie darf niemandem einen Anspruch zubilligen , dessen Voraussetzungen nicht gegeben sind , wie umgekehrt niemandem Ansprüche vorenthalten , die ihm nach dem Gesetz zustehen . An dieser Rechtslage ändert sich auch nichts , wenn es sich um einen Streit vor dem SG handelt . Dieser Gedanke kommt besonders deutlich in § 101 Abs . 1 SGG zum Ausdruck , der die Zulässigkeit von Vergleichen regelt . Hiernach ist ein Vergleich nur zulässig , soweit die Beteiligten über den Gegenstand der Klage verfügen können . Damit wird hervorgehoben , daß nur solche Vergleiche abgeschlossen werden dürfen , die mit dem objektiven Recht im Einklang stehen und es bestätigen (vgl . Delitz , Der Versorgungsbeamte , 1960 , 95; Barth , NJW 1961 , 1604) . Demgemäß hat auch das Bundessozialgericht (BSG) in BSG 4 , S . 31 , 34 ausgeführt , im Wege eines Vergleichs könnten die Versicherungsträger nicht andere als die gesetzlich oder satzungsmäßig vorgesehenen Leistungen gewähren und auch nicht die vorgesehenen Leistungen gewähren , ohne daß die gesetzlichen Voraussetzungen vorlägen . Diese für den Vergleich geltende , sich aus § 101 Abs . 1 SGG ergebende Einschränkung muß auch für das Anerkenntnis gelten , obwohl Abs . 2 den Grundsatz des Abs . 1 nicht ausdrücklich wiederholt . Denn auch bei einem Anerkenntnis wird über öffentlich-rechtliche Ansprüche verfügt , oft sogar noch in einer weitergehenden Form als bei einem Vergleich . Deshalb kann nicht angenommen werden , daß hier die Verwaltung freier gestellt wäre als beim Abschluß eines Vergleichs (ebenso Peters/Sautter/Wolff , Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit , § 101 Anm . 3; Rohwer-Kahlmann , Sozialgerichtsbarkeit , § 101 Anm . 21) .
Für die Entscheidung kann dahinstehen , ob ein Anerkenntnis wie in der ZPO (abgesehen vom schriftlichen Verfahren) nur in der mündlichen Verhandlung erklärt werden darf (vgl .§ 307 ZPO) oder ob es auch dann verbindlich ist , wenn es in einem Schriftsatz abgegeben wird , wie der 9 . Senat des BSG in seinem Beschluß vom 21 . November 1961 - 9 RV 374/60 - ausgesprochen hat . Des weiteren bedarf es auch keiner Prüfung , ob die vom 4 . Senat des BSG in BSG 4 S . 31 für den Fall des Vergleichs ausgesprochene Meinung zutrifft , wonach der Versicherungsträger nicht gehindert sei , den Anspruch anzuerkennen , wenn die tatsächlichen Voraussetzungen eines Anspruchs streitig seien und die erhobenen Beweise zu keinem klaren Ergebnis geführt hätten . Denn hierum geht es in dem vorliegenden Streit nicht . Es handelt sich vielmehr um die Rechtsfrage , ob die rechtlichen Voraussetzungen des § 87 Abs . 2 AVAVG erfüllt sind , nachdem die tatsächlichen Umstände des Falles geklärt sind .
Da der Kläger die Höchstbezugsdauer des § 87 Abs . 1 AVAVG , nämlich 156 Tage Alg , erreicht und gemäß Abs . 2 für weitere 78 Tage Anspruch hat , hängt die Entscheidung des Rechtsstreits über nochmals 78 Tage Alg davon ab , ob der Kläger "innerhalb der letzten drei Jahre vor der Arbeitslosmeldung" noch weitere 52 Wochen in versicherungs- und beitragspflichtiger Beschäftigung gestanden hat . Für die Beantwortung dieser Frage ist entscheidend , was unter der Arbeitslosmeldung in Abs . 2 zu verstehen ist , die schriftliche vom 30 . Juni/ 1 . Juli 1958 oder die mit dem Unterstützungsantrag verbundene vom 9 . Juli 1958 . Aus dem Abs . 2 des § 87 AVAVG ist dies allein nicht zu entnehmen . Dagegen ist nach Abs . 1 der Anspruch auf Alg von einer bestimmten Dauer der versicherungspflichtigen Beschäftigung innerhalb der Rahmenfrist des § 85 Abs . 2 AVAVG abhängig . Die Rahmenfrist beträgt zwei Jahre und geht dem Tage der Arbeitslosmeldung unmittelbar voraus , an dem die sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg erfüllt sind . In dieser Vorschrift des § 87 Abs . 1 in Verbindung mit § 85 Abs . 2 AVAVG ist die Arbeitslosmeldung genau bezeichnet . Es ist daher nicht anzunehmen , daß der Gesetzgeber im Abs . 2 des § 87 AVAVG eine andere Arbeitslosmeldung als die durch die Verweisung auf § 85 Abs . 2 AVAVG näher umschriebene in Abs . 1 gemeint hat . Dies hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 20 . September 1961 (SozR AVAVG § 141a aF Nr . 2) zu § 141a AVAVG aF ausgesprochen . Bei der Arbeitslosmeldung , von der aus die drei Jahre zu berechnen sind , müssen demnach alle Voraussetzungen des Anspruchs auf Alg gegeben sein . Dazu gehören aber nach § 74 AVAVG der Antrag und der Umstand , daß der Arbeitslose der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht . Diese Voraussetzungen waren jedoch bei der schriftlichen Meldung vom 30 . Juni 1958 noch nicht erfüllt , sondern erst am 9 . Juli 1958 . Von diesem Tag ausgehend hat aber der Kläger innerhalb des dritten Jahres keine 52 Wochen mehr in versicherungs- und beitragspflichtiger Beschäftigung gestanden , so daß der Anspruch für die letzten 78 Tage nicht gegeben ist und der Kläger deshalb nur für 234 Tage Alg beanspruchen kann .
Da es somit an den rechtlichen Voraussetzungen für eine Bezugsdauer von 312 Tagen fehlt , ist das Anerkenntnis der Beklagten unwirksam . Das Gericht muß daher ohne Rücksicht auf dessen frühere Abgabe und einen etwaigen Widerruf über die Ansprüche des Klägers entscheiden . Solche sind , wie dargelegt , nicht gegeben .
Unter diesen Umständen bedarf es auch keiner Prüfung mehr , ob das im Rechtsstreit abgegebene Anerkenntnis der Beklagten etwa als Verwaltungsakt anzusehen und deshalb für die Beklagte bindend wäre . Selbst wenn man dies zu Gunsten des Klägers bejahen würde , wogegen vor allem der Umstand spricht , daß es nicht im Rahmen eines Über-/Unterordnungs-Verhältnisses von der Verwaltung abgegeben wurde , sondern in Gleichberechtigung mit dem Kläger im Rahmen eines Rechtsstreits , wäre die Beklagte nach dem Grundgedanken des § 185 AVAVG berechtigt , dem Kläger den zuerkannten Anspruch wieder zu entziehen , weil die Voraussetzungen für Alg auf weitere 78 Tage dem Grunde nach nicht vorgelegen haben .
Die Revision ist daher zurückzuweisen .
Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 193 SGG .
Fundstellen
Haufe-Index 2336697 |
BSGE, 61 |