Leitsatz (amtlich)

Der tariflich nicht ausdrücklich erfaßte Sicherheitshauer im Steinkohlenbergbau, der in der Praxis einem Aufsichtshauer gleichgestellt worden ist, kann als "besonders hoch qualifizierter Facharbeiter" (vgl BSG 1978-01-19 4 RJ 81/77 = BSGE 45, 276, BSG 1979-02-15 5 RJ 112/77 = SozR 2200 § 1246 Nr 37) ebenso wie ein Vorarbeiter mit Vorgesetztenfunktion lediglich auf Tätigkeiten zumutbar verwiesen werden, die nach ihrer tariflichen Einstufung zur Gruppe der Facharbeiter gehören.

 

Normenkette

RVO § 1246 Abs 2 S 2 Fassung: 1957-02-23; RKG § 46 Abs 2 S 2 Fassung: 1957-05-21

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 05.10.1978; Aktenzeichen L 5 Kn 2/78)

SG Koblenz (Entscheidung vom 16.12.1977; Aktenzeichen S 5 Kn 61/75)

 

Tatbestand

I

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob dem Kläger Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit ab September 1974 zu gewähren ist.

Der im Jahre 1931 geborene Kläger war nach einer Tätigkeit als Installateurlehrling ab 1949 knappschaftlich versichert als Schlepper und Lehrhauer sowie ab 1953 als Hauer im Steinkohlenbergbau unter Tage. Vom 1. Februar 1963 bis zum 31. August 1972 war er Aufsichtshauer/Sicherheitshauer und wurde ab 1. Juni 1971 nach den Lohngruppen 011 unter Tage der Lohnordnung für den rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau mit einem Zuschlag von 10 % entlohnt. Anschließend war der Kläger bis April 1973 als Grubenlokomotivführer beschäftigt. Dann verrichtete er bis zum Beginn seiner Arbeitslosigkeit im Dezember 1974 ungelernte Arbeiten außerhalb des Bergbaus.

Ab 27. Juni 1973 bewilligte die Beklagte dem Kläger Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit. Die am 14. August 1974 beantragte Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit lehnte sie im Bescheid vom 9. Dezember 1974 ab, weil der Kläger ua noch Tätigkeiten als Probenehmer 2 und als Magazinarbeiter verrichten könne, die auch einem früheren Aufsichtshauer zuzumuten seien. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 9. September 1975).

Auf seine Klage hin hat das Sozialgericht (SG) die Beklagte verurteilt, dem Kläger Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit ab 1. August 1976 zu gewähren (Urteil vom 16. Dezember 1977). Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 5. Oktober 1978 zurückgewiesen. Auf die Anschlußberufung des Klägers hat es die Beklagte verurteilt, dem Kläger die Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit bereits ab 1. September 1974 zu gewähren. Im Sinne der §§ 46 Abs 2 Reichsknappschaftsgesetz (RKG), 1246 Abs 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) sei "bisheriger Beruf" des Klägers die Tätigkeit des Aufsichtshauers/Sicherheitshauers. Zwar hätten die Tarifparteien den Sicherheitshauer bisher noch nicht in die Lohnordnung eingefügt. Die vom früheren Arbeitgeber des Klägers praktizierte und generell zu fordernde Gleichbehandlung mit dem Aufsichtshauer rechtfertige sich aber schon daraus, daß die Betriebe für die zur Ausbildung der Sicherheitshauer erforderlichen Lehrgänge grundsätzlich nur verantwortungsvolle und langjährige Ortsälteste bzw Kolonnenführer meldeten, also Personen, die bereits Leitungsfunktionen durch Zuteilen von Arbeit und mitarbeitendes Überwachen ausgeübt hätten. Weisungsbefugnis habe der Sicherheitshauer umfassend bei akuter Gefahr und im übrigen, soweit es um das Befolgen der Sicherheitsbestimmungen gehe. Der Aufsichtshauer sei der Gruppe zuzuordnen, die durch den Leitberuf des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion charakterisiert werde. Tätigkeiten, die nach ihrer tariflichen Einstufung in die Gruppe der Facharbeiter fielen, könne der Kläger nicht mehr verrichten. Er sei nur noch in der Lage, vorwiegend im Sitzen zu arbeiten mit der Möglichkeit des Wechselns zwischen Sitzen, Gehen und Stehen. Das Heben und Tragen von Lasten könne ihm nicht zugemutet werden.

Die Beklagte hat diese Entscheidung mit der vom LSG zugelassenen Revision angefochten. Sie rügt die unrichtige Anwendung des § 46 Abs 2 RKG und eine Verletzung der §§ 103, 128 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Es sei nicht erkennbar, worin beim Kläger die Vorgesetztenfunktion im Sinne der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30. März 1977 (- 5 RJ 98/76 - BSGE 43, 243 = SozR 2200 § 1246 Nr 16) zum Ausdruck kommen solle. Vorgesetzter in diesem Sinne dürfe eindeutig der Schichtsteiger gewesen sein. Im übrigen hätte das LSG den Kompetenzbereich des Klägers weiter aufklären müssen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 5. Oktober 1978 sowie das Urteil des SG Koblenz vom 16. Dezember 1977 aufzuheben und unter Zurückweisung der Anschlußberufung des Klägers die Klage in vollem Umfang abzuweisen,

hilfsweise,

den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

II

Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das LSG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, daß dem Kläger die Gesamtleistung wegen Berufsunfähigkeit zusteht.

Ausgangspunkt für die Prüfung der Berufsunfähigkeit im Sinne des § 46 Abs 2 RKG ist als "bisheriger Beruf" des Klägers die Tätigkeit eines Sicherheitshauers, die er langjährig verrichtet und dann aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben hat. Zu Recht hat das LSG mit dieser beruflichen Qualifikation den Kläger hinsichtlich der Verweisbarkeit wie einen Angehörigen der Gruppe behandelt, die nach der ständigen Rechtsprechung des BSG durch den Leitberuf des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion gekennzeichnet ist (vgl BSGE 43, 243, 246; 45, 276, 278 = SozR 2200 § 1246 Nrn 16 und 27, ferner Nrn 29, 31, 35 und 37 sowie Urteil des Senats vom gleichen Tage in der Sache 5 RJ 8/79). Der 4. Senat des BSG (vgl BSGE 45, aaO, SozR aaO Nrn 31 und 35) hat darüber hinaus die "besonders hoch qualifizierten Facharbeiter" unabhängig von Weisungsbefugnissen gegenüber anderen Arbeitern - ebenso wie die Vorarbeiter mit Vorgesetztenfunktion - grundsätzlich nur auf die Tätigkeiten eines Facharbeiters oder tariflich entsprechend eingestufte Tätigkeiten als verweisbar angesehen. Dieser Rechtsprechung hat sich der Senat bereits in der Entscheidung vom 15. Februar 1979 (SozR aaO Nr 37) angeschlossen (vgl auch Urteile des 4. Senats vom 28. Juni und 29. November 1979 - 4 RJ 53/78 und 4 RJ 17/79 -). Bereits als Hauer war der Kläger Facharbeiter. Es kann dahingestellt bleiben, ob er als Sicherheitshauer eine Weisungsbefugnis gegenüber Facharbeitern hatte, die ausreichte, ihn als Vorarbeiter mit Vorgesetztenfunktion anzusehen. Er ist jedenfalls zum Kreis der besonders hoch qualifizierten Facharbeiter im Sinne der genannten Rechtsprechung des BSG zu rechnen.

Der Kläger ist nach den Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts als Sicherheitshauer mit dem Aufsichtshauer gleichgestellt gewesen. Zusätzlich zu seinen Hauerkenntnissen hat er nach langjährigem Einsatz im Bergbau unter Tage die höhere Qualifikation des Sicherheitshauers ua in dem dazu erforderlichen Fortbildungslehrgang erworben. Als Sicherheitshauer stand ihm bei akuter Gefahr ein umfassendes Weisungsrecht und im übrigen die Befugnis zu, für die Einhaltung von Sicherheitsbestimmungen zu sorgen. An gefährdeten Betriebspunkten konnte er die Arbeit aus Sicherheitsgründen einstellen und geeignete Maßnahmen zur Beseitigung der Gefahr treffen. Die Beklagte hat zwar die Feststellungen des LSG mit Verfahrensrügen angegriffen. Aus ihrem Vorbringen ergeben sich indes nicht die gerügten Mängel (vgl § 164 Abs 2 Satz 3 SGG). Insbesondere ist nicht ausreichend dargelegt, inwiefern sich das LSG zu einer weiteren Beweiserhebung hätte gedrängt fühlen müssen.

Ausgehend von den somit nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des LSG, an die der Senat gebunden ist (§ 163 SGG), verrichtete der Kläger wesentlich andere Arbeiten als die zur Gruppe der Facharbeiter zählenden Arbeitskollegen und überragte diese aufgrund besonderer geistiger sowie persönlicher Anforderungen in der Qualität seiner Berufstätigkeit deutlich. Sein Aufgabenbereich erforderte mehr Kenntnisse als sie vom Hauer zu verlangen sind. Insbesondere die Verantwortung für Fragen der Sicherheit im Bergbau unter Tage bedingt es, ihm im Vergleich zum Facharbeiter eine herausgehobene Stellung zuzubilligen.

Zu Recht hat deshalb das LSG den Kläger als Sicherheitshauer entsprechend den qualitativen Anforderungen seiner Berufstätigkeit dem Aufsichtshauer gleichgestellt, den der Senat im Urteil vom gleichen Tage in der Sache 5 RKn 30/78 zur Gruppe der Vorarbeiter mit Vorgesetztenfunktion gerechnet hat. Der Kläger ist auch wie ein Aufsichtshauer entlohnt worden. Er befand sich damit in der Spitzengruppe der Lohnskala. Insoweit wird auf die Gründe der erwähnten Entscheidung des Senats verwiesen.

Da der Kläger zur höchsten Gruppe der Arbeiterberufe zählt, kann er nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl Urteil vom gleichen Tage in der Sache 5 RJ 8/79 mwN) zumutbar im Sinne des § 46 Abs 2 Satz 2 RKG nur auf Tätigkeiten bis zur darunterliegenden Gruppe der Facharbeiter verwiesen werden. Er kann nach den von der Revision nicht wirksam angegriffenen und für den Senat bindenden Feststellungen des LSG weder die erlernte Tätigkeit eines Hauers noch andere Facharbeiten innerhalb oder außerhalb des Bergbaues verrichten. Der Kläger ist deshalb berufsunfähig im Sinne des § 46 Abs 2 RKG, so daß ihm die entsprechende Gesamtleistung zusteht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1656756

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