Leitsatz (amtlich)

Es wird an der Rechtsprechung festgehalten, daß der Unterhaltsanspruch einer früheren Ehefrau, der eine Hinterbliebenenrente nach RVO § 1265 S 1 auslösen soll, mehr als nur einen geringfügigen Teil des Unterhalts ausmachen muß (Festhaltung an BSG 1964-10-27 4 RJ 383/61 = BSGE 22, 44 = SozR Nr 26 zu § 1265 RVO).

 

Normenkette

RVO § 1265 S. 1 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 15. November 1967 aufgehoben. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 6. Juli 1967 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Es ist zu entscheiden, ob die Klägerin als geschiedene Ehefrau des Versicherten nach dessen Tode Hinterbliebenenrente nach § 1265 der Reichsversicherungsordnung (RVO) beanspruchen kann.

Die 1943 geschlossene Ehe der Klägerin mit dem Versicherten K.V. wurde am 17. August 1949 rechtskräftig aus Alleinverschulden des Versicherten geschieden. Zuvor, am 6. Juli 1949, hatte sich der Versicherte in notariell beurkundeter Verhandlung verpflichtet, der Klägerin nach der Scheidung monatlich 15,- DM an Unterhalt zu zahlen, während die Klägerin ihrerseits auf alle weitergehenden Unterhaltsansprüche verzichtet hatte. Der Versicherte ist am 5. August 1966 gestorben. Er war nicht wieder verheiratet. Zur Zeit jener Vereinbarung und der Scheidung hatte er monatlich 198,- DM netto verdient. Später bezog er eine Versichertenrente. Sie betrug zur Zeit des Todes monatlich 315,30 DM. Der vereinbarte monatliche Unterhaltsbetrag von 15,- DM wurde vom Versicherungsträger jeweils unmittelbar an die Klägerin überwiesen.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 20. Januar 1967 die Gewährung von Hinterbliebenenrente ab, weil die Zuwendung von monatlich 15,- DM kein Unterhalt im Sinne des § 1265 RVO sei; nur derjenige geschiedene Ehegatte leiste Unterhalt im Sinne dieser Bestimmung, der etwa 25 v.H. des notwendigen Mindestbedarfs eines Unterhaltsberechtigten bestreite.

Das Sozialgericht (SG) Dortmund hat die gegen diesen Bescheid erhobene Klage abgewiesen (Urteil vom 6. Juli 1967).

Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat die Beklagte zur Gewährung von Hinterbliebenenrente verurteilt und die Revision zugelassen (Urteil vom 15. November 1967). Es hat im wesentlichen sinngemäß ausgeführt, die Unterhaltsvereinbarung sei ein zum Unterhalt verpflichtender "sonstiger Grund" im Sinne des § 1265 Satz 1 RVO. Abgesehen davon sei der Anspruch der Klägerin auf Hinterbliebenenrente auch deshalb gerechtfertigt, weil der Versicherte ihr bis zu seinem Tode Unterhalt geleistet habe. Es sei unbeachtlich, daß die Klägerin mit dem Betrag von monatlich 15,- DM nur einen kleinen Teil ihres Unterhalts habe bestreiten können. Der Senat des LSG folge nicht der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), wonach in der Regel als Unterhalt Beträge zu fordern seien, die etwa 25 v.H, des zeitlich und örtlich notwendigen Mindestbedarfs eines Unterhaltsberechtigten deckten.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Revision eingelegt und beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG zurückzuweisen. Sie rügt Verletzung des § 1265 RVO. Sie beanstandet, daß das LSG die Gesetzesmaterialien (BTDrucks II/2437, Allgem. und zu § 1269 des Entwurfs) nicht berücksichtigt habe, wonach die Unterhaltsersatzfunktion der Hinterbliebenenrenten im Vordergrund stehe. Die Beklagte führt sinngemäß aus, an die Stelle des Ersatzprinzips (Unterhaltsersatzfunktion) sei nicht das Versicherungsprinzip (Entschädigungsprinzip) getreten; denn andernfalls hätte jeder geschiedenen Ehefrau ein Rentenanspruch entsprechend der Dauer ihrer Ehe mit dem Versicherten gegeben werden müssen. Die ersten beiden Alternativen des § 1265 Satz 1 RVO, bei deren Vorliegen der Versicherte trotz Unterhaltspflicht bei Weiterleben möglicherweise zur Unterhaltsleistung nicht hätte gezwungen werden können, sprächen nicht gegen die Unterhaltsersatzfunktion; denn diese Fälle seien Ausnahmen von dem Grundsatz der Unterhaltsersatzfunktion der Rente. Sie berührten nicht diesen Grundsatz, weil der Gesetzgeber von einer Typisierung der Lebensfälle ausgehe, nämlich von der Erwartung, daß Unterhaltspflichten erfüllt werden oder ihre Erfüllung erzwungen werden könnte, wenn der Versicherte nicht gestorben wäre. Atypische Fälle, wie die, in denen der Erbe den vom Versicherten zu leistenden Unterhalt leiste und die geschiedene Frau zusätzlich die Rente beanspruchen könne, seien nicht maßgebend für die Auslegung. § 1265 Satz 2 RVO schränke den Gedanken der Unterhaltsersatzfunktion ein, gebe ihn aber nicht auf. Der Gesetzgeber sei vielmehr den vor Einführung des Satzes 2 geäußerten weitergehenden Anregungen, jeder geschiedenen Ehefrau einen Rentenanspruch einzuräumen, im Hinblick auf die damit verbundene Verschlechterung der Ansprüche der Witwe entgegengetreten. Eine Begrenzung des Unterhaltsbegriffs gegenüber dem bürgerlichen Recht könne sich auch ohne eine ausdrückliche Bestimmung unmittelbar aus dem Sozialversicherungsrecht ergeben, da nicht am Wortlaut einer Vorschrift zu haften, sondern deren Sinn zu ermitteln sei. Der Grundsatz der Unterhaltsersatzfunktion führe zur Begrenzung des Unterhaltsbegriffes.

Eine Verletzung von Verfassungsnormen (Grundsatz der Sozialstaatlichkeit in Art. 20 Abs. 1 GG) durch die Rechtsprechung des BSG sei nicht zu erkennen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

II

Die Revision der Beklagten ist begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente nach § 1265 RVO, wonach einer früheren Ehefrau der Versicherten, deren Ehe mit dem Versicherten geschieden ist, nach dem Tode des Versicherten Rente gewährt wird, wenn ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des Ehegesetzes (1.Fall) oder aus sonstigen Gründen (2.Fall) zu leisten hatte oder wenn er im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat (3.Fall).

Eine Unterhaltsvereinbarung wie die am 6. Juli 1949 zwischen der Klägerin und dem Versicherten getroffene ist ihrer Art nach zwar ein "sonstiger Grund" im Sinne des 2. Falles des § 1265 Satz 1 RVO. Im vorliegenden Falle aber ging die darauf beruhende Leistungspflicht des Versicherten nur auf einen Betrag von monatlich 15,- DM. Darüber hinaus bestand keine Leistungspflicht nach den Vorschriften des EheG - 1. Fall des § 1265 Satz 1 RVO -, da die Klägerin auf weitergehende Unterhaltsansprüche gegen den Versicherten verzichtet hatte, was zulässig ist (§ 72 EheG, vgl. SozR Nr. 33 und 35 zu § 1265 RVO).

Der Betrag von monatlich nur 15,- DM ist nicht ein solcher "Unterhalt", wie er in § 1265 RVO vorausgesetzt wird.

Auch nach neuer Prüfung hält der Senat an der bisherigen Rechtsprechung des BSG zur Auslegung des Begriffs "Unterhalt" in § 1265 RVO (BSG 20, 252; 22, 44, 130; SozR Nr. 9, 41 und 45 zu § 1265 RVO) fest. Unterhalt als Voraussetzung der Gewährung von Hinterbliebenenrente an die frühere Ehefrau liegt nur vor, wenn die Verpflichtung zum Unterhalt oder die Unterhaltsleistung Beträge betrifft, die geeignet sind, den nach den gegebenen zeitlichen und örtlichen Verhältnissen notwendigen Mindestbedarf eines Unterhaltsberechtigten merklich zu beeinflussen. Dies ist in der Regel der Fall, wenn der Betrag etwa 25 v.H. des Mindestbedarfs erreicht.

Die Einwände des LSG gegen diese Rechtsprechung überzeugen nicht.

Auch wenn man wie das Berufungsgericht davon ausgeht, daß - jedenfalls grundsätzlich - die auf familienhafte Beziehungen verweisenden Begriffe des Sozialversicherungsrechts, für die es in diesem keine besondere Definition gibt, inhaltlich durch das bürgerliche Recht bestimmt werden, und wenn man demgemäß den in § 1265 RVO gebrauchten Begriff "Unterhalt" nicht anders als im bürgerlichen Recht versteht, so bringen doch, wenn in § 1265 davon gesprochen wird, daß Unterhalt zu leisten oder geleistet ist, diese Wendungen nicht so eindeutig, wie das Berufungsgericht meint, zum Ausdruck, daß damit auch Fälle erfaßt werden, in denen nur ein ganz geringfügiger bloßer Beitrag zum Unterhalt beizusteuern oder beigesteuert ist. Ob der allgemeine Sprachgebrauch jemandem, der zum Lebensbedarf eines anderen nur einige D-Mark oder gar D-Pfennige beigetragen hat, das Recht zubilligen würde, zu behaupten, er habe diesem "Unterhalt geleistet", ist immerhin zweifelhaft. Auch in der Sprache der Gesetze findet sich die Unterscheidung zwischen einem bloßen Beitrag zum Unterhalt und dem Unterhalt schlechthin (§ 60 FheG), eine Unterscheidung, die dahin verstanden werden könnte, daß in bestimmten rechtlichen Zusammenhängen das Gesetz davon ausgehe, daß unter Leistung von Unterhalt an sich die Leistung vollen Unterhalts (§ 1610 Abs. 2 BGB) zu verstehen sei.

Wenn auch Leistungen des Verpflichteten, die nur einen kleinen Teil des - vollen - Unterhalts ausmachen, als Unterhaltsleistungen bezeichnet werden, so werden damit auch der der Leistung zugrundeliegende Sachverhalt und deren Rechtscharakter als vermögensrechtliche Nachwirkung der Ehe nach der Scheidung gekennzeichnet, im Gegensatz etwa zu Schadensersatzleistungen wegen unerlaubter Handlung (§ 843 BGB), Gegenleistungen aus einem gegenseitigen Vertrag für eine empfangene Leistung (§§ 323 ff BGB), Leistungen aus einem sonstigen Schuldverhältnis, das seine Grundlage nicht in der Nachwirkung der Ehe und Scheidung hat, u.ä. (vgl. in SozR Nr. 7, 21 und 37 zu § 1265 RVO).

Das Berufungsgericht hat sich zur Stützung seiner Ansicht, schon aus dem Wortlaut des § 1265 RVO ergebe sich, daß auch die Leistung geringer Beträge Leistung von Unterhalt im Sinne dieser Vorschrift sei, ferner darauf berufen, daß in dieser Vorschrift von Unterhaltsleistung schlechthin die Rede sei und nicht, wie in einer Reihe anderer Bestimmungen insbesondere der RVO, von wesentlicher oder überwiegender Unterhaltsleistung. Mit den Bezeichnungen wie "überwiegend" und "wesentlich" wird ein bestimmter Umfang des "Unterhalts gekennzeichnet (vgl. schon RVA zu § 593 RVOaF in AN 1922, 262). Damit ist aber nicht gesagt, daß bei Auslegung des Begriffs "Unterhalt" in der RVO nicht auch noch zwischen einem nur theoretischen "Unterhalt" von einigen Pfennigen oder 1,- DM und einem höheren, aber unterhalb von "wesentlich" liegenden Umfang des Unterhalts unterschieden werden könnte.

Läßt nach alledem der Wortlaut des § 1265 RVO keine hinreichend sicheren Schlüsse im einen oder anderen Sinne zu und kommt es, wie das Berufungsgericht nicht verkannt hat, bei der Auslegung nicht allein auf den Wortlaut des Gesetzes an, so haben bei der Auslegung des Begriffes der Unterhaltsleistung im Sinne des § 1265 RVO um so mehr andere Gesichtspunkte - Sinnzusammenhang, Zweck und Entstehungsgeschichte der Vorschrift - Bedeutung.

Zu Unrecht wendet sich das Berufungsgericht dagegen, daß die Rechtsprechung des BSG (vgl. insbesondere BSG 22, 44) dahin geht, bei der Auslegung des § 1265 RVO müsse im Vordergrunde stehen, daß die Hinterbliebenenrente an eine frühere Ehefrau eines Versicherten Unterhaltsersatzfunktion habe.

Zunächst bedeutet Unterhaltsersatzfunktion - was das Berufungsgericht verkennt - nicht nur, daß die Rente tatsächlich gewährten Unterhalt ersetzen soll, sondern auch, daß der Rentenanspruch an die Stelle eines Anspruchs auf Unterhalt treten soll. Es trifft also nicht zu, wenn das Berufungsgericht meint, von Unterhaltsersatzfunktion der Hinterbliebenenrente könne nicht gesprochen werden, weil ein Anspruch auf diese Rente auch dann bestehe, wenn der Versicherte seiner früheren Ehefrau gar keinen Unterhalt gewährt habe, obwohl er dazu verpflichtet gewesen sei. Nach § 1265 RVO tritt Hinterbliebenenrente an die Stelle von zu leistendem oder geleistetem Unterhalt. Dieser Grundgedanke des Gesetzes ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit daraus, daß der Gesetzgeber den Rentenanspruch der früheren Ehefrau des Versicherten nach dessen Tode allein von dessen Unterhaltspflicht oder tatsächlicher Unterhaltsleistung abhängig gemacht hat (§ 1265 Satz 1 RVO). Die spätere Einfügung des Satzes 2 in die Vorschrift ("Ist eine Witwenrente nicht zu gewähren, findet Satz 1 auch dann Anwendung, wenn eine Unterhaltsverpflichtung wegen der Vermögens- oder Erwerbsverhältnisse des Versicherten nicht bestanden hat.") durch das Rentenversicherungs-Änderungsgesetz hat diesen Grundgedanken für den Fall, daß eine Witwenrente nicht zu gewähren ist, allerdings insofern abgeschwächt, als in diesem Falle die Hinterbliebenenrente auch dann zu gewähren ist, wenn eine Unterhaltspflicht des Versicherten wegen dessen mangelnder Unterhaltsfähigkeit nicht bestand; aufgehoben ist durch diese Ausnahmeregelung indessen jener Grundgedanke nicht (s. die Begründung des Ausschusses für Sozialpolitik zu Satz 2 des § 1265 RVO, zu BTDrucks. IV 3233 S. 6). Ebensowenig wird er durch den von dem Berufungsgericht erwähnten Umstand entkräftet, daß es - seltene - Fälle geben kann, in denen die frühere Ehefrau des Versicherten gegen dessen Erben einen Unterhaltsanspruch neben der Hinterbliebenenrente hat, mag auch angesichts dessen die Ansicht vertretbar sein, der gesetzgeberische Grundgedanke der Unterhaltsersatzfunktion der Rente aus § 1265 RVO sei im Gesetz nicht in voller Reinheit durchgeführt (zu vgl. Koch/Hartmann/v.Altrock/Fürst, AVG, 2. u. 3. Aufl., Anm. A II zu § 42 AVG).

Auch die von dem Berufungsgericht vorgenommene Betrachtung des § 1265 RVO im Zusammenhang mit den übrigen Vorschriften über Hinterbliebenenrenten aus der Rentenversicherung kann zu einem anderen Ergebnis nicht führen. Die Darlegung des Berufungsgerichts, bei Witwen- und Waisenrente sei es völlig bedeutungslos, ob sie Unterhalt des Versicherten ersetzten, diese Renten seien von keiner Unterhaltspflicht oder -leistung abhängig (§ 1264, §§ 1267 bis 1270 RVO), besagt schon deshalb nichts für die Auslegung des § 1265 RVO, weil § 1265 im Gegensatz zu jenen Vorschriften den Rentenanspruch grundsätzlich eben ausdrücklich von Unterhaltspflicht oder -leistung des Versicherten abhängig macht. Bei Witwen- und Waisenrenten geht das Gesetz im übrigen zwar nicht wie bei § 1265 RVO von einer konkret-individuellen Unterhaltspflicht, wohl aber von einer Unterhaltsersatzfunktion in abstrakt-generellem Sinne aus (BT-Drucks. II/2437, Begründung, S. 76, Allgemeine Bemerkung zu "2. Rente an Hinterbliebene" und Begründung zu § 1269 des Regierungsentwurfs).

Ist nach alledem bei der Auslegung des § 1265 RVO von dem in dieser Bestimmung in besonderem Maß zum Ausdruck gelangten Grundgedanken der Unterhaltsersatzfunktion der Rente auszugehen, so fehlt es an einer Rechtfertigung für die Gewährung eines Unterhaltsersatzes in Gestalt einer Rente, wenn der Betrag, der infolge des Todes des Versicherten nicht mehr geleistet werden kann, zu geringfügig war, als daß die frühere Ehefrau davon auch nur zu einem nennenswerten Teil hätte leben können (BSG 22, 44, 46, 47). Der Sinn der besonderen Hervorhebung der Unterhaltsersatzfunktion der Rente nach § 1265 RVO im Zusammenhang des Systems der Hinterbliebenenrenten überhaupt würde mißachtet, wenn schon jede Unterhaltspflicht oder Unterhaltsleistung des Versicherten in geringster Höhe, die zur Deckung des Lebensbedarfs der früheren Ehefrau bestimmt ist, etwa ein Betrag von monatlich 1,- DM, den Anspruch der früheren Ehefrau auf Rente begründete. Es würde dann kein billiges Verhältnis zwischen der wirtschaftlich nahezu bedeutungslosen weggefallenen Verpflichtung oder Leistung des Versicherten und der Hinterbliebenenrente an die frühere Ehefrau bestehen. Wäre eine solche Rechtsfolge beabsichtigt gewesen, so wäre zu fragen, weshalb das Gesetz überhaupt noch eine Unterhaltspflicht oder -leistung als Voraussetzung für den Anspruch der früheren Ehefrau auf Rente fordert und nicht die Scheidung ohne überwiegendes Verschulden der früheren Ehefrau genügen läßt.

Gegen die in der Rechtsprechung des BSG (BSG 22, 44, 47) vertretene Auffassung, es entspreche auch nicht der Verkehrsauffassung, verschwindend geringfügige, wenn auch regelmäßige Zuwendungen als Unterhaltsleistung im Sinne des 3. Falles des § 1265 RVO zu bezeichnen, hat das Berufungsgericht eingewendet, es sei nicht ungewöhnlich, daß die Amts- und Landgerichte Unterhaltspflichtige zur Leistung von Unterhalt in Höhe von 5,-, 10,-, 15,- oder 20,- DM monatlich verurteilten; auch sähen die Versicherungsträger in solchen Beträgen ständig Unterhaltsleistungen und rechneten sie deshalb folgerichtig immer im Rahmen des § 1291 RVO auf eine wiederaufgelebte Witwenrente an. Aber dieser Einwand übersieht, daß es sich nicht darum handelt, ob geringfügige gezahlte Geldbeträge anzurechnen sind (§ 1291 Abs. 2 RVO), auch nicht darum, ob sie "Unterhalt" sind, sondern darum, ob sie als Unterhalt im Sinne des § 1265 RVO mit der Folge der Begründung eines Anspruchs auf Hinterbliebenenrente angesehen werden können.

Zur Stützung seiner Rechtsauffassung hat das Berufungsgericht auch Erwägungen aus den Gesichtspunkten der Billigkeit und der Sozialstaatlichkeit angestellt. In dieser Beziehung hat es insbesondere ausgeführt, die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts führe dazu, daß gerade die früheren Ehefrauen von Versicherten in guten wirtschaftlichen Verhältnissen regelmäßig in den Genuß einer Hinterbliebenenrente, gemessen an der Dauer ihrer Ehe mit dem Versicherten, kämen; ein solcher Versicherter sei nämlich fähig, einen Unterhaltsbeitrag von 25 v.H. des notwendigen Mindestbedarfs seiner früheren Ehefrau zu zahlen, hingegen die Versicherten aus wirtschaftlich schwachen Schichten seien regelmäßig nur fähig, Beträge zu leisten, die den genannten Vomhundertsatz nicht erreichten; wenn man bedenke, daß der notwendige Mindestbedarf heute mit monatlich 200,- bis 240,- DM anzunehmen sei, seien alle Beträge nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts "geringfügig", die weniger als monatlich 50,- bis 60,- DM betrügen; aber gerade in wirtschaftlichen Verhältnissen am Rande des Existenzminimums könne schon ein Wegfall geringer Beträge von katastrophaler Bedeutung sein. Es kann jedoch offen bleiben, ob gegen die Regelung des Hinterbliebenenrentenanspruchs der früheren Ehefrau des Versicherten hinsichtlich der Voraussetzungen und der Höhe des Anspruchs aus dem Gesichtspunkt der Billigkeit Einwendungen erhoben werden können und ob der Gesetzgeber etwa besser daran getan hätte, wenn er den Rentenanspruch der früheren Ehefrau des Versicherten schon dem Grunde nach nicht von einer Unterhaltspflicht oder -leistung des Versicherten abhängig gemacht hätte, sondern der früheren Ehefrau durch die Rente eine Entschädigung für ihre Mithilfe am Beitragsaufkommen des Versicherten durch ihre Mitarbeit während der Ehe gewährt hätte. Denn jedenfalls hat der Gedanke, daß die Dauer der Ehe und die während ihres Bestehens letzten Endes gemeinsam getragenen Beitragslasten für die Versicherungsansprüche der früheren Ehefrau von Bedeutung sind, nach der klaren Regelung des Gesetzes seinen Niederschlag allein bei der Bemessung der Höhe der Rente der früheren Ehefrau gefunden; für die Frage, ob der früheren Ehefrau ein Anspruch auf Hinterbliebenenrente dem Grunde nach zusteht, ist bei der Schaffung des § 1265 RVO der Gedanke bestimmend geblieben, daß die Rente den bisher vom Versicherten zu leistenden oder geleisteten Unterhalt ersetzen soll (zu vgl. BSG 5, 276, 282, 283, wo auch auf die Entstehungsgeschichte des § 1265 RVO hingewiesen ist). Diese Regelung des Gesetzgebers ist zu respektieren, zumal sie dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Sozialstaatlichkeit (Art. 20 Abs. 1 GG) nicht widerspricht. Das Sozialstaatsprinzip - das Schutzprinzip zu Gunsten des wirtschaftlich Schwächeren gegen die Wechselfälle des Arbeitslebens - läßt für die Gesetzgebung eine Differenzierung nach dem Grade der sozialen Schutzbedürftigkeit zu (BVerfG 23, 144 ff; 22, 204; 10, 97, 100). Es erfordert nicht eine Auslegung des § 1265 RVO in dem Sinne, daß schon die geringste Verpflichtung zum oder Leistung von "Unterhalt" der früheren Ehefrau eine in ihrer Höhe durch diese Leistung nicht beeinflußte Hinterbliebenenrente auslöst; denn bei nur geringfügiger Verpflichtung oder Leistung des Versicherten hat sich die wirtschaftliche Lage der früheren Ehefrau durch den Tod des Versicherten nicht wesentlich verschlechtert. Bei dieser Sachlage besteht deshalb kein Bedürfnis, zum Schutze der geschiedenen Ehefrau als Ersatz für zustehenden oder geleisteten Unterhalt Hinterbliebenenrente zu gewähren.

Zwar kann die frühere Ehefrau eines Versicherten mit höherem Einkommen von diesem eher höhere Unterhaltsleistungen erhalten, als die frühere Ehefrau eines unbemittelten Versicherten. Sie wird aber dann beim Tode des Versicherten durch den Wegfall von dessen Leistungen wirtschaftlich beeinträchtigt und dadurch insoweit schutzbedürftig, was für die frühere Ehefrau eines unbemittelten Versicherten nicht zutrifft. Da die Hinterbliebenenrenten nicht von einer Bedürftigkeit der Empfänger abhängen, kann nicht argumentiert werden, die frühere Ehefrau eines bemittelten Versicherten werde entgegen dem Sozialstaatsprinzip gegenüber der früheren Ehefrau eines unbemittelten Versicherten ohne berechtigten Grund bevorzugt.

Die Revision der Beklagten ist nach alledem begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2284712

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