Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachversicherung einstufige/zweistufige Juristenausbildung
Orientierungssatz
1. Absolventen der einstufigen Juristenausbildung sind für die Zeiten der Praktika und die abschließende Prüfungszeit nicht in der Rentenversicherung der Angestellten nachzuversichern.
2. Die unterbleibende Nachversicherung verletzt nicht Art 3 Abs 1 GG. Wenn die Praktika in der einstufigen Juristenausbildung anders als der Vorbereitungsdienst in der zweistufigen Juristenausbildung nicht nachversichert werden, so rechtfertigt sich das aus unterschiedlichen Sachverhalten; da die Absolventen der einstufigen Juristenausbildung auch während der Praktika den Studentenstatus behalten, ist es nicht willkürlich, sie wie alle sonst ein Praktikum ableistenden Studenten zu behandeln.
Normenkette
AVG § 9 Abs 1; RVO § 1232 Abs 1; AVG § 6 Abs 1 Nr 2; AVG § 6 Abs 1 Nr 3; RVO § 1229 Abs 1 Nr 2; RVO § 1229 Abs 1 Nr 3; AVG § 2 Abs 1 Nr 1; RVO § 1227 Abs 1 Nr 1; AVG § 4 Abs 1 Nr 4; RVO § 1228 Abs 1 Nr 3; SGB 4 § 7; GG Art 3 Abs 1
Verfahrensgang
SG Trier (Entscheidung vom 21.08.1985; Aktenzeichen S 5 A 93/84) |
Tatbestand
Der Streit geht um die Nachversicherung von Zeiten der einstufigen Juristenausbildung in Rheinland-Pfalz (nach der Zwischenprüfung).
Die 1957 geborene Klägerin hat die einstufige Juristenausbildung absolviert. Sie studierte zunächst sechs Semester an der Universität Trier und wurde dann nach der Zwischenprüfung, ohne exmatrikuliert zu sein, ab 1. Oktober 1979 vom Präsidenten des Oberlandesgerichts (OLG) Koblenz in ein öffentlich-rechtliches Ausbildungsverhältnis als Rechtspraktikant berufen. In dieser Stellung durchlief sie im OLG-Bezirk ein Hauptpraktikum von 18 Monaten, ein Wahlpraktikum von sechs Monaten sowie einen Abschlußlehrgang von zwei Monaten und dazwischen an der Universität Trier ein zweisemestriges Vertiefungs- und Wahlstudium. Als Rechtspraktikant war ihr Versorgungsanwartschaft iS von § 6 Abs 1 Nr 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) gewährleistet und erhielt sie ab dem 13. Monat des Hauptpraktikums Unterhaltsbeihilfe in Höhe der Bezüge eines Rechtsreferendars. Nach der Abschlußprüfung vor dem Landesprüfungsamt schied die Klägerin zum 30. April 1983 aus dem Ausbildungsverhältnis aus.
Die Nachversicherung der Klägerin für die Zeit vom 1. Oktober 1979 bis 30. April 1983 lehnte die Beklagte ab, da Praktikanten während einer praktischen Ausbildung, die Teil einer Hochschulausbildung sei, nach § 4 Abs 1 Nr 4 AVG versicherungsfrei seien (Hinweis auf die Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30. Januar 1980 - 12 RK 45/78 - und 17. Dezember 1980 - 12 RK 10/79 und 3/80 -; Bescheid vom 27. August 1984, Widerspruchsbescheid vom 22. November 1984).
Auf die dagegen gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) die Beklagte verurteilt, für die genannte Zeit mit Ausnahme des darin liegenden zweisemestrigen Studiums die Nachversicherung durchzuführen (Urteil vom 21. August 1985). Nach seiner Ansicht hat die Klägerin in einem dem Grunde nach abhängigen Beschäftigungsverhältnis gestanden, das nur wegen § 6 Abs 1 Nr 3 AVG versicherungsfrei war. Bei diesem Beschäftigungsverhältnis handele es sich um ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis iS des § 134 Abs 2 Nr 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG), wie es für Rechtsreferendare als Beamte im Vorbereitungsdienst anerkannt sei. Seinem Erscheinungsbild nach sei der Rechtspraktikant der einstufigen Juristenausbildung in Rheinland-Pfalz kein Student, ausgenommen die Zeit des Wahl- und Vertiefungsstudiums, sondern ein abhängig Beschäftigter. Dies ergebe sich aus den landesrechtlichen Regelungen, die die einstufige Juristenausbildung gleichwertig neben die herkömmliche Ausbildung gestellt hätten. Die Beibehaltung der Immatrikulation während des gesamten Ausbildungsganges habe allein Zweckmäßigkeitsgründe gehabt.
Mit der vom SG im Urteil zugelassenen Sprungrevision macht die Beklagte unter Hinweis auf die Entscheidungen des 12. sowie auch des 7. Senats des BSG (Urteil vom 22. Februar 1984 - 7 RAr 8/83) geltend, die Berufung der Klägerin in das Dienstverhältnis des Rechtspraktikanten gebiete es nicht, sie so zu behandeln, als habe sie sich in der herkömmlichen Juristenausbildung befunden. Da das Praktikum ein Teil des Studiums sei, was die Unterbrechung durch den zweisemestrigen Studienabschnitt bestätige, habe von Beginn bis zum Ende der gesamten Ausbildung der Studentenstatus bestanden.
Die Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin und der Beigeladene beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Das SG hat die Beklagte zu Unrecht zur Nachversicherung der streitigen Zeiten verurteilt.
Die Nachversicherung würde nach § 9 Abs 1 AVG voraussetzen, daß die Klägerin - ohne Versorgung, was zutrifft - aus einer Beschäftigung ausgeschieden ist, während der sie nach § 6 Abs 1 Nrn 2 bis 5 oder § 8 Abs 1 versicherungsfrei war und daß sie sonst, dh ohne diese Versicherungsfreiheit versicherungspflichtig gewesen wäre. Insoweit bestehen schon hinsichtlich der ersten Voraussetzung Bedenken.
Die Rechtsprechung des BSG hat bisher offen gelassen, ob ein Zwischenpraktikum während eines Studiums als eine Beschäftigung iS des § 7 Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB 4) angesehen werden kann (so der 12. Senat für Praxissemester in SozR 2200 § 172 Nr 5, und der 7. Senat für ein Unterrichtspraktikum in der einphasigen Lehrerausbildung im Urteil vom 14. November 1985 - 7 RAr 123/84 - und für ein Wahlpraktikum in der einstufigen Juristenausbildung im Urteil vom 12. Dezember 1985 - 7 RAr 137/84 -). Gleichwohl könnte dem beigeladenen Land darin zugestimmt werden, daß die Klägerin während der hier streitigen Praktika, die ähnlich wie die entsprechenden Stationen des Vorbereitungsdienstes der zweistufigen Juristenausbildung abliefen, in einer Beschäftigung iS der §§ 2 Abs 1 Nr 1, 6 Abs 1, 9 Abs 1 AVG iVm § 7 SGB 4 gestanden hat. Eine solche Beschäftigung läßt sich jedoch kaum mehr für die abschließende Prüfungszeit bejahen. Diese schließt nicht die Praktika, sondern die Gesamtausbildung ab, so daß sie nicht ohne weiteres die Bewertung der Praktika teilen kann. Von der Gesamtausbildung stellt jedoch das zeitlich überwiegende reine Studium keine "Beschäftigung" im sozialrechtlichen Sinne dar, wie der 7. Senat für reine Studienzeiten in der einphasigen Lehrerausbildung und der einstufigen Juristenausbildung entschieden hat (Urteile vom 14. November und 12. Dezember 1985; die Bejahung eines Dienstverhältnisses während des Wahlstudiums der einstufigen Juristenausbildung durch den Bundesfinanzhof in NJW 1986, 455 hat nur steuerrechtliche Bedeutung).
Zweifel bestehen aber ferner an der Nachversicherbarkeit des Hauptpraktikums bis zum 12. Monat wegen dessen Unentgeltlichkeit. § 9 Abs 2 AVG schließt bei Beamten in die Nachversicherung auch die Zeit des Vorbereitungsdienstes für den Beamtenberuf ohne Rücksicht darauf ein, ob während dieser Zeit Entgelt bezogen worden ist. Aus dieser Vorschrift, die sich nur auf Zeiten bezieht, in denen Vorbereitungsdienst "als Beamter" geleistet wurde (BSGE 16, 30, 32) könnte gefolgert werden, daß für sonstige unentgeltliche Beschäftigungen zur Berufsausbildung, also auch für die ersten 12 Monate der nicht in Beamteneigenschaft abgeleisteten Zeit des Hauptpraktikums keine Nachversicherung stattzufinden hat.
Der Senat braucht diesen Bedenken jedoch nicht weiter nachzugehen. Denn auch wenn beim Hauptpraktikum das bis zum 12. Monat fehlende Entgelt für unerheblich erachtet und für alle streitigen Zeiten eine nach § 6 Abs 1 Nr 3 AVG versicherungsfreie Beschäftigung bejaht wird, kann entgegen dem SG keine Nachversicherung erfolgen. Die Klägerin wäre dann nämlich ohne diese Versicherungsfreiheit in den Beschäftigungen nicht versicherungspflichtig, vielmehr nach § 4 Abs 1 Nr 4 AVG versicherungsfrei gewesen.
Nach dieser Vorschrift ist versicherungsfrei, wer "während der Dauer seines Studiums als ordentlicher Studierender einer Hochschule ... gegen Entgelt beschäftigt ist". Dieser Tatbestand ist bei Annahme einer Beschäftigung in allen streitigen Zeiten und bei Unerheblichkeit des im Hauptpraktikum zunächst fehlenden Entgelts erfüllt. Die Beschäftigungen fanden während der Dauer des Studiums der Klägerin als ordentliche Studierende an einer Hochschule statt; die Klägerin war in sämtlichen Zeiten an der Universität Trier immatrikuliert.
Für die Anwendung des § 4 Abs 1 Nr 4 AVG stellt die Rechtsprechung des BSG allerdings noch darauf ab, ob der Betreffende während der Beschäftigung seinem Erscheinungsbild nach Student geblieben oder als abhängig beschäftigter Arbeitnehmer anzusehen ist. Dies beruht auf der Erwägung, daß ein Student seinem Status nach grundsätzlich nicht zu dem von der Sozialversicherung (hier: Rentenversicherung) erfaßten Personenkreis gehört und deshalb auch nicht aufgrund meist kurzfristiger Beschäftigung vorübergehend in diese einbezogen werden soll. Insoweit soll entsprechend dem Gedanken der versicherungsrechtlichen Kontinuität ein Wechsel zwischen Versicherungsfreiheit und Versicherungspflicht möglichst vermieden werden.
Ein fortdauerndes Erscheinungsbild als Student hat die Rechtsprechung für berufspraktische Tätigkeiten innerhalb eines Studiums schon mehrfach bejaht (SozR 2200 § 172 Nr 12: in Semesterferien; Nr 15: in Praxissemestern; Urteile vom 22. Februar 1984 - 7 RAr 8/83 -, 12. April 1984 - 7 RAr 34/83 -, 14. November 1985 - 7 RAr 123/84 -: während der einphasigen Lehrerausbildung; Urteile vom 12. Dezember 1985 - 7 RAr 122/84, 137/84, 31/85: während der einstufigen Juristenausbildung). Dabei hat der 7. Senat für die berufspraktischen Tätigkeiten innerhalb der einstufigen Lehrer- bzw Juristenausbildung hervorgehoben, daß es nicht darauf ankomme, ob diese in Art und Ausgestaltung mit Zeitabschnitten des Referendariats vergleichbar sind. Entscheidend sei, ob die berufspraktische Tätigkeit geeignet ist, das bisher vom Status des Studenten geprägte Erscheinungsbild in das eines abhängig Beschäftigten zu verändern. Das sei nicht der Fall. Die einstufige Ausbildung unterscheide sich von der zweistufigen durch die andersartige Zuordnung des Praktikums. Bei ihm liege das Praktikum im Studiumsabschnitt und nicht erst nach ihm. Der Absolvent bleibe weiter immatrikuliert; die Bindung an die Hochschule bleibe bestehen; im Zeitvergleich trete die berufspraktische Tätigkeit gegenüber dem übrigen Teil des Studiums zurück.
Der erkennende Senat hält diese Ausführungen für zutreffend und schließt sich ihnen an. Auch im vorliegenden Falle war die Klägerin während der gesamten Ausbildung als Studentin immatrikuliert und hat dies, wie vom SG festgestellt, dem Willen des Landesgesetzgebers entsprochen. Ausschlaggebend ist auch hier, daß die Praktika Teile einer Gesamtausbildung sind, bei der das erst mit dem Schlußexamen abgeschlossene Studium die Klammer bildet und deshalb im Vordergrund steht. Das gilt gleichermaßen für das Integrations- wie das Intervallmodell der einstufigen Juristenausbildung. Die theoretischen und praktischen Teile sind derart verzahnt, daß kein Teil ohne den anderen ausbildungsmäßig denkbar ist. Während das überkommene Studium der Rechtswissenschaft mit dem 1. Staatsexamen abgeschlossen werden kann, ist die einstufige Ausbildung allein mit dem Schlußexamen abschließbar; vorher ist kein "abgeschlossenes Studium" zu erreichen. Hiernach muß der Absolvent auch während der Praktika seinem Erscheinungsbild nach als Student angesehen werden, was der Senat unabhängig von der Beurteilung des SG zu prüfen hat; zumindestens muß dann unter dem Gedanken der versicherungsrechtlichen Kontinuität dieser Status den Vorrang haben. Dafür spricht auch, daß die Verneinung der Versicherungsfreiheit eines "ordentlichen Studierenden" nach § 4 Abs 1 Nr 4 AVG wegen eines Erscheinungsbildes als abhängiger Arbeitnehmer eine Ausnahme vom Wortlaut der Vorschrift bewirkt; eine solche läßt sich nur rechtfertigen, wenn ein studentisches Erscheinungsbild eindeutig nicht mehr gegeben ist. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Ob ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis iS des § 134 Abs 2 Nr 1 AFG gegeben war, ist für die Nachversicherung unerheblich.
Eine zusätzliche Stütze für die Auffassung des Senats ist im weiteren die durch das 7. Änderungsgesetz vom 20. Dezember 1985 (BGBl I, 2484) in § 241a AFG geschaffene Regelung (Abs 1 Nr 1), daß einer beitragspflichtigen Beschäftigung iS des § 134 Abs 1 Nr 4 Buchst b AFG (vgl Urteil vom 12. Dezember 1985 - 7 RAr 137/84 -) die Zeiten einer einstufigen Juristenausbildung vom Beginn des vierten Jahres der Ausbildung gleichstehen. Diese Bestimmung ist in dieser Weise nur sinnvoll, wenn die Zeiten der einstufigen Juristenausbildung einschließlich der Praktika nicht als beitragspflichtige Beschäftigungen angesehen werden. Der Gesetzgeber ist offenbar davon ausgegangen, daß die Absolventen der einstufigen Juristenausbildung "wie andere Studierende" (BT-Drucks 10/3923 S 19) nach der § 4 Abs 1 Nr 4 AVG entsprechenden Regelung des § 172 Abs 1 Nr 5 RVO iVm § 169 Nr 1 AFG beitragsfrei (versicherungsfrei) sind.
Die unterbleibende Nachversicherung der Klägerin verletzt nicht Art 3 Abs 1 GG. Wenn die Praktika in der einstufigen Juristenausbildung anders als der Vorbereitungsdienst in der zweistufigen Juristenausbildung nicht nachversichert werden, so rechtfertigt sich das aus unterschiedlichen Sachverhalten; da die Absolventen der einstufigen Juristenausbildung auch während der Praktika den Studentenstatus behalten, ist es nicht willkürlich, sie wie alle sonst ein Praktikum ableistenden Studenten zu behandeln.
Zutreffend weist die Beklagte im übrigen darauf hin, daß die Praktika in der einstufigen Juristenausbildung als Ausfallzeiten der Hochschulausbildung in der Rentenversicherung berücksichtigt werden könnten. Dabei läge wegen des durchgehenden Studentenstatus wohl kein Fall wie der in SozR 2200 § 1259 Nr 69 entschiedene vor, in dem der Senat bei einer aus Fachschulausbildung und praktischem Ausbildungsabschnitt bestehenden Gesamtausbildung für letzteren trotz der späteren sich auf die Gesamtausbildung beziehenden Prüfung das Vorhandensein einer Ausfallzeit verneint hat. Allerdings ist die Ausfallzeit der Hochschulausbildung auf die Zeit von fünf Jahren beschränkt, was bei der einstufigen Juristenausbildung zu unbefriedigenden Ergebnissen führen könnte. Hier gegebenenfalls Abhilfe zu schaffen, muß jedoch dem Gesetzgeber überlassen bleiben; die Rechtsprechung kann dies nicht durch Ausweitung der Nachversicherung entgegen der derzeitigen Gesetzeslage tun.
Das Urteil des SG war daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen