Orientierungssatz
1. Für den Erwerb von Berufsschutz ist nicht erheblich, ob der Versicherte im Einzelfall die Regelausbildungszeit durchlaufen hat. Vielmehr ist der Erwerb einer Facharbeiterqualifikation auch im Rahmen einer Erwachsenenbildung möglich (vgl BSG vom 21.6.2001 - B 13 RJ 45/00 R ).
2. Zur Verweisbarkeit eines Facharbeiters auf Pförtnertätigkeiten.
Verfahrensgang
Sächsisches LSG (Urteil vom 22.05.2001) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 22. Mai 2001 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Streitig ist die Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Der 1964 geborene Kläger war in der ehemaligen DDR von September 1981 bis Februar 1982 als Maschinen- und Anlagenmonteur, anschließend bis Februar 1983 als Feldbauhelfer und sodann bis Februar 1989 als Hilfsschlosser sowie Anlagenfahrer tätig. Im Rahmen einer Erwachsenenqualifizierung erwarb er am 30. Juni 1984 die Berufsbezeichnung “Facharbeiter für Getreidewirtschaft”. Von April 1989 bis zum Eintritt von Arbeitsunfähigkeit im August 1990 arbeitete er als Sachbearbeiter in der Materialplanung und -beschaffung, danach von Januar 1991 bis Dezember 1994 – unterbrochen durch Arbeitslosigkeit von September bis Dezember 1991 – als Glas- und Gebäudereiniger. Nach erneuter Arbeitslosigkeit war der Kläger im Rahmen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen von Mai bis August 1996 und von November 1996 bis Juli 1997 jeweils als Bauhelfer beschäftigt. Seitdem ist er arbeitslos und bezieht Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit bzw Krankengeld.
Den im Juli 1997 gestellten Antrag des Klägers auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 9. Dezember 1997 ab. Sein Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 5. Mai 1998). Mit Gerichtsbescheid vom 20. Dezember 2000 hat das Sozialgericht Dresden (SG) die hiergegen erhobene Klage abgewiesen. Das Sächsische Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 22. Mai 2001 die Berufung des Klägers als unbegründet erachtet. Es hat seine Entscheidung im Wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt:
Der Kläger sei weder berufs- noch erwerbsunfähig. Letzte maßgebliche Beschäftigung des Klägers sei die Tätigkeit als Glas- und Gebäudereiniger gewesen. Diesen Beruf könne er nicht mehr vollschichtig ausüben. Als ungelernter Arbeiter sei er auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar, wo er noch in der Lage sei, vollschichtig zumindest leichte körperliche Tätigkeiten zu verrichten. Einschränkungen seien nur insoweit zu beachten, als keine Arbeiten mit erhöhten Anforderungen an das Sehvermögen, mit Wechsel- oder Nachtschicht, Klettern, Steigen oder Absturzgefahr ausgeübt werden könnten. Ob diese Funktionseinschränkungen eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine sonstige schwerwiegende Behinderung darstellten, die es dem Kläger auch bei vollschichtiger Einsatzfähigkeit unmöglich machten, eine geeignete Erwerbstätigkeit aufzunehmen, könne dahinstehen. Denn mit den bestehenden Beeinträchtigungen sei der Kläger beispielsweise noch in der Lage, die Tätigkeit eines Pförtners vollschichtig zu verrichten. Das Aufgabengebiet des Pförtners werde in dem aus einem anderen Verfahren beigezogenen Gutachten der Dipl-Verwaltungswirtin …H.…vom 7. Januar 2000 beschrieben. Mit seinem Restleistungsvermögen könne der Kläger die dort angegebenen Verrichtungen noch ausüben.
Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger ua eine Verletzung des § 62 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und des Art 103 Abs 1 des Grundgesetzes iVm den §§ 107, 128 Abs 2 SGG sowie der §§ 43, 44 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI). Das Berufungsurteil leide vor allem an dem Verfahrensfehler einer Verletzung des rechtlichen Gehörs. Eine Pflicht zur Bezeichnung einer konkreten Verweisungstätigkeit habe schon deshalb bestanden, weil seine Leistungseinschränkungen vor allem wegen des Diabetes mellitus über das Erfordernis hinausgingen, die Arbeit müsse körperlich leicht sein. Er, der Kläger, sei zu der Annahme des Berufungsgerichts, dass ihm noch eine Tätigkeit als Pförtner sozial und gesundheitlich zumutbar sei, nicht gehört worden. Hierzu hätte jedoch Veranlassung bestanden, da die genannte Verweisungstätigkeit in dem vorangegangenen sozialgerichtlichen Verfahren bislang keine Rolle gespielt habe. Insbesondere habe er zu den Tätigkeitsmerkmalen des genannten Verweisungsberufs nicht Stellung nehmen können, da das Berufungsgericht diese dem in einem anderen Verfahren erstellten berufskundlichen Gutachten der Dipl-Verwaltungswirtin …H.… entnommen habe, das ihm nicht zugänglich gemacht worden sei.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des LSG vom 22. Mai 2001 sowie den Gerichtsbescheid des SG vom 20. Dezember 2000 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 9. Dezember 1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 5. Mai 1998 zu verurteilen, ihm Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liege nicht vor. Der Kläger habe nach Einlegung der Berufung die Möglichkeit gehabt, Erklärungen zu seinen Leistungsminderungen abzugeben; insbesondere habe er Gelegenheit zur Teilnahme an der mündlichen Verhandlung gehabt.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (vgl § 124 Abs 2 SGG).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist zulässig und begründet. Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das LSG. Es bedarf noch weiterer Tatsachenfeststellungen zum Eintritt eines Versicherungsfalles.
Der Rentenanspruch des Klägers richtet sich nach den §§ 43, 44 SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung. Die ab 1. Januar 2001 in Kraft getretene Neuregelung dieser Vorschriften durch das Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20. Dezember 2000 (BGBl I 1827) ist im vorliegenden Fall noch nicht anwendbar (vgl § 300 Abs 2 SGB VI). Erforderlich ist danach zunächst die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit (vgl § 43 Abs 1 Satz 1 Nr 3, § 44 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB VI) sowie das Vorhandensein von drei Jahren mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit in den letzten fünf Jahren vor Eintritt des Versicherungsfalls (§ 43 Abs 1 Satz 1 Nr 2, § 44 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB VI). Den Feststellungen des LSG lässt sich nicht entnehmen, dass diese versicherungsrechtlichen Voraussetzungen fehlen; vielmehr ergibt sich – bezogen auf den Zeitpunkt der Antragstellung – ihr Vorliegen aus dem angefochtenen Bescheid der Beklagten vom 9. Dezember 1997. Darüber hinaus muss entweder Berufsunfähigkeit (BU) oder Erwerbsunfähigkeit (EU) vorliegen (§ 43 Abs 1 Satz 1 Nr 1, § 44 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI).
Berufsunfähig sind nach § 43 Abs 2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen. Hingegen besteht EU bei solchen Versicherten, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße (bzw ab 1. April 1999: 630 DM) übersteigt (§ 44 Abs 2 Satz 1 SGB VI). Da der Versicherungsfall der EU an strengere Voraussetzungen geknüpft ist als derjenige der BU, folgt aus der Verneinung von BU ohne weiteres das Fehlen von EU. Insofern ist es nicht zu beanstanden, dass das LSG zunächst geprüft hat, ob der Kläger berufsunfähig ist.
Ausgangspunkt für die Beurteilung von BU ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) der “bisherige Beruf”, den der Versicherte ausgeübt hat (vgl BSGE 55, 45 = SozR 2200 § 1246 Nr 107, 169; BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17). Dabei ist unter dem bisherigen Beruf in der Regel die letzte nicht nur vorübergehend vollwertig ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit zu verstehen. Sie ist auch dann maßgebend, wenn sie nur kurzfristig verrichtet wurde, aber zugleich die qualitativ höchste im Berufsleben des Versicherten war (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 130; BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17). Danach ist, wie vom LSG angenommen, vom Grundsatz her vorliegend die vom Kläger längerfristig von Januar 1991 bis Dezember 1994 ausgeübte Tätigkeit als Glas- und Gebäudereiniger zugrunde zu legen. Das LSG konnte die anschließend von Mai bis August 1996 und von November 1996 bis Juli 1997 im Rahmen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen verrichtete Tätigkeit als Bauhelfer, die die Beklagte im Verwaltungsverfahren als den zuletzt maßgeblichen Beruf angesehen hatte, unberücksichtigt lassen, da es sich insoweit nach den objektiven Gegebenheiten nur um eine vorübergehende Arbeit gehandelt hatte (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 130).
Die Tätigkeit des Klägers als Glas- und Gebäudereiniger wäre allerdings dann nicht im Rechtssinne sein bisheriger Beruf, wenn er zuvor eine höherwertige Beschäftigung ausgeübt und sich hiervon nicht gelöst gehabt hätte (vgl BSGE 57, 291 = SozR 2200 § 1246 Nr 126). Dies ist nach folgenden Kriterien zu beurteilen:
Ob ein höherwertiger Beruf ausgeübt worden ist, richtet sich nach dem von der Rechtsprechung des BSG entwickelten Mehrstufenschema, das die Arbeiterberufe in abgestufte Gruppen eingeteilt hat. Diese Berufsgruppen sind ausgehend von der Bedeutung, die Dauer und Umfang der Ausbildung für die Qualität eines Berufs haben, gebildet worden. Dementsprechend werden die Gruppen durch die Leitberufe des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren), des angelernten Arbeiters (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungszeit von drei Monaten bis zwei Jahren) und des ungelernten Arbeiters charakterisiert (vgl zB BSGE 59, 201 = SozR 2200 § 1246 Nr 132, 138, 140). Die Einordnung eines bestimmten Berufs in dieses Mehrstufenschema erfolgt allerdings nicht ausschließlich nach der Dauer der absolvierten förmlichen Berufsausbildung. Ausschlaggebend hierfür ist vielmehr die Qualität der verrichteten Arbeit, dh der aus einer Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnde Wert der Arbeit für den Betrieb. Es kommt auf das Gesamtbild an, wie es durch die in § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI am Ende genannten Merkmale umschrieben wird (zB BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 15, 17).
Eine berufliche Lösung ist immer dann zu bejahen, wenn der rentenrechtlich relevante Berufswechsel freiwillig erfolgt (vgl dazu BSG vom 26. Mai 1965 – 4 RJ 183/62). Wurde die Arbeit dagegen gezwungenermaßen aufgegeben, ist zu unterscheiden (vgl dazu Senatsurteil vom 8. Oktober 1992 – 13 RJ 41/91): Waren dafür gesundheitliche Gründe verantwortlich, bleibt der Berufsschutz erhalten, da sich insofern gerade das versicherte Risiko der gesetzlichen Rentenversicherung verwirklicht hat (vgl BSGE 2, 182, 187; BSG SozR Nr 33 zu § 1246 RVO; BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 38). Hierbei müssen die gesundheitlichen Gründe nicht allein ursächlich gewesen sein; ausreichend ist, dass sie den Berufswechsel wesentlich mitverursacht haben (vgl BSGE 38, 14 ff = SozR 2600 § 45 Nr 6). Lagen hingegen andere – insbesondere betriebliche – Gründe vor, ist eine Lösung im vorerwähnten Sinne jedenfalls dann anzunehmen, wenn sich der Versicherte sofort oder im Laufe der Zeit mit dem Wechsel abgefunden hat (vgl BSGE 15, 212, 214 = SozR Nr 16 zu § 35 RKG aF; BSGE 46, 121, 123 = SozR 2600 § 45 Nr 22; BSG, Urteil vom 30. Juli 1997 – 5 RJ 20/97). Ein endgültiges Sich-Abfinden mit dem neuen, nunmehr ausgeübten Beruf kann auch im Laufe der Zeit unter dem Druck der Verhältnisse erfolgen (vgl BSGE 46, 121 = SozR 2600 § 45 Nr 22 mwN). Anders verhält es sich allerdings, wenn das Sich-Abfinden mit der dauerhaften Ausübung des geringerwertigen Berufs auf der gesundheitlichen Unfähigkeit zur Ausübung des früheren höherwertigen Berufs beruht (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 158).
In Anwendung dieser Kriterien kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Kläger vor seiner Tätigkeit als Glas- und Gebäudereiniger, die das LSG als ungelernte Tätigkeit eingestuft hat, eine höherwertige Tätigkeit ausgeübt hat, von der er sich versicherungsrechtlich noch nicht gelöst hat.
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts war der Kläger von September 1981 bis Februar 1982 als Maschinen- und Anlagenmonteur, anschließend bis Februar 1983 als Feldbauhelfer und sodann bis Februar 1989 als Hilfsschlosser und Anlagenfahrer tätig. Während des zuletzt genannten Zeitraumes erwarb er am 30. Juni 1984 im Rahmen der Erwachsenenqualifizierung die Berufsbezeichnung “Facharbeiter für Getreidewirtschaft”. Das LSG hat nicht geprüft, ob insoweit eine höherwertige Tätigkeit vorlag. Zur Klärung dieser Frage hätte aber Veranlassung bestanden, nicht zuletzt im Hinblick darauf, dass der Kläger im vorinstanzlichen Verfahren anwaltlich nicht vertreten war. Zwar hat er sich vor dem LSG nicht ausdrücklich auf seinen Berufsschutz als Facharbeiter berufen. Doch hat er schon dort Anhaltspunkte für eine entsprechende höherwertige Beschäftigung vorgebracht. Überdies hat er bereits im Verwaltungsverfahren darauf hingewiesen, dass er Facharbeiter sei. So hat er im Anlagevordruck der Beklagten zu seinem Rentenantrag vom 16. Juli 1997 unter der Rubrik “Berufsausbildung” in der Spalte “Lehr-/Ausbildungsverhältnis” auf die im Rahmen einer Erwachsenenqualifizierung bis 30. Juni 1984 erfolgte “Facharbeiterausbildung für Getreidewirtschaft” sowie in der Spalte “sonstige Ausbildungen” auf eine bis 28. November 1985 absolvierte halbjährige Ausbildung zum Anlagenfahrer aufmerksam gemacht. Auch in dem von der Beklagten im Verwaltungsverfahren eingeholten ärztlichen Gutachten findet sich die Facharbeiterqualifikation erwähnt. Zudem hat der Kläger im Verfahren vor dem SG seine Facharbeiterausbildung betont. Sofern das LSG davon ausgegangen sein sollte, eine Facharbeitereinstufung komme mangels durchlaufener Regelausbildungsdauer nicht in Frage, wäre zu beachten, dass es für den Erwerb von Berufsschutz nicht erheblich ist, ob der Versicherte im Einzelfall die Regelausbildungszeit durchlaufen hat. Vielmehr ist der Erwerb einer Facharbeiterqualifikation auch im Rahmen einer Erwachsenenbildung möglich (Urteil des erkennenden Senats vom 21. Juni 2001 – B 13 RJ 45/00 R –, Umdruck S 9 f). Das Berufungsgericht hätte diese Frage nur dann offen lassen können, wenn der Kläger in dem Beruf eines “Facharbeiters für Getreidewirtschaft” tatsächlich nicht tätig gewesen wäre. Ob dies der Fall ist, kann nach den Tatsachenfeststellungen des LSG nicht abschließend beantwortet werden. Allerdings finden sich in den Verwaltungsakten Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger in einem entsprechenden Beruf gearbeitet hat. So hat er in dem ihm vom SG unter dem 19. Juni 1998 übersandten Fragebogen zu seinem beruflichen Werdegang angegeben, von 1984 bis 1988 im sog Volkseigenen Betrieb (VEB) Getreidewirtschaft G.… tätig gewesen zu sein. Dies wird durch die zu den Verwaltungsakten gelangte “Betriebliche Bedienungsberechtigung für Gasdruck-Regelanlagen” vom 3. März 1986 bestätigt, die der Kläger aufgrund einer am 28. November 1985 abgelegten Prüfung erhalten hat. Das spricht dafür, dass er eine Tätigkeit als Anlagenfahrer für den VEB Getreidewirtschaft G.… ausgeübt hat.
Allerdings hätte das LSG die Frage, ob der Kläger vor seiner Tätigkeit als Glas- und Gebäudereiniger einen höherwertigen Beruf ausgeübt hat, offen lassen dürfen, wenn es zu der berechtigten Schlussfolgerung gelangt wäre, der Kläger habe sich von einem möglichen höherwertigen Beruf im Rechtssinne “gelöst”. Das ist indes nicht der Fall. Auch mangelt es an einschlägigen Tatsachenfeststellungen, die eine solche Beurteilung durch den erkennenden Senat zuließen. Im Gegenteil, gewichtige Indizien sprechen gegen eine entsprechende “Lösung”.
Zwar hat der in den Vorinstanzen anwaltlich nicht vertretene Kläger nicht ausdrücklich geltend gemacht, dass er einen vormals ausgeübten Beruf aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben habe. Den Akten lassen sich jedoch gewisse Anhaltspunkte für eine gesundheitsbedingte Aufgabe seiner Tätigkeit in der Getreidewirtschaft entnehmen. So hat der Kläger in der Beschäftigungsübersicht, die als Anlage seinem Rentenantrag vom 16. Juli 1997 beigefügt war, angegeben, dass er die Tätigkeit als Anlagenfahrer, die er von Januar 1984 bis August 1988 – dh in der Zeit, in der er auch die Berufsbezeichnung als “Facharbeiter für Getreidewirtschaft” erworben hatte – ausgeübt habe, deshalb aufgegeben habe, weil sie ihm zu schwer gewesen sei. Außerdem hat er im Rentenantrag darauf hingewiesen, dass er seit 1976 an einer Zuckererkrankung leide, die auf Beine und Gelenke ausstrahle. Dies wird auch in dem im Verwaltungsverfahren eingeholten ärztlichen Gutachten vom 23. Oktober 1997, dem Attest der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. B.… (ohne Datum) sowie dem Untersuchungsbefund des Rates der Stadt G.…, Abteilung Gesundheits- und Sozialwesen, vom 25. September 1986 bestätigt, wo von einem bereits seit ca 1974 bekannten Diabetes mellitus berichtet wird, der von Anfang an insulinpflichtig gewesen sei. Bereits aufgrund dieser Anhaltpunkte kam eine Aufgabe des maßgeblichen Berufs in der Getreidewirtschaft aus gesundheitlichen Gründen in Betracht, so dass das LSG dieser Frage hätte näher nachgehen müssen.
Insgesamt ist damit nicht hinreichend geklärt, welches der “bisherige Beruf” des Klägers ist und welche Wertigkeit ihm zukommt. Dieser Umstand wäre nur dann nicht erheblich, wenn die vom LSG genannte Verweisungstätigkeit auch im Falle eines Berufsschutzes des Klägers als fachlich und gesundheitlich geeignet sowie als sozial zumutbar anzusehen wäre.
Zwar hat das LSG dem Kläger – in der Annahme, dass bei ihm möglicherweise eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliege – eine Verweisungstätigkeit als Pförtner benannt. Falls der Kläger – gemessen an seinem bisherigen Beruf – der Gruppe der Facharbeiter (oder auch der oberen Angelernten) zuzuordnen wäre, dürfte er jedoch nicht ohne weiteres allgemein auf eine Pförtnertätigkeit verwiesen werden. Es ergeben sich nämlich deutliche Anhaltspunkte dafür, dass sich hinter dieser Berufsbezeichnung als einem “Sammelbegriff” eine Vielzahl von unterschiedlichen konkreten Pförtnertätigkeiten verbirgt. Damit liegt auch nahe, dass die einzelnen Pförtnertätigkeiten je nach Einsatz- und Aufgabenbereich unterschiedliche Anforderungen an den Versicherten stellen und dementsprechend auch differenziert bewertet und tariflich eingestuft sein können (vgl Urteil des erkennenden Senats vom 5. April 2001 – B 13 RJ 23/00 R –, SozR 3-2600 § 43 Nr 25 S 94).
Darüber hinaus lässt sich der bisherigen Rechtsprechung des BSG entnehmen, dass ein Facharbeiter nicht ohne weiteres auf einfache Pförtnertätigkeiten, die den ungelernten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes zuzurechnen sind, verwiesen werden kann (vgl BSGE 44, 10 = SozR 2600 § 1246 Nr 17, 55 und SozR 2200 § 1241d Nr 5). Dies gilt allerdings nicht in gleichem Maße für die angelernten Arbeiter des oberen Bereichs. Letztere sind nach dem og Stufen- und Verweisungsschema grundsätzlich auf alle Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar, soweit es sich nicht um allereinfachste Tätigkeiten oder Verrichtungen handelt (vgl dazu BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 45). Für die Existenz von Pförtnertätigkeiten, die sich so weit aus diesen allereinfachsten Arbeiten herausheben, dass ein angelernter Arbeiter des oberen Bereichs zumutbar hierauf verwiesen werden kann, ergeben sich aus der bisherigen Rechtsprechung zahlreiche Hinweise (vgl hierzu Senatsurteile vom 5. April 2001 – B 13 RJ 23/00 R –, SozR 3-2600 § 43 Nr 25, vom 17. Dezember 1997 – 13 RJ 59/97 – und vom 22. Oktober 1996 – 13 RJ 35/95; siehe auch BSGE 70, 56 = SozR 3-2200 § 1246 Nr 21, 61). Wegen der Vielfalt der in der Lebenswirklichkeit vorkommenden Pförtnertätigkeiten kann noch nicht einmal ausgeschlossen werden, dass bestimmte Pförtnertätigkeiten aufgrund ihrer qualitativen Anforderungen sogar den sonstigen Ausbildungsberufen oder gar Facharbeitertätigkeiten gleichzustellen sind (vgl BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 21), so dass der Kläger auch als Facharbeiter auf derartige Pförtnertätigkeiten zumutbar verwiesen werden könnte.
Den sich daraus ergebenden Anforderungen an die Spezifizierung der für den Kläger in Frage kommenden Pförtnertätigkeit genügen die Ausführungen des angegriffenen Urteils nicht. Das LSG hat zwar Tätigkeitsmerkmale des Pförtners aus dem Gutachten der Dipl-Verwaltungswirtin…H.…wiedergegeben und ausgeführt, zum Aufgabengebiet des Pförtners gehörten im Wesentlichen das Empfangen und Weiterleiten von Besuchern, Betriebsangehörigen uä, ggf das Prüfen von Legitimationen, Anmelden und Weiterleiten der Besucher, Ausstellen der Besucherscheine sowie das Erteilen von Auskünften; die Arbeit sei generell körperlich leicht und werde in der Pförtnerloge überwiegend im Sitzen mit der Möglichkeit des Haltungswechsels zwischen Gehen, Stehen und Sitzen verrichtet; aufgrund des Publikumsverkehrs komme es zum Teil durch stoßweise Arbeitsbelastung (zB Schichtwechsel, Arbeitsende) zu Zeitdruck; in psychischer Hinsicht seien Reaktionsvermögen, Entschlusskraft, Handlungsbereitschaft, Besonnenheit und Umsichtigkeit, Verantwortungsbewusstsein, Zuverlässigkeit und Unbestechlichkeit erforderlich. Indes hat das Berufungsgericht in keiner Weise gemäß der og Rechtsprechung nach verschiedenen in Frage kommenden Berufsbildern differenziert, sondern nur insoweit unterschieden, als je nach Arbeitsplatzgestaltung auch Bedienung der Telefonanlage, Postverteilung sowie Durchführung von Kontrollgängen anfielen.
Reichen mithin bereits die berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen für eine abschließende Entscheidung des erkennenden Senats nicht aus, braucht nicht entschieden zu werden, ob eine Verletzung des rechtlichen Gehörs darin liegt, dass das LSG dem Kläger erstmals in den Urteilsgründen einen Verweisungsberuf benannt hat, der in dem vorhergehenden Verfahren keine Rolle gespielt hat (vgl dazu Urteile des erkennenden Senats vom 4. November 1998 – B 13 RJ 27/98 R – und vom 23. März 1995 – 13 RJ 21/94; BSG, Beschluss vom 28. Juli 1992 – 5 BJ 236/91 – und Urteil vom 16. November 1989 – 5 RJ 58/88), und sich dazu auf Tätigkeitsmerkmale bezogen hat, die in einem berufskundlichen Gutachten beschrieben werden, das dem Kläger vorher nicht zur Kenntnis gegeben worden ist (vgl dazu Urteil des erkennenden Senats vom 16. November 2000 – B 13 RJ 17/00 R; BSG SozR Nr 91 zu § 128 SGG; BSG SozR 1500 § 62 Nr 4 und § 128 Nr 4, 15; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 82, 98, 138).
Der erkennende Senat kann die erforderlichen Tatsachenfeststellungen nicht selbst nachholen (vgl § 163 SGG). Das Berufungsurteil ist deshalb gemäß § 170 Abs 2 Satz 2 SGG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen. Dieses Gericht wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen