Entscheidungsstichwort (Thema)
Berücksichtigung von Verfahrensmängeln ohne Rüge
Leitsatz (amtlich)
1. Hat ein Rentner der Invalidenversicherung vor Zustellung des Rentenbescheides von seiner bisherigen KK Leistungen erhalten, so ist bei Fortdauer des Versicherungsfalles die Zeit der schon gewährten Leitungen nach RVO § 212 Abs 1 - ebenso wie bei einem sonstigen Wechsel der Kassenzugehörigkeit - auf die Dauer der Leistungen nach der Verordnung über die Krankenversicherung der Rentner anzurechnen.
2. Ist in der Vorinstanz eine nach SGG § 75 Abs 2 notwendige Beiladung unterblieben, so ist der darin liegende wesentliche Mangel des Verfahrens von dem Revisionsgericht nur zu berücksichtigen, wenn er innerhalb der Revisionsbegründungsfrist nach SGG § 164 Abs 2 S 2 gerügt wird.
Leitsatz (redaktionell)
Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat Mängel des Verfahrens anerkannt, die einen so schwerwiegenden Verstoß gegen die Grundlagen des Verfahrens darstellen, daß sie in jeder Lage des Verfahrens auch ohne Rüge von Amts wegen zu berücksichtigen sind.
Normenkette
SGG § 75 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03, § 162 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1953-09-03; KVdRV § 9 Fassung: 1941-11-04; RVO § 212 Abs. 1 Fassung: 1924-12-15; SGG § 164 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Auf die Sprungrevision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts ... vom 10. Januar 1955 - ... - aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander Kosten nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Der Kläger erhielt vom 28. August bis 25. Oktober 1953 und vom 13. November 1953 bis zum 19. März 1954 die satzungsmäßigen Leistungen der Betriebskrankenkasse der Maschinenfabrik .... Mit dem 19. März 1954 war er ausgesteuert. Infolge Verschlimmerung seines ununterbrochen fortbestehenden Leidens befand er sich vom 13. Juli 1954 bis zum 21. August 1954 im Städtischen Krankenhaus ... hierbei wurde eine Amputation im Bereich des linken Oberschenkels durchgeführt. Da diese Krankenhausbehandlung anerkannte Schädigungsfolgen des Klägers nach dem Bundesversorgungsgesetz betraf, erbat die Beklagte vom Versorgungsamt I eine Kostenzusicherung. Das Versorgungsamt lehnte die erbetene Zusicherung jedoch mit Schreiben vom 2. September 1954 mit der Begründung ab, daß der Kläger aufgrund eines ihm am 14. Juli 1954 zugegangenen Bescheides der Landesversicherungsanstalt Württemberg, durch den ihm rückwirkend Invalidenrente bewilligt wurde, am 14. Juli 1954 Mitglied der für die Durchführung der Krankenversicherung der Rentner im vorliegenden Fall zuständigen Allgemeinen Ortskrankenkasse I, der Beklagten, geworden sei. Das Versorgungsamt sei daher erst kostenerstattungspflichtig, wenn die beklagte Krankenkasse dem Beschädigten auch aufgrund der Krankenversicherung der Rentner für 26 Wochen Krankenhauspflege gewährt habe. Die Beklagte verweigerte die vom Kläger beantragte Übernahme der durch seinen Krankenhausaufenthalt entstandenen Verpflegungskosten und verwarf seinen Widerspruch hiergegen mit Widerspruchsbescheid vom 15. Oktober 1954. Mit der darauf beim Sozialgericht ... erhobenen Klage beantragte der Kläger die Feststellung, daß er aufgrund der Verordnung über die Krankenversicherung der Rentner vom 4. November 1941 "einen Neuanspruch" gegenüber der Beklagten erworben habe, und bat, ohne mündliche Verhandlung hierüber zu entscheiden. Das Sozialgericht hob den Widerspruchsbescheid der Beklagten auf und verurteilte die Beklagte zur Übernahme der Krankenhauspflegekosten für die Zeit vom 14. Juli bis 21. August 1954 unter Zulassung der Berufung.
Gegen dieses Urteil legte die Beklagte mit Einwilligung des Klägers Sprungrevision mit dem Antrag ein, das sozialgerichtliche Urteil aufzuheben und zu entscheiden, daß dem Kläger für die Zeit vom 14. Juli bis 21. August 1954 kein Neuanspruch auf Krankenhauspflege gegen die Beklagte zustehe. Sie macht geltend, daß die Krankenversicherung der Rentner eine Ergänzung des gesetzlichen Krankenversicherungsschutzes bezw. eine Erweiterung des Personenkreises auf die bisher nicht gegen Krankheit geschützten Rentner darstelle. Hiernach gelte für die Krankenversicherung der Rentner auch § 212 RVO, wonach bei Kassenwechsel die weiteren Leistungen unter Anrechnung bereits genossener Leistungen zu gewähren seien. Diese Auslegung entspreche auch der amtlichen Bekanntmachung des Arbeitsministers des Landes ... vom 28. August 1947 (Arbeits- und Sozialpolitik, Nr. 17 S. 5). Der Vergleich mit Versicherungsnehmern einer Privatkrankenversicherung sowie mit den freiwilligen Mitgliedern einer Ersatzkasse sei nicht möglich, weil diese die Beiträge in voller Höhe selbst zahlten, während in der Sozialversicherung die Beiträge zur Hälfte vom Arbeitgeber getragen würden. Der Gleichheitsgrundsatz würde lediglich verletzt werden, wenn die Leistungen einer RVO-Kasse nicht auf die Leistungen der Rentnerkrankenversicherung angerechnet würden. Denn dann hätten die Mitglieder, die nicht Rentner sind, den Anspruch auf die Leistungen der Krankenversicherung nur einmal; krankenversicherte Rentner hingegen hätten einen zusätzlichen Anspruch auf die Leistungen aus der Krankenversicherung der Rentner. Die Revision rügt insbesondere die Verletzung der §§ 183, 184 RVO, § 4 des Gesetzes über die Verbesserung der Leistungen in der Rentenversicherung vom 24. Juli 1941, §§ 2, 9, 19 der VO über die Krankenversicherung der Rentner vom 4. November 1941.
Der Kläger hat Zurückweisung der Revision, hilfsweise Zurückverweisung an das Landessozialgericht ... beantragt. Wegen der Ausführungen der Beteiligten wird im übrigen auf die Schriftsätze und den sonstigen Akteninhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Sprungrevision ist nach § 161 i. V. mit § 150 Ziff. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Der Kläger hatte infolge Zulassung der Berufung durch das Vordergericht die Möglichkeit, Berufung einzulegen (§ 150 Ziff. 1 SGG) oder von dem Rechtsmittel der Sprungrevision Gebrauch zu machen (§ 161 Abs. 1 SGG i. V. mit § 150 Ziff. 1 SGG). Die formgerecht eingelegte Sprungrevision ist auch begründet.
Der erkennende Senat ließ dahingestellt, ob das Vordergericht nach § 75 Abs. 2 SGG das Land ... hätte beiladen müssen, und ob in der Unterlassung der Beiladung ein Verfahrensmangel zu erblicken ist. Denn ein solcher Mangel wäre jedenfalls nicht von Amts wegen zu berücksichtigen, sondern nur, wenn sich ein Beteiligter gemäß § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG darauf berufen hat. Tatsachen und Beweismittel, die einen Mangel des Verfahrens ergeben, sind indessen nicht vorgebracht. Zwar hat die höchstrichterliche Rechtsprechung auch Mängel des Verfahrens anerkannt, die einen so schwerwiegenden Verstoß gegen die Grundlagen des Verfahrens darstellen, daß sie in jeder Lage des Verfahrens, auch im Revisionsverfahren und auch ohne Rüge, von Amts wegen zu berücksichtigen sind; das gilt insbesondere für das Fehlen von Prozeßvoraussetzungen (vgl. RGZ 64, 361; 94, 11,13; 107, 350; 110, 169, 172; 112, 141, 142; 156, 372, 376; 159, 293, 295; 160, 338, 344; BGHZ 5, 240, 246; Rosenberg, Lehrbuch des D. Zivilprozeßrechts (6.) S. 673; Stein-Jonas-Schönke (18.), Komm. ZPO, § 559 IV 2 a). Der Kreis der hiernach in Frage kommenden Mängel ist aber auf ganz besonders bedeutsame Verstöße gegen das Verfahrensgesetz beschränkt, die sich im allgemeinen auf die rechtsstaatlichen Grundlagen des Verfahrens beziehen und im öffentlichen Interesse zu berücksichtigen sind. Ein solcher Verstoß liegt nach der Ansicht des erkennenden Senats in der Regel nicht vor, wenn das Gericht eine nach § 75 Abs. 2 SGG notwendige Beiladung unterlassen hat. Zur Sicherung eines ordnungsgemäßen Verfahrens genügt es, daß die am Verfahren Beteiligten die Unterlassung einer Beiladung durch die Vorinstanz als wesentlichen Mangel - innerhalb der Revisionsbegründungsfrist - rügen können (§ 164 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 SGG). Eine solche Rüge ist hier jedoch nicht erhoben.
Für die Sachentscheidung kommt es darauf an, ob Leistungen, die aufgrund einer Versicherung nach der Reichsversicherungsordnung (RVO) bezogen sind, bei Fortbestehen der Behandlungsbedürftigkeit auch auf Leistungen, die aufgrund einer Versicherung nach der Verordnung über die Krankenversicherung der Rentner vom 4. November 1941 (RGBl. I S. 689) zu gewähren sind, angerechnet werden müssen.
Im Zweiten Buche der RVO ist eine Anrechnung in § 212 Abs. 1 für den Fall des Übertritts eines Versicherten, der Leistungen bezieht, zu einer anderen Kasse vorgeschrieben. Hiernach erhebt sich die Frage, ob § 212 Abs. 1 RVO auch dann anzuwenden ist, wenn es sich wie hier darum handelt, daß der Kläger unter Beendigung seiner Mitgliedschaft bei einer Betriebskrankenkasse Mitglied einer die Krankenversicherung der Rentner durchführenden Ortskrankenkasse, der Beklagten, geworden ist. Das Vordergericht hat angenommen, daß § 212 Abs. 1 RVO nicht Platz greife, weil die VO über die Krankenversicherung der Rentner eine solche Anwendung nicht vorschreibe und selbst keine entsprechenden Vorschriften enthalte. Diese Annahme ist aber insofern rechtsirrtümlich, als § 9 der VO über die Krankenversicherung der Rentner vorschreibt, daß der Rentner die Leistungen nach den Vorschriften des Zweiten Buches der RVO erhält, zu denen auch § 212 RVO gehört. Diese Verweisung bezieht sich nicht nur auf die in den §§ 179 bis 205 d RVO enthaltenen Vorschriften, die die einzelnen Leistungsarten der Krankenversicherung betreffen; sie deckt vielmehr auch den Unterabschnitt "Gemeinsame Vorschriften" der §§ 206 ff RVO. Aus der Tatsache, daß die VO über die Krankenversicherung der Rentner in anderen Vorschriften (so insbes. §§ 4 Abs. 2, 12, 16 Abs. 2) die Anwendung einzelner Vorschriften des Zweiten Buches der RVO teilweise oder ganz ausschließt, darf geschlossen werden, daß die VO im übrigen von der Anwendung des gesamten Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung und damit auch von der Anwendung des § 212 RVO ausgeht. Gerade die weitgehende Verweisung in § 9 der VO macht es nicht erforderlich, daß die VO über die Krankenversicherung der Rentner selbst eine dem § 212 RVO entsprechende Regelung enthalten müßte. In Anbetracht dieser Regelung wäre es auch rechtsirrtümlich, von einer lediglich hilfsweisen Anwendung der Vorschriften des Zweiten Buches der RVO im Rahmen der Krankenversicherung der Rentner zu sprechen (vgl. Entscheidung des SGer. Reutlingen vom 29. September 1954, Breithaupt 1954, S. 1110).
Hiernach war zu prüfen, ob im gegebenen Streitfall, in dem der Kläger zunächst Mitglied einer Betriebskrankenkasse gewesen und dann in die Krankenversicherung der Rentner eingetreten ist, ein Kassenwechsel nach § 212 RVO vorliegt. Eine solche Annahme wäre ausgeschlossen, wenn die Krankenversicherung der Rentner als eine besondere und jedenfalls außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung stehende Form der Versicherung mit einem selbständigen Versicherungsschutz zu betrachten wäre (so die vorerwähnte Entscheidung des SGer. Reutlingen vom 29. September 1954). Das ist jedenfalls für die Anwendung des § 212 RVO abzulehnen, denn in diesem Zusammenhang sind die Besonderheiten der Rentner-Krankenversicherung - sie ist von den Allgemeinen Ortskrankenkassen und den Landkrankenkassen "durchzuführen", und ihre Mittel werden nicht durch Beiträge der Beteiligten aufgebracht - ohne Bedeutung. Die Ortskrankenkassen sind Träger der Krankenversicherung (Abschnitt II Art. 3 § 1 des Gesetzes über den Aufbau der Sozialversicherung vom 5. Juli 1934, RGBl. I S. 577) und somit Krankenkassen im Sinne des § 212 RVO auch, soweit sie die Krankenversicherung der Rentner nach § 1 der VO über die Krankenversicherung der Rentner "durchführen"; denn auch in dieser Eigenschaft sind sie "Träger der Krankenversicherung" (§ 18 VO über die Krankenversicherung der Rentner), die Rentner sind ihre "Versicherten" (vgl. z. B. Eingang von §§ 15 und 16 der VO) und ihre "Mitglieder", wie sich insbesondere aus dem ihnen eingeräumten aktiven und passiven Wahlrecht zu den Organen der Ortskrankenkassen ergibt (vgl. § 4 Abs. 4 des Selbstverwaltungsgesetzes, ferner auch § 16 Abs. 2 der VO über die Krankenversicherung der Rentner).
Daß die Mitgliedschaft kraft Gesetzes mit der Zustellung des Rentenbescheids beginnt (§ 2 der VO über die Krankenversicherung der Rentner), steht der Annahme eines "Übertritts" des Versicherten, der Rentner wird, von einer Kasse zu einer anderen Kasse (§ 212 Abs. 1 RVO) nicht entgegen. Bereits das Reichsversicherungsamt hat anerkannt, daß unter einem "Übertritt" jeder Wechsel der Kassenzugehörigkeit zu verstehen ist, gleichviel, ob er durch das eigene Verhalten des Versicherten oder unabhängig von seinem Willen veranlaßt worden ist (Grundsätzliche Entscheidung Nr. 2822, AN. 1924 S. 217). In dieser Entscheidung handelte es sich um die Frage, ob die Anmeldung eines Arbeitslosen bei einer Krankenkasse nach der damaligen VO über die Erwerbslosenfürsorge in der Fassung vom 16. Februar 1924 (RGBl. I S. 127) einen Übertritt mit der Folge des § 212 RVO begründen könne. Das Reichsversicherungsamt hat in diesem Falle einen "Übertritt" nach § 212 RVO angenommen und hat die beim Übertritt bereits genossenen Leistungen bei der Bestimmung der gesamten Leistungsdauer berücksichtigt. Dabei war die Rechtslage im Falle der Entscheidung Nr. 2822 auch insofern der im vorliegenden Falle gegebenen ganz ähnlich, als auch § 21 Abs. 2 der angeführten VO vorschrieb, daß sich die Krankenversicherung der Erwerbslosen nach den Vorschriften der RVO bestimme. Der erkennende Senat hat daher keine Bedenken anzunehmen, daß auch die Beendigung der Versicherung des Klägers bei der Betriebskrankenkasse und die Begründung der Rentner-Krankenversicherung bei der beklagten Allgemeinen Ortskrankenkasse einen Übertritt von einer Kasse zur anderen im Sinn von § 212 Abs. 1 RVO darstellen. Der Senat hat auch das Vorliegen der weiteren Voraussetzung des § 212 Abs. 1 Satz 1 RVO bejaht, daß es sich um den Übertritt eines Versicherten handelt, "der Kassenleistungen bezieht". Zwar war der Kläger im Zeitpunkt des Übertritts zur beklagten Kasse am 14. Juli 1954 bereits ausgesteuert, so daß es an der Voraussetzung des Leistungsbezuges beim Übertritt im Sinne des § 212 Abs. 1 Satz 1 RVO hier zu fehlen scheint. Das Reichsversicherungsamt hat aber bereits in der Grundsätzlichen Entscheidung Nr. 2546 (AN. 1919 S. 413) eine über den Wortlaut des § 212 Abs. 1 RVO hinausgehende Auslegung für erforderlich erachtet, indem es den Anspruch auf Versicherungsleistungen hinsichtlich der Anrechnung beim Übertritt dem tatsächlichen Bezug der Leistungen gleichgestellt hat. Es hat in dieser Entscheidung die Anrechnung auch nicht deshalb für unzulässig gehalten, weil zwischen dem Übertritt von der einen zur anderen Kasse sowie bis zur Inanspruchnahme von weiteren Leistungen gewisse Zeitspannen gelegen waren; in Fällen dieser Art hat es für die Anwendung des § 212 Abs. 1 RVO lediglich gefordert, daß während der ganzen Zeit der Versicherungsfall (die Behandlungsbedürftigkeit) fortbestanden hatte. - Im Sinne einer solchen nicht am Wortlaut haftenden Auslegung des § 212 Abs. 1 RVO liegt es ferner, diese Vorschrift auch anzuwenden, wenn der Versicherte bereits im Zeitpunkt des Übertritts zur anderen Kasse ausgesteuert war, sofern nur bis dahin die Behandlungsbedürftigkeit ununterbrochen fortbestanden hat. Wollte man in Fällen solcher Art den § 212 Abs. 1 RVO nicht anwenden, so würde der beim Übertritt schon Ausgesteuerte gegenüber einem Versicherten, dessen Krankenhilfeanspruch noch nicht erschöpft war, zu Unrecht bevorzugt werden, da in diesem Fall die Anrechnungsvorschrift des § 212 Abs. 1 RVO die Gewährung von Leistungen an den Ausgesteuerten nicht ausschließen würde (vgl. Entscheidung des Bayer. LVAmts vom 26. November 1921, EuM Band 14, S. 59; ferner auch Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 212 Anm. 3 c).
Für die hier dem § 9 der VO über die Krankenversicherung der Rentner gegebene Auslegung, die in den Fällen des § 212 RVO zu einer Anrechnung bereits genossener Leistungen führt, spricht auch die in der VO enthaltene Übergangsregelung des § 19. Diese Vorschrift hat folgenden Inhalt: Soweit bei Inkrafttreten der VO über die Krankenversicherung der Rentner Krankenhauspflege für Personen gewährt wird, die seit 1. August 1941 der Krankenversicherung der Rentner unterliegen, übernimmt die Krankenkasse die weitere Krankenhauspflege nur dann, wenn die Krankenhauspflege die in der Satzung festgesetzte Gesamtdauer noch nicht erreicht hat. Diese Übergangsregelung läßt erkennen, daß die der Rentnerkrankenversicherung unterliegenden Rentner mit dem Erwerb der Mitgliedschaft bei der für die Durchführung der Rentner-Krankenversicherung zuständigen Allgemeinen Ortskrankenkasse keinen völlig neuen Krankenhilfeanspruch erwerben sollen. Es kann aber nicht angenommen werden, daß der Gesetzgeber nur die in der Übergangszeit schwebenden Fälle einer die Rentner belastenden Anrechnung unterwerfen wollte, daß er hingegen Rentner, die erst später in diese Krankenversicherung übertreten würden, von einer solchen Anrechnung ausnehmen wollte. Der zu dieser Frage ergangene Erlaß des Reichsarbeitsministers vom 25. Februar 1944 (AN. 1944 S. II 62) spricht nicht gegen diese Auffassung; denn er bezieht sich, auch nach seinem Absatz 2, nur auf die in § 14 der VO über die Krankenversicherung der Rentner geregelte Doppelversicherung (so mit Recht Bauer, DOK 1953, S. 568 Ziff. 2, 1. Absatz). In diesen Fällen der Doppelversicherung ist aber - im Sinne der Rechtsprechung des Reichsversicherungsamts (vgl. Grundsätzliche Entscheidung des RVA Nr. 5363, AN. 1940 S. II 179) - anzunehmen, daß mehrere Versicherungsverhältnisse vorliegen, aufgrund deren es angezeigt sein mag, keine Anrechnung anderweit genossener Leistungen vorzunehmen. Um einen Fall von Doppelversicherung in diesem Sinne handelt es sich hier aber nicht.
Eine Anrechnung von Leistungen nach § 212 Abs. 1 RVO beim Übertritt von einer Krankenkasse zu einer für die Krankenversicherung der Rentner zuständigen Kasse verstößt auch nicht gegen den Sinn der durch die Krankenversicherung der Rentner getroffenen Neuregelung; denn die Ansicht, daß es sich bei der Krankenversicherung der Rentner um einen völlig neuartigen besonderen Versicherungsschutz und nicht nur um eine Ergänzung der in der RVO geregelten Krankenversicherung und ihre Erstreckung auf die Rentner handle (vgl. SGer . Reutlingen a. a. O.), ist abzulehnen. Gerade eine Erweiterung der gesetzlichen Krankenversicherung lag in der Absicht des Gesetzgebers, der darin eine Bewährung und besondere Anpassungsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung sah. Sagt doch auch ein im Zusammenhang mit der VO über die Krankenversicherung der Rentner erschienener Aufsatz des Sachbearbeiters des Reichsarbeitsministeriums, daß es durch diese Verordnung möglich wurde, "die gesetzliche Krankenversicherung weiter auszubauen, ihre Leistungen auszugestalten und ihren Schutz auf weitere Kreise auszudehnen, und zwar auf Personen, die besonders schutzbedürftig sind ..." (Grünewald, AN. 1941 S. II 448).
Die gesetzliche Krankenversicherung stellt in dem ganzen Umfang dieses Versicherungszweiges eine in sich geschlossene Einheit dar. Eine im wesentlichen auf organisatorischem Gebiet liegende Änderung der Rechtsstellung einer Gruppe von Versicherten - der Rentner - kann daher nicht zur Begründung andernfalls nicht gegebener völlig neuer Leistungsansprüche führen. Insoweit ist bereits in der Amtlichen Begründung zu § 212 RVO ausgeführt: "Jedenfalls würde es unberechtigt sein, dem übertretenden Versicherten die volle Leistung der neuen Kasse zu gewähren, ohne ihm die bis dahin von der alten Kasse genossene Leistung anzurechnen. Denn die Reichsversicherungsordnung ist eine einheitliche Einrichtung und jeder Einzelanspruch, der auf ihr beruht, muß in sich als ein einheitliches Ganzes betrachtet werden" (vgl. Entwurf einer Reichsversicherungsordnung nebst Begründung - Reichstagsdrucksache 1910 Nr. 340, zu § 225).
Schließlich geht auch die Anwendung des Gleichheitsgrundsatzes durch das Vordergericht fehl (vgl. auch die bereits erwähnte Entscheidung des SGer. Reutlingen), soweit es seine Entscheidung damit rechtfertigen will, daß Rentner, die vorher der gesetzlichen Krankenversicherung noch nicht angehört haben, einen Anspruch auf die vollen Leistungen der Krankenversicherung der Rentner erwerben, den diejenigen Rentner gegebenenfalls nicht erlangen würden, die schon Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung waren. Diese unterschiedliche versicherungsrechtliche Stellung der Rentner, die schon während des gleichen Versicherungsfalls der gesetzlichen Krankenversicherung angehört haben, gegenüber den erstmalig in die Krankenversicherung eintretenden Rentnern läßt eine unterschiedliche Leistungsgewährung gerechtfertigt erscheinen.
Nach alledem ist der Anspruch des Klägers auf Übernahme der Krankenhausverpflegungskosten für die Zeit vom 14. Juli 1954 an durch die Beklagte nicht begründet (im Ergebnis ebenso: Arbeitsminister des Landes Nordrhein-Westfalen Erl. vom 28.8.1947, Arbeits- und Sozialpolitik Nr. 17 S. 5; Anweisung des Zentralamts für Arbeit vom 28.2.1947 - IV/277/47 - Arb. Bl. f. d. br. Z. 1947 S. 117, ausdrücklich jedoch nur für den Fall des Übergangs von einer für die Krankenversicherung der Rentner zuständigen Kasse zur Pflichtversicherung; Bauer, DOK 1953 S. 567; a. A. die nicht amtlich veröffentlichten Erl. BMA vom 1.4.1952 - Ic1/412/52 - DOK 1952 S. 210 und vom 2.8.1954 - Ic5/866/54 - Betr.KK 1954 Sp. 429; nur für den Fall von Doppelversicherung auch Erl. des RAM vom 25.2.1944, AN. 1944 II S. 62). Das Sozialgericht hat daher zu Unrecht der Anfechtungsklage, die der Kläger gegen den Ablehnungsbescheid der Beklagten erhoben hatte, stattgegeben und hat sie zu Unrecht zur Übernahme der Krankenhausverpflegungskosten verurteilt.
Hiernach unterlag das Urteil des Vordergerichts der Aufhebung. Der erkennende Senat hat, da die Sache entscheidungsreif war, die Klage abgewiesen (§ 170 Abs. 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen