Leitsatz (amtlich)
Ist der Sonderrechtsnachfolger zugleich gesetzlicher Erbe und schlägt er seinen gesetzlichen Erbteil aus, so erfaßt diese Ausschlagung nicht auch die nach AVG § 65 Abs 1 ( = RVO § 1288 Abs 1) übergegangenen Ansprüche auf eine noch nicht ausgezahlte Rente.
Stirbt auch der Sonderrechtsnachfolger, so geht sein Anspruch auf die noch nicht ausgezahlte Rente auf seine Erben über, auch wenn er diesen Anspruch nicht geltend gemacht hat.
Normenkette
RVO § 1288 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; AVG § 65 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 5. November 1969 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
Dem Vater der jetzigen Klägerin war auf seinen Antrag gemäß Bescheid vom 4. November 1961 vom 1. Oktober 1960 an von der Beklagten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gewährt worden, die später in ein Altersruhegeld umgewandelt worden war. Für die Zeit bis zum 31. Dezember 1961 ergab sich eine Nachzahlung von 3.274,50 DM, die zusammen mit der laufenden Rente an den beigeladenen Landschaftsverband überwiesen wurde, weil der Versicherte zu dessen Lasten in der Zeit vom 5. Oktober 1960 bis 15. August 1962 im R Landeskrankenhaus B behandelt worden war. Mit Bescheid vom 6. Mai 1964 hatte die Beklagte die Auszahlung an den Versicherten abgelehnt. Hiergegen hatte er Klage erhoben mit dem Antrage,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 3.274,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 16. Dezember 1960 zu zahlen.
Zur Begründung hatte er vorgetragen, ein Ersatzanspruch des Beigeladenen auf die Rentennachzahlung habe nicht bestanden, da er, der Kläger, zu Unrecht im Landeskrankenhaus untergebracht worden sei; falls überhaupt eine stationäre Behandlung erforderlich gewesen sein sollte, hätte sie in einem Fachkrankenhaus erfolgen müssen; die Kosten eines solchen Krankenhausaufenthalts wären dann zumindest teilweise von der Krankenkasse übernommen worden.
Nach seiner Entlassung aus dem Landeskrankenhaus hatte sich der Versicherte zu seiner Ehefrau nach Bad-G begeben. Am 18. September 1966 ist er dort verstorben. Seine Ehefrau reiste anschließend zu ihrer Tochter, der jetzigen Klägerin, nach Johannisburg in Südafrika. Hier ist auch sie am 1. Februar 1967 gestorben, nachdem sie zuvor einen Antrag auf Witwenrente gestellt hatte. Den vom Verstorbenen erhobenen Nachzahlungsanspruch hatte sie jedoch nicht weiter verfolgt.
Die jetzige Klägerin hat als Tochter des Verstorbenen mit der Behauptung, dessen Alleinerbin zu sein, den Rechtsstreit aufgenommen.
Das Sozialgericht (SG) Köln hat die Klage auf Zahlung von 3.274,00 DM nebst Zinsen abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Klägerin fehle die Aktivlegitimation. Gemäß § 65 Abs. 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) sei im Zeitpunkt des Todes des Versicherten allein dessen Ehefrau zur Fortsetzung des Verfahrens berechtigt gewesen; da diese zu ihren Lebzeiten von diesem höchstpersönlichen Recht keinen Gebrauch gemacht habe, stehe es nach deren Tode der Klägerin als Erbin des Versicherten nicht zu. Das SG hat die Berufung nach § 150 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zugelassen. Die Klägerin hat dieses Rechtsmittel eingelegt. Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat durch Urteil vom 5. November 1969 die Berufung zurückgewiesen, wobei es seinerseits die Revision nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG zuließ. Die Klägerin hat dieses Rechtsmittel eingelegt mit dem Antrage,
das angefochtene Urteil und das Urteil des SG Köln vom 27. November 1967 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, 3.274,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 16. Dezember 1960 zu zahlen.
Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,
die Revision zurückzuweisen,
da das angefochtene Urteil richtig sei.
II.
Die kraft Zulassung statthafte Revision muß zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz führen.
Das LSG hat sich im Ergebnis der Entscheidung des SG angeschlossen. Es ist jedoch nicht von § 65 Abs. 2 AVG, sondern von dessen Abs. 1 ausgegangen. Danach steht eine beim Tode des Berechtigten noch nicht ausgezahlte Rente nacheinander zu dem Ehegatten, den Kindern, den Eltern, den Geschwistern und schließlich der Haushaltsführerin im Sinne des Abs. 3, wenn sie mit dem Berechtigten zur Zeit seines Todes in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben oder von ihm wesentlich unterhalten worden sind. Das LSG ist dazu der Auffassung, von Abs. 1 sei hier deshalb auszugehen, weil die Rente bereits festgestellt und nur deren teilweise Auszahlung streitig sei. Damit sei zunächst die Ehefrau des Versicherten dessen Sonderrechtsnachfolgerin geworden, weil sie mit ihm zur Zeit seines Todes in häuslicher Gemeinschaft gelebt habe. Nach deren Tod sei die Klägerin nicht an deren Stelle als Sonderrechtsnachfolgerin getreten. Dies gelte aber nicht deshalb, weil - wie das SG ausgeführt habe - die Klägerin als Kind mit dem Versicherten nicht in häuslicher Gemeinschaft gelebt habe und von ihm auch nicht wesentlich unterhalten worden sei. Entscheidend sei vielmehr, daß § 65 AVG materiellrechtliche Bedeutung habe. Nachdem der streitige Anspruch in der Person der Ehefrau des Versicherten entstanden sei, sei kein Raum mehr für eine weitere Sonderrechtsnachfolge gewesen. Vielmehr seien Rechtsnachfolger eines Sonderrechtsnachfolgers stets dessen gesetzliche oder testamentarische Erben. Die Klägerin habe bisher stets nur behauptet, Erbin des Versicherten, nicht jedoch ihrer Mutter gewesen zu sein, so daß sie schon aus diesem Grunde nicht an deren Stelle getreten sein könne. Abgesehen davon habe auch keine Veranlassung bestanden, zu klären, ob die Klägerin etwa doch Erbin auch ihrer Mutter geworden sei. Selbst wenn dies nämlich zutreffen sollte, sei doch zu berücksichtigen, daß die Mutter ihren Anspruch auf die Nachzahlung nicht weiter verfolgt habe. Insoweit sei der auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) in BSG 15, 160 gestützten Ansicht des SG zu folgen, daß die Mutter der Klägerin zu ihren Lebzeiten den Anspruch hätte weiterverfolgen müssen. Wie nämlich das BSG aaO ausgeführt habe, ergebe sich aus der Theorie von der höchstpersönlichen Natur des Rentenrechts als einem allgemein gültigen Prinzip, daß der Erbe oder der besondere Bezugsberechtigte bloß in solche Leistungsrechte eintrete, die der Versicherte oder Hinterbliebene bei Lebzeiten abgerufen hatte. Die sinngemäße Anwendung dieses Prinzips erfordere es, daß die Mutter der Klägerin zu ihren Lebzeiten den streitigen Anspruch hätte geltend machen müssen. Hieran fehle es; etwas derartiges ergebe sich auch nicht etwa daraus, daß sie Hinterbliebenenversorgung beantragt habe, da insoweit ein anderer Streitgegenstand vorliege. Somit habe das SG im Ergebnis zutreffend die Aktivlegitimation der Klägerin verneint und die Klage abgewiesen, so daß die Berufung hätte zurückgewiesen werden müssen.
Gegen diese Ausführungen wendet sich die Revision im Ergebnis zu Recht. Allerdings ist das LSG zutreffend von der Anwendbarkeit des § 65 Abs. 1 AVG ausgegangen. Die bindend festgestellte Rente war beim Tode des Versicherten noch nicht ausbezahlt. Es trifft nicht zu, daß dies bereits geschehen wäre, weil der Beigeladene die Nachzahlung erhalten hat. Mit der Klage war geltend gemacht, daß die Beklagte an den Falschen gezahlt habe und deshalb von ihrer Zahlungsverpflichtung nicht befreit worden sei. Diese Klagebehauptung muß Ausgangspunkt für die Beurteilung der Frage sein, ob die festgestellte Rente bereits ausgezahlt war oder nicht.
Damit war die Ehefrau des Versicherten zunächst dessen Rechtsnachfolgerin nach § 65 Abs. 1 AVG geworden, weil sie mit ihm zur Zeit seines Todes in häuslicher Gemeinschaft gelebt hatte, so daß insoweit dem LSG im Ausgangspunkt zuzustimmen ist. Anders liegt es jedoch mit seinen weiteren Ausführungen.
Nach dem Tode ihrer Mutter wurde die Klägerin schon deswegen nicht weitere Rechtsnachfolgerin des Versicherten nach § 65 Abs. 1 AVG, weil sie mit diesem zur Zeit seines Todes nicht in häuslicher Gemeinschaft gelebt hatte und ersichtlich auch nicht von ihm unterhalten worden war. Damit kann dahingestellt bleiben, ob § 65 AVG mehrmals angewendet werden kann, wenn nämlich der erste Sonderrechtsnachfolger eines ursprünglichen Berechtigten ebenfalls stirbt, bevor ihm die Rente ausgezahlt worden ist (so ua Tannen, SozVers 1967, 77 sowie Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung S. 734 d/e). Jedenfalls mußte nunmehr auf das allgemeine Erbrecht zurückgegriffen werden (BSG 28, 102), wobei insbesondere zu klären war, ob die Klägerin den streitigen Rentenanspruch im Wege der Erbfolge von ihrem Vater oder von ihrer Mutter erworben haben konnte. Denn nach dem Vortrag der Klägerin in der Revisionsbegründung, der vorerst bis zu seiner Nachprüfung durch das LSG für die weiteren Untersuchungen als richtig unterstellt werden kann, hatte die Mutter die Erbschaft nach dem Versicherten ausgeschlagen.
Eine Prüfung nach dieser Richtung ergibt, daß die Ausschlagung nicht auch die nach § 65 Abs. 1 AVG übergegangenen Ansprüche erfaßt. Zwar kann auf die Sonderrechtsnachfolge verzichtet werden. Denn es ist ein allgemeiner Rechtsgedanke, daß sich niemand ein Recht aufdrängen lassen muß. Die Sonderregelung des § 65 AVG besteht jedoch neben der erbrechtlichen Universalnachfolge. § 1951 Abs. 1 BGB erlaubt es bereits dem Erben, der zu mehreren Erbteilen berufen ist, den einen Erbteil zu behalten und den anderen auszuschlagen, wenn die Berufung auf verschiedenen Gründen beruht. Erst recht muß daher der Sonderrechtsnachfolger, der zugleich Erbe nach bürgerlichem Recht ist, befugt sein, nur die gesetzliche oder testamentarische Erbfolge auszuschlagen und die Sonderrechtsnachfolge zu behalten, die ein öffentlich-rechtliches, den Besonderheiten der gesetzlichen Rentenversicherung Rechnung tragendes Rechtsinstitut ist, das neben der allgemeinen Erbfolge besteht. Dies muß selbst dann gelten, wenn dadurch die Nachlaßgläubiger benachteiligt werden. Der erbberechtigte Sonderrechtsnachfolger nach § 65 Abs. 1 AVG ist nach Ausschlagung der allgemeinen Erbfolge nicht anders gestellt als die dort ebenfalls als bezugsberechtigt aufgeführte Haushaltsführerin, die ohnehin nicht für Nachlaßschulden haftet, sondern allenfalls in entsprechender Anwendung des § 419 BGB für Nachlaßverbindlichkeiten aufzukommen hätte (vgl. hierzu K. Sieg, Die Vererblichkeit von sozialversicherungsrechtlichen Ansprüchen, Berliner Festschrift für Ernst E. Hirsch, S. 206).
Der Sachverhalt bietet keine Anhaltspunkte dafür, daß die Mutter der Klägerin die Sonderrechtsnachfolge zurückgewiesen hat. Damit kann offen bleiben, in welcher Form, wem gegenüber und in welcher Frist dies hätte geschehen müssen (vgl. Sieg aaO S. 201).
Damit konnte sich der ursprüngliche etwaige Anspruch des Versicherten gegen die Beklagte auf Auszahlung des Nachzahlungsbetrags nach dem Übergang auf seine Ehefrau nunmehr nur noch nach den allgemeinen Vorschriften des BGB weiter vererben (BSG 28, 102), da ersichtlich andere Berechtigte nach § 65 Abs. 1 AVG nicht vorhanden sind.
Daraus folgt aber zugleich, daß die Berechtigung der Klägerin nicht daran scheitern kann, daß ihre Mutter zu ihren Lebzeiten den auf sie übergegangenen Anspruch des Versicherten nicht weiter verfolgt hat. Vielmehr ist erforderlich, aber auch ausreichend, daß der ursprünglich Berechtigte noch selbst seinen Anspruch erhoben hatte (so auch Brackmann aaO S. 734 e; a. A. Tanne aaO S. 781, jedoch nur für den Fall einer mehrmaligen Anwendung des § 1288 RVO). Denn nirgends sieht das Gesetz vor, daß der Sondernachfolger des § 65 AVG einen neuen Antrag stellen müsse. Dieser ist vielmehr stets vom ursprünglich Berechtigten zu stellen, vgl. z. B. §§ 25 Abs. 2 und 3, 67 Abs. 2 u. 5 AVG sowie §§ 1545 Abs. 1 Nr. 2, 1613 RVO, soweit nicht die Leistungen überhaupt von Amts wegen zu gewähren sind (vgl. z. B. § 1545 Abs. 1 Nr. 1 RVO sowie BSG SozR Nr. 1 zu § 630 RVO). Zweifelhaft kann allein sein, ob das Recht zur Antragstellung vererbt werden kann, und nur mit dieser Frage befaßt sich das vom LSG angeführte Urteil in BSG 15, 157. Ist dagegen der Antrag einmal vom Berechtigten wirksam gestellt, so kann sich nur noch die damit ausgelöste Anwartschaft vererben, ohne daß der Rechtsnachfolger den Antrag wiederholen müßte. Darüber hinaus lag hier sogar eine bereits festgestellte und dem Grunde nach zuerkannte Leistung vor, von der lediglich zweifelhaft war, wem sie zustand.
Das LSG hätte somit die Abweisung der Klage durch das SG nicht schon deswegen als im Ergebnis zutreffend bestätigen dürfen, weil die Mutter der Klägerin die Ansprüche des Versicherten nicht selbst weiterverfolgt hat. Es hätte vielmehr zunächst klären müssen, ob die Klägerin Allein- oder Miterbin ihrer Mutter ist (vgl. dazu auch § 2039 BGB), und gegebenenfalls alsdann prüfen müssen, ob der Anspruch deshalb sachlich berechtigt ist, weil die Beklagte an einen Falschen gezahlt hat. Deshalb war - wie geschehen - nach § 170 Abs. 2 Satz 2 SGG zu verfahren. Bei seiner erneuten Entscheidung wird das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
Fundstellen